Erste PS-Testfahrt mit der MV Agusta Brutale 800
Brutales Euro-4-Zeitalter

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MV Agusta hat die Brutale 800 ins Euro-4-Zeitalter gehoben und das gleich zu einer umfangreichen Modellpflege genutzt. Geblieben ist ein extrem sportliches Naked Bike, das eindeutig besser ist als die Vorgängerin.

Brutales Euro-4-Zeitalter
Foto: MV Agusta

Wenn man rein nach den Leistungsdaten geht, ist Euro 4 ein Fluch für die MV Agusta Brutale 800. Wegen den neuen Regularien aus Brüssel büßt das 800er-Naked Bike nämlich neun PS auf die Vorgängerin ein. Und wer gibt schon freiwillig Leistung her? De facto hat die nötige Überarbeitung der Brutale 800 aber insgesamt extrem gut getan, denn das Team um R&D-Chef Brian Gillen hat das gesamte Motorrad angefasst und es nicht bei Abgas- und Lautstärkenverbesserung sowie einer entsprechenden Anpassung des Motors und dessen elektronischer Steuerung belassen. Auch das Chassis und das gesamte Elektronik-Paket wurden verbessert.

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So ist beispielsweise durch die neue Rahmenkonstruktion der Radstand um 20 auf 1400 Millimeter und der Nachlauf durch einen etwas flacheren Lenkkopfwinkel auf 103,5 Millimeter angewachsen. Was zunächst nach weniger Agilität klingt, ist ein echter Segen. Rührte nämlich die radikaler konstruierte Vorgänger-Brutale besonders in schnellen, lang gezogenen Kurven um die Front und konnte einem schon mal das Vertrauen und damit den Spaß in feister Schräglage rauben, erfreut einen die aktuelle MV Agusta Brutale 800 in solchen Fahrsituationen jetzt mit feinster Stabilität und Zielgenauigkeit.

Auch die Bremsstabilität hat sich merklich verbessert. Trotzdem begeistert die MV Agusta Brutale 800 nach wie vor durch ein sehr sportliches, sehr agiles Handling. Sie gibt zu jeder Zeit einen echten Sportler. Schnarchnasen werden auf dieser Brutale deshalb eher mit Schwächen konfrontiert als Sportskanonen. Dazu gehört etwa das Konstantfahrruckeln, das sich bei Schleichfahrten durch den Stadtverkehr oder bravem Einreihen in die Berufsverkehr-Karawane offenbart. Der aggressive Charakter der neuen MV Agusta Brutale 800 dürfte zarte Gemüter ganz grundsätzlich stören. Dieser Motor ist ein knurrender Köter, läuft rau – ohne damit allerdings zu nerven – und will ständig von der Kette. Die Ingenieure haben es trotz Euro 4 hinbekommen, dem Triple etwas mehr Drehmoment schon in unteren Drehzahlregionen abzuringen.

MV Agusta Brutale 800 mit mehr Drehmoment

Schön auch, dass MV das Ride-by-Wire immer besser in den Griff bekommt. Die Gasannahme bei den Testbikes war tadellos. An allen drei fest programmierten Modi „Rain“, „Normal“ und „Sport“ gibt es nichts zu meckern. Mir persönlich hat der harte Sport-Modus mit ultra-direktem Ansprechverhalten gut gefallen, wenn man die MV Agusta Brutale 800 laufen lassen konnte. Wer zwischendurch einmal durchatmen möchte, kann das mit der jetzt einfachen Modiwahl per rechtem Daumen auch während der Fahrt tun und in „Normal“ schalten. Dann ist die Gasannahme sanfter und die maximale Leistung auf 90 PS beschränkt. Die Motorbremse arbeitet in den einzelnen Modi unterschiedlich wie auch die separat in acht Stufen einstellbare Traktionskontrolle. In einem „Custom“-Modus kann sich jeder Fahrer ganz eigene Parameter von TC, Gasannahme und maximaler Leistung bis Motorbremse selbst erstellen – das funktioniert wirklich gut.

