Reportage - Ausbildung zum Zweiradmechatroniker

Reportage - Ausbildung zum Zweiradmechatroniker Nix für Weicheier

Unkalkulierbare Arbeitszeiten, begrenzte Aufstiegschancen und nicht viel Kohle in der Tasche – künftige Zweiradmechatroniker wissen, worauf sie sich einlassen. Doch das bremst die Begeisterung nicht: Mit viel Enthusiasmus und Einsatz streben sie ihrem Berufsziel entgegen, wie der Besuch in einer Kaderschmiede für angehende Gesellen und Meister zeigt.

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Nein, Elektrik und Elektronik zählen beileibe nicht zu den Lieblingsfächern von Zweiradmechatroniker-Berufsschülern der Fachrichtung  Motorrad-Technik an der Gewerbeschule Breisach. Harald Dreier, technischer Lehrer mit Meisterbrief, bringt es augenzwinkernd auf die schlichte Formel „äußerst unbeliebt“ – das Fach erfordere abstraktes und absolut logisches Denken. Es sei nicht so leicht begreifbar wie Mechanik zum Anfassen. So geht es auch Jana Burger.

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Die 24-Jährige schwärmte eben noch von der großen Anziehungskraft, welche die reine Funktion auf sie ausübt. Wie faszinierend es für sie ist, einen Motor zu zerlegen, Teile zu prüfen und alles wieder zusammenzufügen. Sie liebt die Gerüche und Geräusche, die Motorräder verbreiten. Unterrichtsstunden in Elektrik und Elektronik nennt die begeisterte Bikerin eher kühl „anspruchsvoll“.

Alle mit großem Eifer bei der Sache

Die Harley-Azubine aus Stuttgart steckt mit ihren 24 Klassenkameraden in der Lehrwerkstatt die Köpfe über Schaltplänen zusammen. Es werden Witze gerissen und viel gelacht, was aber nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass alle mit großem Eifer und Ernst bei der Sache sind. Heute steht mal wieder „systematische Fehlersuche“ auf dem Lehrplan. „Im Berufsalltag geht es auch darum, Defekte so schnell wie möglich zu finden und den Fehler präzise zu diagnostizieren“, sagt Harald Dreier.

Denn moderne Auslesetechnik hin oder her – nicht immer können die Testgeräte den Fehler tatsächlich aufspüren, so Dreier. Zwei Maschinen sind von ihm zu Übungszwecken entsprechend präpariert: Bei der BMW R 850 R ist der E-Starter funktionslos, obwohl er an sich in Ordnung ist, wie die Prüfung zeigt. Der Hund muss folglich irgendwo anders begraben sein. Zudem streiken der Blinker und die digitale Ganganzeige einer BMW K 1200 RS. Also ran an die Arbeit.

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Erst studieren, dann probieren: In der Elektro-Werkstatt wird die Theorie in die Praxis umgesetzt.

Mehr als 1300 Berufsschüler aus Süddeutschland besuchen die Breisacher Ausbildungsstätte. Ab dem zweiten Lehrjahr jeweils zwei Mal sechs Wochen im Blockunterricht. Mit Rücksicht auf die Saison erfolgt dies für die knapp 230 Auszubildenden mit Berufsziel Zweiradmechatroniker, von denen sich 86 auf Motorrad-Technik, der Rest aufs Fahrrad spezialisieren, in den Wintermonaten. Die Zweiradler, wie sie im Schuljargon heißen, sind ein fröhlicher Haufen hoch motivierter Jugendlicher. Und kaum jemand, der nicht stolz sein Marken-Logo auf der Kleidung zur Schau stellt.

Junge Frauen wie Jana Burger und ihre Mitschülerin Ramona Heinrichs aus Ludwigshafen sind zwar in der Minderzahl, aber keine Außenseiter in ihrer Klasse R3ZM1 im dritten Lehrjahr. „Hier wird niemand benachteiligt oder ausgegrenzt“, sagt Jana. Der Umgang mit den Jungs sei völlig locker. „Es ist so, als hätte man ganz viele Brüder.“ Derzeit durchlaufen bundesweit rund 1840 Jugendliche eine Ausbildung zum Zweiradmechatroniker – nur sieben Prozent davon sind weiblich.

Weibliche Lehrlinge als Arbeitskraft beliebt

Die geringe Quote hat sicher etwas mit den strengen berufsgenossenschaftlichen Auflagen für Betriebe, die Frauen ausbilden wollen, zu tun: Kostspielige Umbauten etwa im Sanitärbereich sind meist unumgänglich.

