Vergleichstest Naked Bikes
Schöne Aussichten

Ducati M 900 Monster, Kawasaki ZRX 1100 und Triumph Speed Triple - drei stilistische Variationen des Themas Naked Bike, drei unterschiedliche Motorkonzepte, drei aussichtsreiche Möglichkeiten, dem Wind die Stirn zu bieten.

Brüder (und Schwestern) zur Sonne, zur Freiheit, zum Naked Bike. Wagt euch aus dem Schatten eurer Verkleidungen, erhebt euch von euren rollenden Liegestühlen, begehrt auf gegen die Duldungsstarre hier wie dort. Werft ideologische Zwänge über Bord, zeigt Rückgrat, verschafft euch Überblick. Und nutzt die Chance der Wahl: Obwohl nackt, geben sich Naked Bikes in Sachen Artenvielfalt wahrlich keine Blöße.
Zwei, drei, vier marschieren wir - die Motoren trommeln den Takt beim Defilee des Testumzugs. Vornweg die Ducati, schließlich muß sie als Vorreiterin der Gattung Motorrad gelten, die sich das Motto »nackt, aber oho« auf die Fahne geschrieben hat. Als Vertreterin des »Weniger ist mehr«-Prinzips hat ihr Auftritt nichts Dramatisches. Ohne Imponiergehabe, klein und zierlich, mit nur vier Zentnern Lebendgewicht beschwert und von gerade einmal 67 PS aus 900 Zweizylinder-Kubik beflügelt, weckt sie eher Beschützerinstinkte als Berührungsängste. Ihren Rufnamen Monster jedenfalls führt sie augenblicklich ad absurdum. Erst beim Kaufpreis feiert die M 900 Namenstag:19390 Mark - das ist Spitze.
Spitze in Sachen Leistung, Zylinderzahl und Leibesfülle ist die Kawasaki. Fast beiläufig läßt ihr 1,1-Liter-Vierzylinder 98 PS und jede Menge Drehmoment unter sich, allzeit bereit und in der Lage, den Vierteltonner aus der Beobachterposition des Nachzüglers nach vorn zu katapultieren. Stilistisch spielt die Kawa ein wenig das Brutalo-Bike, gefällt sie sich in Drohgebärden. Was sie jedoch nicht daran hindert, ihren Hang zu technischen Finessen in Ausstattungs-Nettigkeiten - Beispiel: Sechskolben-Bremszangen - auszuleben. 16 220 Mark kostet die ZRX - ein vergleichsweise kleiner Haufen Geld für einen großen Haufen Motorrad.
Daß die Triumph mit ihrem Dreizylindermotor auf Mittelkurs zwischen Twin und Four liegt, könnte man ihr als ängstliches Kompromißlertum auslegen, verriete sie nicht auf den ersten Blick, daß sie eine völlig andere Position als die goldene Mitte anstrebt. Ganz gegen die feine englische Art, ohne einen Hauch von Understatement haut die Speed Triple äußerlich derart auf den Putz, daß die Mitstreiter augenblicklich zu grauen Mäusen verblassen: Die Lackierung in Qietschgrün-metallic, die rustikal arrangierte Mechanik, die glotzenden Chromscheinwerfer, das hocherotische Hinterteil - alles Zeichen eines überaus stark entwickelten Selbstbewußtseins. »Ich verspeise Monster und ZXR zum Frühstück«, signalisiert die Körpersprache der Speed Triple, und sollte dem so sein, wären die geforderten18980 Mark für die Britin gut angelegt.
Gut aufgelegt ist die Triumph allemal, wenn es darum geht, Schmeicheleinheiten zu verteilen: Sie präsentiert das mit Abstand ansehnlichste Cockpit in der Runde, sie bietet eine unverkrampfte Sitzposition, die mühelose Beherrschbarkeit suggeriert und Tatendrang weckt, und sie bietet einen Einspritzmotor, der ohne Chokegefummel zum Leben erwacht, sofort am Gas hängt und mit schaurig-schönem Fauchen Einsatzbereitschaft bekundet.
Schön ist auch, wie der Dreizylinder einerseits bei niedrigen Drehzahlen zupackt, anderseits locker die 9000er Marke auf dem Drehzahlmesser passiert - gut zum Bummeln, gut zum Heizen. Leider ist der Motor für das Leben zwischen Extremen weniger gut gerüstet: Der Durchzug aus mittleren Lagen ist enttäuschend zäh, folglich muß bei zügiger Landstraßenfahrt weit mehr im Getriebe gerührt werden, als nach der Papierform zu erwarten. Das treibt den Verbrauch in die Höhe, das dämpft das Gefühl motorischer Souveränität.
