Der Bundesrat setzt sich dafür ein, den Lärm von Motorrädern zu verringern. In einer am 15. Mai 2020 gefassten Entschließung spricht er sich dafür aus, die zulässigen Geräuschemissionen aller neuen Motorräder auf maximal 80 dB(A) zu begrenzen. Die Bundesregierung solle sich bei der Kommission entsprechend dafür einsetzen. Außerdem hält der Bundesrat härtere Strafen für das Tunen von Motorrädern erforderlich, wenn die Umbauten eine erhebliche Lärmsteigerung zur Folge haben. Das Sound-Design, über das Fahrerinnen und Fahrer die Soundkulisse selbst einstellen können, müsse verboten werden.
Der Bundesverband der Motorradfahrer e.V. (BVDM) fordert in einem offenen Brief die Motorradindustrie dazu auf, freiwillig Motorräder zu produzieren, die im realen Fahrbetrieb sozialverträglich leise sind. Die Industrie sieht die Motorradfahrer selbst in der Verantwortung.
Scheuer (CSU) gegen weitere Verbote
Die Bundesländer haben sich im Bundesrat darauf verständigt, dass sie zeitlich beschränkte Verkehrsverbote für Motorräder an Sonn- und Feiertagen aus Lärmschutzgründen für notwendig halten. Motorräder mit alternativen Antriebstechniken sollten davon ausgenommen werden. Überhaupt solle die Bundesregierung den Umstieg auf nachhaltige und lärmarme Mobilität mit alternativen Antriebstechniken verstärkt unterstützen. Dass diese Vorschläge bei Motorradfahrern auf wenig Gegenliebe stößt, dürfte klar sein. Entsprechend wurde auch bereits eine Online-Petition gestartet, die Fahrverbote an Sonn- und Feiertagen verhindern möchte, und hier zu finden ist. Bereits nach sehr kurzer Zeit wurde die Petition von 50.000 Menschen unterzeichnet und das Quorum somit erreicht.
Die Entschließung des Bundesrats wurde der Bundesregierung zugeleitet. Diese entscheidet, ob und wann sie die Anregung des Bundesrates umsetzen will. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer von der CSU hat dazu eine klare Haltung: Er lehnt weitere Verbote und Beschränkungen für Motoradfahrer ab. Der dpa sagte er Anfang Juli: "Wir haben ausreichende, geltende Regeln. Die Biker zeigen bei den Protesten ihre Haltung gegen Verschärfungen und Verbote. Das ist auch meine Haltung. Ich werde die Beschlüsse des Bundesrates, also der Bundesländer, nicht umsetzen."
Unterstützung für Motorradfahrer auch aus Bayern
Auch Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) hat sich dafür ausgesprochen, dass Motorradfahrer auch an Sonn- und Feiertagen wie bisher unterwegs sein dürfen. "Ich will den Menschen das Motorradfahren nicht verbieten", sagte er gegenüber der Augsburger Allgemeinen. "Man muss nicht alles reglementieren und man muss mal alle fünfe gerade sein lassen. Sonst schleicht sich eine Verbotskultur ein, wo Menschen alles stört, vom krähenden Gockel bis zum Läuten der Kirchenglocken", kommentierte Aiwanger einen Bundesratsvorstoß.
Fahrzeug-Sicherstellung soll erleichtert werden
Darüber hinaus fordern die Länder das Recht für Polizisten, Fahrzeuge bei gravierenden Lärmüberschreitungen sofort sicherzustellen oder an Ort und Stelle zu beschlagnahmen. Weiter heißt es auf der Internetseite des Bundesrats, müsse eine Lösung dafür gefunden werden, dass Raser häufig einer Strafe entgingen, weil sie aufgrund der Helmpflicht und fehlenden Frontkennzeichens am Motorrad nicht erkannt würden. Auch bei der Haftung macht der Bundesrat Änderungen geltend, um die Halter eines Motorrads zumindest für die Kosten der Erstellung eines Bußgeldbescheids belangen zu können.
