Gebrauchtberatung Ducati 900 SS (Vergaser)
Penibelchen

Klaus Mayerhofer kümmert sich seit Anfang der Achtziger um das Wohlbefinden von Ducati-Motorrädern. Bevor der Händler und Tuner aus Geislingen an der Steige eine gebrauchte 900 SS anbietet, muss diese eine gründliche Untersuchung über sich ergehen lassen.

Penibelchen
Foto: Mutschler

Die rote Maschine sieht edel aus. Eine echte Augenweide. Keine Kratzer, alles glänzt. Mayerhofer lässt sich vom guten Aussehen jedoch nicht blenden.
Will er ein Motorrad weiterverkaufen, muss
es topp in Schuss sein, sonst hat er
als gewerblicher Verkäufer aufgrund der Gewährleistungspflicht im Schadensfall später den Ärger an den Hacken. Und einen guten Ruf zu verlieren. Also lieber Zeit und die typischen Schwachstellen der Ducati genau unter die Lupe nehmen.
Mayerhofers erster Eindruck von der 900er ist gut. Das Fahrzeug wurde im
April 1997 erstmals zugelassen, hat zwei Vorbesitzer und rund 27000 Kilometer auf der Uhr. Keine übermäßige Laufleistung
für den Twin, zumal das Serviceheft lückenlos alle Inspektionen dokumentiert. Einzige Änderung des Originalzustands sind Keihin-Flachschieber- statt der serien-
mäßigen Mikuni-Gleichdruckvergaser – ein in Szenekreisen beliebter Umbau. »Die SS als klassische Sportlerin erhält ab einem bestimmten Zeitpunkt ihren Wert, wenn der Pflegezustand einwandfrei ist. Das Baujahr ist für mich deshalb nicht so
entscheidend, denn aus technisch-mechanischer Sicht gab’s ab 1991 keine Quantensprünge mehr«, erklärt der Händler. Selbst zehn Jahre alte Fahrzeuge stünden immer noch hoch im Kurs und seien selten unter 3000 Euro zu haben.
An der hübschen Roten auf der Hebebühne findet der Ducati-Experte nach einem peniblen Check keine gravierenden Mängel. Lediglich die Zahnriemen sind zu locker gespannt und außerdem zu alt. Sie werden getauscht. Mayerhofer kann die Duc nun in der Internet-Annonce als eine Gebrauchte in »sehr gutem Allgemeinzustand« beschreiben und sie für 4400 Euro anbieten. »Vielleicht geht sie nicht auf
Anhieb weg, aber ein Kenner weiß, dass sie das Geld wert ist.«
Die wichtigsten modellspezifischen Prüfpunkte für die 900 SS, empfohlen vom Profi Mayerhofer, sehen Sie auf der folgenden Seite.

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Penibelchen
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Technische Daten: Typ SC2, Baujahr 1995

Motor
Luft-/ölgekühlter Zweizylinder-Viertakt-90-Grad-V-Motor, je eine oben liegende, zahnriemengetriebene Nockenwelle, zwei Ventile pro Zylinder, desmodromisch betätigt, Nasssumpfschmierung, Mikuni-Gleichdruckvergaser, Ø 38 mm, Transistorzündung, keine Abgasreinigung, Lichtmaschine 350 Watt, Batterie 12 V/16 Ah, hydraulisch betätigte Mehrscheiben-Trockenkupplung, Sechsganggetriebe, O-Ring-Kette.
Bohrung x Hub 92 x 68 mm
Hubraum 904 cm3
Verdichtungsverhältnis 9,2:1
Nennleistung
57 kW (78 PS) bei 7300/min
Max. Drehmoment
83 Nm bei 6400/min

Fahrwerk
Gitterrohrrahmen aus Stahl, Upside-down-Gabel, Ø 41 mm, verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, Dreieckschwinge aus Aluminium, Zentralfederbein, direkt angelenkt, verstellbare Federbasis und Zugstufendämpfung, Doppelscheibenbremse vorn, Ø 320 mm, Vierkolben-Festsättel, Scheibenbremse hinten, Ø 245 mm, Zweikolben-Festsattel.

Alu-Gussräder
3.50 x 17; 5.50 x 17
Reifen 120/70 V 17, 170/60 V 17
Maße und Gewichte
Radstand 1410 mm, Lenkkopfwinkel 64 Grad, Nachlauf 103 mm, Federweg v/h 120/125 mm, Sitzhöhe 810 mm, Gewicht vollgetankt 199 kg, Zuladung 201 kg, Tankinhalt/Reserve 17,5 Liter.
 
messungen
(MOTORRAD 24/1995)

Fahrleistungen
Höchstgeschwindigkeit 213 km/h
Beschleunigung
0–100 km/h 3,7 sek
0–160 km/h 9,7 sek
Durchzug
60–140 km/h 11,3 sek
60–160 km/h 15,0 sek

