Uwe Moser leitet die Entwicklung bei Souo Motorcycle, einem noch recht jungen Ableger des großen chinesischen Konzerns Great Wall Motor (GWM). 2024 erschien das erste Motorrad von GWM, die spektakuläre Souo S 2000. Dabei handelt es sich um einen Luxus-Tourer nach dem Vorbild der Honda Gold Wing, allerdings mit 8-Zylinder-Boxer und 8-Gang-Doppelkupplungsgetriebe. Weitere Modell-Varianten und komplett neue Motorrad-Modelle werden folgen. Uwe Moser stammt aus Baden-Württemberg und lebt seit 2020 in China. Zuvor war der deutsche Ingenieur bei Mercedes, AMG, Irmscher, Ricardo und FEV tätig, bei den beiden letztgenannten Unternehmen als Entwicklungsspezialist für Motorrad-Projekte. Bei einem Heimatbesuch im Ländle traf er sich zum Exklusiv-Interview mit MOTORRAD.
Ich bin Jahrgang 1961 und fahre seit 50 Jahren Motorrad. Früher war ich auch im Rennsport aktiv, zum Beispiel im Motocross mit einer 125er-Maico, fuhr "Zuvi" und OMK-Pokal. Insgesamt habe ich privat circa 50 Motorräder gehabt, von vielen verschiedenen Marken. In Deutschland stehen immer noch 10, vor allem Ducatis, aber auch eine Yamaha MT-01 und bis vor Kurzem noch eine Cagiva Elefant. In China habe ich derzeit 6 Motorräder, ebenfalls Ducatis: Panigale 1299, Diavel, Streetfighter V4S und DesertX. Aber auch zwei Bimota DB6. Meine KTM 790 Adventure R hatte ich zwischenzeitlich gegen eine verwandte CFMoto getauscht, die kostet in China nur die Hälfte – und die ist in einigen Details qualitativ besser. Außerdem habe ich schon ewig eine BMW R 100 S, die steht auch noch hier im Schuppen, und deshalb gefällt mir jetzt auch der Big Boxer der BMW R 18. Mit der R 18 hatte ich sogar beruflich zu tun – doch leider hat sie viel zu wenig Schräglagenfreiheit.
Bereits bei Ricardo in Schwäbisch Gmünd hatte ich die Motorrad-Entwicklung geleitet und überwiegend Entwicklungsprojekte im Auftrag von BMW bearbeitet, aber auch für einige andere Motorrad-Hersteller. Dabei habe ich fast jedes Jahr irgendein Patent angemeldet. Unter anderem auch Motorradantriebe mit Aufladung und Direkteinspritzung. Oder automatisierte Schaltgetriebe, damit war ich schon 2012 auf Tournee bei potenziellen Kunden. Direkt im Anschluss an meine Tätigkeit bei Ricardo ging das noch einige Jahre so weiter beim Ingenieurbüro FEV. Und dort bekamen wir irgendwann eine Anfrage von Great Wall Motor (GWM) aus China, da ging es um die ersten Ansätze einer Motorrad-Entwicklung. Meine Kollegen aus dem Vertrieb baten mich dann, eine Präsentation dafür vorzubereiten. Schon damals lautete die Ansage: "Kategorie Gold Wing". Aus diesem Kontakt heraus wurde ich direkt von GWM abgeworben und wanderte deswegen nach China aus. Das war 2020.
Was sollte mir schon passieren? Ich war damals 59, und diese Herausforderung kam mir gerade recht. Aber leicht war das Auswandern dann tatsächlich nicht: Zu ungefähr einem Drittel lief es so, wie ich es mir vorgestellt hatte, zu einem Drittel ganz anders – und zu einem Drittel schlimmer. Zumal es ausgerechnet im Jahr 2020 war, Stichwort: Corona.
Wei Jianjun, der als Jack Wei international bekannte GWM-Chef, ist schon seit den 1980er-Jahren motorradbegeistert, fast so lange wie ich. Er besitzt ebenfalls viele Motorräder, unter anderem eine BMW K 1600, eine Honda Gold Wing und eine Honda Valkyrie Rune. Die und die Boxer-Motoren haben ihn besonders fasziniert, deshalb wollte er, dass sein Unternehmen eigene Motorräder entwickelt.
Der Name Souo wurde abgeleitet vom englischen Begriff soul für Seele, allerdings bewusst aus dem Englischen leicht abgeändert – übrigens vom Chef persönlich. Souo Motorcycle ist eine eigens gegründete Motorrad-Firma, wir sind inzwischen rund 400 Leute, davon 200 in der Entwicklung.
Dass wir richtig groß loslegen wollen, das war von Anfang an klar. Bevor ich kam, war anfangs noch mit sechs Zylindern geplant worden, aber ich empfahl dann ausdrücklich, zwei Zylinder draufzupacken. Eigentlich hatte ich damals einen V8 im Sinn, aber Jack Wei wollte unbedingt einen Boxer haben. Und, ja, den der Gold Wing toppen. Also 8 statt 6 Zylinder und 2 Liter Hubraum. Auf ein Doppelkupplungsgetriebe (DCT) bestand der Boss ebenfalls und wollte auch hier mehr, deshalb haben wir jetzt 8 statt 7 Gänge.
