- Feine Gasannahme und tolle Laufkultur
- Sitzbank leider nicht höhenverstellbar
- Gejammert auf höchstem Niveau
- Schadstoffausstoß unterhalb der Grenzwerte
- Reifenempfehlung
- Auspuffempfehlung
- Zubehör im Test
- Fahrermeinung
BMW und der MOTORRAD-Dauertest – diese Beziehung endete in den vergangenen Jahren nicht immer glücklich. Beispiele gefällig? Die erste R 1200 GS im Jahr 2005: je ein kapitaler Defekt an Hinterradantrieb und Getriebe. Fünf Jahre später patzte die K 1300 GT mit geplatztem Kupplungskorb und Kurbelwellenschaden. Im Jahr 2014 sorgte der Dauertest der wassergekühlten R 1200 GS mit einem kapitalen Getriebeschaden für einen Eklat.
Insofern hat sie einiges gutzumachen, die neue BMW R 1200 R. Allerdings: Das Vertrauen in die Qualitäten der Münchner Konstruktionen hat die leidvolle Dauertest-Historie offensichtlich nicht geschmälert. Im Gegenteil. Mit 23,1 Prozent Marktanteil (Stand November 2015) dominiert BMW den deutschen Motorradmarkt in erdrückender Manier. Yamaha als zweitstärkste Kraft im Lande verkauft mit 11,6 Prozent nur halb so viele Maschinen.
Trotzdem: Eine 50.000-Kilometer-Distanz ohne schwerwiegende mechanische Defekte durchzustehen, wird heute von jedem Kleinwagen verlangt. Für ein Motorrad der preislichen Oberklasse sollte dies erst recht kein Problem darstellen. Denn mit immerhin 16.595 Euro (inklusive Komfort-, Touring- und Dynamik-Paket sowie Style 1-Farbgebung und Keyless Ride) lässt die BMW R 1200 R das Bankkonto kräftig zur Ader.
Feine Gasannahme und tolle Laufkultur
Technisch stellt die nackte BMW R 1200 R eine Zäsur in der jüngeren Boxer-Historie dar. Zwar ersetzte eine Upside-down-Gabel schon bei der R NineT das Telelever, die Kombination der konventionellen Front mit dem wassergekühlten Boxer findet sich aber zum ersten Mal in der R 1200 R. Zudem profitiert der Flat Twin von der Gnade seiner späten Geburt. Denn die um 1127 Gramm schwerere Kurbelwelle, die bereits im Jahr 2014 in der GS Adventure und R 1200 RT verbaut wurde, sorgt auch in der BMW R 1200 R für geschliffenere Manieren im unteren Drehzahlbereich. Und nicht nur deshalb für prompte Begeisterung für die Dauertest-BMW. Zunächst bei Markus Biebricher. "Welch beglückender Druck, was für ein glücklich machendes Bike", notiert der Chef des Ressorts "Leben" geradezu im Glückstaumel nach seiner Jungferntour auf der BMW R 1200 R ins Fahrtenbuch. In der Tat brilliert der präzisionsgekühlte Boxer vor allem durch feine Gasannahme und tolle Laufkultur. Kräftigeren Schub bietet er obendrein. Mindestens zehn Newtonmeter Drehmoment und bis zu 14 PS Leistung trennen den neuen, 125 PS starken Treibsatz über das ganze Drehzahlband von seinem Vorgänger.
Zu kritisieren gab’s am so geschmeidig pochenden Antrieb der BMW R 1200 R denn auch kaum etwas. Ein Thema bleibt die Schaltung. "Das Getriebe könnte geschmeidiger funktionieren", merkt Testredakteur Jens Möller-Töllner an. Konkreter: Wie alle Boxermotoren der neuen Generation trennt die Nasskupplung nicht immer perfekt, lässt den ersten Gang gelegentlich nur mit einem unüberhörbaren Schlag einrasten. Hausmittel wie ein bis maximal zur Schauglasmitte reichender Motorölstand oder eine Gedenksekunde mit gezogenem Kupplungshebel vor dem Einlegen des Gangs wirken nur lindernd, aber nicht heilend. Am schonendsten für die Nerven – und das Getriebe – ist es, den Motor mit bereits eingelegtem ersten Gang zu starten.