Förderprogramm für Anschaffung von Lärmdisplays
Auch die einzelnen Bundesländer fördern Maßnahmen gegen Motorradlärm. So unterstützt beispielsweise das Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg Kommunen und Landkreise bei der Anschaffung von Motorradlärm-Displays mit bis zu 4.000 Euro. Geplagte Städte und Gemeinden, sowie Land- und Stadtkreise können sich noch bis zum 30. Juni 2020 für eine Landesförderung zur Anschaffung von Displays gegen Motorradlärm bewerben. Laut Verkehrsminister Winfried Hermann befänden sich landesweit bereits jetzt 31 Lärmdisplays im Einsatz. Minister Hermann unterstrich: "Die Motorradlärm-Displays haben sich als eine erstaunlich wirksame Maßnahme im Kampf gegen Motorradlärm erwiesen. Die Displays setzen auf Freiwilligkeit und Verantwortung der Biker. Mit diesen Anzeigen appellieren wir an die Vernunft und werben dafür, Rücksicht auf die Anwohnerinnen und Anwohner zu nehmen. Aber auch die Polizei wird Biker häufiger überprüfen. Gleichwohl bedarf es weiterer gesetzlicher Maßnahmen auf nationaler und europäischer Ebene, um die Lärmbelastung dauerhaft zu senken. Daran arbeiten wir."
Zwei Gemeinden lehnen Lärminitiative "Silent Rider" ab
"Silent Rider" nennt sich eine Initiative gegen Motorradlärm, die in der Eifel gegründet wurde und versucht, Städte und Gemeinden für sich zu gewinnen. Jüngst, Ende August 2020, stimmten die Gemeinden Schalksmühle in Nordrhein-Westfalen und Nordrach in Baden-Württemberg gegen einen Beitritt zur Silent Rider-Innitiative. Die zuständigen Politiker sehen die Zuständigkeit für "Verstöße gegen Geschwindigkeitsbeschränkungen, Manipulation von Auspuffanlagen sowie mutwilliges und nicht angepasstes Verhalten", bei der Polizei. Die Aufgabe, Lärmbelästigungen entgegen zu wirken sei nicht Aufgabe der Gemeinden.
Offener Brief vom BVDM
Das Thema Fahrverbote aufgrund von zu lauten Motorrädern bestimmt weiterhin die Schlagzeilen in der Motorradbranche. Anfang Juni hat sich auch der Bundesverband der Motorradfahrer e.V. (BVDM) zu Wort gemeldet und fordert die Motorradindustrie in einem offenen Brief dazu auf, freiwillig Motorräder zu produzieren, die im realen Fahrbetrieb sozialverträglich leise sind. Der BVDM fordert die Hersteller unter anderem dazu auf, auch leisere und bezahlbare Nachrüstlösungen für die meistverkauften Modelle zu entwickeln und zu verkaufen. An den Industrieverband Motorrad (IVM e.V.) appelliert der BVDM, seinen Einfluss geltend zu machen, um die Hersteller zur Produktion von leiseren Fahrzeugen zu bewegen. Nachfolgend stellen wir euch das vollständige Dokument des BVDM zur Verfügung:
Hersteller sehen Verantwortung bei Motorradfahrern
Der Industrieverband Motorrad (IVM) als Vertretungsorgan der Motorradhersteller in Deutschland hält sich bislang mit einer offiziellen Stellungnahme zurück. In einem Interview mit der "taz" meldete sich Verbandsprecher Achim Marten dann doch zu Wort: "Fangt doch erstmal an, die Maschinen leiser zu fahren", appellierte Marten an die Biker-Community. "Wir sehen die Hauptverantwortung bei den Fahrern selber."