Aber ein lammfrommes Postboten-Krad wird aus der MV Agusta Brutale 800 auch auf diese Weise keins. Sie ist und bleibt ein sportliches Eisen. Die Sitzposition passt da perfekt. Das ist nicht unbequem, aber der Pilot sitzt sehr vorderradorientiert und in aggressiver Haltung über dem Lenkkopf platziert.

Designer Adrian Morton bezeichnet die gestalterische Grundidee an der Brutale als „Faust“ – und das nimmt man ihm schon beim Umkreisen der MV Agusta Brutale 800 ab. Das Bike ist bullig um den Motor konstruiert. Und so kommt auch von der gestalterischen Seite her mächtig Adrenalin und Angriffslust ins Spiel. Die Älteren von uns erinnern sich vielleicht an die Faust aus dem psychedelischen Beatles-Film Yellow Submarine – die führte auch nichts Gutes im Schilde.

Kupplung braucht weniger Handkraft

Doch die MV Agusta Brutale 800 beweist auch Alltagstauglichkeit, und zwar in Form der nun hydraulisch betätigten Kupplung mit Anti-Hopping-Funktion, die weit weniger Handkraft als in der Vorgängerin verlangt. Und auch das abschaltbare ABS, das sicher arbeitet, ohne durch übertrieben konservative Abstimmung den grundsätzlichen Sportsgeist der Brutale zu stören, hilft durch den Alltag. Aufgrund von Euro 4 ist die MV Agusta Brutale 800 natürlich auch leiser geworden, haben die Konstrukteure den wunderschönen Dreiender-Auspuff und auch die Airbox entsprechend modifiziert. Vermissen wird man auf dem Bike jedoch in Sachen klangliche Emotionen kaum etwas, denn nach wie vor dringt genug von diesem anturnenden Triple-Fauchen ans Fahrerohr.

Verwöhnt wird der Sportsmann von einem voll einstellbaren Fahrwerk, das eindeutig auf der straffen Seite liegt, aber auch auf alltäglichen Straßen genug Komfort bietet, sofern man nicht die Prinzessin auf der Erbse raushängt. Dafür stimmt das Feedback der Komponenten. Klasse harmonieren die Pirelli Rosso III mit der MV Agusta Brutale 800 und der sehr schön dosierbaren Bremse. Tief und punktgenau kann man damit in die Traumkurven auf der Haus- strecke hineinbremsen, um dann dem Triple wieder ordentlich die Sporen zur nächsten Herausforderung zu geben. Mit dieser Brutale 800 dürfte der Spaß kaum ein Loch haben. Und wen interessieren da am Ende die paar läppischen PS weniger?

Technische Daten Brutale 800

Antrieb

Dreizylinder-Reihenmotor, vier Ventile/ Zylinder, 84,3 kW (116 PS) bei 11.500/min*, 83 Nm bei 7600/min*, 798 cm³, Bohrung/Hub: 79,0/54,3 mm, Verdichtung: 12,3:1, Zünd-/Einspritzanlage, 47-mm-Drosselklappen, hydraulisch betätigte Mehrscheiben-Ölbad-Anti-Hopping-Kupplung, Sechsganggetriebe, Kette

Fahrwerk

Stahl-Gitterrohrrahmen, Lenkkopfwinkel: 65,5 Grad, Nachlauf: 103,5 mm, Radstand: 1400 mm, Ø Gabelinnenrohr: 43 mm, Federweg v./h.: 125/124 mm

Räder und Bremsen

Leichtmetall-Gussräder, 3.50 x 17/5.50 x 17, Reifen vorn: 120/70 ZR 17, hinten: 180/55 ZR 17, 320-mm-Doppelscheibenbremse mit Vierkolben-Festsätteln vorn, 220-mm-Einzelscheibe mit Doppelkolben-Schwimmsattel hinten, ABS

Gewicht

(trocken) 175 kg*, Tankinhalt: 16,5 Liter Super

Grundpreis: 12.680 Euro (zzgl. NK)*

*Herstellerangabe

Die aktuelle Ausgabe
PS 10 / 2023

Erscheinungsdatum 13.09.2023