Gebrauchtberatung Honda ST 1100 Pan European
Honda ST 1100 Pan European

Die Honda ST 1100 Pan European war lange Zeit der Supertourer schlechthin. Als Gebrauchte ist sie aufgrund ihrer überragenden Zuverlässigkeit heute sehr begehrt.

Honda ST 1100 Pan European
Foto: Zeichnung: Honda

Honda-Händler Herbert Stauch erinnert sich noch gut an die zwiespältigen Reaktionen seiner Kunden, als im Frühjahr 1990 die ersten ST 1100 im Schauraum standen. Bei den meisten überwog die Skepsis. »Während andere Modelle oft bereits aus dem Prospekt
bestellt wurden, war die Pan European
ein Motorrad, das man nach allen Regeln der Kunst verkaufen musste.« Viel Zeit
und noch mehr Überzeugungsarbeit waren notwendig, um den zunächst sehr zaghaften Interessenten die Scheu vor dem hohen Gewicht und der gewaltigen Verschalung zu nehmen.
Besonders an der üppigen Verkleidung schieden sich die Geister. Das Gros der Biker fand sie einfach nur hässlich und
zog rasch den Vergleich mit der sterilen Karosserie eines Autos. Dass sich darunter ein hervorragend konzipiertes Motorrad versteckte, bemerkten nur jene, die sich auf eine längere Probefahrt einließen.
Danach waren die meisten Vorurteile wie weggeblasen, wichen dem Respekt vor der Ingenieursleistung oder verwandelten sich oftmals sogar in helle Begeisterung. Einen ähnlichen Sinneswandel erlebte auch der für den ersten Pan-Test zuständige MOTORRAD-Redakteur, der vom Äußeren des Plastik-Tourers ebenfalls alles andere als angetan war. Am Ende überzeugte ihn die souveräne Kraftentfaltung des V4-Triebwerks, das handliche und spurstabile Fahrverhalten, der reaktionsarme Kardan, der exzellente Wetterschutz, die perfekte Sitzposition für Fahrer und Sozius, der moderate Benzinverbrauch und natürlich der hervorragende Fahrkomfort so sehr, dass er zu dem Schluss kam, »es habe noch nie ein so gutes Tourenmotorrad in der Big-Bike-Klasse gegeben« (MOTORRAD 12/ 1990). Kritik erntete die ST 1100 lediglich für den nicht vorhandenen Katalysator sowie das noch nicht verfügbare ABS. Während der Blockierverhinderer später für knapp 3000 Mark
Aufpreis in Gestalt der ABS/TCS-Variante geordert werden konnte, musste die ST
bis zum Schluss ohne Abgasreinigung auskommen.
Aber auch ohne diese beiden Features hatte Honda mit der Pan European in der Klasse der Supertourer neue Maßstäbe gesetzt. So dominierte die ST im ersten Vergleich die Konkurrenz nach Belieben und setzte sich souverän und mit
deutlichem Abstand an die Spitze. Den
Ruf des besten Tourers manifestierte die 1100er zudem mit einer herausragenden Vorstellung im MOTORRAD-Langstreckentest über 100000 Kilometer. Nach der im Zeitraffer von nur zwei Jahren absolvierten Marathondistanz war kein Motorbauteil über die Verschleißgrenze aufgebraucht, lediglich die thermisch hoch beanspruchten Sitze der Auslassventile befanden sich
am Rande der Toleranzgrenze. Außerdem belasteten zwei defekte Radlager und ein verschlissenes Lenkkopflager den Etat. Nach den Erfahrungen von Peter Koch, Gründer des deutschen ST 1100 Owners Club, ist dieses glänzende Ergebnis beileibe kein Einzelfall, sondern eher die Regel. So funktionieren die Bikes zahlreicher Mitglieder auch mit Laufleistungen jenseits der 100000 Kilometer noch völlig problemlos.
Keine lästigen Kinderkrankheiten, keine konstruktiven Mängel, nur ein Rückruf (siehe Seite 89) – die ST 1100 lief und lief und lief wie einst der zum Symbol für Zuverlässigkeit erkorene VW Käfer. Das überzeugte schließlich auch das reiselustige Volk. Die anfänglichen Vorbehalte wurden über Bord geworfen, und die Pan European fand trotz des hohen Preises immer mehr Zuspruch. Bestes Verkaufsjahr war 1992, als sich knapp 1000 Käufer für die ST 1100 entschieden, wobei in diesem Jahr, wie oben erwähnt, erstmals die parallel zur Standardversion angebotene Variante mit ABS und Traktionskontrolle zur Wahl stand. Zur Saison 1996 wurde
die Pan European letztmalig überarbeitet. Seitdem kam zusätzlich zum ABS/TCS-System die Kombibremse namens CBS zum Einsatz. Die Zusammenführung beider Systeme funktionierte so prächtig, dass sich die überwiegende Mehrheit der Käufer fortan für diese Variante entschied.
Die wenigen Modifikationen reichten aus, um die ST 1100 bis ins letzte offi-
zielle Verkaufsjahr 2001 konkurrenzfähig zu halten. Ein Umstand, der einmal mehr beweist, welch großer Wurf die Pan European von Beginn an war. So ist es nur zu verständlich, dass die Besitzer ihrer Honda überdurchschnittlich lang die Treue halten. Daran wird sich vermutlich so schnell nichts ändern. Denn der von vielen Pan-European-Besitzern mit Spannung erwartete Nachfolger STX 1300 macht seit dem Debüt im Jahr 2002 doch mehr Probleme, als die in dieser Hinsicht verwöhnte ST-1100-Klientel tolerieren dürfte. So mancher Umsteiger auf das neue Modell hat seinen Entschluss bereits bereut und die 1300er wieder gegen eine gebrauchte 1100er eingetauscht.
Kein Wunder, dass die Gebrauchtpreise der Alten trotz des Modellwechsels keinen Abwärtstrend erkennen lassen. Sie verharren auf hohem Niveau, viele Händler sind gar der Ansicht, die ST 1100 zähle
zu den wertstabilsten Motorrädern überhaupt. Aufgrund der hohen Nachfrage führt Herbert Stauch mittlerweile eine Warteliste mit Gebrauchtinteressenten. Wie sich die Zeiten doch ändern.

