Verdammt, es hat mich gepackt, das Dominator-Fieber. Gleich einer chronischen Malaria kommt es in Schüben wieder. Dabei hatte ich mich nach jahrelanger Pause geheilt geglaubt. Ein unmotiviertes Blättern im Annoncenteil unter
der Kategorie Honda löste es vor kurzem erneut aus: »Honda NX 650, EZ 7/95, orig. 13000 km, 1799 Euro.« Eigentlich stünde der Kauf eines neuen Computers oder einer neuen Couch an. Dinge, die vernünftig sind, aber keinen Spaß machen. Die Dominator ist vernünftig und macht Spaß, viel Spaß sogar. Ich weiß es.
Vor rund fünfzehn Jahren fing alles an. Ein Händler lud zur Probefahrt auf einer knallroten NX 650. Nach dem Ausritt war das Verhältnis zu meiner 250er-Suzuki gestört die Honda trat mit viel mehr Dampf an, fegte spurstabil statt eier-tanzend ums Eck, und gegenüber den Asbach-Uralt-Stoppern der Suzuki eröffneten sich beim Bremsen neue Dimensionen. Dazu das rattenscharfe Aussehen. Eine im Wüstensand driftende Dominator verführte mich daraufhin jeden Tag. Gedruckt auf einem Werbeprospekt, folgte diese mir in die Badewanne, aufs Klo und ins Bett. Die 250er sollte der Honda weichen, doch das nötige Geld fehlte. 1992, als die Dominator in neuem Kleid und mit größerem Tank erschien, wurde der Fieberwahn unerträglich, Halluzinationen und Tagträume durchsetzten den Alltag. Ultraschräge NX 650 drehten Kreisbahnen um meinen Kopf, ein unvergleichlicher Einzylinder-Tinnitus belegte permanent die Ohren.
Gebrauchte Exemplare waren wegen der großen Beliebtheit seinerzeit schweineteuer und das Angebot spärlich. Zum Vorzugspreis gabs indes eine neue Vorführmaschine. Ein Elternkredit sowie ein universitätsfremdes Praxissemester in der Fabrik unter dem Thema »stumpfe, aber geldeinbringende Hilfsarbeiten« ermöglichten die Finanzierung des Objekts der
Begierde. Und jetzt, Ende 2004, diese Kleinanzeige: 1799 Euro, das ist ein Witz. Ein gutes Fahrrad kostet mittlerweile mehr. Behaupte da noch einer, spaßige Motorräder kosten viel zu viel. Kalter Schweiß beim Wählen der Telefonnummer was, wenn die Maschine schon verkauft ist?
Eine unbegründete Sorge. Heutzutage scheinen Motorradfahrer gegen das Dominator-Fieber immun zu sein. Ältere Fahrer wollen meist mehr Zylinder, Leistung und Hubraum, jüngere lassen sich offensichtlich nur durch hammerharte Supermoto- oder Gelände-Geräte beeindrucken. Schwindel nach dem Auflegen, schnell werden Prospekt, Testberichte und alle
Fotos von damals wieder herausgekramt ein weiteres Symptom plötzlich auftauchender Kaufgier.
Diese begründet sich aus unauslöschlichen Erinnerungen an die Zeit mit meiner geliebten, heißen »Domina«: Camping-Reisen, Serpentinen-Pogo, Offroad-Einlagen. Eine endete im Tiefsand eines Strands, direkt vor einer Gruppe hübscher Däninnen. Marathon mit Gepäck und Sozia trotz unbequemer Sitzbank kündigte die Freundin seltsamerweise nicht die Be-
ziehung auf. Unglaublich, wie gut sich
die Enduro als Tourer benimmt: Die Vibra-
tionen des Einzylinders sind erträglich,
und die Halbschalenverkleidung bietet ausreichend Windschutz für schnelle Autobahnetappen.
Nicht zu vergessen die Boulevard-Auftritte in schwarzem Outfit mit Darth-Vader-Endurohelm. Der Einzylinder bollerte aus den hochgezogenen, martialischen Schalldämpfern, Schockerbremsungen gab es mit quietschendem Reifen. Die halbgaren Wheelie-Versuche waren dann allerdings eher peinlich. Kumpel Georg konnte es besser. »Ey, darf ich mal deinen Dominator ausprobieren, bin son Ding noch nie gefahren.« Sprachs und fuhr ab Dönerstand mitten auf dem Bürgersteig auf einem Rad davon. Selten habe ich so entrückt einem Motorrad nachgeblickt.