Als Arbeitskraft beliebt sind weibliche Lehrlinge allemal, wie der frühere Obermeister der baden-württembergischen Zweiradmechaniker-Innung Karl-Heinz Ricker bestätigt: „Junge Frauen sind in der Regel sehr engagiert, leistungsbereit, diszipliniert und zielorientiert“, sagt er. Zudem schätze das Handwerk nach der Ausbildung ihre hohe Flexibilität in familienbedingten Teilzeitarbeitsverhältnissen.

Dennoch hat es mehr als zwei Jahre gedauert, bis Jana Burger eine Lehrstelle fand. Nach dem Abitur noch etwas unsicher in der Berufswahl, arbeitet sie zunächst bei einem Autoteilehersteller am Band. Dann der Wechsel als Praktikantin zu einem großen Motorradhändler in der Nähe. Das motiviert die Suzuki GSX-R600-Fahrerin noch mehr, Zweiradmechatronikerin zu werden. „Ich durfte dort auch schon ganz selbstständig Dinge ausprobieren“, erzählt sie.

Wie technische oder mechanische Probleme zu beheben sind, hatte sie sich doch längst bei den Kumpels aus der Clique abgeschaut, die an ihren Mopeds rumschraubten. Derweil schrieb sie Bewerbungen an Motorradbetriebe in ganz Deutschland. „Ich wäre bis in den hohen Norden gezogen, um eine passende Lehrstelle zu bekommen“, berichtet Jana.

Gewerbeschule Breisach übernimmt den theoretischen Part

An Begeisterung und Begabung mangelt es ihr nicht – das war auch ihrem zukünftigen Chef Gerd Maier, Harley-Davidson-Vertragshändler im Stuttgarter Ortsteil Korntal, schnell klar, als sie für eine Woche probeweise in der Werkstatt schraubte. Sie sei erste Wahl für den von ihm ausgeschriebenen Ausbildungsplatz gewesen, sagt Maier.

Inzwischen ist er mächtig stolz auf seinen Schützling, der „mit Herz und Verstand“ (Maier) vorgehe und einmal Erklärtes fast fehlerfrei umsetze. Als dualer Partner des Ausbildungsbetriebs übernimmt die Gewerbeschule Breisach für ganz Baden-Württemberg den theoretischen Part.

Strammes Programm in der dreieinhalbjährigen Lehrzeit

Die angehenden Motorrad-Mechatroniker haben in ihrer dreieinhalbjährigen Lehrzeit ein strammes Programm zu stemmen. Denn im Berufsalltag halten sie Maschinen instand, bauen sie um oder stellen gar selbst welche her. Sie pflegen, warten und prüfen sämtliche Fahrzeuganlagen, Bauteile und Baugruppen – sprich unter anderem Motormanagement und Sicherheitssysteme. Ohne fundierte Kenntnisse in Mechanik, Hydraulik, Pneumatik, Elektrik und Elektronik keine Chance, anständige Arbeit abzuliefern. Gelehrt und geübt wird in Breisach an 25 Maschinen und Rollern sowie 50 Motoren in drei Fahrzeuglaboren zum Checken sowie in fünf Werkstätten zum Schrauben und an einem halben Dutzend Prüfstände.

„Am Anfang meiner Ausbildung habe ich es für einen Vorteil gehalten, mich nur mit einer Marke zu befassen“, sagt Jana. „Jetzt bin ich froh, an der Schule auch die große Vielfalt zu erfassen.“ Und ihr gefällt es, wie der Lehrstoff vermittelt wird: Interessant, lebhaft und anschaulich sei der Unterricht. „Es wird eine Menge vermittelt, was wirklich weiterhilft.“ Rolf Greiner, Abteilungsleiter Kfz-/Zweiradtechnik an der Breisacher Gewerbeschule, sieht in dem Zusammenspiel aus Theorie, Praxis und Labor den Schlüssel zum Erfolg bei der Ausbildung. „Die jungen Leute sollen ausprobieren, auch mal was falsch machen dürfen und nicht unter Zeitdruck stehen“, so seine Idee von Berufsschule. Das Konzept geht auf: Immerhin haben „seine Zweiradler“ beim jährlichen Leistungswettbewerb der angehenden Gesellen acht Bundessieger und fünf Europameister hervorgebracht (siehe "Von Schauschrauben zum Superbike-IDM-Team"). „Es macht Spaß, Zweiradmechatroniker zu unterrichten“, sagt er. „Das sind besonders engagierte und interessierte junge Leute.“ Stimmt – und mit besten Voraussetzungen, nach der Ausbildung eine Stelle zu finden: In der Branche herrscht akuter Mangel an gut ausgebildeten Fachkräften.

