Neuer KTM-Chef Neumeister im Interview: "Ich halte gern mein Wort"

KTM-Chef Gottfried Neumeister im Interview
„Ich halte gern mein Wort“

ArtikeldatumVeröffentlicht am 17.10.2025
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KTM CEO Gottfried Neumeister im Interview (10/2025)
Foto: KTM

Seit dem 23. Januar 2025 ist Gottfried Neumeister alleiniger CEO der Pierer Mobility AG und KTM AG. Am 1. September 2024 trat der Österreicher als Co-CEO neben Stefan Pierer ins Unternehmen ein. Neumeister begann seine Karriere nach dem Wirtschaftsstudium in Wien und den USA bei Siemens Austria. 2003 gründete er mit Niki Lauda die Fluggesellschaft flyniki und blieb bis zu deren Verkauf. Dann kam der Wechsel 2012 in den Vorstand von DO & CO, einem Groß-Caterer.

KTM CEO Gottfried Neumeister im Interview (10/2025)
KTM
Die jüngste KTM-Vergangenheit war turbulent, wie sind die Besitzverhältnisse an KTM denn jetzt genau?

Noch hat sich an den Eigentumsverhältnissen nichts geändert, weil wir auf die regulatorischen Freigaben warten. Diese betreffen die Kartellbehörden in sechs unterschiedlichen Ländern, die Übernahmekommission und die Subventionskontrolle auf EU-Ebene. Sobald diese vorliegen, wird Bajaj 100 Prozent der Anteile von Stefan Pierer übernehmen. Die Pierer AG, an der Bajaj bereits beteiligt ist, hält 75 Prozent Anteile an KTM. 25 Prozent entfallen auf andere Investoren. Also nach Zustimmung aller Behörden, wovon ich noch in diesem Kalenderjahr ausgehe, wird KTM zu 75 Prozent Bajaj gehören.

Sie haben bereits strukturell viele Weichen bei KTM gestellt und ein eigenes Team im Vorstand aufgebaut.

Ja, und ich bin noch weiter dabei, das neue Führungsteam aufzubauen. Es ist ganz klar, KTM soll eigenständig bleiben, ein eigenständiges Management haben. Somit ist es auch dem CEO überlassen, hier ein eigenes Management-Team zusammenzustellen. Petra Preining ist seit September unsere Finanzvorständin. Es werden sicher noch die eine oder andere Verstärkung dazukommen. Als ich kam, gab es sechs Vorstände in allen Bereichen. Über viele Monate waren meine Kollegin Verena Schneglberger-Grossmann und ich nur zu zweit im Vorstand von KTM.

Rund um KTM gab es ein Firmenkonglomerat aus Zulieferern und ausgesourcten Dienstleistern, die teilweise in den Insolvenzstrudel gerieten – etwa die Gießerei. Wie hat KTM sich hier sortiert?

In Sachen Firmengeflecht lautet die große Headline Simplifizierung und Fokussierung. Für KTM heißt das, Fokussierung auf den Motorradmarkt und nicht etwa, auch im Fahrradmarkt aktiv zu sein. Wenn wir dann auf den Motorradmarkt schauen, gilt auch hier Simplifizierung. Wir haben uns von MV Agusta getrennt. Das X-Bow-Projekt werden wir auch beenden. 2024 haben wir 36 Stück verkauft. Das ist ein tolles Produkt, passte aber nicht in unseren Fokus. Auch beim Firmen-Konglomerat vereinfachen wir und holen manche Themen, die in andere Unternehmen ausgelagert waren, zurück zu KTM.

Können Sie uns Beispiele nennen?

Es gab eine Reihe von Gesellschaften, wie die Pierer Innovation, Pierer E-Commerce, Avocodo, KTM Technologies, wo wir verschlanken konnten und können. Wir haben die wirklich notwendigen Unternehmensbereiche reingeholt und uns von anderen getrennt. Wir werden strukturell und gesellschaftsrechtlich in Zukunft viel schlanker sein. Auch da ist der Prozess noch nicht abgeschlossen. Unser Ziel ist eine leistungsstarke Gesellschaft.

Externe Zulieferer mussten in der Sanierung auf gewaltige Ansprüche verzichten. Nun bauen Sie wieder Motorräder. Ist das dafür nötige Vertrauen wieder komplett zurück?

