Fahrbericht Yamaha XSR 900
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Mit der "Faster Sons"-Philosophie hat Yamaha eine neue Modellwelt kreiert, um aktuelle Technik in Retro-Optik zu kleiden. So bereits bei der Transformation der MT-07 zur XSR 700 gesehen – und jetzt beim zweiten Aufschlag ebenso bei Verwandlung der MT-09 zur Yamaha XSR 900.

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Foto: Yamaha

Kenny Roberts und Roland Sands stehen sich im Einstiegsfilm zur Vorstellung der Yamaha XSR 900 gegenüber, Auge in Auge. Der King auf einer Dirt Track-Maschine erster Güte, der Bike-Designer auf dem neuen Retro-Drilling von Yamaha. Die Schräg-und-quer-Maschine von Roberts sollte als Inspirationsquelle für die XSR 900, die ab März dieses Jahres den MT-09-Baukasten um ein modernes Bike im Old-School-Lock ergänzt, dienen. Beim genauen Blick ist bis auf die Farbgebung wenig Verwandtschaft zu erkennen, aber was soll`s. Schließlich setzt Yamaha beim neuesten Modell der „Faster Sons“-Baureihe auf bekannt gute Technik. Denn nicht nur in zahlreichen Tests hat die Basis Yamaha MT-09 überzeugt, sondern durch viele zufriedene Käufer auch zum Aufschwung von Yamaha in den letzten Jahren beigetragen. Unterm Strich also: Kann gar nicht schlecht werden, die Yamaha XSR 900, oder?

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Die Wahrscheinlichkeit dafür war also hoch, zumal sie der MT-09 bei Yamaha nicht nur ein paar schicke Aluteile auf den Leib geschneidert haben, sondern das Dreizylinder-Bike an einigen Stellen einem spürbaren Feinschliff unterzogen. Dazu zählt beispielsweise die Auswahl der Fahrmodi. Bei der MT-09 gab es bei jedem Neustart einen Reset in den Standard-Modus, bei der Yamaha XSR 900 bleibt die Einstellung nun erhalten. Auch die Gasannahme hat Yamaha jetzt im Griff. Im Modus A fällt sie zwar noch sportlich-aggressiv aus, in der Variante Standard gelingen Gaswechsel dagegen schön geschmeidig und im B-Modus, der laut Yamaha mit einem Leistungsminus von 10 bis 12 PS gegenüber der vollen Power von 115 PS auskommen muss, sind störende Impulse zwischen Gas-auf- und Gas-zu-Befehlen überhaupt nicht zu merken.

Retro-Variante mit besserer Stabilität

Und noch etwas ist fühlbar anders im Vergleich zur MT-09: das Fahrwerk. Schon auf den ersten Metern während der Fahrpräsentation dringt ein deutliches Mehr an Härte in Hände und Hintern. Gaben bei der MT-09 Gabel und Federbein mit ihrer soften Grundabstimmung schnell nach, wenn es mal zügiger ums Eck ging, liegt die Yamaha XSR 900 satter auf der Straße. Yamaha verbaut in der XSR 900-Gabel und im hinteren Stoßdämpfer andere Federn als in der MT-09. Diese fallen straffer aus. Dadurch gewinnt die Retro-Variante an Stabilität, wenngleich die Federelemente auf welligem Terrain durchaus sensibler ansprechen dürften. Dennoch entpuppt sich die XSR 900 als gelungenes Kurvensuchmobil, fällt Bridgestone-S-20-bereift fast mühelos in Schräglage und zieht sauber aus dem Kurvenscheitel.

Dem heftigen Dreh am Gasgriff nimmt bei der Yamaha XSR 900 eine dreistufig einstellbare Traktionskontrolle den Schrecken. Heißsporne können sie ganz abschalten, für alle anderen gibt es eine sensibel und eine sportlich später regelnde Abstufung. Per Schalter am linken Lenkerende lassen sich die unterschiedlichen Vorgaben einfach – auch während der Fahrt – verändern. Die Traktionskontrolle arbeitet nicht als simple Zündunterbrechung, sondern nutzt Zündung, Drosselklappenstellung und Einspritzung, um die Leistungsabgabe bei Bedarf anzupassen.

Eine weitere Neuerung bei der Yamaha XSR 900 ist die Anti-Hopping-Kupplung. Die soll nicht nur ein Stempeln des Hinterrads beim Zurückschalten verhindern, sondern gleichzeitig die Bedienkräfte für die Kupplung reduzieren. Beides klappt gut, allerdings will das Getriebe nicht so recht zur leichtgängigen Kupplung passen. Hart fallen die Schaltschläge aus, hoch die Kräfte im linken Fuß, die  zum Wechseln der einzelnen Gangstufen nötig sind.

Euro 4 beeinträchtigt Performance nicht

Auch beim Sitzarrangement gibt es Neues zu vermelden. Die MT-09 platziert den Fahrer dicht am Lenker. Bei der Yamaha XSR 900 hat Yamaha die Tankabdeckung über dem eigentlichen Spritbehälter um fünf Zentimeter nach hinten verlängert. Zudem wuchs die Sitzhöhe um 1,5 Zentimeter auf nun 830 Millimeter. Das Fahrerpolster fällt darüber hinaus breiter aus. Lenker und Fußrasten bauen gleich. Insgesamt ergibt das eine leicht gestrecktere, aber keinesfalls unbequeme Sitzposition. Langbeinige freuen sich über einen noch entspannteren Kniewinkel, kurze Zeitgenossen treibt’s beim Balance-Akt im Stand schon einmal Schweißperlen auf die Stirn.