Ja, die Herangehensweise ist anders. Wobei hinter den Kulissen alle Hersteller vorhandene Details oder ganze Konzepte übernehmen, da habe ich früher so einiges gesehen und mitbekommen. Manche Lösungen ergeben sich mehr oder weniger zwangsläufig, wie zum Beispiel die "Hossack-Gabel". Das Ziel war, in allen Bereichen zumindest gleich oder besser zu werden. Und kopieren würde ich nicht sagen, du schaust dir die anderen Lösungen an und stellst dann fest, dass Änderungen und Verbesserungen sinnvoll oder gar nötig sind.
Mehr Leistung als die Gold Wing. Deutlich mehr. Das wollte Jack Wei, und ich wollte es auch, aber das fällt einem nicht in den Schoß, nur weil man zwei Zylinder mitsamt Hubraum draufpackt. Es soll ja richtig gut funktionieren, sauber abgestimmt sein und zuverlässig laufen. Als Ergebnis haben wir jetzt über 150 PS, immerhin 25 PS mehr als bei der Gold Wing. Die andere große Herausforderung war das Doppelkupplungsgetriebe (DCT) sowie dessen Abstufung und Abstimmung. Mit optimalen Schaltpunkten, sowohl bei langsamer als auch bei schneller Fahrweise. Das hat unzählige, insgesamt wohl die meisten Test-Stunden, beziehungsweise Test-Wochen beansprucht. Vorteil war hierbei allerdings das bereits vorhandene Know-how aus dem Pkw-Bereich, denn mit Doppelkupplungsgetrieben ist GWM sehr erfolgreich. Eine andere Herausforderung war die Balance zwischen Komfort und Dynamik, zumal bei dem hohen Gewicht. Dank semi-aktiver Fahrwerksregelung haben wir das ziemlich gut hinbekommen, und zwar ohne suboptimale Kompromisse machen zu müssen.
Ja, selbstverständlich haben wir das. Und unser Ergebnis kann sich wirklich sehen lassen. Unser DCT funktioniert deutlich besser als das von Honda. Nicht nur, weil wir einen Gang mehr haben, unsere Steuerungs-Software ist tatsächlich eine Generation weiter. Das funktioniert jetzt in 98 Prozent aller Situationen so, wie wenn ich selbst schalten würde. Und dann ist da natürlich der 8-Zylinder-Boxer, der dem 6-Zylinder-Boxer ab 1.400/min davonzieht. Von 0 auf 100 km/h schaffen wir in 3,5 Sekunden. Und der Sound ist auch stärker: richtiger 8-Zylinder-Sound, nicht nur so dezentes Gesäusel wie bei Honda. Beim Fahrwerk haben wir ebenfalls deutlich spürbare Vorteile durch unsere semi-aktiven Komponenten, die wir gemeinsam mit Sachs entwickelt haben.
Ja. Auch hier wollten wir die Gold Wing toppen. Die ist bei 180 km/h abgeregelt, unsere Souo S 2000 erst bei 210 km/h. Stabil möglich wären bei uns sogar bis zu 240 km/h. Dafür haben wir eigens spezielle Reifen entwickelt, zusammen mit dem chinesischen Reifenhersteller CST – der übrigens sehr kooperativ war im Gegensatz zu den europäischen Reifenherstellern …
Ja, für mich war das von Anfang an klar, und nun können wir es ganz deutlich sagen: Souo-Motorräder soll es mittelfristig auch außerhalb Chinas geben. Wir wollen in Europa einsteigen. Und in den USA gibt es bekanntlich auch einige 8-Zylinder-Fans …
Details kann und darf ich dazu noch nicht verraten. Nur schon mal so viel: Wir haben unsere Modell-Strategie bis 2030 definiert. Und wir testen bereits diverse Referenz-Modelle mit Vierzylinder-Motoren. Aber auch Reiseenduros, weil das Marktpotenzial in diesem Bereich am größten ist. Also die Honda Africa Twin – und die BMW R 1300 GS.
Das ist uns bewusst, und wahrscheinlich ist das letztlich die größte Herausforderung. Für konkrete Pläne oder gar Ansagen ist es noch zu früh. Wenn wir in Europa Erprobungsfahrten machen – voraussichtlich ab Frühjahr oder Sommer 2025, dann wollen wir dabei auch die Fühler nach potenziellen Vertriebspartnern ausstrecken.
Eure Kundschaft kennt Ihr ja selbst. In China fährt man mit dem Motorrad zur Arbeit und am Wochenende mit den Kumpels in die Berge. Die Kultur ist viel offener als bei uns. Man teilt ein Hobby, und das vereint. Für immer mehr Leute in China sind Motorräder aber auch Prestige-Objekte und Hobby-Geräte, also wie für die meisten Europäer. Da ist einiges in Bewegung. Topspeed ist nicht so stark bewertet wie etwa in Deutschland, wo es ja immer noch Streckenabschnitte ohne Tempolimit gibt. Wobei man es in China durchaus auch mal laufen lassen kann, im Hinterland, in den Bergen. Man muss dabei halt "die Kirche im Dorf lassen". Chinesische Verkehrspolizisten habe ich übrigens bisher nur entspannt erlebt, die zeigen hier und da mal Präsenz – aber ohne die Leute zu schikanieren oder abzuzocken. Also anders als etwa in Deutschland.
Ja. Ich habe gerade noch einmal meinen Vertrag bei Souo verlängert, um 3 Jahre. Und dann: Schau’n wir mal. Nach Deutschland zurückkehren will ich jedenfalls nicht, das Leben in China ist insgesamt entspannter, für mich angenehmer. Und ich bin dort am Puls der Zeit: Wie schnell dieses Land sich entwickelt, wie stolz die Chinesen darauf sind, was sie und ihr Land erreicht haben. Das ist wirklich eine andere Welt.