Wir haben uns über einen langen Zeitraum ein sehr großes Vertrauenskapital erarbeitet und müssen das natürlich bei unseren Zulieferern sowie bei den Kunden und Händlern wieder zurückgewinnen. Gleichzeitig haben wir sowohl bei den Zulieferern, aber auch bei unseren Händlern, eine unfassbare Loyalität erleben dürfen. Sie sind allesamt mit uns gegangen und zu uns gestanden. Ich weiß, dass das für den einen oder anderen selbst sehr herausfordernd war. Wir versuchen, jenes Vertrauen wieder aufzubauen, indem wir maximal transparent gegenüber den Lieferanten und verbindlich bei unseren Orders sind, sodass mein Gegenüber entsprechend sicher planen kann. Und wir müssen natürlich auch pünktlich bezahlen. Wir haben die Produktion mit 100 Prozent Vorauskasse begonnen. Jetzt geht es darum, zu zeigen, dass wir das können. Durch den Einstieg von Bajaj mit 800 Millionen Euro konnten wir 600 Millionen Euro für Altschulden aufwenden. 200 Millionen Euro waren für den Re-Start. Das ist zumindest finanziell eine völlig andere Situation als vor einem Jahr, als wir 1,8 Milliarden Schulden hatten. Wir haben viele Versprechen in der Vergangenheit gebrochen. Ich halte gern mein Wort und Versprechungen, die ich abgebe. Deswegen sind wir alle bei KTM mit der ganzen Belegschaft dankbar, solche Partner zu haben, die in so schwierigen Zeiten zu uns gestanden sind. Es ist das Zusammenspiel nicht nur aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sondern auch unserer Lieferanten und unserer Händler, ohne die es KTM so nicht mehr gäbe.

Sie haben von Simplifizierung gesprochen. MV Agusta haben Sie erwähnt. Was ist mit den anderen Marken?

Den Vertrieb für CFMoto haben wir aufgegeben. Aber wir haben eine hervorragende Partnerschaft mit CFMoto, unser Joint Venture in China besteht schon seit elf Jahren, wo wir die 790-Modelle produzieren. Unsere Vertriebler hatten MV Agusta, CFMoto, GasGas, Husqvarna und KTM. Das waren in der Spitze 52 unterschiedliche Kampagnen. Im Vertrieb ist es fast unmöglich, da den Fokus zu behalten. Jetzt sind die Sparte Fahrrad, MV Agusta, X-Bow und CFMoto weg. Das heißt, es bleiben drei Marken: KTM, GasGas und Husqvarna – wobei wir uns ganz klar auf KTM fokussieren. Was aber nicht heißt, dass wir die anderen beiden aufgeben. Beide Marken bleiben im Konzern, allerdings wird es auch hier Änderungen geben. Man kann sich das als Analyse anschauen, was durch die Hinzunahme der jeweiligen Marke passiert ist: Kannibalisierung. Haben wir es tatsächlich geschafft, eine Differenzierung für den Kunden hinzubringen? Nur weil ich etwas günstiger anbiete und beispielsweise eine unpolierte Felge einbaue, die auch noch billig ausschaut, ist das Produkt nicht wirklich günstiger. Stattdessen habe ich ein schlechteres Produkt für Kunden – das ist für mich keine Differenzierung. Und ich glaube auch nicht, dass gerade im Motocross durch eine zehnprozentige Preisreduktion mehr Fahrerinnen und Fahrer ein MX-Motorrad kaufen. Ich fische hier im selben Teich. Wir haben zu Spitzenzeiten eine Komplexität mit 84 Modellen im MX- und Enduro-Segment über drei Marken geschaffen. Abseits der reinen Wettbewerbsmotorräder muss ich für jedes Modell eine Homologation machen, ich muss Prüfstands- und Testfahrten machen, ich muss die Teile vorhalten. Ich habe etliche Teilenummern und das Lager dazu, das über zehn Jahre für jedes dieser Modelle auch Ersatzteile haben muss. Damit ist immenses Kapital gebunden. Teilweise haben wir von einzelnen Modellen 300 bis 500 Stück im Jahr weltweit verkauft. Aufwand und Outcome müssen hier näher zusammengeführt werden. Simplifizierung heißt, die Komplexität rausnehmen. Damit werden wir sehr viele Entwicklungskosten, Vorhaltekosten für Ersatzteile und so weiter sparen. Das wird sowohl im Offroad-Bereich wie auch bei den Straßenmodellen passieren. Von der 125 bis zur 1390, das bleibt. Das müssen wir über alle Marken hinweg machen – aber nicht in der vollen Breite. Es wird darum gehen, nicht mit allen drei Marken in allen Segmenten aufgestellt zu sein, aber jede der drei Marken wird sicher Teil unserer Gruppe bleiben. Man muss den wahren Markenkern herausarbeiten und schauen, wen man damit anspricht. Denn wir haben ein sehr scharfes, sehr spitzes, ganz klares Markenprofil bei KTM. Als wir die erste 790 herausbrachten, war sie zu weichgezeichnet. Es gibt einen sehr schmalen Grat, was eine KTM sein oder nicht sein kann. Nicht an den Kunden vorbeiarbeiten, sondern eben wieder auf sie zu hören, ist das Gebot. Für mich ist eine Adventure beispielsweise wie ein Schweizer Taschenmesser. Die muss universell sein. Einmal fahre ich in die Stadt, das andere Mal möchte ich in die Berge und eventuell auch auf Schotterstraßen fahren. Aber was ich nicht möchte ist, dass mir nach 500 km mein Hintern wehtut, weil eine gewisse Härte besser zum Slogan "Ready to race" passt. Passt das zur Adventure? Nein. Ich finde es sehr spannend, das mit dem Team zu erarbeiten. In manchen Fällen gab es vielleicht auch Modelle, die nicht so zu uns gepasst haben. Wir müssen je Modell genau die richtigen Märkte identifizieren. Wir haben über 20 Mal die Rallye Dakar gewonnen. Wenn Sie so wollen, haben wir diesen Markt für uns kreiert, dann kann ich diesen Markt nicht aufgeben. Ich muss also das richtige Produkt bringen, wie es sich der Kunde wünscht. Ich muss mit dem richtigen Produkt, mit der richtigen Innovation wieder einen Fuß in die Tür bekommen und mir ein Stück vom Kuchen holen.

