Report: Hausdurchsuchung wegen 48 km/h zu schnell

Hausdurchsuchung wegen 48 km/h zu schnell
Aufmachen, Polizei!

Veröffentlicht am 14.02.2013
Aufmachen, Polizei!
Foto: jkuenstle.de

Auf den Vorwurf des Ordnungsamts des Städtchens Pfullendorf (13900 Einwohner, Bodenseegegend) reagiert Robert Huber (50)* genau so, wie es ihm jeder vernünftige Anwalt empfehlen würde: Er schweigt, und zwar eisern. Der Vorwurf lautet: Der Naturwissenschaftler soll an einem Sommernachmittag 2012 mit seiner 15 Jahre alten Boxer-BMW auf einer Landstraße in Baden-Württemberg zu schnell gewesen sein. "Mithin beträchtlich" zu schnell, wie es eine 31 Jahre alte Richterin eines Amtsgerichts in der baden-württembergischen Provinz formuliert. "Mithin beträchtlich" heißt konkret: 48 km/h über dem erlaubten Landstraßenmaximum von 100 km/h - eine Ordnungswidrigkeit, für die der Bußgeldkatalog 160 Euro, drei Punkte und einen Monat Fahrverbot vorsieht.

Beschlagnahme von Motorradschutzbekleidung

Um dieses Vergehen aufzuklären, hat die Richterin auf Veranlassung des Ordnungsamts bei Robert Huber eine Hausdurchsuchung angeordnet. Ihr Zweck: Die "Beschlagnahme" von "Motorradschutzbekleidung (insbesondere Oberbekleidung) und Motorradhelm", heißt es im dazugehörigen Beschluss. Das Ziel, so heißt es weiter: "Falls ein gerichtliches Verfahren folgt, dienen die aufzufindenden Gegenstände dem Zwecke eines Augenscheines durch den Bußgeldrichter und einer eventuellen sachverständigen Auswertung nach von dem Betroffenen verursachten Tragespuren." Auf gut Deutsch: Wenn es zum Prozess kommt, sind Jacke und Helm Indizien, um Robert Huber als Raser zu überführen.#

"Ja, ich bin der Halter dieses Motorrads", das sagt Robert Huber offiziell - und gegenüber MOTORRAD ergänzt er noch: "Ich fahre gern. Und wenn, dann meist in der Gruppe gemeinsam mit Freunden." Ob er sich erinnern kann, dass er am betreffenden Tag mit der BMW an der betreffenden Stelle war? Kein Kommentar. Robert Huber will weder sich noch andere belasten. Das ist sein gutes Recht, auch gegenüber der Bußgeldstelle von Pfullendorf, die ihm einen Anhörungsbogen nach Hause geschickt hat. Darin einkopiert ist ein unscharfes Schwarz-Weiß-Foto. Das Gesicht unter dem Helm, von dem im Profil nur ein Auge mit Braue und die Nase erkennbar sind, soll seines sein, gemessen und in flagranti geblitzt mit eben jenen 148 km/h. Ob er das auf dem Foto ist? Robert Huber schweigt.

Gesprächig wird er erst, wenn es darum geht, was rund drei Monate später, an einem Freitag im Herbst, morgens um sieben in seiner Wohnung passiert ist: "Ich wollte gerade aufstehen, als es plötzlich Sturm klingelte. Vor der Tür standen drei Polizisten in Uniform und eine Verwaltungsangestellte in Zivil. Ich öffnete im Bademantel, und einer der Polizisten erklärte mir, er habe hier einen Hausdurchsuchungsbefehl. Das dreiseitige Schreiben hielt er mir auch gleich unter die Nase." Gesucht würde, so eröffnete ihm der Beamte in der Tür, nach seiner Motorradjacke und dem Helm.

Huber las sich den Beschluss durch und konnte es erst gar nicht glauben: "Die sollten wirklich in meine Wohnung eindringen dürfen, weil ich angeblich zu schnell gefahren war? ,Das ist ja schon ganz schön heftig, oder?‘, sagte ich zu dem Polizisten. Der gab mir keine Antwort, meinte nur, ich könne Jacke und Helm auch freiwillig rausgeben." Das erschien Huber als das in dem Moment Vernünftigste: "Die Jacke, eine schwarze Probiker-Allerweltsjacke von Polo, hing sowieso im Flur genau hinter mir. Und der Helm, einfarbig silber von Louis, war auf dem Motorrad in der Garage. Dafür gingen wir gemeinsam runter. Nach zehn Minuten war alles vorbei, die Polizisten gaben mir eine Art Quittung für Jacke und Helm, dann stiegen sie in ihren Streifenwagen und fuhren weg. Etliche Nachbarn guckten aus den Fenstern - hier kennt jeder jeden -, ich will nicht wissen, was die dachten. Gefühlt habe ich mich wie ein Schwerverbrecher."Auf das Erlebnis hin ging Robert Huber zum Anwalt. Der legte Beschwerde ein. Die wurde abgelehnt. Nun wartet Huber auf ein Wiedersehen mit seinen Motorradsachen im Gerichtssaal. Ein Termin für die Verhandlung steht noch nicht fest.