Stuntaktionen sind für die jetzt anstehende Probefahrt natürlich nicht vorgesehen. Ich will nur wissen, wie sich direkter Kontakt mit dem Überträger des neu erwachten Dominator-Fiebers anfühlt. Kann ein Kaufvertrag die Krankheit heilen, oder lässt sich das starke Verlangen doch noch rausschwitzen? Fahrt auf einer kurvigen Landstraße: ha, uuh, yeah! Die Domina macht immer noch wahnsinnig Laune. Leider ist dieses Exemplar ein ziemlich beanspruchtes Winterfahrzeug, aber im Großen und Ganzen in Ordnung. Der Verkäufer senkt vorauseilend den Preis auf 1700 Euro. Ich soll mal drüber schlafen, rät er. Wie stellt er sich das vor? In meinem Zustand werde ich kein Auge zumachen.
Modellgeschichte
Stolz und selbstbewusst trug die Honda NX 650
bei ihrem Erscheinen 1988 den Namenszusatz
»Dominator« in übergroßen Lettern auf Tank und
Verkleidung als Spielmobil, meist feuerrot, ließ
sie bis Anfang der neunziger Jahre keinen Zweifel an ihrer Führungsrolle unter den so genannten Funduros aufkommen. Übertrumpfte dank vorbildlicher Ausgeglichenheit die in Teildisziplinen besseren Kontrahentinnen. Fein verarbeitet, mit harmonischem Fahrwerk und einem tollen Motor konnte sie bei Testern und Käufern punkten.
Der technisch aufwendige Einzylinder leistete 45 PS, ausreichend, um auf kurvigen, engen Landstraßen
vorne zu liegen. Relativ kurz übersetzt, ließ sich die
intern als RD 02 bezeichnete NX 650 beim Ampelstart nicht die Butter vom Brot nehmen. Mit entsprechender
Bereifung und rund 200 Millimeter langen Federwegen kam sie auch recht flott in mittelschwerem Gelände voran, was Fernreisende, Endurowanderer und Rallye-Einsteiger zu schätzen wussten.
1990 entfielen aus Kostengründen unter anderem
der Kickstarter und die Edelstahlkrümmer, dafür bekam die Dominator ein Sekundärluftsystem (SLS), das in
der Schweiz schon seit Baubeginn im Einsatz war,
außerdem wurden die Bremsscheiben verbessert. Auf der unverändert schlanken Verkleidung war nur noch ein kleiner Schriftzug aufgeklebt. Ab 1991 verlor die an strengere Geräuschbestimmungen angepasste Enduro ein PS. Ein Jahr später stand eine größere Modellpflege ins Haus. Maßnahmen wie eine voluminösere Verkleidung oder eine breitere Sitzbank kamen
weniger den Offroadern, sondern eher den Straßen- und Tourenfahrern unter den Dominator-Fans zugute. Die bulligere, aber dennoch schnittige Maschine trug mit neuem Selbstbewusstsein ihren Namen wiederum groß auf.
Die Typbezeichnung RD 02 blieb, bis Honda 1995 die Fertigung nach Italien verlegte und die NX 650 als Typ RD 08 vom Band laufen ließ. 1996 gabs die letzten gravierenden Änderungen: schlankere Verkleidung und wieder Edelstahlkrümmer. Durch den Wechsel des Produktionsstandorts sank der Verkaufspreis um mehr als 1000 Mark, gleichzeitig allerdings auch die Fertigungsqualität Rahmen und Tank waren gegenüber den Japan-Modellen rostanfälliger. Bis zum Herstellungsende im Jahr 2000 unterschied sich das Motorrad lediglich durch zahlreiche Farbvarianten.
Marktsituation
Rund 12000 Dominator sind heute noch zugelassen. Nachdem das Modell nicht mehr gebaut wurde, ging das Interesse an gebrauchten Dominator zurück,
wie einige Vertragshändler unabhängig voneinander berichten. Besonders gilt das für neuwertige Fahrzeuge mit einem entsprechend hohen Preis über 3000 Euro. Diese stehen teilweise mehrere Monate im Ausstellungsraum. Gezielt werde selten nach der Dominator gefragt, so die Händler, generelles Interesse an soliden Enduros und Alltagsfahrzeugen indes bestünde sehr wohl. Da die NX 650 zweifelsohne genau als solche beworben werden darf, lasse sie sich dennoch einigermaßen gut verkaufen. Die Schmerzgrenze der Käufer läge bei rund 2500 Euro, schätzen die meisten befragten Vertragshändler.