Sie haben aber die Schwierigkeit, dass die drei Marken sehr offroadig assoziiert sind. Auf der anderen Seite hat die Straße bei KTM seit der ersten Duke vor 30 Jahren schon eine gewisse Geschichte. Bei Husqvarna und GasGas dagegen nicht. Wie positioniert man die Marken?

Ich kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht allzu viel preisgeben, aber wir haben einen klaren Plan erarbeitet. Wir nennen das "structure follows strategy". Ich muss den Konzern entsprechend aufstellen und auf dieses Ziel ausrichten. Es wird nicht jede Marke in der vollen Breite agieren. Und vielleicht auch eben in einem deutlich kleineren Umfang. Der Fokus liegt auf KTM – mehr denn je.

KTM steht für ein extrem polarisierendes Design. Man erkennt eine KTM sofort – mag es oder nicht. Das hat mit der engen Verbindung zu Kiska Design zu tun. Wird Kiska das Design der Marken weiter bestimmen oder gibt es Überlegungen, etwa die anderen Marken anderen anzuvertrauen?

Gerald Kiska und sein Team haben einen unglaublichen Job gemacht. Ihnen ist es zu verdanken, dass KTM so ein klares und scharfes Profil hat. Auch, wenn man mit einem Partner sehr eng und sehr lange zusammenarbeitet, kann man es zulassen, auch mal Input von außen zu holen und zu sagen, okay, wenn ich zehn Projekte habe, kann ich acht mit einem Partner machen und vielleicht ein, zwei im Jahr auch mit jemand anderem. Einfach, um wieder neue Ideen und frisches Blut reinzubekommen. Ich bin fest davon überzeugt, dass das Setup der vergangenen Jahre kein zukunftsträchtiges ist, weil für mich Design, Produktentwicklung und vor allem strategische Produktentwicklung Dinge sind, die ganz klar unter dem Dach von KTM verankert sein müssen. Wir sind schon dabei, ein eigenes Designcenter aufzubauen mit einer eigenen Verantwortung. Was aber umgekehrt nicht heißt, dass wir nicht gerne, und ich sage das bewusst, gerne auch mit Kiska weiter zusammenarbeiten werden – aber vielleicht in einer anderen Form.