Verbrauch
3,2 l bis 7,6 l/100 km, Super 

Modellpflege - Ducati 900 SS

1990 Die Modelle des ersten Baujahrs 1990 werden schon zum Jahresende 1989 verkauft. Die ersten Ducati 900 Supersport sind mit
Weber-Doppelvergasern, einer Marelli-Digiplex-Zündung und Federelementen
von Marzocchi bestückt

1991 Gabel und Federbein
(Showa) sowie Zündung (Kokusan)
und 38er-Vergaser (Mikuni) stammen nun aus Japan. Kupplung verbessert. Weißer statt roter Rahmen. Verkleidung jetzt komplett rot

1992 Abdeckung für Soziusplatz, schwarze Räder

1993 Lichtmaschine mit mehr Leistung, goldene statt schwarze Bremszangen mit unterschiedlichen Kolben-Durchmessern. Rahmen jetzt silberfarben
und mit Klarlack überzogen, für das Modell 1994 werden die Felgen in Rahmenfarbe lackiert

1995 Rahmenfarbe Mattbronze

1996 Neues Cockpit mit Öl-Temperaturanzeige

1997 Externe Armaturen, Seitenverkleidung mit Aussparungen zur Belüftung des stehenden Zylinders, Bremsmomentabstützung am Rahmen

1998 Mit der »Final Edition« endet die Vergaser-Modellreihe der 900 SS


Tests in MOTORRAD*
7/1997 (VT), 24/1995 (VT), 9/1993 (VT), 13/1992 Superlight (T), 12/1991 (T)

Modellübersicht - Ducati 900 SS

Modellgeschichte
Motorräder von Ducati galten Ende der Achtziger als kultig, unkonventionell und leidenschaftlich-italienisch. Eigentlich gute Voraussetzungen für einen Verkaufserfolg, aber wie warme Semmeln gingen seinerzeit die Maschinen aus Bologna dennoch nicht weg. Die 1989 erstmals vorgestellte und noch Ende desselben Jahres ausgelieferte Ducati 900 Supersport, Modelljahrgang 1990 (Typ 906 SC), fand dementsprechend
nur in begrenzter Stückzahl ihren Weg nach Deutschland und war schnell vergriffen. Doch wirklich überzeugt vom ersten Modell waren selbst eingefleischte Fans italienischer Sportler nicht, und zwar wegen der minderwertigen
Federelemente von Zulieferer Marzocchi, dem Weber-Doppelvergaser, der sich gerne mal verschluckte, sowie der Marelli-Digiplex-Zündung, die in Kleinwagen von Fiat anstandslos ihren Dienst tat, sich als Bauteil an einem vor Witterungseinflüssen ungeschützten Motorradmotor hingegen als sehr störungsanfällig erwies.
Ab 1991 (Typ 906 SC2) beseitigten Zulieferteile aus Japan diese Schwachstellen. Vom renommierten Hersteller Showa kamen eine sauber ansprechende Upside-down-Gabel und ein gut funktionierendes Federbein, für einen runden Motorlauf sorgten von nun an 38er-Gleichdruckvergaser von Mikuni sowie eine zuverlässige Kokusan-Zündung. Außerdem wurde die zuvor unterdimensionierte Kupplung zugunsten höherer Standfestigkeit aufgerüstet. Die Verkaufszahlen der nun mit weißem Gitterrohrrahmen und weißen Räder allgemein als hübsch empfundenen, schlanken Italienerin stiegen – die SS entwickelte sich in den Folgejahren zu einem der bestverkauften Motorräder von Ducati.
Fortan betrieben die Italiener bis zur Final Edition 1998, dem letzten Baujahr der Vergaser-Version, Modellpflege im Detail. 1993 verbesserten sie die Auslassventilführungen, die anfänglich aus Rotguss bestanden und schnell ausschlugen, sowie die Dosierbarkeit der Bremsen. 1996 gesellte sich im Cockpit eine Öl-Temperaturanzeige zu Tacho und Drehzahlmesser hinzu, ein Jahr später änderte Ducati die Verkleidungsteile, um den stehenden der beiden luft-/ölgekühlten Zylinder besser zu belüften.

