Technik: Motoren/Antrieb
Der Lastwechsel beim Motorrad

Ruppige Lastwechsel können der eleganten Kurvenfahrt einen ganz dicken Strich durch die Rechnung machen. MOTORRAD erklärt die Ursachen und gibt Tipps, um das Phänomen abzumildern.

Der Lastwechsel beim Motorrad
Foto: Zeichnung: Archiv
j.kuenstle.de
Schon ruckartiges Gas geben führt oft zu unruhigem Fahrverhalten.

Der Begriff Lastwechselverhalten beschreibt genau genommen zwei Fahrzustände. Zunächst den Augenblick, indem das Gas geschlossen wird und der Motor von Zug auf Schiebebetrieb umschaltet. Anstatt das Hinterrad anzutreiben, wird der Motor im Schiebebetrieb von dem Trägheitsmoment der Fahrzeugmassen am Laufen gehalten. Je nach Bauart bremst der Motor mehr oder weniger stark und abrupt ab. Ein dicker Zweizylinder erzeugt dabei ein deutlich höheres Bremsmoment, als ein kleiner, widerstandsarmer 125er-Zweitakter.

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Geht der Fahrer danach wieder ans Gas, wechselt der Motor vom Schiebebetrieb auf Zugkraft und treibt das Hinterrad an. Auch dieser Vorgang geht bei vielen Motorrädern leider nicht weich und geschmeidig über die Bühne, sondern erzeugt je nach Drehzahl und Gangstufe einen mehr oder weniger starken Ruck. Dieser Ruck kann bewirken, dass sich die Geschwindigkeit schlagartig ändert und bei Kurvenfahrten eine Lenkkorrektur erforderlich wird. Zudem beeinflusst der Lastwechselruck die Federung an der Telegabel, die mit einem abrupten Abtauchen oder Ausfedern reagiert. Was letztlich zur Unruhe im Fahrwerk und in der Lenkung beiträgt.

Die Leistung setzt oft nur ruckartig ein

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Die grundlegende Ursache für den ruckartigen Leistungseinsatz ist der Verbrennungsdruck im Motor. Je nach Drehzahl und Drosselklappenstellung steigt die Drehkraft an der Kurbel-welle durch die Verbrennung im Zylinder abrupt an und beschleunigt, begünstigt durch das Spiel im Antriebsstrang, ruckartig das Hinterrad.

Im Zeitalter extremer Abgas-Regularien aber sind den Motor-Ingenieuren die Hände gebunden. Dennoch versucht man mit allerlei Tricks, den Übergang auch bei Einspritzmotoren so weich wie möglich zu gestalten, indem man den Motor im Übergang zum Schiebebetrieb mit einem extrem mageren, aber gerade noch zündfähigen Gemisch versorgt und damit das Bremsmoment verringert. Was jedoch nicht in allen Betriebszuständen gelingt, so dass der Motor dort weiter abrupt verzögert.

Genau so abrupt kann der Motor beim Gasgeben reagieren. Denn genau in dem Moment, in dem ein Zylinder von den Einspritzdüsen wieder mit Frischgas versorgt wird und zündet, erhöhen sich die Drehzahl und das Drehmoment an der Kurbelwelle schlagartig. Dieser Zündschlag wird jedoch nicht direkt ans Hinterrad geleitet, wo er von einem großen Widerstand abgebremst und gedämpft wird, sondern kann durch das Spiel im Antriebsstrang regelrecht Schwung holen und mit verstärkter Wucht das Motorrad ruckartig beschleunigen. Je größer das Spiel ausfällt, desto härter gehen die Lastwechselschläge über die Bühne. Und je leichter die Kurbelwelle bzw. deren rotierende Massen ausfallen, desto ruppiger erfolgt der Leistungseinsatz. So ist es kein Wunder, dass agil hochdrehende Supersportmotoren wesentlich härter ans Gas gehen, als behäbige Chopper-Antriebe mit massigen und schweren Kurbelwellen.

Kleines Beispiel: Die Kurbelwelle einer aktuellen 600er-Sportmaschine wiegt rund 9,9 Kilogramm, die eines Kawasaki-Cruisers mit Zwei-Liter-Motor satte 24 Kilogramm. Wobei die rotierenden Massenkräfte wegen des größeren Durchmessers der V2-Hubscheiben noch um ein Vielfaches höher ausfallen, als beim Sportmotor.

Um den harten, ersten Zündschlag abzuschwächen, ist es auch ganz entscheidend, dass die Drosselklappen beim zarten Gasanlegen einen möglichst kleinen Winkel weit öffnen.

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Leichte Kurbelwellen (links) mit kleinem Durchmesser der Hubscheiben machen den Motor agil und spritzig, dämpfen jedoch den harten Zündschlag weniger ab als eine Welle mit großen, schweren Hubscheiben und entsprechender Massenträgheit (rechts).