Womit das Stichwort für die Kawasaki gefallen wäre. Deren Motor ist ein flammendes Plädoyer für den hubraumstarken Vierzylinder: kulturell hochstehend, auf Wunsch lammfromm, aber mit bitterbösem Antritt, sobald die Drosselklappen - in welcher Drehzahlregion auch immer - aufgerissen werden. Einmal King of the road sein - diesen Wunsch macht die ZRX im Handumdrehen war. Wer wird da noch einen trüben Gedanken an die grottenschwarze Lenkerpartie mit der Ausstrahlung eines Beerdigungsinstituts verschwenden, wer wird sich auf solch einem fliegenden Teppich über die leicht betulich anmutende Sitzposition mokieren, wenn diese auch noch den besten Langzeitkomfort offeriert. Niemand.
Erst recht niemand, der auf ein Verhältnis mit der Ducati zurückblicken kann. Tief hinter dem bauchigen Tank sitzt es sich wie festgedübelt auf spartanisch gepolsteter Unterlage - auf Dauer eine Herausforderung für das Sitzfleisch. Leider zeigt das gebotene Ambiente keine Ansätze, wenigstens zur geistigen Erbauung beizutragen: Das Cockpit ist dürftig ausgestattet und ohne stilistische Highlights, und auch die Rückansicht des Windabweisers ist kein Augenschmaus. Nicht einmal der Motor ist angetan, spontane Begeisterung zu erzeugen. Zu zahnlos, ohne den erhofften Zweizylinder-Bums und ohne Drehfreude rumpelt der Desmo-V2 durch sein nutzbares Drehzahlband: Im Würgegriff der aktuellen Emissionsvorschriften ist der Monster-Motor nur noch ein Schatten seiner selbst.
Daß es der Ducati gleichwohl gelingt, ins Licht zu treten, verdankt sie ihrem harmonischen Gesamtkonzept. Mit endlich zufriedenstellend funktionierender Gabel, ansprechender Hinterhand, ordentlichen Bremsen und dank ihres geringen Gewichts kann sich die M 900 auf kurvigen Straßen mit leichtem, präzisem Handling vorteilhaft in Szene setzen. Da stört dann auch die Leistungscharkteristik nicht mehr: Getragen vom beachtlichen Durchzug im Mittelfeld seines Schaffenbereichs, treibt der V2 die Maschine unspektakulär, aber zügig von Kurve zu Kurve. Da braucht es nicht viel Schaltarbeit, da kann die ganze Aufmerksamkeit der Straße und dem Genuß des Augenblicks gewidmet werden. Konzentration verlangt die Monster nur auf richtig schlechten Straßen und bei schneller Autobahnfahrt: Im ersten Fall zeigt sie zwar überraschend hohen Federungskomfort, schlägt aber bisweilen immer noch ein wenig mit dem Lenker, im zweiten Fall zeigt sie mit leichten Unreinheiten im Gangbild, daß sturer Geradeauslauf nicht eben ihre starke Seite ist.
Mit Tempobolzerei hat die Triumph keine Probleme, wohl aber ihr Fahrer, der jeglichen Windschutz vermißt. Voll in ihrem Element sind Mensch und Maschine auf gut belegten, kurvigen Straßen: Da brilliert die Speed Triple mit spielerischem Handling, hoher Lenkpräzision und ihrer gnadelos zupackenden Einfinger-Doppelscheibenbremse. Auf schlecht ausgebauten Strecken hingegen trübt sich das Bild: Die eben noch gerühmte Zielgenauigkeit wird von dezentem Eigenlenkverhalten durchkreuzt, während das Kreuz des Fahrers von der zu straff ausgelegten Hinterradfederung mürbe geklopft wird - daran können auch Manipulationen an Federn und Dämpfern nichts ändern.
Die Überraschung schlechthin in Sachen Fahrverhalten ist die Kawasaki. Daß die ZRX auf glattgebügelten Pisten mit weit geschwungenen Kurvenradien ihren Mitstreiterinnen spielend folgen kann, mag angesichts ihres Muskelschmalzes ja noch einsichtig sein. Daß das Big Bike jedoch dem vermeintlich sportlicheren britisch-italienischen Duo bis in die entlegensten Winkel kleinster Paßsträßchen auf den Fersen bleiben kann, wirbelt die Vorurteile gehörig durcheinander. Vor allem das »Wie« sorgt für heitere Minen: Die erstklassigen Bremsen lassen die Leibesfülle der ZRX ebenso vergessen wie die verblüffende Handlichkeit, mit der die Maschine durchs Hin und Her aufeinanderfoldender Kurven gezirkelt werden kann - und das mit tadelloser Lenkpräzision. Und weil auch die Federungselemente fein ansprechen und gut im Nehmen sind - wozu im Solobetrieb die Federbasis hinten voll abgesenkt werden sollte -, kommt nicht einmal der Komfort zu kurz.
Apropos Solobetrieb: Bei Ducati und Triumph ist sind die »Soziusplätze« völlig ungeeignet zur Personenbeförderung - was dem einen oder der anderen durchaus als schöne Aussicht erscheinen mag.

