Fahrbericht Triumph Bonneville
BONNIE IN OCEAN

Ein Comeback, das sich gewaschen hat: Triumph holt die legendäre Bonneville zurück in die Zukunft, und das britische Königreich meldet Land unter.

Das Zündschloss sitzt vorne links am Scheinwerfer, der Choke links unten am Vergaser. Gestartet wird elektrisch – rechter Hand. Der Regen kommt senkrecht von oben. In sehr beachtlichen Mengen. Ort des Geschehens: Oxford, England. Es ist Ende Oktober. Herbst. Über dem Empire tobt ein gewaltiges Sturmtief, während Triumph die neue Bonneville aus der Taufe hebt.
Die NEUE BONNEVILLE, ja. Ein Prachtexemplar frühchristlich anmutenden Maschinenbaus. Stramme 205 Kilogramm Trockengewicht. 790 cm3. Durch und durch zweizylindrig, schwerst sentimental. Zitiert den Pioniergeist der wilden 50er – als ein verwegener Texaner namens Johnny Allen auf seiner methanolbefeuerten 650er-Zweizylinder-Triumph mit 344 km/h über die ausgetrockneten Salzseen von Bonneville/USA donnerte. Der gestrenge FIM erkannte den Rekord zwar nie offiziell an, die zivilbürgerliche Speedfraktion aber rannte Triumph die Bude ein, wollte stante pede ein Superbike.
Und bekam’s. Im Jahr 1959. In Form der T120. Zuname – logisch: Bonneville. Zwei Zylinder, zwei Vergaser, 650 Kubikzentimer, 46 PS und 177 km/h. »Das beste Motorrad der Welt«, titelten die Briten. Man nannte sie Bonnie – die Greta Garbo der Zweiradszene. Ganze Generationen verzehrten sich nach ihr. Als bei Triumph 1983 der vorläufig letzte Vorhang fiel, stand der Name Bonneville noch immer auf dem Programm. Und heute, zehn Jahre nach Wiederaufnahme der Produktion, feiert die alte Lady ihr Comeback. Äußerlich weitgehend naturbelassen, innerlich enorm verjüngt. Nockenwellen statt Stößelstangen, Ausgleichswellen statt Vibrationen. Ölkühler, Kraftstoffvorwärmung, Sekundärluftsystem, U-Kat. Pop meets classic.
Die weiten Hosenbeine meiner hurricaneerprobten Regenkombi verheddern sich mit den dick gummierten Fußrasten der Neuzeit-Bonnie. Uncool. Extrem uncool. Doch auf der Suche nach Seitenständer oder Bodenkontakt finden kleine Leute kaum einen Weg an den mächtigen Auslegern vorbei. Versöhnlich stimmen 775 Millimeter Sitzhöhe und königliche Platzverhältnisse in der Loge. Souverän wird am breiten Lenker Hof gehalten, das Handling und die Linientreue der erstaunlich gefügigen Masse genossen.
Nominell regieren im Unterhaus 60 PS, die magere 62 Newtonmeter bei 3500/min zusammentrommeln und tapfer gegen eine sehr lang gewählte Sekundärübersetzung kämpfen. Mit mäßigem Erfolg. Zwar wirkt die Triumph in keinem Bereich untermotorisiert, doch es fühlt sich an, als erwarte sie jeden Augenblick gewaltigen Schub. Nur - da kommt nix. Bei der Rasterfahndung lernt man das akkurat arbeitende Getriebe zu schätzen. Vom »gewissen Etwas« noch immer keine Spur. Der Reihenzweier schiebt ganz gepflegt Dienst, trifft stets den politisch korrekten Ton und weist seine fundamentalistische Vergangenheit weit von sich. Für ein Kultobjekt kommt er zu synthetisch rüber.
Langsam, aber unerbittlich nimmt das Schicksal seinen Lauf. Erster Wassereinbruch am Hosenboden. Oberstes Gebot: weiteratmen! Alle unnötigen Bewegungen einstellen. Notprogramm fahren. Fünfter Gang rein, den Rest per Kupplung regeln. Geht gut. Am langen Band seilt man die Bonneville ungestraft bis knapp über Leerlaufdrehzahl ab, und zieht sie mit sanfter Hand wieder hoch. Geschaltet wird nur noch beim Überholen.
Nächstes Leck: an den Stiefeln. Dass die Schlurfen überhaupt so lange dicht gehalten haben, verdanken sie dem ausladenden Kurbelgehäuse. Groß wie Buckingham Palace teilt es die Welt in ein Davor und Dahinter und gewährt in seinem Windschatten unverhofft Schutz. Die Schwimmsicherheit der Bonnie wird von Bridgestone garantiert. Mit dem BT 45 – einer der ganz wenigen hochseetauglichen Diagonalreifen, der allerdings eine große Schwäche für Längsrillen hat.
Zwischen Woodstock und Broadway erlebt mein alter Arai sein Waterloo. Stürmischer Wind treibt die Gischt hinters marode Visier. Hab Sonne im Herzen – so schnell ersäuft man nicht. Und die Schläge der konservativ eingestellten Heckfederbeine bringen dich auch nicht um. Auf der Ur-Bonnie ging’s um Klassen derber zu. Außerdem fühlt sich bei diesem Sauwetter eh alles viel schlimmer an, da man kalt und steif wie eine Kröte im Sattel klebt. An heiße Badewanne denken und an Vaters Spruch: Bei schönem Wetter können alle fahren.
Mit der neuen Triumph aber klappt’s auch im Regen, weil das Feedback grundsätzlich stimmt. Bis auf die Sache mit den Bremsen – nein, nein, es wird nicht mehr getrommelt. Doch der Leerweg der vorderen Einscheibenanlage ist definitiv zu lang. Und wenn die beiden Kolben endlich packen, liegt der Bremshebel schon fast am Lenker an. Wohlgemerkt im Unterwasserbetrieb, bei ausgesucht zaghafter Bedienung. Auf den ausgetrockneten Salzseen von Utah, würde die Anlage wohl kollabieren. Johnny Allen wäre damit jedenfalls erst wieder in New Yok zum Halten gekommen.

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Erscheinungsdatum 15.09.2023