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Fahrwerk: richtig einstellen und verbessern

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"Ich bekomm den Kübel nicht um die Kurven und brauche dringend Rat." Diesen Hilferuf setzte PS-Leser und Hobbyracer Stefan Tachliski auf racing4fun.de ab. PS trieb seiner Suzuki GSX-R 750 K4 die Flausen aus.

Fahrwerk: richtig einstellen und verbessern
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Stefans GSX-R 750 macht ihm keinen Spaß mehr, sondern Kummer: Sie fährt, wie sie will, nicht, wie sie soll.

Hobby-Racer Stefan ist mit den Nerven und seinem Fahrwerkslatein am Ende: "Mit meiner GSX-R 750 fahr ich fahr 4 Sekunden langsamer als mit meiner ollen Honda PC 25 und bin doppelt so gestresst." Das gute Öhlins-Federbein hat ein mutmaßlicher Spezialist umgebaut, die Gabel ist renoviert, neue Metzeler K2-Reifen spannen sich über die Felgen - alles für die Tonne. Seine Suzuki sträubt sich gegen jedes Kommando, fährt seltsame Linien, kippt unvorhersehbar ab und stellt sich scheinbar grundlos auf.

Auf dieser Gurke ist der Pilot fahrphysikalischen Sperenzchen ausgesetzt, die ihm den Spaß und noch viel mehr die Rundenzeiten vermasseln. Als sich dann auch noch die teuren Gummis im Handumdrehen zerreiben und jeder Kilometer, jeder Liter Sprit Zeit und Geld sinnlos verpulvert, stellt sich Stefan Tachlinski schon die Kardinalfrage: Verkaufen und lieber Fahrrad fahren?

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Da trifft es sich gut, dass PS beim Fahrwerksworkshop in Boxberg ein Plätzchen reserviert hat. Vom MOTORRAD actionteam organisiert und ausgeschrieben, werden hier Motorradfahrwerke erklärt, Abstimmungen ausgetüftelt und auf einem netten Handlingkurs überprüft. Das Treffen ist schnell arrangiert. Stefan karrt seinen lahmenden Gaul im Transporter nach Boxberg und hat zur seelischen Unterstützung Freundin Sandra im Schlepptau - für den Fall, dass auch die PS-Truppe den Patienten nicht auf die Beine bringen sollte und Stefan psychologische Betreuung braucht.

Beim ersten Rundum-Kontakt mit der Suzuki GSX-R 750 scheiden grobe Fehler aus: Sie macht einen soliden Eindruck, ist sauber, ohne waghalsige Basteleien und fragwürdige Tuningteile aufgebaut. Auch beim zweiten Schritt gibt sich die GSX-R 750 makellos. Lenkkopfwinkel, Spurversatz, Fahrhöhe, Schwingenwinkel - alles im grünen Bereich. Stefan darf sich die Lederkluft überstreifen und auf dem Handlingparcours den Ist-Zustand im wahrsten Sinne des Wortes erfahren. Drei, vier flotte Runden genügen, und Stefan rollt an die provisorische Werkstatt. "Genau so scheiße wie immer. In den Wechselkurven kippelt und schwankt die Kiste wie besoffen. Ich treff keine Linie und keinen Scheitelpunkt." Na dann, ran an die Arbeit.

Check 1: Lenkkopflager

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Wenn das Lenkkopflager nicht 100-prozentig in Ordnung ist, wird die Linienwahl zur Lotterie.

Aus Stefans Beschreibung lassen sich schon einige mögliche Fehlerquellen ablesen: Wenn das Motorrad bei relativ langsamer Fahrt instabil und kippelig dahereiert, liegt der Verdacht nahe, dass die Lenkung nicht schnell und widerstandsfrei auspendeln kann. Dieses Auspendeln ist wichtig, weil sich der Lenkwinkel, also der Lenkeinschlag, je nach Schräglage und Kurvenspeed von selbst anpasst. Blockiert irgendetwas die Lenkung auch nur leicht, muss der Fahrer den Lenkwinkel korrigieren, was ihm aber auch bei bestens geschulter Feinmotorik nicht hundertprozentig gelingt. Die Folge: Das Motorrad kippt ungewollt in Schräglage und muss durch ein leichtes Einlenken zur Kurveninnenseite stabilisiert werden. In harten Fällen wird so aus einer 180-Grad-Kurve ein Sechseck.

Um die Freigängigkeit der Lenkung fein genug prüfen zu können, hängen wir den Lenkungsdämpfer aus. Wie Stefan vorab vermutet hat, ist das Lenkkopflager etwas zu stramm justiert. Die Wälzkörper haben bereits kleine Vertiefungen in die Lagerschalen gepresst, die Lenkung rastet in Mittelstellung also leicht ein.

