Motorrad-Tour und Tipps: Karnische Alpen und Friaul, Italien

Alternativen zum Verkehrschaos in den Dolomiten
Motorrad-Tour Karnische Alpen und Friaul, Italien

Veröffentlicht am 19.02.2024

Spektakel und Überraschung kommen bisweilen unerwartet. Gerade sind wir mit unseren XTs im hübschen mittagsschlafenden Ampezzo dem Schild Sella di Razzo gefolgt, da verschluckt uns ein finsterer Tunnel, ausgelegt mit feuchten Pflastersteinen. Weitere fünf dieser nasskalten Röhren folgen, dazwischen schaudert es beim Blick in die enge und tiefe Schlucht des Torrente Lumiei. Respektable Straßenbaukunst der 1920er.

Drei Zinnen und Zwölferkofel, Motoren aus und staunen

Dann die 136 Meter hohe Staumauer des türkisen Lago di Sauris, in den der Plotnpoch gluckert, ein Schild weist nach Unterankhlopfe, und die Berge heißen Rinderperk und Mörgantlaite. Wo sind wir denn hier gelandet? "Zahre, der teuna griessn – benvenuti a Sauris." Sauris, auch Zahre genannt, ist eine linguistische Insel im Friaul, wo noch heute dieser uralte süddeutsche Dialekt gesprochen wird, für uns nicht zu verstehen. Und was für tolle Häuser die Zahren bauen, maximal rustikal, dunkles Holz mit üppigen Südbalkonen und feinen Schnitzereien verziert. In der "Auberge Bivera" gibt’s sogar mezzogiorno Pizza und Cappuccino. Gut so.

Die nächste Überraschung lässt nicht lange auf sich warten. Über den Razzopass wedeln wir runter nach Lozzo, suchen den Weg zum Pian dei Buoi. Ein aussichtsloser Anstieg, aber mit der Aussicht auf eine spektakuläre Aussicht, wenn man es bis oben schafft. Was so einfach nicht ist. Denn im dichten Wald versteckt sich der kaum 2,50 Meter schmale Weg, die 24 Kehren sind unfassbar eng, Motos mit mehr als fünf Meter Wendekreis kommen hier nicht in einem Zug rum. Unsere XTs gehören zum Glück nicht dazu. Echt tricky, aber spaßig. Die Belohnung wartet oben, wo der Asphalt dem Schotter weicht und die Nullsicht der Weitsicht. Die Promis der Dolos geben sich die Ehre, Drei Zinnen und Zwölferkofel, gigantische Kunstwerke der Natur. Motoren aus und staunen. Egal, wie oft man diese Berge schon gesehen hat, sie begeistern jedes Mal aufs Neue.

Cadore-Tal, Staumauer des Lago del Vajont

Wieder runter ins Tal, wir können noch mal Wenden auf engstem Raum üben, folgen dann dem Cadore-Tal südwärts und flitzen die schnellen Kurven der SS 251 hinauf zur 262 Meter hohen Staumauer des Lago del Vajont. Vor 59 Jahren geschah hier das Unvorstellbare: Am Monte Toc löste sich ein gigantischer Erdrutsch, stürzte in den Stausee, verdrängte fast das gesamte Wasser in einer 160 Meter hohen Flutwelle. Die radierte alles aus, was im Weg stand, schwappte über die Staumauer, die dem Druck standhielt, bahnte sich ihren Weg hinunter ins Piave-Tal und zerstörte dort Longarone. 1.917 Menschen starben, die meisten wurden niemals gefunden.

Weit oberhalb des früheren Stausees liegt der kleine Ort Erto, den die Flutwelle knapp erreichte. Erto wurde verlassen, erst Jahre später kehrten einige Menschen zurück, bauten die zerstörten Häuser wieder auf und brachten Leben zurück in die alten grauen Gemäuer. Trotzdem ist die Atmosphäre noch immer bedrückend. Der tiefgraue Himmel passt dazu.

