Die einen feiern sie als Gewinn für die Verkehrssicherheit, andere befürchten mit ihr den Ausverkauf der Bürgerrechte. Die Rede ist von der sogenannten Section Control, die eine neue Dimension der Überwachung für Motorrad- und Autofahrer darstellen könnte. Die Abschnittskontrolle beruht auf dem an sich simplen Prinzip der Weg-Zeit-Rechnung: Die Fahrzeuge werden am Anfang und am Ende der überwachten Strecke erfasst, um die Durchschnittsgeschwindigkeit zu ermitteln. Anhand der Zeit, die beim Passieren verstrichen ist, kann darauf geschlossen werden, ob die Geschwindigkeitsbegrenzung eingehalten wurde oder nicht.
Ist diese Methode überhaupt mit dem in Deutschland gesetzlich verankerten Gebot der Datensparsamkeit zu vereinbaren? Michael Brenner, der an der Universität Jena deutsches und europäisches Verfassungs- und Verwaltungsrecht lehrt, ist skeptisch: „Es kann nicht sein, dass Datenfriedhöfe angelegt werden, von denen keiner weiß, wer diese in welcher Absicht auch immer besucht“, beurteilt der Professor die neue Methode der Verkehrsüberwachung, die bereits seit Jahren in den Niederlanden und Österreich existiert. Ab Frühjahr 2015 soll sie nun in Niedersachsen auf der B 6 südlich von Hannover zwischen Gleidingen und Laatzen versuchsweise für eineinhalb Jahre zum Einsatz kommen.
Grundlegende Überprüfung der Datensicherheit steht noch aus
Der rund drei Kilometer lange Streckenabschnitt gilt als Unfallschwerpunkt. Voraussichtlich wird dort eine Anlage des niederländischen Herstellers Gatso installiert. Die Knackpunkte bei der Abschnittskontrolle sind indes nach wie vor die fehlende Rechtsgrundlage in Deutschland sowie der Datenschutz. Der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius hatte bei der Vorstellung des Pilotversuchs Anfang September beteuert, der Landesdatenschutzbeauftragte habe grünes Licht für das Projekt gegeben. Doch das ist nur die halbe Wahrheit: Der zeitlich begrenzte Probebetrieb ist zwar abgesegnet, eine grundlegende Überprüfung der Datensicherheit steht jedoch noch aus.
„Wir warten seit Wochen auf die detaillierten technischen Unterlagen für das Gerät der Firma Gatso“, sagt Niedersachsens Datenschutzbeauftragter Joachim Wahlbrink. „Ohne sie können wir nicht beurteilen, ob ein unbefugtes Auslesen der Daten unmöglich ist, wie sicher die Verschlüsselung der Funkübertragung sowie der zwischengespeicherten Informationen ist und ob es eine absolut rückstandsfreie Löschung gibt“, so schildert Wahlbrink den Sachstand Mitte November.
Jeder Fahrer wird als potenzieller Verkehrssünder behandelt
Erschwerend kommt hinzu: Jeder Fahrer wird in der Abschnittskontrolle zunächst einmal als potenzieller Verkehrssünder behandelt. „Herkömmliche Tempokontrollen sind immer Stichproben, aber mit dem neuen Streckenradar werden alle Verkehrsteilnehmer ohne einen Anlass pauschal unter Verdacht gestellt“, sagt die Verkehrsrechtsanwältin Daniela Mielchen. Aufgrund der neuen technischen Möglichkeiten würden immer mehr Daten über den einzelnen Fahrer erhoben. „Damit müssen wir sehr vorsichtig umgehen“, warnt Mielchen. Es sei besonders bedenklich, dass bei der Abschnittskontrolle auch Unschuldige erfasst würden. „Der Alltag zeigt, dass Daten ständig – auch illegal – missbraucht werden“, so die Juristin.
Die Debatte um Risiken und Nebenwirkungen der Section Control ist nicht neu. Bereits vor fünf Jahren äußerte der damalige Bundesdatenschützer Peter Schaar erhebliche Zweifel an der datenschutzrechtlichen Zulässigkeit des Verfahrens in Deutschland. Die Speicherung der fahrer- und fahrzeugbezogenen Informationen sei ein klarer Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Zugegeben, das ist ein sperriger Begriff. Doch die Übersetzung, die die obersten Verfassungshüter in Karlsruhe dafür fanden, ist erstaunlich schlicht: Bei den Bürgern könnten das „Gefühl des Überwachtwerdens geweckt“ und „allgemeine Einschüchterungseffekte“ erzielt werden, so die Richter am Bundesverfassungsgericht. Das kann man sich nun wirklich nicht bieten lassen.
Identifizierung von Motorradfahrern kein Problem
Zur Fahrzeugdetektion ist je Fahrstreifen ein Radarsensor und eine speziell für die Verkehrsüberwachung entwickelte Kamera im Einsatz. Bei der Einfahrt in den überwachten Abschnitt wird jedes Fahrzeugheck erfasst und individualisiert gespeichert. Bei der Ausfahrt wiederholt sich dies: Erfassung des Fahrzeughecks, Kennzeichnung mit Ausfahrtszeitstempel und Übermittlung an die zentrale Anlagensteuerung. Ergibt sich aus der ermittelten Durchschnittsgeschwindigkeit ein Tempoverstoß, löst die Frontkamera aus. Laut Hersteller wird mithilfe einer Lesesoftware aus jeder Heckaufnahme eine fahrzeugspezifische Pixelwolke erstellt und verschlüsselt. Ein Zugriff auf die Aufnahmen sei nur bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung möglich. Unrechtmäßige Zugriffsversuche auf die Ein- und Ausfahrtkameras sowie auf die Anlagensteuerung führe zum Löschen sämtlicher temporär abgelegter Daten.