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Honda ST 1100 Pan European
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Technische Daten - Honda ST 1100

Motor
Wassergekühlter Vierzylinder-Viertakt-90-Grad-V-Motor, je zwei oben liegende, über Zahnriemen getriebene Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder, Tassenstößel, Nasssumpfschmierung, vier Keihin-Gleichdruckvergaser, Ø 31,6 mm, keine Abgasreinigung, Lichtmaschine 480 Watt, Batterie 12 V/12 Ah, hydraulisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Fünfganggetriebe, Kardan.
Bohrung x Hub 73 x 64,8 mm
Hubraum 1085 cm3
Verdichtungsverhältnis 10:1
Nennleistung
72 kW (98 PS) bei 7500/min
Max. Drehmoment
109 Nm bei 6000/min

Fahrwerk
Brückenrahmen aus Stahl, geschraubter rechter Unterzug, Telegabel mit Antidive, Ø 43 mm, Zweiarmschwinge aus Stahlprofilen, direkt angelenktes Federbein, verstellbare Federbasis und Zugstufendämpfung, Doppelscheibenbremse vorn, Ø 296 mm, Dreikol-
ben-Schwimmsättel, Scheibenbremse hinten, Ø 296 mm, Dreikolben-Schwimmsattel, Antiblockiersystem.
Alugussräder 3,00 x 18; 4,50 x 17
Reifen 120/70 ZR 18, 160/70 ZR 17

Maße und Gewichte
Radstand 1555 mm, Lenkkopfwinkel 62,5 Grad, Nachlauf 101 mm, Federweg v/h 150/120 mm, Sitzhöhe 780 mm, Gewicht vollgetankt 328 kg, Zuladung 189 kg, Tankinhalt 28 Liter.