Ihr Vorgänger Stefan Pierer war ein sehr meinungsstarker Mensch, auch was Motorräder angeht. Pierer war sehr nah dran an der Entwicklung und den Entscheidungen, in welche Richtung man welches Motorrad entwickelt. Wie nah sind Sie dran?

Es gibt keinen anderen Weg als eine Sache von der Pike auf nicht nur zu lernen, sondern auch dabei zu sein. Das hat nichts mit Mikromanagement zu tun. Das ist einfach das, womit wir unser Geld verdienen: unsere Produkte. Das kann man nicht delegieren. Ich sehe es daher als meine absolute Verantwortung, in all diese Prozesse involviert zu sein. Ich kann Ihnen sagen, dass ich zur neuen Six Days und den neuen Hardenduros meinen Input gegeben habe. Wobei ich mir immer bewusst bin, dass der Wurm nicht dem Fischer, sondern dem Fisch schmecken muss. Genau das ist nämlich sehr gefährlich, vor allem wenn es um Design geht, dass es zu einer Geschmacksdiskussion wird. Da muss ich in erster Linie zuhören sowie daten- und faktenbasiert dann entscheiden, weil der Markt manche Dinge besser, andere schlechter angenommen hat. Für mich geht es dabei aber auch um Konstanz. Wenn ich mir heute Farbgebung und Formsprache bei einigen Modellen anschaue, dann ist es mitunter schwierig, einen orangenen Faden zu finden. Manchmal habe ich einen orangefarbenen Rahmen. Dann gibt es noch ein Sondermodell mit ganz anderer Farbgebung. Dann wechselt es von Modelljahr zu Modelljahr wieder – die ehemalige Sondermodellfarbe ist jetzt die vom Serienfahrzeug. So ist das vor allem bei den Offroad-Modellen. Bei der ganzen Adventure-Reihe sehe ich keine klare Wiedererkennung dessen, was wir eigentlich nur mit einer Farbsprache tun wollen. Wir müssen eine klare Sprache auf der einen und auch die Besonderheiten der jeweiligen Modelle auf der anderen Seite herausarbeiten. So wird es für den Kunden wieder nachvollziehbar – da wollen wir hin. Als ich am Anfang selbst auf unsere Homepage geschaut habe, war ich überfordert, mich unter diesen vielen Modellen zurechtzufinden. Das ist nicht kundenfreundlich.

Sind Sie aktiver Motorradfahrer?

Ich bin in meiner Jugend mit einer LC4 640er Duke gefahren – in Gelb/Schwarz. Ich habe eigentlich versprechen müssen, dass ich nicht mehr fahre. Dann wollte meine 13-jährige Tochter fahren, weil ich mit meinem kleinen Sohn so viel in der Schottergrube war. Also kam die Freeride und ich habe gesagt, so, jetzt muss ich auch wieder fahren. Ich bin mit einer 250er vornehmlich offroad unterwegs. Aber ja, sagen wir mal so, vielleicht, wenn wir uns in zwei Jahren sehen, bin ich dann auch wieder begeisterter Straßenfahrer.

Sie haben China als Produktionsstandort der 790-Modelle, Indien natürlich mit den Einsteigermotorrädern, und es war immer KTM-Credo: Premium ist Mattighofen. Ist das in der neuen Konstellation weiterhin Strategie? Bajaj-Chef Rajiv Bajaj bezeichnete die Produktion in Europa in einem Interview unlängst als tot.

Für mich war das ein provokanter Weckruf an Europa generell. Die Aussage war nicht auf diesen Industriezweig bezogen. Ich kann sagen, dass es ganz klar weiter Ziel bleibt, die Produktion hier in Österreich zu erhalten. Das wird auch von Rahmenbedingungen abhängen, die wir alle nicht beeinflussen können. Aber zum Beispiel die Zweitakt-Offroad-Produktion ist ein so besonderes Produkt, auch was den Markt angeht, bei dem es meines Erachtens keinen Grund gibt, es zu verlagern. Dafür sind auch die Stückzahlen im Verhältnis zum Weltmarkt wirklich homöopathisch gering.