Etwas Aufmerksamkeit fordert auch der Schaltassistent der BMW R 1200 R. Sportliche Naturen, die den Boxer drehen lassen, schwärmen vom kupplungslosen Schalten dank Zündunterbrecher und Zwischengasautomatik in den höchsten Tönen. Bei Konstantfahrt, niedrigen Drehzahlen und in den unteren drei Gängen steht dieser Technik jedoch die relativ große Schwungmasse des Zweizylinders im Weg. In diesen Situationen schont die glättende Hand am Kupplungshebel abermals Nerven und Material. Für Zweifler: Die Kalibrierung der Regelelektronik kann in der Werkstatt – zum Beispiel im Rahmen einer Inspektion – unkompliziert überprüft werden. Apropos Inspektion. Mit 209 Euro blieben die Kosten für die 10.000er-Durchsicht (Öl- und Bremsflüssigkeitswechsel) überschaubar.
Sitzbank leider nicht höhenverstellbar
Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die BMW R 1200 R mit Nachrüstscheibe und höherer Sitzbank (siehe "Zubehör im Test") sogar in die Herzen der Tourer-Fraktion gefahren. Sehr gut: Selbst mit der höchsten, um immerhin acht Zentimeter aufgepolsterten Nachrüstsitzbank erreichen 1,80-Meter-Piloten noch immer mit beiden Füßen sicheren Grund. Trotzdem schade, dass die Sitzbank nicht mehr wie beim Vorgängermodell höhenverstellbar ist, sondern für jede Änderung ein Neuteil für 257 Euro fällig wird.
Pudelwohl auf dem hohen Sitz fühlte sich Kristijan Ticak. Der hoch aufgeschossene Chefredakteur der kroatischen MOTORRAD-Partnerzeitschrift "Motorevija" brummte auf einer Balkanrunde in Rekordzeit 3000 Kilometer auf den Digitaltacho der BMW R 1200 R und zeigte sich völlig begeistert (siehe "Fahrermeinung").
Gejammert auf höchstem Niveau
Dennoch brachten nicht erst die Holperpisten im kroatischen Hinterland eine Schwäche in der Abstimmung der semiaktiven Federung zutage. Während das Heck lang gezogene Wellen sauber wegdämpft, kommen Schläge von Querrinnen oder Schlaglöchern nur wenig gefiltert beim Fahrer an. Zudem fällt im Road-Modus des ESA die Dämpfung des Federbeins recht schwach aus, verleiht der Hinterhand ein diffuses Feedback und ein etwas schwammiges Fahrgefühl.
Gejammert wird in dieser Beziehung dennoch auf höchstem Niveau. Denn die Vergleichstests gegen die Ducati Monster 1200, Honda CB 1000 R oder Triumph Speed Triple hatte die BMW R 1200 R bis dahin alle gewonnen. Und Defekte gab’s auch keine – sieht man vom immer wieder abstürzenden Navi ab, das auf Garantie ersetzt wurde. Auch die 20.000er-Inspektion hielt sich finanziell mit genau 300 Euro im Rahmen (Öl in Motor und Hinterachsgetriebe gewechselt, Zündkerzen und Luftfilter getauscht, Ventilspielkontrolle).
Schadstoffausstoß unterhalb der Grenzwerte
Als im September die medialen Wogen über dem VW-Abgasskandal zusammenschlugen, musste die Dauertest-R sogar zur Ehrenrettung der Zweiradbranche ran. Gemeinsam mit der Suzuki GSX-S 1000 F stellte MOTORRAD die BMW R 1200 R auf einen Abgasprüfstand des TÜV Rheinland. Das Resultat: Sowohl im Prüfzyklus als auch bei der Simulation einer willkürlich gewählten freien Fahrt blieb der Schadstoffausstoß beider Probanden unterhalb der Grenzwerte. Zur Erinnerung: Im Jahr 2000, entlarvte MOTORRAD bei der BMW F 650 eine Prüfstandserkennung in der Software.
Insofern brummt die BMW R 1200 R mit weißer Weste und bislang ohne eine einzige technische Auffälligkeit gen Halbzeit des Dauertests. Ihre eingangs erwähnten Vorgängerinnen hatten Testwerkstatt und Vertragshändler bis zu dieser Distanz bereits kräftig auf Trab gehalten. Und weil MOTORRAD bislang auch aus den Besitzerkreisen keine Auffälligkeiten über die BMW R 1200 R gemeldet wurden, steuert sie das zerrüttete Verhältnis ihres Mutterhauses zum MOTORRAD-Dauertest derzeit auf Reha-Kurs. Zumindest solange Kollege Biebricher mit seiner zweiten Fahrtenbuchnotiz recht behält: ein tolles Motorrad – hoffentlich geht nichts kaputt.
Reifenempfehlung