Bei markenunabhängigen Gebrauchthändlern lautet die Devise: Stimmt der Preis, ist die Dominator nach wie vor heiß. Kunden stoßen in deren »Gemischtwarenläden« auf die optisch auffällige NX 650 und entdecken am lebenden Objekt erstmals die vielfältigen Vorzüge der Honda. Besonders beliebt macht sich die Enduro als Winterfahrzeug, so dass sie sich auch außerhalb der Schönwetter-Saison nicht übel verkaufen lässt.
Ab zirka 1000 Euro kann man zum Dominator-Halter werden. Größtenteils Privatpersonen bieten für diese Summe ältere, stark beanspruchte RD 02 mit Laufleistungen um die 50000 Kilometer an. Die meisten offerierten NX 650 kosten jedoch zwischen 1500
und 2000 Euro. In dieser Preisklasse bewegen sich
ordentlich gepflegte RD 02 (Baujahr 1993/1994) mit einem Kilometerstand unter 20000 oder RD 08 von 1995 und 1996, die zwischen 30000 und 40000 Kilometer gelaufen sind und in der Regel deutlich sichtbare Gebrauchsspuren aufweisen.
Für 2500 Euro verkaufen Händler Modelle ab Baujahr 1996 mit weniger als 20000 Kilometern, von privat finden sich für diesen Preis topgepflegte Fahrzeuge der Jahrgänge 1997/1998 mit ähnlich geringer Laufleistung. Annoncierte Fahrzeuge über 3000 Euro sind entweder feine Supermoto-Umbauten mit teuren Zutaten oder sehr neuwertige 1999er- oder 2000er-Modelle und vor allen Dingen eines: schwer loszukriegen, wenn sich der Verkäufer beim Preis nicht drücken lassen will.
Besichtigung
Die ausgereifte NX 650 ist ein langlebiges Motorrad, das bei regelmäßiger Wartung Laufleistungen über 50000 Kilometer wegsteckt. Doch speziell bei einzylindrigen Enduros können sich die auf dem Tacho dokumentierten Kilometer je nach vorheriger Beanspruchung der Maschine sehr unterschiedlich auswirken. Den größten Tribut fordern Geländeeinsätze, entsprechend benutzte Exemplare weisen meist stärkere Verschmutzungen im Bereich des Federbeins auf. Kratzer und Dellen an Motorschutz, Rahmen, Tank oder Verkleidung deuten auf die für Offroadeinsätze obligatorischen kleineren Stürze und Umfaller hin.
Gab es regelmäßige Eskapaden in Staub und Schlamm, sollte die Besichtigung äußerst penibel ausfallen: Sind Luftfilter, Gabeldichtringe, Umlenkhebel, Schwingen- und Lenkkopflager sowie Speichen und Felgen in Ordnung? Bei der Probefahrt empfiehlt sich, auf ebener Strecke ein Stück freihändig zu fahren, um den Geradeauslauf zu checken. Auch wenn das Fahrzeug kaum auf losem Untergrund bewegt wurde, lohnt sich genaues Hinsehen. Wie erwähnt, wird die Funduro heutzutage häufig als Alltags- und damit auch Winterfahrzeug eingesetzt. In solchen Fällen ist wegen der starken Nutzung in der kalten Jahreszeit (zum Beispiel durch Streusalz oder die Belastung für den Motor bei meist kurzen Fahrten) Obacht geboten. Eine durch Korrosion angegriffene Oberfläche von Felgen, Rahmen und Motorgehäuse sind kein gutes Zeichen. Besonders bei den in Italien produzierten RD 08 sollte man einen Blick in den Tank werfen, ob dieser innen frei von Rost ist.
Ideal ist ein scheckheftgepflegtes Fahrzeug mit
regelmäßigen Ölwechseln (vorgeschrieben sind 6000-Kilometer-Intervalle). Neuwertige Verschleißteile deuten ebenfalls auf gute Pflege hin. Die Lebensdauer von Kolben und -ringen liegt normalerweise bei über 50000 Kilometern. Wichtig ist die
regelmäßige Wartung des Singles mit den vier radial angeordneten Ventilen, was hoffentlich durch Rechnungen dokumentiert ist. Nach 30000 Kilometer Laufleistung ist ein geringer Ölverbrauch nicht ungewöhnlich. Auffällige Motorgeräusche sind hingegen bei einer gesunden Dominator unüblich, also Vorsicht, wenns rasselt, klickert oder klopft!