Also Premium-Modelle bleiben?

Ja, auch die Premium-Modelle wollen wir in Zukunft weiterhin in Österreich produzieren. Grundsätzlich stellen wir uns immer die Frage, was das Beste für KTM ist. Wir haben zwei Partner, mit denen wir global zusammenarbeiten können. Das sollten wir in jedem Fall nutzen. Zudem müssen wir uns – unabhängig von unserer Eigentümerstruktur – als Unternehmen immer fragen, was in-house, was outgesourced und was in einem anderen Werk für KTM sinnvoller ist. Von den gesamten Assemblierungskosten, die wir hier haben, sind nur rund acht Prozent wirkliche Personalkosten. 72 Prozent der Kosten sind Materialkosten. Der Hauptfokus unseres Effizienzprogrammes liegt daher auf den Materialkosten. Gelingt es uns, diese um 20 oder 30 Prozent zu senken, dann stellt sich die Frage nach den acht Prozent Personalkosten nicht mehr. Ein zweiter Punkt ist die Verschlankung unserer Prozesse. Ein großer Vorteil unseres Produktionsstandorts in Mattighofen ist, dass wir keinen Investitionsrückstau haben. Wir haben eine State-of-the-Art-Produktion – ohne Investitionsbedarf über die nächsten Jahre. Um also Ihre Frage zu beantworten: Es gibt aktuell keinen Plan, in irgendeiner Weise die Produktionen zu verlagern.

Wie geht es mit der Preisentwicklung weiter? Kann KTM nach den Rabattaktionen wieder Premium-Marke sein?

Viele kommen ja immer mit dieser Preis/Volumen-Matrix. Da fällt mir immer das Louis Vuitton-Beispiel ein. Louis Vuitton macht keine Analyse, wie viele Taschen mehr sie verkaufen können, wenn sie den Preis um 200 Euro senken. Sie heben ihn eher an, und sie können das über das Image. Sie arbeiten mit exklusiven Materialien, haben ein einzigartiges Design und verkaufen ein entsprechend hochwertiges Produkt. Das heißt, ich habe die Wahl, ob ich Fast Fashion oder Louis Vuitton in der Motorradbranche sein will. In unserem Fall will ich weiterhin der Beste sein. Wenn ich der Beste sein will, dann muss ich mein ganzes Handeln danach ausrichten. Da kann ich keinen Shortcut oder irgendetwas anderes nehmen. Mal in den Kontext externer Entwicklung und Produktion gesetzt: Wenn Asien einen Motor entwickelt, hat er 56 kg. Bei uns hat er 24 kg. Und wenn es um Leistung und um Performance-Teile geht, dann brauche ich leistungsfähige Lieferanten, die nicht aus China oder Indien kommen, die sind hier in der Nähe. Weil ich Qualität liefere, die entscheidend ist, darf ich diese DNA nie verlieren. Ich möchte nicht fünf Jahre hier sein, und dann ist KTM nur noch mittelmäßig oder halb so gut wie vorher. Mein Anspruch ist, KTM wieder zu einer der besten Motorradmarken der Welt zu machen, die leistungsfähigsten Motorräder zu einem marktgerechten Preis herzustellen. Ja, wir werden ab und zu Fehler machen, aber das muss mein Anspruch sein. Das will auch der Konzern, und daher ist es gut, in einem System zu stecken, wo ich manche Dinge günstiger bekomme, als ich das heute imstande bin zu tun. Das sind große Einkaufsgemeinschaften, durch die man zum Beispiel Versicherungsleistungen viel günstiger bekommen kann oder durch die man Finanzierungen günstiger bekommen kann, weil Bajaj sehr kreditwürdig ist. Ich kann in so vielen Bereichen sparen und mir gleichzeitig die Benefits rausholen. Ich darf aber nicht das, wofür ich stehe, in irgendeiner Weise aufgeben. Wir haben irgendwann einmal das Ziel, der Beste sein zu wollen, dem untergeordnet, der Größte sein zu wollen – um jeden Preis. Das wollen wir mit Sicherheit nicht mehr. Die Qualität muss stimmen, und wir müssen den Kunden in den Mittelpunkt stellen für hochwertige Produkte zu einem fairen Preis.