Ein weiterer entscheidender Faktor ist das Spiel im Antriebsstrang, also zwischen Kurbelwelle und Hinterrad. Bereits an der Kupplung kann sich Spiel durch die integrierten Ruckdämpfer aufbauen. Noch mehr Spiel ergibt sich aus dem freien Verdrehwinkel der Klauen an den Getrieberädern, die sich je nach Gang-stufe zwischen rund zehn und dreißig Grad zueinander verdrehen. Je größer der Verdrehwinkel, desto besser die Schaltbarkeit, desto ruppiger gehen jedoch die Lastwechsel vonstatten. Dazu addiert sich das Spiel durch den notwendigen oder bei schlechter Wartung auch zu großen Kettendurchhang.

Wenn man jetzt noch das Spiel der Ruckdämpfer zwischen Kettenblatt und Hinterrad addiert, stehen der Kurbelwelle je nach Gangstufe und Getriebekonstruktion bis zu 180 Grad als freier Verdrehwinkel zur Verfügung, bevor der Zündschlag das Hinterrad und damit einen klar definierten Wiederstand erreicht. Dort prallen die Lastspitzen auf den zweiten Ruckdämpfer. Ist dieser ausgeschlagen und lässt sich ohne Widerstand ein paar Grad verdrehen, müssen die Gummidämpfer erneuert werden. Kleiner Trick: Gummidämpfer mit zu wenig Vorspannung können durch Aufkleben von entsprechend dicken Alublechen auf der Nabe stärker vorgespannt werden. Auch dadurch verringert sich der Verdrehwinkel im Antriebsstrang und reduziert den Lastwechselschlag. Genau diese ungebremste Wucht des Verbrennungsmotors ist es nämlich, die so manchem Motorradfahrer den Spaß in engen Kurven und im Stadtverkehr vermiest.

Tipps und Tricks für ein besseres Lastwechselverhalten

Da sich an der elektronisch gesteuerten Einspritzung nur mit viel Aufwand (und dann meist ohne TÜV-genehmigtes Verfahren) das Lastwechselverhalten optimieren lässt, bleibt nur der Weg, bestimmte Parameter korrekt einzustellen.

  • Zum Beispiel das Spiel im Gaszug. Lässt sich der Gaszug am Anfang mit zu viel Spiel betätigen, kann der Fahrer den "Druckpunkt" der Gasbetätigung nur schlecht aufspüren. Das Resultat: Er überfährt den "Druckpunkt" beim Gas geben zu schnell und reißt damit die Drosselklappen entsprechend heftig auf. Ist das Spiel dagegen maximal knapp einjustiert, kann der Fahrer vom ersten Millimeter an die Drosselklappen fein dosiert aufziehen. Bei der Reduzierung des Spiels im Öffner-Gaszug unbedingt darauf achten, dass der Zug auch bei voll eingeschlagenem Lenker ein kleines Spiel aufweist. Eventuell muss bei der Verkleinerung des Spiels der Schließer-Gaszug entsprechend nachgestellt werden, um eine leichtgängige, reibungsarme Betätigung zu erhalten.
  • Nächster Schritt: die optimale Reduzierung der Kettenspannung bzw. des Kettendurchhangs. Um festzustellen, wie stark sich die Kette "spannen" lässt, wird die Schwinge so weit eingefedert, dass Hinterachse, Schwingenachse und das Zentrum der Getriebeausgangswelle auf einer Linie liegen. In diesem Zustand muss sich die Kette mit leichtem Druck (auf halbem Weg zwischen Ritzel und Kettenrad) etwa 10 bis 15 Millimeter nach oben oder unten bewegen lassen. Ist dieser Wert erreicht, wird das Hinterrad komplett entlastet und der Kettendurchhang am gleichen Messpunkt nochmals nachgemessen. Dieser Wert wird notiert und dient in Zukunft als Anhaltspunkt für eine optimale Kettenspannung, um auch mit dieser Methode den Lastwechselschlag zu verringern.
  • Beim Fahren in niedrigen Geschwindigkeiten, zum Beispiel in engen Haarnadelkurven, kann mit Hilfe der Hinterradbremse lästiges Lastwechselrucken eingedämmt werden. Dabei wird die Geschwindigkeit zum Beispiel in langsamen Kurven so kontrolliert, dass man das Gas leicht geöffnet hält und mit zartem Druck auf das Bremspedal das gewünschte Tempo einreguliert. Man spart sich dabei das Schließen und Öffnen des Gasgriffs und die damit verbundene Unruhe im Fahrwerk. Speziell bei Passfahrten verhilft dieser Trick zu einer runden, flüssigen Kurvenlinie. Und keine Angst, die thermische Beanspruchung von Bremsscheibe und Belägen ist bei einem Tempo unter 50 km/h völlig unbedenklich.
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Erscheinungsdatum 15.09.2023