Jürgen Hess ist Leiter des Ordnungsamts Pfullendorf, das die Hausdurchsuchung beantragt hat. Zum Fall von Robert Huber schweigt auch er - mit Hinweis auf das laufende Verfahren. Zum Thema Hausdurchsuchung bei Motorradfahrern allgemein sagt er jedoch: "Die Bußgeldstelle der Stadt Pfullendorf beantragt beim Amtsgericht erst seit 2012 in bestimmten Fällen von Verkehrsordnungswidrigkeiten durch Motorradfahrer Hausdurchsuchungen. Es handelt sich bis jetzt um zwei Fälle. Bevor wir eine Hausdurchsuchung beantragen, versuchen wir über anderweitige Ermittlungen zu klären, wer Fahrzeuglenker war.
Wenn Motorradfahrer geblitzt werden und der Fahrzeughalter die Fahrereigenschaft bestreitet oder keine Angaben macht, kann auf diese Weise eine Identifizierung möglich sein. Eine Hausdurchsuchung darf nur auf richterliche Anordnung durchgeführt werden und kommt nur bei hinreichendem Tatverdacht und nur bei erheblichen Verkehrsverstößen in Betracht (zum Beispiel, wenn ein Fahrverbot droht oder wenn eine Eigen- oder Fremdgefährdung billigend in Kauf genommen wird), es handelt sich um Einzelfallentscheidungen."

Und auf die MOTORRAD-Nachfrage, was 2012 der konkrete Anlass war, dass es durch sein Amt erstmals zu einer Hausdurchsuchung bei einem Motorradfahrer kam: "Ich habe erst 2012 erfahren, dass eine solche Maßnahme rechtlich möglich ist."

*Alle persönlichen Daten des Betroffenen wurden durch die Redaktion geändert

Allgemeines zur Hausdurchsuchung

Die Durchsuchung der Wohn- oder Geschäftsräume und Beschlagnahme von Beweismitteln zur Identifizierung und Überführung eines Verdächtigen ist prinzipiell nicht nur bei Straftaten, sondern auch bei Ordnungswidrigkeiten zulässig.
Eine Wohnungsdurchsuchung kommt dabei nicht nur bei Geschwindigkeitsüberschreitungen, sondern auch bei anderen schwerwiegenden Straßenverkehrsdelikten in Betracht, beispielsweise einem Rotlichtverstoß.

Generell ist eine solche Maßnahme, welche stets einen erheblichen Eingriff in das grundrechtlich geschützte Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung gemäß Artikel 13 GG darstellt, nur bei schwerwiegenden Verkehrsordnungswidrigkeiten zulässig. Zudem sind weitere Voraussetzungen notwendig.Voraussetzungen der Wohnungsdurchsuchung wegen Verkehrsordnungswidrigkeiten Zunächst muss die Verhältnismäßigkeit gewahrt werden. Hierbei ist eine Abwägung zwischen der Schwere des Vergehens und dem Ausmaß und der Beeinträchtigung vorzunehmen. Eine Wohnungsdurchsuchung wegen leichter Verkehrsdelikte scheidet also aus.

Zudem muss die Wohnungsdurchsuchung auch zielführend, mithin für die Aufklärung des Vergehens zwingend notwendig sein. Hieran fehlt es, wenn beispielsweise der betroffene Fahrer eines Fahrzeugs mittels bei der Radarkontrolle aufgenommenen Lichtbilder oder anderer Beweismittel identifiziert werden kann. Die Wohnungsdurchsuchung muss somit das einzige Mittel darstellen, um festzustellen, wer für die Geschwindigkeitsüberschreitung verantwortlich war.

Auch das Ausmaß möglicher Auswirkungen auf das Ansehen der von der Durchsuchung betroffenen Person ist in die Abwägung mit einzubeziehen. Zudem ist dem Betroffenen die Möglichkeit einzuräumen, die zu beschlagnahmenden Gegenstände freiwillig herauszugeben und damit die Durchsuchung abzuwenden.

Die aktuelle Entscheidung

Aktuell wurde per Amtsgerichtsbeschluss die Durchsuchung der Wohnräume des Fahrzeughalters angeordnet. Ziel war Beschlagnahme der Motorradbekleidung des Halters, um diese mit der Bekleidung des Fahrers auf dem Messfoto zu vergleichen.