Zu Spitzenzeiten produzierte KTM global 326.000 Motorräder in einem Jahr. Was ist künftig an Volumen möglich?

Was gesund ist, hängt ein bisschen vom Zeitverlauf ab. Wir haben sehr viel Lagerbestand aufgebaut. Vor der Insolvenz waren 270.000 Motorräder auf Lager, davon 200.000 bei Händlern und Importeuren und 70.000 bei uns. Wir haben im Rahmen der Restrukturierung beschlossen, dass wir diese Mengen an Motorrädern nicht einfach so abverkaufen können. Das haben ja auch unsere Händler zu verkraften. Dafür muss ich ihnen Zeit geben. Einem Vertriebler hier dagegen nun zu erklären, dass er jetzt keine Motorräder verkaufen darf, ist auch schwierig. Aber diesen langen Atem müssen wir jetzt haben. Und auch den Mut, diese Verkäufe nicht zu machen. Früher hatten wir einen Zweischichtbetrieb in Österreich. Bei maximaler Auslastung waren das dann 220.000 Motorräder im Jahr. Jetzt haben wir auf einen Einschichtbetrieb runtergefahren. Das heißt, wir werden im Jahr 2026 110.000 Motorräder in Österreich produzieren und den Rest über unsere internationalen Partner. Für 2025 werden es rund 50.000 Motorräder sein, weil wir erst am 28. Juli gestartet sind. Das gesunde Maß für unsere Händler und den Markt ist, dass wir in den nächsten Jahren nicht zu viel neu hineinverkaufen. Deswegen werden wir es nicht schaffen, nächstes Jahr positiv zu sein. Das haben wir gemeinsam mit allen Investoren besprochen. 2025 wird es durch den Restrukturierungsgewinn ein außerordentliches Ergebnis geben, weil viele eben sehr schmerzliche Verluste hinnehmen mussten und das akzeptiert haben. Das Ziel ist, die Bestände in Cash umzuwandeln und einen positiven Cashflow zu erzielen. Für 2027 sollten wir die Möglichkeit haben, wieder Gewinne erwirtschaften zu können. Zuerst müssen wir aber unsere Kunden happy machen, die Qualität in Ordnung bringen. Das andere ist dann eine Folge daraus. Mittelfristig haben wir uns nicht das Ziel gesetzt, selbst in fünf Jahren über alte Höhen hinauszuschießen. Was nicht heißt, dass man nicht wieder an die 300.000 Einheiten herankommen kann und wachsen möchte. Wichtig ist erst einmal back to the roots, uns darauf zu besinnen, was uns groß und stark gemacht hat. Und all jenes weglassen, was nicht im Fokus steht.

Es ist natürlich eine längerfristige Angelegenheit, beweisen zu können, dass man wieder Qualität erreicht hat.

Wenn Sie mal das Vertrauen verspielt haben, dann ist es natürlich schwierig, sich das wieder zu erarbeiten. Bei jedem Vorfall, der irgendwo am Markt aufpoppt, wird man sich erinnern: "Ah, das war schon mal". Dagegen anzukämpfen wird die schwierigste Aufgabe sein. Jetzt kann niemand versprechen, dass uns keine Fehler mehr passieren werden. Die Frage ist aber, wie gehe ich damit um? Wir haben schon eine Reihe von Maßnahmen auch kurzfristiger Natur getroffen, um das zu verbessern. Einerseits haben wir auf der Produktionsseite Abläufe verbessert, beispielsweise wie wir Ventile einsetzen, wo wir Kühlschläuche verlaufen lassen, andere Schellen. Undichtigkeiten wurden uns immer nachgesagt, was Kühlung, aber auch Öl angeht. Da haben wir gehandelt und in den letzten neun Monaten viel bewegt. Das andere ist, dass wir unsere Garantieleistung freiwillig verlängert haben, vor allem bei den Straßenmodellen ab 690 Kubik auf vier Jahre. Das heißt, dass wir auch selbst an diese Veränderungen glauben, und bei Fehlern, die passiert sind, wir rückwirkend für viele Modelle die Kulanzbereiche angepasst und ausgedehnt haben. Fünf Jahre zurück auf jene Modelle, die davon betroffen waren. Es war uns wichtig, dass wir unseren Kunden Zuversicht geben und wir uns nicht wegducken. Das waren Verfehlungen aus der Vergangenheit. Damit wollen wir aufräumen und sie wieder gut machen.