Messwerte (MOTORRAD 24/1999)
Höchstgeschwindigkeit 210 km/h

Beschleunigung
0–100 km/h 4,1 sek

Durchzug
60–140 km/h 12,2 sek

Verbrauch
4,6 bis 7,2 l/100 km, Normalbenzin

Modellübersicht - Honda ST 1100

Marktsituation
Zwischen 1990 und 2001 verkaufte Honda von
der ST 1100 exakt 8373 Exemplare. Aber auch
nach dem Erscheinen der STX 1300 Pan European im Jahr 2002 verzeichnete die ST 1100 bis Ende
2003 weitere 125 Neuzulassungen. Noch haben
Gebrauchtkäufer also gute Chancen, eventuell eine nur wenig gefahrene Maschine zu ergattern. Auf Schnäppchenpreise dürfen sie dabei allerdings
nicht hoffen. Die ST 1100 gehört nach einhelliger Händler-Meinung, egal, ob Honda-Vertragspartner oder markenfremder Händler, zu den wertstabilsten Motorrädern auf dem Markt.

Gesucht sind vor allem die ab 1996 angebotenen ABS/TCS-Modelle mit dem Kombibremssystem CBS, zu welchem die überwiegende Mehrheit der einstigen Neukäufer tendierte. Trotz der relativ großen Verbreitung dieses Modells ist es gebraucht nicht so leicht zu finden, einerseits trennen sich die Besitzer ungern, andererseits warten gepflegte Exemplare meist nur kurze Zeit auf einen neuen Erwerber.
Erschwerend kommt hinzu, dass eine hohe Nachfrage aus dem benachbarten Ausland, insbesondere Holland, Schweden und Finnland, das Angebot verknappt. Weniger gefragt und entsprechend billiger zu bekommen ist das Standardmodell ohne ABS.

Angesichts des hervorragenden Rufs in Sachen Zuverlässigkeit verwundert es nicht, dass die ST 1100 zu den wenigen Motorrädern zählt, die selbst mit sehr hohen Kilometerleistungen noch relativ gut zu verkaufen sind. Oftmals werden sogar Preise über den Notierungen der einschlägigen Gebrauchtlisten bezahlt. Schwacke taxiert beispielsweise den Händlerverkaufspreis für ein 1994er-Modell ohne ABS auf etwa 4370 Euro (rund 83000 Kilometer), während eine vergleichbare ABS-Version zirka 1000 Euro mehr kosten soll. Den Wert einer 1996er-ST 1100 mit ABS/TCS und CBS beziffert Schwacke auf 6250 Euro (66000 Kilometer). In der Praxis stellt dieser Preis bei einem sehr guten Exemplar allerdings eher die Untergrenze dar. Weitere Notierungen für die ABS/TCS/CBS-Varianten sind 8300 Euro für das Baujahr 1999 (41000 Kilometer), ein Modell von 2001 mit rund 24000 Kilometern soll ungefähr 9900 Euro wert sein.

Besichtigung
Dank der fast schon legendären Zuverlässigkeit benötigt man zur Besichtigung einer gebrauchten ST 1100 nicht unbedingt das große Schrauber-Latein. Wurde das in Frage kommende Exemplar regel-
mäßig in einer Fachwerkstatt gewartet, dürften selbst bei höheren Laufleistungen keine mechanischen
Probleme auftreten. Das V4-Triebwerk wurde konsequent auf eine lange Lebensdauer ausgelegt. Dementsprechend sind keinerlei typische Schwachpunkte bekannt. Bei Modellen aus den ersten Baujahren kann aber die Kontrolle des Zahnriemens samt der Spannrollen nicht schaden, selbst wenn die hierfür vorgesehene Laufleistung von 100000 Kilometern noch nicht erreicht sein sollte. Außerdem darauf achten,
dass der vom Rückruf 1995 betroffene Neigungswinkel-Sensor, der die Zündung bei einem Umfaller abschalten soll, ausgetauscht wurde.