Arbeiten bis zum Abwinken im Sommer

Jana Burger ist jedenfalls eine Anstellung bei Harley-Davidson-Vertragshändler Maier nach der Lehre schon sicher. Und sie bringt jenen Enthusiasmus mit, der für Ex-Obermeister Karl-Heinz Ricker unerlässlich ist in diesem Beruf. Hochbetrieb in der Saison, Flaute im Winter. Die Hälfte der etwa 3500 Motorradbetriebe arbeitet deshalb mit Jahresarbeitszeitkonten.

Das bedeute, so Ricker, Arbeiten bis zum Abwinken im Sommer und Urlaub machen im Winter. Knapp ein Drittel der Firmen vergibt prinzipiell nur Zeitverträge, um die Saure-Gurken-Zeit zu überstehen. Lediglich 20 Prozent der Betriebe laufen auf Vollauslastung dank Wintereinlagerung mit vollem Service, Umbauten oder größeren Motorarbeiten und dergleichen. Und große Sprünge sind bei einem Einstiegsgehalt als Motorrad-Mechatroniker von 2000 bis 2800 Euro auch nicht drin.

So wird man Zweiradmechatroniker

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Die Ausbildungsstätte bietet alles für angehende Gesellen und Meister.

Es gibt ungefähr 1500 Motorradbetriebe in Deutschland, die ausbilden. Berufsschulen für Zweiradmechatroniker gibt es unter anderem in Berlin, Bielefeld, Breisach, Bonn, Dortmund, Duisburg, Frankfurt, Hamburg, Hannover, Koblenz, Köln, Leipzig, Münster, Seesen und Straubing. Die einjährige Grundausbildung erfolgt an einer Berufsfachschule. Das kann entweder durchgängig oder im Turnus neben der praktischen Arbeit im Betrieb geschehen. Danach teilt sich der Ausbildungsweg für weitere zweieinhalb Jahre in die Fachrichtungen Motorrad-Technik und Fahrrad-Technik.

Die Berufsschulausbildung erfolgt von diesem Zeitpunkt an im Blockunterricht für zwei Mal sechs Wochen pro Jahr. Ergänzend dazu besuchen die Schüler für zwei Wochen pro Jahr sogenannte Gewerbeakademien. Diese überbetriebliche Ausbildung dient der Intensivierung der Praxis. Im vierten Lehrjahr kommt die Gesellenprüfung: je ein Tag in Theorie und Praxis. Die Erfolgsquoten sind recht hoch. Sollte der erste Anlauf schiefgehen, kann der Auszubildende nach sechs Monaten eine zweite Prüfung ablegen; die Lehrzeit verlängert sich in diesen Fällen um ein halbes Jahr. Ein staatlich geprüfter Zweiradmechatroniker kann sich inzwischen direkt im Anschluss an der Meisterschule einschreiben. Ebenfalls sofort möglich ist eine Weiterqualifizierung zum Zweiradservicetechniker, der quasi die Schnittstelle zwischen Werkstatt, Serviceannahme und Verkauf ist. Mehr Informationen unter: www.zweiradberufe.de

Vom Schauschrauben zur Superbike-IDM

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Fabian Kraft gilt als großes Schraubertalent – jetzt macht der 20-Jährige seinen Meister.

Die jeweiligen Landesverbände des Zweiradmechaniker-Handwerks melden jedes Jahr die besten Zweiradmechatroniker der Motorrad- und Fahrrad-Sparte zum Bundeswettbewerb. Fabian Kraft aus dem fränkischen Grünsfeld und damals Berufsschüler in Breisach holte sich den Motorrad-Titel im November 2014. Branchen-Sponsor BMW hatte zur Belohnung ein Rennwochenende am Lausitzring im Superbike-IDM-Team ausgelobt. Der angehende Zweiradmechatroniker durfte sogar mitschrauben beim Saisonauftakt 2015 Anfang Mai.

Und er beeindruckte mit seinem Talent selbst Teamchef Werner Daemen. Der Belgier ergriff die Gelegenheit beim Schopf und fragte Kraft, ob er nicht Lust habe, öfter mit von der Partie zu sein. Der 20-Jährige war natürlich sofort Feuer und Flamme, freute sich wie Bolle darüber. Doch es sollte noch besser kommen: Beim letzten Rennen der Superbike IDM in Hockenheim bot ihm Daemen an, das Team in der nächsten Saison offiziell zu verstärken. „Ich hätte nie im Traum daran gedacht, so eine Chance zu bekommen“, sagt Fabian Kraft. Seit Oktober besucht er dank eines Stipendiums aus dem Bundes-Förderprogramm die Meisterschule in Breisach. Und er fiebert der nächsten Superbike-IDM-Saison entgegen.

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