Die Kommunikationskette Hersteller, Händler, Kunde muss funktionieren.

Für mich ist es eine Katastrophe, wenn ich als Kunde drei Tage keine Antwort bekomme. Das geht einfach nicht. Das hat nichts mit Kundenservice zu tun. Natürlich werden wir auch die Kommunikation verbessern. Zuzuhören und wirklich den Kunden in den Mittelpunkt all unseres Handelns zu stellen, ist unser oberstes Ziel. Customer Centric mag ja eine nette Überschrift beim Management-Meeting sein. Dann schauen sich alle an und keiner weiß, was er damit machen soll. Kundenorientierung aber gilt es zu definieren und für jeden einzelnen Bereich herauszuarbeiten. Das ist für mich zentral, denn ich kann ein Motorrad durch den Vertrieb einmalig verkaufen. Aber eine Kundenbeziehung ein Leben lang aufzubauen, dass der Kunde auch willens ist, wieder eine KTM zu kaufen oder es auch einen Wert hat, eine gebrauchte KTM zu kaufen – das muss das Ziel sein. In erster Linie kommt es darauf an, wie ich in solchen Situationen reagiere. In unserer Orange Blood Kampagne haben wir offen auf Österreichisch gesagt: "Wir sind auf die Goschen gefallen", aber wir sind jetzt wieder aufgestanden. Das Orange Board, das wir Anfang des Jahres ins Leben gerufen haben, ist kein Marketing-Gag (Anmerkung der Redaktion: KTM-Kunden wurden eingeladen, in einem Gremium künftig KTM-Produktverantwortlichen direktes Feedback zu geben). 5.000 Bewerbungen kamen herein, aus denen wir 15 ausgewählt haben – sowohl Offroader als auch Straßenfahrer, von Australien bis in die Türkei. Mir geht es in der Kommunikation außerdem nicht nur darum, ein Motorrad mit irgendeinem Discount anzupreisen. Das ist auch wichtig in der Kommunikation zu unseren Händlern, weil wir diese unterstützen müssen. Ich kann nicht, wenn ich jemanden dazu gebracht habe, dass er vom Zahlungsziel 90 Tage auf 180, dann 250 und am Ende 360 Tage geht, alles auf null zurückfahren. Auch wenn es kaufmännisch für uns der wichtigste Schritt wäre. Sie können sich vorstellen, wie die Schere auseinandergeht: Auf der einen Seite bekommen wir vom Handel nach 360 Tagen das Geld, und auf der anderen Seite muss ich auf Produktionsseite alles im Voraus bezahlen. Da braucht man nicht Wirtschaft studiert zu haben, um zu wissen, dass das auf Ewig nicht geht. Das Einfachste wäre zu sagen, das läuft jetzt anders. Nur, dann würde ich viele Händler in den Ruin treiben. Ich habe alle Vertriebs- und Area Sales Manager, vor allem auch in Deutschland, angehalten, wirklich in einen Dialog mit unseren Händlern zu gehen und nicht so wie in der Vergangenheit zu sagen, das produzieren wir und das schieben wir euch jetzt hin. Vielmehr heißt es jetzt: Schau dir bitte diese neue Modellpalette an, du kennst deinen Markt besser als wir, du weißt, was geht. Was traust du dir selbst nächstes Jahr oder in den nächsten Jahren zu? Danach muss ich meine Produktion steuern, das Sales Operation Planning machen, dass ich eben nicht mehr auf Halde produziere, sondern nach der Marktnachfrage. Den Vorteil haben wir auch, wenn wir alles im Haus haben. Wir haben die besten Voraussetzungen, bedarfsorientiert zu produzieren. Möglicherweise mit reduzierten Gesamtmengen, was für den Händler bedeutet, dass er früher 30 Motorräder von einem Modell bekam, es zukünftig vielleicht nur noch 15 sein werden. So, dass es für beide Seiten tragbar ist.

Hat das Auswirkung aufs Händlernetz? Werden Sie Händler reduzieren?