Ansonsten können sich Interessenten getrost auf
den allgemeinen Pflegezustand sowie die üblichen Verschleißteile konzentrieren. Hierbei gilt die Aufmerksamkeit insbesondere den zahlreichen Verkleidungsteilen, deren Ersatz bei einer Beschädigung ganz schön teuer kommt. Außerdem bei Modellen mit ABS bei der Probefahrt dessen ordnungsgemäße Funktion testen. Falls dies nicht der Fall ist, könnte einer der ABS-Sensoren beschädigt sein.

Internet
www.st1100.de; www.pkoch.de; www.st1100.ch

Modellchronik - Honda ST 1100

1990 Markteinführung der ST 1100 mit 100 PS zum Preis von 20910 Mark
1991 Temperaturstabilerer Kunststoff für den Deckel des linken Verkleidungsfachs
1992 Höchstleistung aus Versicherungsgründen auf 98 PS reduziert; wahlweise ABS-
Variante mit Traktionskontrolle (ABS/TCS) gegen
Aufpreis von 2775 Mark lieferbar; rechter Seitendeckel mit kleiner Öffnung erleichtert die Verstellung der
Zugstufendämpfung; Sitzbank im Soziusbereich modifiziert, andere Lenkerposition
1993 Zierstreifen der ABS/TCS-Variante auch für die Standard-ST-1100
1996 Aufwertung der ABS/TCS-Version durch Verbundbremssystem (CBS) mit Dreikolben-Bremszangen vorn, kleineren Bremsscheiben (Ø 296 mm), steiferer Gabel (Ø 43 mm), breiterem Vorderreifen (120/70 ZR 18) und stärkerer Lichtmaschine; geänderte Verkleidungsscheibe für beide Modellvarianten
1999 Sondermodell »50 Jahre Honda« in
Goldmetallic
2001 Letztes offizielles Verkaufsjahr der ST 1100 in Deutschland
2002 Markteinführung der STX 1300 Pan
European
Rückruf
1995 Austausch des Neigungswinkel-Sensors bei den zwischen 1990 und 1993 gebauten Fahrzeugen mit folgenden Fahrgestellnummern:
Standard-Variante SC262000001 bis SC262301643,
ABS/TCS-Version SC26-420001 bis SC26-4201066
Werkstattanweisung
1992 Motorentlüftungsschlauch kürzen und neu verlegen, um Knickbildung zu vermeiden

Meinungen zur Honda ST 1100

Aufgrund ihrer überragenden
Zuverlässigkeit gehört die Pan European zu den wenigen Motorrädern, die man als Händler fast blind in Zahlung nehmen und auch wieder verkaufen kann

Der von Beginn an ausgereiften ST 1100 merkt man bis ins kleinste Detail an, dass bei der Entwicklung die gründliche Erprobung im
Vordergrund stand und nicht die heutzutage so verbreiteten Computer-Simulationen

Für mich ist die ST 1100 in der Summe aus Fahrverhalten, Zuver-lässigkeit und Wertstabilität die beste Tourenmaschine. Wenn auf ein Motorrad die Aussage zutrifft, es
sei mit einer Laufleistung von 50000 Kilometern gerade erst eingefahren, dann ganz sicher auf die Pan
European

Die ST 1100 ist ein absolut empfehlenswerter, prima verarbeiteter und überaus zuverlässiger Tourer. Aufgrund der hohen Nachfrage, insbesondere auch aus Skandinavien und Holland, kaufen wir eine ST 1100 sehr gerne an, wenn Pflegezustand und Preis stimmen

Die Pan European war zu Beginn kein Selbstläufer, man musste
vor dem Verkauf viel Überzeugungsarbeit leisten. Heute gehören die ST-1100-Besitzer zu meinen zufriedensten Kunden, und für Gebrauchte gibt es bereits eine längere Interessentenliste

Die meistbenötigten Ersatzteile bei der ST 1100 sind vermutlich die Spiegel, die Sturzbügelverkleidun-gen und die Kofferdeckel aufgrund kleiner Havarien beim Rangieren. Ansonsten geht bei einer Pan
European praktisch nichts kaputt, Laufleistungen von weit über 100000 Kilometern sind bei der ST eher die Regel denn die Ausnahme

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Erscheinungsdatum 15.09.2023