Bilderbuch-Italien mit Wohlfühl-Atmo

Von Westen rückt ein fettes Regengebiet an, wir flüchten ins Flachland nach Spilimbergo, eine hübsche Kleinstadt. Der historische Ortskern ist bildschön, alte Stadthäuser in pastelligen Farben an der Via Roma, unterbaut mit großen Laubengängen, nette Cafés und ein Castello aus dem 14. Jahrhundert. Bilderbuch-Italien mit Wohlfühl-Atmo.

Zwei Tage später ist der Regen durch, und wir rollen über den tollen Passo di Monte Rest zur Panoramica delle Vette. Wenig spannend kurvt die gute Straße durch den Wald bis auf 2.000 Meter hoch, tauscht dort ihren Teer gegen Schotter und endet kurz darauf an einem hohen Zaun. Gesperrt wegen Bauarbeiten. Mal wieder. Hätte man vielleicht auch unten im Tal schon ankündigen können. Also wieder runter und weiter zum Passo del Cason di Lanza. Wieder so ein unbekannter Pass, was kein Nachteil sein muss. Die Verkehrsdichte geht gegen null, der Fahrspaß gegen Max, die Blicke in die Karnischen Alpen sind ganz hübsch. Mehr aber auch nicht.

2.754 Meter hohe zerklüftete Kalksteinwand

Im Tal wartet Pontebba, eine Kleinstadt, deren beste Zeiten längst vorbei sind. Ein paar schöne alte Stadthäuser in pflegebedürftigem Zustand, gemütliche Piazza mit Cafés, architektonische Verbrechen der 1960er und 70er, der Verkehr rauscht über die SS 13 und die A 23 vorbei. Was im Ort für Ruhe sorgt. Aber das Spektakel ist nie weit. Wie das Val Dogna, ein alpines Paradies. In engen Kurven windet sich die kleine Straße immer höher, in Sichtweite des wilden Torrente Dogna und des monumentalen Montasch, eine 2.754 Meter hohe zerklüftete Kalksteinwand. Auf der Passhöhe des Sompdogna endet der Ausflug, die Nordrampe ist längst verfallen.

Zurück ins Ferro-Tal und weiter zum Predilsee. Ein Juwel der Julischen Alpen, leuchtend türkis bei richtigem Lichteinfall. Könnte auch in den Rocky Mountains sein. Hoch zum Predilpass, über die grüne Grenze nach Slowenien, wo die Mautstraße zum Mangart abzweigt, durch dichten Laubwald bergwärts mäandert, bis endlich keine Bäume mehr die Sicht versperren. Was für ein Panorama! Fette Wolken steigen aus den Tälern, vernebeln erst die Aussicht und lassen dann Blicke auf die weißen Kalksteinberge zu. Spannendes Wettertheater. Doof nur, dass auf 1.900 Meter Höhe eine Schranke die Weiterfahrt versperrt. Ein Erdrutsch ist schuld, dass wir die letzten 175 Meter hoch zum Mangart-Sattel nur zu Fuß angehen könnten. Och nee, heute lieber nicht.

Durchs Soča-Tal bis Tolmin

Lieber nehmen wir die Soča ins Visier, Liebling von Wildwasserkanuten. So glasklar, bisweilen türkis lässt die Soča einen Chemieunfall befürchten, ist aber das Resultat des im Wasser gelösten Kalksteins. Im Relax-Modus cruisen wir durchs Tal bis Tolmin. Dort lockt die Tolminer Klamm, dafür tauschen wir auch die Motorradstiefel gegen Wanderschuhe. Fantastisch, wie sich zwei Flüsse im Lauf der Zeit durchs Gestein gefräst haben, in einem besonders engen Einschnitt steckt sogar ein herzförmiger Felsen, behaart mit dichtem Moos. Ein traumhaftes Motiv.

So, und nun könnten wir noch tagelang durch die slowenischen Alpen fräsen, machen aber wieder rüber nach Italien, wollen schließlich noch einige dieser kleinen Anti-Promi-Pässe erkunden, die kaum jemand kennt. Wie den Sella Chianzutan, den Sella Chiampon oder den Forcella di Monte Rest. Solche Bergstrecken machen für uns den Reiz dieser Region aus, kein Racing, kein Posing, keine Staus, einfach nur genießen. Spektakel gibt’s anderswo, Überraschungen aber lauern hier hinter jeder zweiten Ecke. Versprochen.