Gerade die Modellbeständigkeit ab 1991 machte die 900er-Supersport zu einem beliebten Motorrad. In jenem Jahr wurde dem vollverkleideten Modell die technisch baugleiche Nuda mit Halbschale zur Seite gestellt, die sich ebenfalls gut verkaufte. Für Sportfreaks gab’s von 1991 bis 1996 die Superlight (900 SL, Typ SC3) mit Features wie Einmann-Höcker oder einer hochgezogenen Auspuffanlage. Die Final Edition (900 FE), die technisch der SL glich und sich in silberner Lackierung präsentierte, beendete die Modellreihe der Vergaser-Supersport. 1998 kam parallel zur FE das Einspritzermodell 900 SS i.e. Carenata auf den Markt und schlug ein neues Kapitel in der Modellgeschichte auf.
Marktsituation
Der Gebrauchthandel mit Ducati 900 SS spielt sich hauptsächlich auf dem Privatmarkt ab. Für Händler sind ältere Fahrzeuge aus Gründen der Gewährleistungspflicht weniger interessant. Ausnahmen bilden Vertragshändler, die beim Kauf einer Neumaschine vom Kunden die Gebrauchte in Zahlung nehmen – vorzugsweise, wenn ihnen das Fahrzeug durch vorherige Inspektionen bekannt ist. Diese Maschinen werden auch gerne über Internet-Marktplätze wie www.mobile.de oder www.motoscout24.de offeriert. Private Angebote sind eher im Kleinanzeigenteil von Lokalzeitungen oder in regionalen Annoncenblättern aufzuspüren.
Generell gilt: Der Preis richtet sich weniger nach Baujahr und Kilometerleistung, sondern nach Pflegezustand und dem Abnutzungsgrad von Wartungs- und Verschleißteilen. Für die Final Edition, die 1998 neu für rund 10000 Euro im Laden stand, heißt die Empfehlung aus der Schwacke-Liste: maximal 5000 Euro bei einer Laufleistung von gut 57000 Kilometern – lief das Motorrad jedoch nur 25000 Kilometer, dürften theoretisch 6000 Euro verlangt werden.
Praktisch liegt die preisliche Obergrenze tatsächlich bei zirka 6000 Euro, dafür sollte allerdings ein absoluter Top-Zustand und eine Laufleistung um die 10000 Kilometer geboten werden. Wer weniger Geld anlegen will: Ab 3000 Euro ist man in der Ducati-Supersport-900-Klasse dabei, von privat sind unter Umständen Schnäppchen ab 2500 Euro zu finden. Typisch sind dann Laufleistungen zwischen 30000 und 40000 Kilometern und Baujahre vor 1996. Gut gepflegte Exemplare aus erster oder zweiter Hand schlagen mit rund 3500 bis 4000 Euro zu Buche. Die ersten Modelle von 1990 sind absolut selten und spielen auf dem Gebrauchtmarkt keine Rolle. Ebenso Fahrzeuge mit sehr hohen Laufleistungen, sie befinden sich häufig noch in der Hand vom Erstbesitzer. Die Nuda liegt auf ähnlichem Preisniveau wie ihre vollverkleidete Schwester, das Modell Superlight wird selten offeriert, und wenn, dann als Liebhaberstück.
Besichtigung
Verkauft ein Händler die Gebrauchte mit Gewährleistung, sollte man davon ausgehen können, dass dieser das Motorrad ordentlich durchgecheckt hat. Dennoch empfiehlt es sich, typische Schwachstellen der 900 SS zu überprüfen (siehe Seite 61). Beim Privatverkauf mit dem Verkäufer unbedingt eine Probefahrt vereinbaren und sich ausreichend Zeit für die Besichtigung erbitten. Zumindest sollte es möglich sein, die Verkleidung und Zahnriemenabdeckung zu demontieren, um einen Blick auf den Zahnriemen zu werfen.
Die 900er ist mit der desmodromischen Ventilführung ein technischer Leckerbissen, der aber Aufmerksamkeit und penible Wartung verlangt. Vorausgesetzt, alle Service-Intervalle werden eingehalten, macht das Motorrad weniger Stress, als manch Vorurteil gegenüber italienischer Technik glauben lässt. Die Zahnriemen dürfen nicht mehr als 20000 Kilometer in Aktion ge-
wesen sein. Vorsicht bei Maschinen, die länger
stillgelegt waren: Die Zahnriemen sollten dann unabhängig von der Laufleistung gewechselt werden, denn sie könnten während der Standzeit porös geworden sein. Die gekapselten Lager der Spannrollen gehören nach spätestens 40000 Kilometern getauscht. Überhaupt, die Ventil-Steuerung benötigt regelmäßige Aufmerksamkeit, sonst könnten kapitale Schäden und entsprechend hohe Kosten die Folgen sein. Wer kein
absolut versierter Schrauber ist, sollte die Wartungsarbeiten allerdings einer Fachwerkstatt überlassen. Auch wenn die regelmäßige Fürsorge durch Profis kostspielig ist, die 900 SS wird’s danken und dem Besitzer dieser nicht alltäg-
lichen Maschine noch lange Freude bereiten.

Internet:
www.ducati-corse.com (umfassende Homepage mit Forum und Technik-Tipps)
www.duc-forum.de (privates Forum)
www.900ss.de (private, modellbezogene Fan-Site)
www.ducati.de (offzielle deutsche Hersteller-Website mit Infos zu Fan-Clubs und Treffen)
www.motorradonline.de (Forum mit Duc-Bereich)

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Erscheinungsdatum 15.09.2023