Bridgestone T 30 Evo
Im jüngsten MOTORRAD-Tourenreifentest eher unauffällig, harmoniert der T 30 mit der BMW R 1200 R überraschend gut. Er überzeugt mit guter Lenkpräzision und ausreichend Grip, gibt sich über Kanten aber etwas unkomfortabel. Die Bridgestone sind die geradeauslaufstabilste Paarung im Vergleich. Gutes Verschleißverhalten.

Continental Road Attack 2 Evo GT
Seine Stärke, das kurvengierige Lenkverhalten, kann der Conti auf der BMW R 1200 R nicht ausspielen. Vielleicht weil die GT-Version für schwere Tourer entwickelt wurde. Dennoch: Neutrales Einlenken, geringes Aufstellmoment und gute Rückmeldung sprechen für den RoadAttack. Der laut Hersteller beim neuen GT-Modell verbesserte Nassgrip wurde im Rahmen dieser Reifenempfehlung nicht getestet. Fazit: ein ordentlicher, unauffälliger Allroundreifen.

Dunlop Roadsmart 2
Tiefe Temperaturen mag der Dunlop nicht. Warm gefahren ist er aber ein gutmütiger Geselle. Während er auf leichten Motorrädern durch die steife Karkasse unkomfortabel rollt, kommt ihm das Gewicht der BMW (242 kg) entgegen. Auf ihr liefert er auch eine gute Rückmeldung. Sein geringes Aufstellmoment gefällt auch. Trotzdem: Erste Wahl für die BMW R 1200 R ist der Roadsmart nicht.

Metzeler Z8 Interact "M/O"
Vom ersten Meter an vermittelt der Metzeler Vertrauen. Gute Rückmeldung, kurze Aufwärmphase – dieser Reifen macht Spaß. Auch Eigendämpfung, Abrollkomfort und Lenkpräzision gefallen auf ganzer Linie. Guter Nassgrip und moderater Verschleiß runden den positiven Gesamteindruck ab. Der Tipp für die BMW R 1200 R.

Michelin Pilot Road 4
Die Stärken des Michelin sind klar umrissen: Er bietet bei Nässe den besten Grip des Testfelds und begeistert durch extreme Handlichkeit. Vor allem Letzteres kommt der auf Stabilität ausgerichteten BMW R 1200 R sehr entgegen. Auch beim Thema Verschleiß zieht sich der Pilot Road 4 sehr gut aus der Affäre. Letztlich komplettieren die ordentliche Eigendämpfung und die gute Rückmeldung den positiven Eindruck.

Pirelli Angel GT
Nicht täuschen lassen: Trotz des Kürzels wurde der GT nicht für schwere Tourenmaschinen konzipiert. Auf der BMW R 1200 R baut er vom ersten Meter an ein Vertrauensverhältnis auf. Mit hoher Präzision lenkt er ein. Die gute Eigendämpfung liefert auch die Grundlage für das klare Feedback. Das Gripniveau ist sowohl im Trockenen als auch bei Nässe gut. Aber: Der Verschleiß ist relativ hoch.
Auspuffempfehlung






Die Verarbeitung des slowenischen Schalldämpfers ist top, die Passgenauigkeit sehr gut. Mit 4,1 Kilo spart der Dämpfer lediglich 600 Gramm gegenüber dem 4,7 Kilo schweren Originalteil ein. Das Drehmoment liegt vor allem im unteren Drehzahlbereich über dem Serienauspuff. Relativ laut.
Gewicht: minus 13 %; Leistung: plus 1,6 %; Preis: 965,33 Euro; Sound: bassig, aggressiv