Wir haben so viele loyale Händler, die jetzt mit uns durch die Krise gegangen sind und die zu uns halten. Mein Bestreben ist, dass wir weiterhin mit all diesen Händlern zusammenarbeiten. Ja, es gab hier und da einen Händler, der sich nicht mehr getraut hat, mit uns weiterzumachen. Das ist verständlich. Daher ist es jetzt wichtig, dass wir unseren Händlern die Stabilität zurückgeben, die sie uns in den schwierigen Monaten gegeben haben. Ich glaube, die Stärke von KTM, gerade im Vergleich zu asiatischen Herstellern, ist nach wie vor unser Händlernetzwerk.

Hersteller reden ungern über Modelle von morgen, aber vor der Krise sah es danach aus, dass die 390-Plattform durch den CFMoto-450er ersetzt werden solle. Was sagt Bajaj nun dazu?

Der 450er ist rein für den chinesischen Markt entwickelt worden und wird nur über CFMoto verkauft werden. Das heißt, die 390-Plattform bleibt. Ich will nicht zu viel verraten, aber zwischen der 390 und dem 690-Einzylinder gibt es einen großen weißen Fleck, der von uns unbeackert ist. Wo wir schon sehr weit in der Entwicklung sind und jetzt mit der Industrialisierung beginnen.

In Indien nehme ich an?

Diese Plattform wurde und wird in Österreich entwickelt. Viele glauben, dass das nach Indien geht und China damit vom Tisch ist. Das wird nicht so sein. Die Tür mit China wird auf gar keinen Fall geschlossen, China ist in vielen Bereichen mittlerweile Technologieführer: Displays, Software-Entwicklung… Ich möchte die Zusammenarbeit in jedem Fall nicht nur erhalten, sondern intensivieren.

Können Sie als CEO das von hier entscheiden?

Ich mache das, was für KTM das Beste ist, für niemanden sonst. Und wenn ich ein Teil in China günstiger bekomme, dann werde ich es dort und nicht in Indien kaufen. Das muss unabhängig hier entschieden werden.

Entscheiden Sie auch, ob KTM weiter MotoGP fährt?

Der Einstieg von Liberty Media wird der MotoGP noch einen weiteren Boost geben. Wir haben in der Formel 1 verfolgen können, was für eine großartige Arbeit sie geleistet haben, welches Zuseherwachstum sie verzeichnen konnten – auch der Anteil an weiblichen Zuseherinnen hat zugenommen. Ich rechne mit vielen neuen Impulsen, die dem Sport guttun werden. Pit Beirer und sein Team haben in einer sehr schwierigen Zeit auf Gehälter verzichtet, sind mit veraltetem Material gestartet, haben trotzdem einen Top-Job gemacht, und als wir aus der Insolvenz raus waren, ab Brünn mit Pedro Acosta und Enea Bastianini drei Podiumsplätze erreicht. Zuletzt in Indonesien war Pedro sogar Zweiter und Brad Binder Vierter. In anderen Rennen waren wir dran und haben einfach Pech gehabt. Wir haben keine sechs Ducatis vor uns, sondern nur eine. Wir haben auch Geschwindigkeitsrekorde eingefahren. Das ist die Königsklasse, wo wir uns mit allen Top-Herstellern matchen, wo zwei der größten Hersteller auf jeder Rennstrecke mit ihren Fahrern testen dürfen, wir nur an drei ausgewählten Strecken – ohne unsere Rennfahrer. In Anbetracht dessen ist die Leistung unglaublich. Wir wollen weiter in der MotoGP bleiben – nicht nur in 2026, sondern darüber hinaus. Der 850er-Motor für das Reglement ab 2027 läuft schon auf dem Prüfstand. Die Frage ist, muss ich 100 Prozent vom Team besitzen, oder kann man, wie das Mercedes-Beispiel aus der Formel 1 zeigt, darüber nachdenken, ob es vielleicht auch einen Minority Shareholder gibt, der die Möglichkeit hat, ein Team zu besitzen. Das ist nichts, wofür ich oder wir da sind. Wir spekulieren nicht auf einen Equity-Zuwachs von einem Team, sondern wir sind da, um Rennen zu gewinnen. Das muss unser einziger Anspruch sein, und es muss sich in der Begeisterungsfähigkeit für die Marke niederschlagen, sonst dürfen wir es nicht machen.