Als Notmaßnahme lösen wir die Einstellmutter des Lenkkopflagers um 1/16 Umdrehung, was das Problem kurzfristig lindert; mittelfristig sind die Lager zu tauschen. Stefan geht auf Probefahrt in den Pylonenwald, bricht aber nach wenigen Runden ab. "Fährt sich einen Hauch besser, aber gut ist anders", lautet sein Kommentar.

Check 2: Lenkungsdämpfer

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Korrodierte Lager des Lenkungsdämpfers können das Fahrverhalten massiv beeinträchtigen.

Erster Schritt: Freigängigkeit der Gelenklager prüfen. Kolbenstange und Dämpferzylinder müssen sich über einen Winkel von rund 3 Grad frei und ohne Verspannung über die Längsachse verdrehen lassen. Steht auch nur eines der beiden Kugelgelenke unter Spannung, kann die Seitenkraft an der Kolbenstange so viel Reibung und Losbrechkraft erzeugen, dass die Lenkung nicht mehr frei läuft. Diese Freigängigkeit muss über den kompletten Lenkeinschlag gewährleistet sein. Die Erfahrung zeigt, dass speziell Nachrüstdämpfer oft fehlerhaft und unter Spannung montiert werden.

Bei Stefans Suzuki ist hier alles in Ordnung. Also kippen wir das Motorrad über den Seitenständer, um das Vorderrad komplett zu entlasten. Zarte Lenkbewegungen um die Mittelstellung kontrollieren, ob zuviel Reibung, Dämpfung oder beides vorhanden ist. Doch auch in diesen Punkten ist alles im Lot.


Und jetzt? Lenkungsdämpfer ausbauen und die Kolbenstange mit viel Kraft hin- und herbewegen. Einmal, zweimal - hoppla, was jetzt los? Gut 5 Millimeter Leerweg im Dämpfer lassen die Kolbenstange ruckartig durchfallen. Beim nächsten Versuch gleitet sie wieder cremig ins Dämpfergehäuse. Ein hinterhältiger Fehler: Ein Lenkungsdämpfer, der mal dämpft und mal nicht, macht Kurvenfahren unberechenbar. Im Fall des Falles kann er wüstes Lenkerschlagen auch nicht abfangen. Also, Lenkungsdämpfer weg, raus auf die Teststrecke. Stefan kreiselt fünf Minuten um den Kurs, winkt zuversichtlich und grinst: "Jetzt kann man wieder Motorrad fahren. Nur Handling und Einlenkverhalten passen nicht so richtig."

Check 3: Federbein

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Eine zu harte Feder bedeutet zu wenig Dämpfung, denn nur, wo sich überhaupt etwas bewegt, kann das Dämpferöl eine Bewegung bremsen, also dämpfen.

Was die Federhärte mit dem Einlenkverhalten zu tun hat? Jede Menge. Schließlich verändert sich die Geometrie von Lenkung und Antrieb/Schwinge je nachdem, wie tief und wie synchron oder asynchron das Motorrad vorn und hinten einfedert. Negativ- und Positivfederweg an der Gabel bewegen sich im Rahmen der Toleranz; am Federbein bewegt sich jedoch nicht viel: Mit einem (in kompletter Montur) 100 Kilogramm schweren Fahrer sinkt das Heck gerade mal 24 Millimeter ein, 10 Milli-meter sind's ohne Fahrer. Schlussfolgerung: Die Feder ist zu hart. Infolgedessen federt das Hinterrad auf kurzen Wellen und holpriger Piste nicht genügend, sondern lässt den Reifen über den Asphalt poltern und bei Stößen wie einen Gummiball von der Straße abprallen.

Wo wenig federt, ist auch wenig Dämpfung vorhanden, weil die sich nur über Hub und Geschwindigkeit am Stoßdämpfer aufbauen kann. Was bleibt? Genau, Feder wechseln. Eine 100 auf 90 N/mm reduzierte Federrate erzeugt brauchbare Negativfederwege. 10 Millimeter ohne und 28 Millimeter mit Fahrer sorgen für mehr Rückmeldung und eine bessere Stoßabsorption. Die Dämpfung justieren wir in der Zugstufe auf Klick 14, in der Lowspeed-Druckstufe auf 10, Highspeed auf 2 Umdrehungen.

Testfahrer Stefan rückt aus, kommt zufrieden zurück und moniert nur noch das bockelige Bremsverhalten mit leicht springendem Vorderrad. Weil die Negativfederwege stimmen und 9,25er-Federn für das 190-Kilo-Bike passen, kann es nur am Ölstand liegen, dass sich diese brutale Federprogression aufbaut.