Unsere Highlights

3. Platz - Ducati M 900 Monster

Der dritte Platz ist keine Schande für die Ducati. Ihr hoher Preis und ihr mittlerweile arg eingebremster Motor kosten sie Punkte, die sie an anderer Stelle nur begrenzt wieder hereinholen kann. Zum Beispiel mit dem Fahrwerk: Dank einer endlich zufriedenstellend arbeitenden Gabel zeigt die Monster, daß sie auf kurvigen Straßen trotz Leistungsdefizit ein echter Spaßmacher ist. Und mit ihrem markanten V2 im feinen Gitterrohrrahmen ein ansehnlicher obendrein.

2. Platz - Triumph 509 Speed Triple

Die Versuchung ist apfelgrün. Scharfes Design, ohrenbetörende Dreizylinder-Akustik, feine Technik -die Speed Triple ist ein Lustobjekt für die Sinne. Bei drehzahlbetonter Fahrt auf glatten, geschwungenen Straßen kommt - dem handlichen Chassis und den guten Fahrleistungen sei Dank - auch noch Freude am Fahren dazu. Allmählich sickern dann freilich die Defizite der Triumph durch: die holpernde Hinterradfederung und - mehr noch - der durchzugsschwache Motor.

1. Platz - Kawasaki ZRX 1100

Der Motor allein würde genügen, die Konkurrenz nach Strich und Faden einzumachen: Aus 1100 Kubik in vier Zylindern schöpft die Kawasaki Kraft im Überfluß, egal, auf welcher Sprosse der Drehzahlleiter sie gerade steht. Das dazugehörige Fahrwerk setzt weitere Glanzlicher, baut den Vorsprung aus: Handlich, präzise lenkend, gut gefedert und gedämpft und mit erstklassigen Bremsen als Mittel gegen fünf Zentner Masse gerüstet, erlaubt es Leistungsgenuß ohne Reue.

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MOTORRAD 20 / 2023

Erscheinungsdatum 15.09.2023