Die Geschwindigkeitsüberschreitung war mit 148 km/h anstatt der erlaubten 100 km/h beträchtlich, zudem droht bei einer solchen Verkehrsordnungswidrigkeit ein Fahrverbot. Auch eine andere Art und Weise der Ermittlung des Fahrers des Motorrads scheidet wohl aus, da das Messfoto wenig Anhaltspunkte im Hinblick auf die Identität des Fahrers liefert. Fraglich ist jedoch, ob die beschlagnahmte Motorradbekleidung des betroffenen Fahrzeughalters als taugliches Beweismittel für die Geschwindigkeitsüberschreitung herhalten kann.

In der Begründung des Beschlusses wird ausgeführt, dass die Körpermaße des Betroffenen mit der beschlagnahmten Bekleidung verglichen werden können und mithin für den Fall eines gerichtlichen Verfahrens als Beweismittel dienen können.
Es wird in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass Motorradbekleidung in aller Regel nicht verliehen werde und diese deshalb Rückschlüsse auf den Fahrer am Tattag zuließe.

Zumindest in diesem Punkt kann der Entscheidung des Amtsgerichts nicht unbedingt gefolgt werden. Die Tatsache, dass eine bestimmte Bekleidung eines Fahrzeughalters mit der Bekleidung des Fahrers auf einem Messfoto übereinstimmt, lässt nicht zwingend auf die Fahrereigenschaft schließen. So hat der Autor dieses Beitrags in der Vergangenheit bereits seine XT 600 Ténéré nebst Helm und Motorradjacke an einen Bekannten verliehen.

Es stellt sich also die Frage, ob mittels Inaugenscheinnahme der Motorradbekleidung die Fahrereigenschaft nachgewiesen werden kann. Aus Sicht des Verfassers eben nicht, weshalb es letztlich auch an der Notwendigkeit der Wohnungsdurchsuchung und Beschlagnahme der Motorradbekleidung fehlt. Das Landgericht Tübingen hat dies in einem anderen Fall jedoch nicht so gesehen und mit Beschluss vom 29.12.2011 (Az.: 1 Qs 248/11 Owi) die Hausdurchsuchung und Beschlagnahme der
Motorradbekleidung zur Identifizierung eines betroffenen Motorradfahrers für geeignet und somit rechtmäßig erachtet.
Dennoch stellt sich die Frage, ob in diesen Fällen nicht mit Kanonen auf Spatzen geschossen wird. Nicht umsonst regelt § 31a StVZO die Verhängung einer Fahrtenbuchauflage für die Fälle, in welchen der Fahrer eines in eine Verkehrsordnungswidrigkeit verwickelten Fahrzeugs nicht ermittelt werden kann. Eine solche Fahrtenbuchauflage würde eine andere, verhältnismäßigere Form der Prävention und Sanktionierung von schweren Verkehrsdelikten darstellen.

"Was sollen wir denn sonst tun?"

Fassen wir mal zusammen: Da blitzt die Polizei einen Motorradfahrer, der zu schnell ist, und schickt dem vermeintlichen Raser, dem Halter des Motorrads, ein Knöllchen. Der streitet die Tat ab, was sein Recht ist, und wenige Wochen darauf steht die Polizei mit einem Hausdurchsuchungsbeschluss in der Tür.

Ersteres kennen einige von uns aus eigenem Erleben. Letzteres wohl aber nur aus dem "Tatort" am Sonntagabend. Und damit sind wir beim Thema: Hier wird ein Bürger, der möglicherweise eine Ordnungswidrigkeit begangen hat, ohne aber einen anderen gefährdet oder gar verletzt zu haben, behandelt wie ein potenzieller Verbrecher.

Damit eines klar ist: Es gibt Spielregeln, die besagen, dass man nicht zu schnell fahren darf. Wer es doch tut und erwischt wird, der zahlt Bußgeld und geht möglicherweise für eine Weile zu Fuß. Das ist völlig in Ordnung. Aber ist es auch in Ordnung, das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung anzutasten, um diese Spielregeln durchzusetzen?

Ein Polizist, der nicht genannt werden möchte, stellte darauf die Gegenfrage: "Was sollen wir denn sonst tun, wenn einer nix zugibt?" Die Antwort, die freilich die Ordnungsämter und Gerichte geben müssen, deren Weisungen die Polizei befolgt, muss lauten: so weitermachen wie bisher. Denn es gab auch bisher Mittel und Wege, Raser zu überführen, ohne sie gleich zu kriminalisieren. Alles andere wäre ein Armutszeugnis für den Rechtsstaat. Ein gefährliches obendrein.