Motorrad-Tourentipp: Österreichische Romantikstraße

Motorrad-Tourentipp Österreichische Romantikstraße
Bezaubernde Städte, herrliche Panoramen

Veröffentlicht am 04.10.2024

Wir sitzen am Frühstückstisch im "Beim Erich", einem modern-gemütlichen Gasthaus in Oberhofen am Irrsee, wo unsere Reise entlang der Österreichischen Romantikstraße beginnt. "Ob die Leute hier zufriedener, glücklicher sind als anderswo – bei der tollen Landschaft, in der sie wohnen"?, fragt Caro. Lebender Beweis dafür, dass sie mit ihrer Vermutung durchaus recht haben könnte, ist Seniorchef Erich Baumgartner, Jahrgang 1941. Sein neuestes Spielzeug: Puch 250 TF, Baujahr 1952, zwölf zweitaktende Pferdchen, geschossen saugünstig für 2.500 Euronen. Den antiquierten "Startnagel" oben ins Lampengehäuse gedrückt, ein Kick – und schon knattert der luftgekühlte Doppelkolbenmotor, zaubert ein Lächeln ins Gesicht des vitalen Fahrzeuglenkers. Bis Erich sich von uns verabschiedet, um noch ein Reh auszuschälen.

Irrsee und Mondsee

Wir starten unsere Motorräder und biegen von der B 154 bald rechts ab nach Fischhof, gondeln auf einem schmalen Schnubbisträßchen am Westufer des Irrsees entlang. Die taufeuchten Hänge noch leicht verhangen vom Morgennebel, der See schon voll von sonnigem Glitzer – einfach irre schön. Wen stört es da, dass diese Nebenstrecke etwas abseits der Österreichischen Romantikstraße verläuft? Auf die stoßen wir erst in Mondsee – was für ein hübscher Name –, von wo es nach Thalgau geht.

Spätestens als die Königswelle der W 800 noch ein paar Zähne zulegt und die Kawasaki auf serpentinigem Geläuf aus dem Tal der Fuschler Ache hoch nach Ellmau treibt, mit freiem Blick zum Wilden Kaiser – da muss mal kurz innegehalten werden, um all das zu verarbeiten, per Handyfoto für Instagram oder durch ein euphorisches "An Tagen wie diesen" unterm Helm.

Fuschlsee und die Basilika St. Michael

Wie Faust aufs Trommelfell passt auch der nächste Song, als sich die Straße von der Kammhöhe hinabstürzt und die Bühne freigibt für den Fuschlsee: was für ein Panorama, die Blaupause für romantische Fantasien von Glück à la "Haus am See". Und es hört nicht auf mit feinen Fleckchen der Welt vor uns, wie gemacht dafür, sich mal etwas zurückzulehnen und zu gucken – ob ins tiefe Blau des Himmels oder zu den Zwillingstürmen der besonders bei Brautpaaren beliebten Basilika St. Michael im hübschen Zentrum von Mondsee, ob, allerdings sehr weitsichtig, in einen Katalog der Hochzeits- und Eventschifffahrt am Seecafé oder, ganz im Hier und Jetzt, auf die Wasserlandschaft am Ufer des wunderschönen südöstlichen Mondseezipfels. Und selbst der Kaloriennachschub auf der Terrasse vom "Gasthof See" lässt das Auge schmausen, bei Kürbiskernsuppe, kunstvoll garniert mit Crema di Balsamico in der Art einer roten Soßenkalligrafie.

Motorrad-Tourentipp Österreichische Romantikstraße
Klaus H. Daams

Krotensee und Wolfgangsee

Und was sagt die Kartengrafik? Auch lecker. Magen und Motorräder noch mal ordentlich nach links und rechts, hoch und runter geschwenkt beim Ritt über die Scharflinger Höhe und vorbei am winzigen Krotensee nach Sankt Gilgen, dann via Strobl nach Sankt Wolfgang am gleichnamigen See. Heilig’s Blechle. Wer den passenden Schlitten nebst größerer Scheinchen sein Eigen nennt, findet dort mit dem operettenhaften "Romantik Hotel im Weissen Rössl" ein superbes Quartier inklusive Poollandschaft direkt am See. Quasi als günstigerer Gegenentwurf, und ebenfalls schon filmisch verewigt in einer Komödie von 1961, das Hotel "Schwarzes Rössl" im Zentrum von Sankt Wolfgang.

Bad Ischl, Attersee, Traunsee, Höllengebirge

So oder so ist es für Feierabend etwas früh, und daher darf das "Grüne Rössl", die Kawasaki W 800, weiter munter traben, vorbei an Bad Ischl und über den Weißenbacher Sattel, eine der Top-Motorradstrecken hier im Salzkammergut, zum Ostufer des Attersees, wo in Steinbach eine Querverbindung durchs Höllengebirge und über die Taferlhöhe zum nächsten See abzweigt, dem Traunsee. Ein Paradies für Freunde stimmungsvollen Klingklangs ist dort Gmunden, vor dessen Keramik-Glockenspiel hoch oben am Renaissance-Rathaus auch wir erwartungsfroh die Ohren spitzen. Leider vergeblich. Denn wer zu spät kommt, sprich nach 19 Uhr, wenn die 24 Keramikglocken zum letzten Mal am Tag läuten, hört nur noch das Quietschen der historischen Tram.