Online-Petition gegen Fahrverbote
Dass die Vorschläge zu Fahrverboten bei Motorradfahrern auf wenig Gegenliebe stößt, dürfte klar sein. Entsprechend wurde bereits eine Online-Petition gestartet, die Fahrverbote an Sonn- und Feiertagen verhindern möchte, und hier zu finden ist. Bereits nach sehr kurzer Zeit wurde die Petition von 50.000 Menschen unterzeichnet und das Quorum somit erreicht.
Derzeitige Regelung hat viele Lücken
Wenig überraschend haben sich mittlerweile auch zahlreiche Brancheninsider zu den beiden Thematiken geäußert. Es gibt sowohl kritische als auch verständnisvolle Äußerungen innerhalb der Branche. Achim Marten, Sprecher des Industrieverbands Motorrad (IVM) äußerte sich gegenüber den Kollegen vom Spiegel wie folgt über den Bundesratsbeschluss: "Die Forderung nach 80 Dezibel in allen Fahrzuständen ist unrealistisch. Es ist nicht definiert, bei welcher Geschwindigkeit, wo und wie gemessen wird. Wer mit einem regelkonformen, normalen Motorrad mit 100 km/h an einer Messstelle vorbeifährt, ist immer lauter als 80 Dezibel."
Auch Michael Lenzen, Vorsitzender des Bundesverbands der Motorradfahrer, der sich prinzipiell für feste Lärmobergrenzen ausspricht, äußerte sich kritisch gegenüber der derzeitigen Regelungen: "Wir fordern schon länger eine feste Lärmobergrenze, die in allen Fahrsituationen gilt. Der Bundesrat hat nicht definiert, ob die 80 Dezibel als Stand- oder Fahrgeräusch gedacht sind und auch nicht, wie ein Messverfahren überhaupt aussehen soll. So eine pauschale, nicht mit Fachleuten abgestimmte Forderung, bringt nichts."
Schaut man sich die derzeitige Regelung etwas geanuer an, wird deutlich, dass der derzeitige Grenzwert bei 77 Dezibel liegt – somit also unter den nun geforderten 80 Dezibel. Derzeit wird beim Vorbeifahren, einmal mit und einmal ohne Beschleunigung, gemessen. Allerdings lässt sich diese Beschränkung momentan relativ einfach umgehen. Holger Siegel, Vorsitzender der Vereinigten Arbeitskreise gegen Motorradlärm (VAGM), zeigt die Problematik am Beispiel einer Euro 3-Panigale auf: "Eine Ducati Panigale, die nach dem bis 2016 gültigen Euro3-Standard zugelassen wurde und unter Bestandsschutz fällt, darf maximal 80 Dezibel laut sein. Allerdings muss sie diesen Wert nur bei 36,6 km/h im dritten Gang einhalten. Im Stand bei halber Nenndrehzahl darf sie dagegen 107 Dezibel laut sein, bei Vollgas ist sie noch deutlich lauter." Laut Siegel sei dieses Schlupfloch auch bei der Einführung der Euro4-Norm nicht geschlossen worden, was auch unser Praxistest "Euro3 vs. Euro4" bestätigte.
Siegel erklärt weiterhin: "Das liegt an den Klappenauspuffen, die in fast allen modernen Maschinen verbaut sind. Die sollen durch gezielte Eingriffe in den Abgasstrom eigentlich den Verlauf des Drehmoments verbessern – helfen aber gleichzeitig dabei, trotz immer höherer Spitzenleistung die Lautstärkegrenzen in den Tests einzuhalten. Die Hersteller haben zu viel Einfluss auf die Gestaltung der Vorschriften. Bisher gibt die Industrie Empfehlungen ab, die dann in Grenzwerte gegossen werden. Eine Norm hat sich aber nicht danach zu richten, was technisch möglich ist, sondern was aus gesundheitlicher Sicht angebracht ist. Der Gesetzgeber sollte eingreifen und Grenzwerte vorschreiben, die die Hersteller dann einhalten müssen."