Check 4: Gabel

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Um das Luftpolster mittels Zollstock nachzumessen, muss die Feder entfernt und die Kolbenstange ganz im Standrohr eingetaucht sein.

Gabelstopfen und Federn raus, Ölstand nachgemessen - alles klar: Im linken Gabelholm steht das Öl 75 mm unter der Oberkante, rechts 135 mm. Bei nur 75 Millimetern Luftpolster (ohne Feder, bei ganz eingetauchter Kobenstange gemessen) wird das Verdichtungsverhältnis zwischen aus- und eingefedertem Zustand enorm hoch und steht kurz vor der absoluten Blockade. Dabei blockt die Gabel auf dem überfüllten Hydrauliköl ab, das Rad springt und verliert die Haftung. Dieser Fehler passiert oft, weil beim Befüllen und Nachmessen die Gabel nicht komplett eingefedert oder die Kolbenstange nicht voll eingetaucht wird.


Noch eine Auffälligkeit: Beim Umbau der Gabel mit einen speziellen Dämpfer-Kit wurde der Einstellbereich so unsinnig eng ausgelegt, dass nur die erste Umdrehung der Zugstufe genutzt werden kann. Mit korrekt befülltem Gabelöl (beidseitig 110 Millimeter Luftpolster), einem synchron zur Gabel federnden Heck und einer cremig satten Dämpfung vorn wie hinten wird aus der bockigen Suzuki GSX-R 750 ein echter Kurvenfeger mit guter Stabilität und genügend Komfort.

Lediglich beim Beschleunigen aus der Kurve drängt die Gixxer ein wenig nach außen. Dafür muss man sich etwas mehr Zeit auf einer echten Rennstrecke nehmen; nur dort lassen sich je nach Kurvenspeed und Streckencharakteristik die Einstellmöglichkeiten zu einem optimalen Kompromiss zusammenfügen. Weil die Abstimmung von Fahrhöhe und Lenkgeometrie ein kompliziertes Puzzle ist, geht PS in Ausgabe 10/2009 diesem Geheimnis auf den Grund.

Das Wichtigste im Schnelldurchlauf

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Alles Edelzubehör hilft nicht weiter, wenn die Basis mechanische Macken hat. Also zuerst die prüfen, dann Geld ausgeben.

Bevor man die Mängel am Fahrwerk seines Motorrades mit sündteuren Zubehörteilen abstellen möchte, sind grundsätzliche mechanische Funktionen zu überprüfen. Bei einer ausgeschlagenen Federbein-Umlenkung hilft auch das beste Super-Duper-TTX-Beinchen nicht weiter.

1. Alle Schraubenverbindungen an Rahmen- und Motorlagern kontrollieren, da bei fast allen Sportmotorrädern der Motor als tragendes Element dient.

2. Freigängigkeit und Spiel im Lenkkopflager überprüfen, dazu Lenkungsdämpfer an einer Seite demontieren und Motorrad über den Seitenständer abkippen. Mit leichten Bewegungen um die Mittelstellung eingelaufene Lagerschalen prüfen.

3. Gabel und Federbein auf Ölverlust an Standrohren bzw. Dämpferstange prüfen.

4. Hinterradfederung und Umlenksystem in entlastetem Zustand (über Seitenständer kippen) auf Höhenspiel überprüfen. Höhenspiel am Hinterrad/Umlenkhebel darf maximal 1 bis 1,5 mm betragen; es kann Chattering auslösen.

5. Schwingenlagerung und Radlager in Betriebswarmem Zustand auf Spiel prüfen.


6. Luftdruck der Reifen in kaltem Zustand prüfen, gegebenenfalls auf die Angaben des Herstellers korrigieren. Heißluftdruck direkt nach der Fahrt überprüfen, mit Kaltdruck abgleichen und notieren.

7. Hinterrad auf korrekt eingespurten Einbau prüfen. Kettenspanner müssen links und rechts gleiche Markierungen aufweisen. Zur Nachprüfung können zwei gerade Messlatten links und rechts parallel zum Hinterrad angelegt werden.

8. Federvorspannung und Dämpfung sollten zunächst nach Herstellerangaben eingestellt sein.

9. Gabel und Federbein müssen sensibel und ohne großen Widerstand auf Belastung ansprechen. ACHTUNG: Nach der Vorderradmontage bei offenen Klemmungen Gabelholme entspannen.

10. Die Sitzposition des Fahrers muss absolut entspannt sein. Schalter und Hebel müssen griffbereit positioniert, Schalt- und Bremshebel ohne Verrenkungen zu bedienen sein.

Den nächsten Workshop-Termin erfahren Sie unter www.actionteam.de oder unter Telefon 0711-182-1977.

Die aktuelle Ausgabe
PS 10 / 2023

Erscheinungsdatum 13.09.2023