Weitere nützliche Tipps zur Besichtigung und zu Wartungsarbeiten sowie zahlreiche Reifenempfehlungen finden sich auch im Internet unter www. hondadominator.de. Dort gibts außerdem einen guten Überblick über sämtliche Farbvarianten der NX 650.
Motor: luftgekühlter Einzylinder-Viertaktmotor, eine oben liegende, kettengetriebene Nockenwelle, vier
radial angeordnete Ventile, Kipp- und Schlepphebel,
Trockensumpfschmierung, Gleichdruckvergaser, Ø 40 mm, Transistorzündung, Sekundärluftsystem, Lichtmaschine 182 Watt, Batterie 12 V/8 Ah, mechanisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Fünfganggetriebe, O-Ring-Kette.
Bohrung x Hub 100 x 82 mm
Hubraum 644 cm3
Verdichtungsverhältnis 8,3:1
Nennleistung 32 kW (44 PS) bei 6000/min
Max. Drehmoment 53 Nm bei 5000/min
Fahrwerk: Einschleifenrahmen aus Stahl, geteilte Unterzüge, Telegabel, Ø 41 mm, Zweiarmschwinge aus Stahl, Zentralfederbein, über Hebelsystem angelenkt, verstellbare Federbasis, Scheibenbremse vorn, Ø 256 mm, Doppelkolben-Schwimmsattel, Scheibenbremse hinten, Ø 220 mm, Einkolben-Schwimmsattel.
Alu-Gussräder 1.85 x 21; 2.50 x 17
Reifen 90/90 S 21; 120/90 S 17
Maße und Gewichte: Radstand 1440 mm, Lenkkopfwinkel 62 Grad, Nachlauf 115 mm, Federweg
v/h 219/195 mm, Sitzhöhe1 880 mm, Gewicht voll-
getankt1 183 kg, Zuladung1 180 kg, Tankinhalt/Reserve 16/3 Liter.
1988 Markteinführung der RD 02 für 9120 Mark
1990 Der Kickstarter, die Zugstufenverstellung
des Federbeins sowie die Schmiernippel an den Umlenkhebeln entfallen. Die Edelstahlkrümmer weichen
aus Kostengründen schwarz lackiertem Stahl. Gelochte Bremsscheiben ersetzen die zuvor geschlitzten, welche bei harter Beanspruchung des Öfteren einrissen
1991 Anpassung von Auspuff und Vergaser an strengere Geräuschvorschriften: nun 44 statt 45 PS
1992 16- statt 13-Liter-Tank mit abgesenktem Deckel, größere Verkleidung mit integrierten Blinkern, breitere Sitzbank, überarbeitetes Federbein
1995 Der neue Typ RD 08 wird in Italien gefertigt, Preis 11425 Mark
1996 Schlankere Verkleidung mit externen
Blinkern, Edelstahlkrümmer, silber- statt goldfarbene
Leichtmetallfelgen. Kunststoff-Bremsscheibenab-deckung entfällt. Preis gegenüber 1995er-Modell um 1160 Mark auf 10265 Mark gesenkt
2000 Produktionsstopp.
Letzter Verkaufspreis: 10365 Mark
6/1997 (VT), 18/1996 (KV), 3/1994 (VT), 10/1992 (VT), 8/1992 (27-PS-VT), 12/1991 (VT),
8/1990 (VT), 16/1988 (VT), 14/1988 (VT),
8/1988 (T)
T=Test, VT=Vergleichstest, KV=Kurzvorstellung;
*Nachbestellungen unter Telefon 0711/182-1229
Fahrleistungen
Höchstgeschwindigkeit 160 km/h
Beschleunigung
0100 km/h 5,3 sek
0120 km/h 8,1 sek
Durchzug
60140 km/h 5,9 sek
60180 km/h 9,1 sek
Verbrauch (Normalbenzin)
bei 100 km/h 4,6 l/100 km
bei 130 km/h 6,7 l/100 km
Landstraße 5,0 l/100 km
Unten: Foto von Autor Thorsten Dentges, mit dem er
sich 1992 für einen Job in einer Fabrik bewarb. Dort verdiente er
sich das Geld für eine nagelneue NX 650. Sein Traumbike war
damals gebraucht kaum oder nur überteuert zu bekommen. Rechts: Dentges, nun fest
angestellt bei MOTORRAD mit ausreichen-
dem Verdienst für den Friseur, ist zwölf Jahre später wieder im Dominator-Fieber. Das 1995er-Modell mit nur 13000 Kilometern auf der Uhr, allerdings auch groben Gebrauchsspuren, soll 1700 Euro kosten. Das ideale
Eigengeschenk für untern Tannenbaum?