Aprilia baut einen dicken Viertakt-Sportler - damit hatte Mitte der Neunziger kaum jemand gerechnet, denn der Hersteller aus Noale in Norditalien war bis dahin eher bekannt für Motorroller, giftige Zweitaktspritzen und Einzylinder-Reiseenduros. Sportkenner konnten natürlich alle Grand Prix-Siege aufzählen, von daher war es 1998 nicht ganz abstrus, dass Aprilia mit einem 1000er-Supersportler, eben der RSV mille, aufwartete. Was aber wirklich verwunderte, war das Motorrad selbst. Gerechnet hatte man (sprich: die üblichen Schwarzmaler) eher mit einer italienisch-kapriziösen Maschine, einer, die nach ein paar Vollgasorgien auseinanderfliegt oder zumindest erfahrene Mechanikerhände zur Erholung benötigt.
Doch Pustekuchen, die Aprilia rannte, und sie rannte von Anfang an verdammt schnell, und kaputt ging sie nicht. Bei Verarbeitung und Motorzuverlässigkeit erweist sich die Mille nämlich von der besten Seite. Und auch fahrdynamisch kann sie Skeptiker spätestens nach einer Probefahrt auf ihre Seite bringen. Keine Eingewöhnung nötig, begeisterndes Handling, die Ideallinie schien das Motorrad von alleine zu finden. Zudem eine homogen abgegebene Leistung von gut 120 PS aus dem bei Rotax in Österreich gefertigten 60-Grad-V2 - alles passt. Erstklassig: Upside-down- Gabel, polierter Alu-Brückenrahmen, kunstvoll geformte, leichte Alu-Schwinge, blitzsaubere Schweißnähte, passgenaue Kunststoffteile.

Mit rauem Charme, angenehmem Rennstallgeruch und genügend italienischem Flair sowie einer picobello Verarbeitung überzeugte dieser starke Viertakt-V2-Sportler auch Fahrer, die zuvor ausschließlich auf japanische Vierzylinder gesetzt hatten. Für die sportlich besonders Engagierten unter ihnen bot Aprilia ab 2000 außer dem gegen Aufpreis (umgerechnet rund 3500 Euro) eine R-Version mit Schmiederädern von OZ, Karbonteilen und Öhlins-Fahrwerk an, zuvor (1999) schon die hochexklusive SP-Serie für umgerechnet fast 30000 Euro. Diese öffentlich zugänglichen Werksrenner hatten sich damals zwar nur wenige gegönnt, aber der Glanz des Besonderen strahlte auch auf die Standard-Mille ab.
Bis 2003 verkaufte sich die Maschine gut, rund 5000 Stück gingen weg. Doch Querelen bei der Ersatzteilversorgung ruinierten seinerzeit den Ruf von Aprilia. Der neue Typ RR ab 2004 - fortan RSV 1000 R geschrieben, aber dennoch einfach nur „Mille“ genannt - war unter Sportmotorradkäufern jedenfalls trotz mehr Leistung (fast 140 PS) nicht mehr angesagt. Auch die wiederum mit leichten Rädern, Karbonteilen und feinem Öhlins-Fahrwerk aufgepimpte Factory konnte nicht so recht zünden. Die 1000er-Zweizylindermaschine verkaufte sich fortan lediglich auf dem Niveau kleiner Sonderserien, nur wenige Hundert Stück pro Jahr. 2009 folgte der Baustopp dieser wirklich spaßigen und guten Sportmaschine. Aprilia hatte da aber schon eine andere Überraschung bereit: die Vierzylinder-Brumme RSV4 mit 180 PS.

Besichtigung
Italienisch, zweizylindrig, sportlich? Wohl kaum jemand hat da den Begriff „langlebig“ auf dem Schirm. Stimmt bei der Mille aber. Das Motorrad läuft und läuft, ist kaum kaputt zu kriegen. Ein Kenner berichtet, dass manche Aprilia-Fans nach dem Kauf einer neueren RSV4 ihre alte Zweizylinder-RSV als Alltags- oder reine Rennstreckenmaschine behalten haben und nun über 80000 Kilometer auf der Uhr stehen. Ordentliche Wartung ist allerdings die Voraussetzung, alle 7500 Kilometer beziehungsweise alle 10000 Kilometer bei den Modellen des Typs RR ab 2004 steht ein (Profi-)Check an. Die 20000er-Inspektion erfordert vier Mechanikerstunden plus Teilekosten, da können schnell mal 500 Euro und mehr anfallen, also aufpassen beim Kauf!
Ärger bereiten manchmal verzogene Bremsscheiben. Das größte Problem bei diesem Motorrad sind aber Sturzschäden (Rennstrecke) und Macken durch Umfaller. Beim Sturz nach rechts drückt der Auspuff schnell mal eine Delle in die dünnwandige Alu-Schwinge, die dann streng genommen schrottreif ist, und außerdem erzeugen die Bremshebel Abdrücke am Rahmen, ebenfalls heikel und keine Seltenheit, deshalb: Augen auf! Bei Zubehör insbesondere auf den Auspuff achten. Wurde der Originalschalldämpfer gegen ein nicht zugelassenes Sportrohr ersetzt, ist die Beschaffung von legalem Ersatz meist nicht ganz billig, also besser checken, ob der Serientopf vorhanden ist

Marktsituation
Zwischen Billig-Prügel für die Rennstrecke und Edelbike für Sammler - die Zweizylinder-RSV wird auf dem Gebrauchtmarkt extrem unterschiedlich angeboten. Für die älteren Modelle (Typ ME) gibt es eine Vielzahl von Interessenten, die für Renntrainings nach einem soliden und günstigen Untersatz suchen und um die Zuverlässigkeit und das tolle Fahrverhalten der Mille wissen. Mehr als 3000 Euro wollen sie jedoch nicht hinblättern, nehmen lieber ein paar Schrammen oder eine hohe Laufleistung (über 50000 Kilometer) in Kauf. Auf diesem Preisniveau läuft der Handel oft von privat zu privat ab. R-Modelle sind für das Geld eher selten im Angebot.
Landstraßenpiloten mit Italo-Faible legen eher mal 4000 bis 5000 Euro für eine sauber gepflegte Mille mit Scheckheft an, die möglichst keine 30000 Kilometer gelaufen sein sollte. In dieser Preisklasse sind auch gute Mille-R-Modelle oder die neueren RR-Typen (ab 2004) in den Inseraten auszu- machen. Für eine Factory oder eine topgepflegte Standard-RSV 1000 R ab Baujahr 2006 mit weniger als 15000 Kilometern liegen die Preisforderungen bei mindestens 5000 Euro. Mehr als 8500 Euro zahlen aber wohl auch selbst eingefleischte Mille-Fans nicht, selbst wenn die Maschine fein rausgeputzt dasteht.
Preisniveau in Euro | Baujahre | km-Stand |
Niedrig 2000-3500 | 1998-2003 | 25000-70000 |
Mittel 3600-5900 | 2000-2006 | 10000-40000 |
Hoch 6000-8500 | 2004-2009 | unter 15000 |
Typ | im Programm | Verkäufe |
ME/RP | 1998-2003 | 5365 |
ZX00C/D/E | 2004-2009 | 2111 |