In Sachen Technik sind damit schon fast alle Unterschiede zur MT-09 aufgezählt. Aber nur fast, denn der wichtigste bleibt für den Fahrer unbemerkt. Die Abgase strömen nun gemäß Euro 4-Norm aus dem in Schwarz gehaltenen Schalldämpfer. Glücklicherweise macht sich die Reduktion der Schadstoffe bei der Motorperformance nicht bemerkbar. Wie gewohnt schiebt der Crossplane-Drilling nachdrücklich voran, schlängelt sich geschmeidig wie eine Rumba-Tänzerin durch niedrigste Drehzahlen, fegt mit flottem Samba-Schwung durch die Drehzahlmitte, bevor er obenheraus wie ein Showgirl im Lido sämtliche Hüllen fallen lässt. Dreizylindrige Herrlichkeit, die von sanft bis fulminant alles kann. In der Stadt noch lässig im hohen Gang herumschnurren, auf der Landstraße in den Getriebestufen drei bis vier alles durcheilen, was das Winkelwerk parat hält. Und wenn es wie bei Überholvorgängen mit der Yamaha XSR 900 noch schneller gehen muss, erledigt die Drehzahlfreude bis in den fünfstelligen Bereich den Rest. Allerdings kostet Expresstempo einiges an Sprit. Yamaha verspricht etwas mehr als fünf Liter Benzinkonsum im Schnitt, die sich relativ mühelos auch um einen Liter nach oben schrauben lassen. Bei 14 Litern Tankinhalt ergibt das immer noch mehr als 200 Kilometer Reichweite. Und bevor es kritisch wird, meldet sich warnend eine Anzeige im runden Multifunktionscockpit zu Wort, mahnt zum Nachtanken.

Forsch gebremst stoppt die Yamaha XSR 900 an der Zapfsäule, die Gabel sackt trotz längerer Federn tief ein, ohne durchzuschlagen. Verzögert im etwas grob arbeitenden ABS-Regelbereich, lastet viel Gewicht auf der Front. Das Hinterrad hebt’s ein ums andere Mal gen Himmel. Jenseits des ganz kurzen Anhaltewegs überzeugen die Stopper der XSR aber, verlangsamen die 900er verlässlich.

Yamaha XSR 900 die bessere MT-09?

250 Landstraßenkilometer sind Vergangenheit. Zeit für einen Blick auf die Yamaha XSR 900. Aluteile wie Lampen- und Schutzblechhalter und die beiden Leichtmetall-Tankcover wirken edel. Diesen Eindruck unterstreicht die Lackierung im 60th Anniversary-Look, die an die Rennmaschinen von King Kenny erinnert. Die anderen Farbvarianten Rock Slate (Blau) und Garage Metal (Silber) geben sich zurückhaltender. Dass die XSR 900 unterhalb der Tank-Sitzbank-Linie trotz schwarzem Rahmen und ebenso dunklen Anbauteilen ihre Abstammung von der modern gestylten MT-09 nicht verbergen kann, fällt erst auf den zweiten Blick auf. Bleibt zum Abschluss die Frage, ob die Yamaha XSR 900 gar die bessere MT-09 ist? Schließlich will Yamaha für sie 9495 Euro und damit exakt 1100 Euro mehr als für die Basismaschine haben. Im Racing Block-Farbkleid sind es noch einmal 300 Euro mehr. Und die MT-09 – das steht fest – wird zeitnah Updates wie die Traktionskontrolle erhalten. Eine schwierige Frage also. Wenn nur nicht die King Kenny-Variante, von der 2016 nur 120 Stück nach Deutschland kommen, so verdammt gut aussähe…

Daten Yamaha XSR 900

Wirklichkeit und Wunsch

Yamaha
Yamaha XSR 900.

Yamaha und das Yard Built-Programm: Serienmotorräder werden von Motorrad-Tunern und -Designern aufgehübscht, dienen als Inspiration für neue Modelle. So die Vorstellung. Im Kern entpuppt sich das als Marketinginstrument. Das wird an zwei Punkten deutlich. Erstens haben die Yard Built-Vorbilder oft nur wenig gemein mit den daraus resultierenden Serienmodellen. Die Yamaha XSR 900 ist hierfür ein Beispiel. Von der Blickfang-Mentalität des Roland Sands-Umbaus in Dirt Track-Manier ist außer der Farbgebung und der Technik auf Basis der MT-09 bei der XSR 900 nicht viel zu entdecken.

Punkt zwei: Wer sein Fahrzeug in Richtung der Yard Built-Vorlage umbauen will, stößt zumeist schnell an Grenzen. Viele Teile – so sie erhältlich sind – gibt es nur ohne TÜV-Prüfung. Ausnahmen wie beim Jens vom Brauck-Umbau der MT-07 (MOTORRAD 24/2015) sind selten. Dabei sieht die Yamaha XSR 900 von Roland Sands noch deutlich schärfer aus als das Serienpendant. Der Wunsch an Yamaha: mehr Mut. Lasst Inspirationen Wirklichkeit werden, bitte.

Gebrauchte Yamaha XSR 900 in Deutschland

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Gebrauchte Yamaha XSR 900 in Deutschland.

Will man ein hübsches Retrobike, aber nicht auf die Technik eines modernen Naked Bikes verzichten, könnte man bei der Yamaha XSR900 genau richtig sein. Mit ihrem kräftigen Dreizylinder und der Elektronik der MT-09 ist die XSR 900 ein echter Wolf im Schafspelz. Hier ein Preisvergleich: gebrauchte Yamaha XSR900 in Deutschland.

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MOTORRAD 20 / 2023

Erscheinungsdatum 15.09.2023