Fahrverbote diskriminieren Motorradfahrer
In Sachen Fahrverbote an Sonn- und Feiertagen sind sich die meisten Brancheninsider dagegen weitgehend einig. Vor allem der Bundesverband der Motorradfahrer in Person von Michael Lenzen äußerte sich zu diesem Thema gegenüber der Kollegen vom Spiegel deutlich und bezeichnet ein solches Fahrverbot gar als Diskriminierung: "Wer nicht über Sportwagen und Quads redet, gleichzeitig aber Motorradfahrer an Wochenenden und Feiertagen auf bestimmten Strecken aussperren will, diskriminiert vier Millionen Menschen. Bevor man neue Gesetze erlässt, sollten die vorhandenen Möglichkeiten erst einmal ausgeschöpft werden. Der Ärger der Anwohner ist zwar absolut nachvollziehbar, wir sollten dieses Problem aber gemeinsam lösen, ohne anständige Motorradfahrer pauschal auszusperren."
Der ADAC bezeichnet Kollektivstrafen gegen Motorradfahrer als nicht angemessen und fordert stattdessen andere Lösungen, beispielsweise Lärmdisplays und verstärkte Polizeikontrollen.
Auch die Biker Union als Interessenvertretung der Biker, Rocker und Motorradfahrer hat zur Bundesrats-Initiative Stellung bezogen. "Natürlich wissen wir, daß es in einigen landschaftlich reizvollen Gegenden Probleme mit unzulässig lauten Motorrädern gibt", so Rolf Frieling, Vorsitzender der Biker Union e.V. "Deswegen arbeiten wir seit Jahren zusammen mit verschiedenen Gemeinden und Landkreisen an der Lösung des Problems. Denn fehlende Rücksichtnahme auf die Anwohner an stark befahrenen Motorradstrecken ist auch aus unserer Sicht kein Kavaliersdelikt. Dabei stellen wir jedoch immer wieder fest, daß auch getunte PKW und andere Geräuschquellen zu unzumutbaren Lärmbelästigungen der Anwohner führen. Wir wollen zwar nicht mit dem Finger auf andere zeigen. Da der Bundesrat in seiner Entschließung aber ausschließlich Motorräder ins Visier nimmt, geht es offensichtlich nicht um die Sache. Statt dessen wird zur Hexenjagd auf Motorradfahrer geblasen."
"Die Sperrung von Straßen nur für Motorräder aufgrund von Lärmbelästigungen wäre ein klarer Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz und die Einführung der Sippenhaftung für die Masse der motorisierten Zweiradfahrer, die rücksichtsvoll fahren und sich an die Regeln halten. Das wäre völlig unverhältnismäßig", so Frieling. "Eine Halterhaftung hat das Bundesverfassungsgericht zudem bereits im Jahr 1989 als verfassungswidrig erachtet."
Geräuschvermeidung bauartbedingt begrenzt
Manfred Bach, Vorstandsmitglied der BU, ergänzt: "Der Forderungskatalog des Bundesrats läßt darauf schließen, daß Sachkompetenz bei dessen Formulierung Mangelware war. Ein absolutes Geräuschlimit von 80 dB(A) in allen Fahrzuständen würde das Ende des Verbrennungsmotors bei Motorrädern bedeuten. Denn im Gegensatz zum PKW sind die Möglichkeiten zur Geräuschvermeidung bei motorisierten Zweirädern bauartbedingt begrenzt. Selbst bei modernen Maschinen, die im Regelfall ausgesprochen leise sind, kann es Betriebszustände geben, die im realen Straßenverkehr zwar extrem selten vorkommen, in denen das Limit aber geringfügig überschritten würde. Selbst wenn ein solcher Grenzwert eingeführt würde: der würde nur für Neufahrzeuge gelten. Bei einem Fahrzeugbestand von derzeit ca. 4,4 Mio. zugelassenen Motorrädern würde es mindestens 10 bis 15 Jahre dauern, bis sich der auf den Straßen bemerkbar machen würde."