"Was ist eigentlich romantisch?" Wir sitzen am Frühstückstisch, heute im "Landhotel Grünberg am See", surfen ein bisschen im Netz und finden Antworten wie: gefühlsbetont, schwärmerisch, von starker, oft unrealistischer Vorstellungskraft und Einbildungskraft erfüllt; die Wirklichkeit idealisierend. "Noch ein Kännchen heißen Kaffee bitte" – und dazu, so viel Zeit muss sein, im Duden die Definition von kitschig: auf geschmacklos empfundene Weise gestaltet, einen künstlerischen Wert vortäuschend; rührselig-sentimental, auf unechte Weise gefühlvoll. Aha.

Doch zurück zum Traunsee, der sich, noch etwas schlaftrunken und ganz in neblige Watte gepackt, vor der Hotelterrasse breitmacht; dahinter nur schemenhaft in weiter Ferne zu erkennen, ist die Silhouette von Gmunden mit seiner berühmtesten Sehenswürdigkeit, dem wie ein Schwan am Ufer liegenden Seeschloss Ort. Und bevor gleich die rüstige Gisela vielleicht in See sticht, einer der ältesten Raddampfer der Welt, Baujahr 1871 und angetrieben von einer oszillierenden Verbunddampfmaschine, lichten wir lieber selber die Anker, kann die Kawa wieder knurren.

Almtal, Stichtal, Almsee

Oh, wie ist das schön – das Almtal. Erst fängt es ganz langsam an, am Abzweig von der B 120 bei Scharnstein, aber dann. Das Stichtal ohne Durchgangsverkehr kann dich mitten ins Herz treffen, das Gemüt verzaubern. Kitschig? Romantisch? Besser als Worte passt zu diesem Kleinod am Busen von Mutter Natur aber sowieso Musik, und zwar weniger die Fußballhymne zum Mitgrölen von Mickie Krause oder der Partyhit der Gebrüder Blattschuss, sondern der Bolero. Wie Maurice Ravels Meisterwerk steigert sich auch das Almtal in seinem Verlauf quasi zur Ekstase, zum landschaftlichen Höhepunkt am Talende, dem Almsee: blau-grün changierend die Töne des Wasserspiegels, mal zart grüngelb, mal kräftig dunkelgrün die Bäume am Ufer, dahinter das graue Gipfelgezacke des Toten Gebirges. Ein Moment, um alles andere auszublenden und nur noch zu schwelgen.

Motorrad-Tourentipp Österreichische Romantikstraße
Klaus H. Daams

Rückspultaste bis Scharnstein, wo das örtliche Schloss Gelegenheit zum Schaudern bietet, in der historischen Folterkammer des Kriminal- und Gendarmerie-Museums. Lass mich rein, lass mich raus – allerdings nur während der Öffnungszeiten am Wochenende. Doch was entdeckt die Spürnase auf der Straßenkarte? Ein verführerisches Geschlängel über den Ziehberg nach Kirchdorf an der Krems und weiter via Oberschlierbach nach Grünburg. Die Gelegenheit zum Räubern!

Schlussspurt nach Steyr

Und auch wenn ihre 48 PS sie sicher nicht zum idealen Fluchtfahrzeug stempeln: Handlich und dadurch im Winkelwerk wieselflink ist die W 800 allemal, zudem so klassisch, beinahe "romantisch", dass sie sich in die liebliche Landschaft einfügt, als habe sie schon immer dazugehört, zu Kühen und Treckern an sattgrünen Hängen, zu Schafen und Rehen, ja sogar zu jener Biene, die während einer kleinen Panoramagenießenpause zutraulich über Caros Sonnenbrille spaziert.

Schlussspurt nach Steyr. Dort endet unsere Reise entlang der Österreichischen Romantikstraße bei einem Nachtwächter-Stadtrundgang. Der romantische Overkill. Ausgerüstet mit Hellebarde und Laterne, schwarzem Schlapphut und Umhang führt uns Gerda Wimmer durch die Gassen des über 1.000 Jahre alten Schmuckstücks am Zusammenfluss von Enns und Steyr. Warum dort Frauen Nachtwächterin wurden? "Weil die Männer der Trunksucht verfallen sind, wir Frauen den Dienst dann übernehmen mussten", lacht die charmante Lady in Black.

Und nachdem frau sich einig ist, dass auch Venedig, Himmelbetten und Saxofon-Spieler romantisch sind, folgt irgendwo zwischen unterem gotischem Burgtor und Leopoldibrunnen das nächste Nachtwächtergeschichtl: "Den Bürgersfrauen waren tiefe Dekolletés verboten. Wenn sie sie trotzdem trugen, mussten sie zur Strafe bei der Ausbesserung der Stadtmauer helfen. Und so ist nun Steyr landauf, landab bekannt für die besterhaltenen Stadtmauern in ganz Österreich."