Verarbeitung und Passgenauigkeit des österreichischen Schalldämpfers können sich sehen lassen. Das Gewicht (nur 3,1 kg) ebenfalls. Seinem geringen Volumen schuldet der Remus wohl auch seine im Vergleich zum Serienteil höhere Lautstärke. Die Leistung unterscheidet sich über das ganze Drehzahlband nur im Rahmen der Messtoleranz.
Gewicht: minus 33 %; Leistung: plus 0,8 %; Preis: 780 Euro; Sound: sonor, aggressiv
Zubehör im Test






Nachrüst-Windschilde bei Naked Bikes sind immer ein umstrittenes Thema. Meist leidet das puristische Design der Maschine. Bei der größten Scheibe aus dem BMW-Zubehörprogramm tut es das zweifellos auch. Gemessen an der Größe der Scheibe könnte der Windschutz besser sein. Der Fahrtwind (Fahrer um die 1,80 m, höchste Sitzbank) erfasst den Kopf noch vollständig, weshalb Dauer-Tempi über 160 km/h mit der BMW R 1200 R trotz dieses Schilds anstrengend bleiben.

Die kleine Haube aus dem BMW-Katalog fügt sich harmonisch in das Gesamtbild der BMW R 1200 R ein. Einen netten optischen Touch ergänzt obendrein das im Material ausgesparte R-Logo. Trotz der im Vergleich zum hohen Windschild erheblich reduzierten Größe bietet die Scheibe einen akzeptablen Windschutz, der für ein Dauertempo bis etwa 150 km/h ausreicht. Beide BMW-Scheiben sitzen spannungsfrei, der Anbau ist Minutensache.

Während sich die Sitzhöhe bei den alten R-Modellen noch zweifach in der Höhe einstellen ließ, ist das bei der aktuellen BMW R 1200 R nicht mehr möglich. Wer höher oder tiefer sitzen möchte, muss nachrüsten. Auf der niedrigsten Sitzbank des BMW-Programms gelingt auch sehr Kurzbeinigen ein sicherer Stand. Und: Trotz vergleichsweise dünner Polsterung ist der Sitzkomfort erstaunlich gut.

Stattliche acht Zentimeter liegen zwischen der niedrigsten und höchsten der insgesamt vier von BMW angebotenen Sitzbank-Versionen. Liebling der Redaktion und von Fahrern ab etwa 1,80 Meter ist die höchste Bank für die BMW R 1200 R. Vorteile: offener Kniewinkel und die üppigste, zudem in der Härte sehr gut getroffene Polsterung.
Fahrermeinung

Bei meinem ersten Alpen-Masters, ich glaube das war im Jahr 2007, habe ich mich in die BMW R 1200 R verliebt. Auch wenn ich wegen des Telelevers nie so richtig wusste, was ihr Vorderrad macht. Seit die aktuelle Generation mit konventioneller Gabel am Start ist, muss mit mir niemand mehr über dieses Motorrad diskutieren. Sie ist ein richtig sportliches Naked Bike mit ausgeprägten Touring-Qualitäten. Eine Maschine, mit der man auf der Landstraße ganz bestimmt keinen Gegner fürchten muss.

In dieser schicken Lackierung wirkt die BMW R 1200 R ein wenig wie eine deutsche Ducati. Aber sie bleibt der BMW-Linie, gute Tourer zu bauen, treu. Sie ist ein Roadster, auf dem man gut sitzt, viel Gepäck verstaut und hohe Reiseschnitte einfahren kann. Gesegnet ist sie mit einem begeisternd bulligen Boxermotor und einem handlichen, aber auch stabilen Chassis. Fahrwerke bauen kann BMW. Auch wenn die Fahrwerks-Eckdaten eher die eines Choppers sind: In Kurven räubert die "R" regelrecht.

Mag ich diese BMW? Jetzt in die Jubelarien von Kristijan und Thomas mit einzustimmen, wäre richtig. Die BMW R 1200 R fährt wie auf Schienen, der Boxer vereint Emotionalität, Souplesse und Druck in einzigartiger Weise. Doch werde ich erst später jubeln. Dann, wenn die 50.000 Kilometer hinter diesem Naked Bike liegen. Und zwar ohne Getriebe-, Kardan- oder Kupplungsschaden. Wenn sie dann zerlegt, vermessen und nachweislich unversehrt auf der Werkbank liegt, erst dann werde ich sagen: Ja, ich mag diese BMW. Sehr sogar.