Felix, damals noch 23-jähriger Student aus Baden-Württemberg, hatte sich im Jahr 2014 (oder so – er erinnert sich nicht mehr so genau) eben diese Maschine, Baujahr 1984, gekauft und dafür die letzten Cents zusammengekratzt.
Das gute Stück kostete 1.100 Euro und hatte damals 27.000 Kilometer auf der Uhr. Seitdem war dieses Motorrad sein "Baby", das liebevoll gehegt, aber nicht immer perfekt gepflegt wurde. Felix mangelte es an Geld für eine Profiwerkstatt, also brachte er sich zwangsläufig das Selberschrauben bei, wobei er manches am Motorrad zunächst auch kaputtreparierte.
Größerer tank für die Yamaha XV 750 SE
Im Laufe der Jahre fuhr er zusätzlich rund 80.000 Kilometer auf dem Kardan-Chopper, und durchs viele Schrauben kam er auf den Geschmack, das Bike etwas zu "customizen": breiterer Lenker, Ochsenaugen, lauterer Auspuff, niedrigerer Sitz.
Nichts, was man wirklich bräuchte, gibt Felix zu, aber parallel dazu verbesserte er auch manche Sachen technisch, zum Beispiel installierte er einen größeren Tank, bessere Federn und so weiter. Das Anlasser-Getriebe funktioniere an seiner XV inzwischen zuverlässig, mache aber wie bei allen 750 SE trotzdem Lärm, so "als klöterten Schrauben im Getriebe", ergänzt Felix fachkundig.
Mehr als 100.000 Kilometer auf dem Buckel
Und in der nun langjährigen Beziehung gab es auch zwei Unfälle, einer davon richtig heftig. Felix entschied sich für Treue und setzte das gecrashte Motorrad wieder in Betrieb, doch alle Dellen, Kratzer und Sturzspuren blieben. Seitdem trägt sein geliebtes Baby den Namen "Schrotti".
Die Idee zu einer größeren Reise mit Schrotti kam schleichend. Da die 750er inzwischen mehr als 100.000 Kilometer auf dem Buckel hatte, langsam in die Jahre kam und Felix jedes Mal beim TÜV schwitzen musste, dachte er schon an einen Verkauf. Aber seine Schrotti wegzugeben, bekam er nicht übers Herz. Also dachte er sich: "Ich mache eine letzte große Reise. Falls das Motorrad dabei auseinanderfällt, könnte ich damit leben."
Felix baute die vorverlegten Fußrasten ab, von den originalen erwartete er ein deutlich besseres Handling. Zwei mächtige Alukoffer schoss er günstig im Netz und dengelte sie ans Motorrad. Für die weite Reise spendierte er noch halbwegs schotterpistentaugliche Reifen und ein Solar-Modul als Upgrade. Der Plan war eine Europa-Reise, vor allem in Regionen, wo er noch nie war. Und so ging es auf den Balkan und nach Osteuropa.
Wildcampen in Kroatien
An der Küste bin ich einen Schotterweg am Meer entlanggetuckert, entlang kleiner Buchten. Und hab mich schon gewundert, dass da so viele Camper stehen, obwohl in Kroatien nach Wildcampern angeblich streng geschaut wird. Ich habe dann mit einigen gequatscht und die standen dort bereits seit bis zu sieben Tagen. In der Vorsaison jucke es hier keinen, hieß es.
Nachdem ich einem jungen Pärchen mit ihrem Audi S3 plus Dachzelt Starthilfe gegeben hatte (na, wer fährt hier Schrott?), gaben die beiden mir den Tipp, dass man in die eine Bucht mit dem Motorrad bis an den Strand runterfahren könne. Gehört – gemacht. Traumhafter Zeltplatz am Privatstrand! Und das Beste: Ein Bach floss an der Stelle ins Meer und hatte 20 Meter landeinwärts einen wunderschönen Naturpool inklusive Naturdusche ausgewaschen. Schöner geht’s nicht!
Zufall in Albanien
Durch mehrere Empfehlungen von anderen Campern bin ich auf einem kleinen familiären Campingplatz gelandet. Ich hatte zu dem Zeitpunkt Probleme, dass mein Seitenständer sich etwas verbogen hatte und daher die Maschine immer sehr schräg stand und zu kippen drohte.
Doch Zufall: Mein Zeltnachbar war Zweiradmechaniker. Er kannte den Campingplatzbesitzer gut, und dieser wiederum vermittelte mich am darauffolgenden Tag zu einem Bekannten. In dessen "Werkstatt" – im Prinzip nur eine Scheune voll mit Werkzeug und Metallschrott – flexte, schweißte und bastelte mir dieser Mann aber akkurat eine superstabile und ordentliche Seitenständer-Verlängerung. Selbstverständlich alles ohne Handschuhe, Schweißerbrille oder sonstige Sicherheitsausrüstung. Am Ende wollte er umgerechnet zehn Euro. Ich habe ihm 20 gegeben und wurde noch auf ’nen Kaffee eingeladen.
Auf dem Weg nach Nordmazedonien
Wie immer hatte ich eine kleine Grenze ausgesucht (ich arbeite im echten Leben mit vielen Jugendlichen vom Balkan, und die gaben mir diesen Tipp), die Route ins Navi eingegeben und los! Die Straße, noch auf albanischer Seite, wurde bald zu Schotter, der Schotter dann zu Feldweg, der Feldweg irgendwann zu Geröll.
Die zwei Grenzpolizisten auf dem Berg im Nirgendwo hatten keine Bedenken, dass ich das schaffe. Ich schon! Am Ende bin ich über ein Gebirge, oftmals steil bergab im Schotter, mehr geschlittert als gefahren; durch Geröll, Matsch, tiefe Pfützen und über einen kleinen Weg. Einzige Spuren: die eines Traktors. Und das alles mit ’nem Chopper und etwas gröberen Straßenreifen …
Ich kam wie durch ein Wunder heil an, jedoch komplett fertig mit der Welt. Der Knaller war dann, dass ich nach der Strapaze an der Grenze erfahren musste, dass dieser Grenzübergang nur einer für Einheimische ist – also die ganze Scheißstrecke wieder zurück. Als i-Tüpfelchen riss da dann auch noch der Kupplungszug. Ich war platt, habe aber immerhin sehr gut geschlafen in dieser Nacht.
Unfall in Montenegro
Auf einem Bergsträßchen musste ich wohl etwas auf der Straße übersehen haben, denn plötzlich rutschten beide Räder weg. Erst in die eine, dann in die andere Richtung. Das Spiel wiederholte sich ein paar Mal, bis schließlich das letzte bisschen Traktion verloren ging und ich circa fünf Meter auf Asphalt schlitterte. Glück gehabt, nicht Schlimmeres passiert außer "a bissle" Blechschaden und blaue Flecken. Aber mein Kopf brauchte zwei Tage, um diesen Zwischenfall zu verdauen und wieder einigermaßen "zurechnungsfähig" fahren zu können.
Zurück in Deutschland
Nach rund 9.000 Kilometern ohne größere Probleme brach doch tatsächlich in Bayern ein Teil der Kupplungsbetätigungs-Mechanik. Es im Leerlauf bergab rollen zu lassen und dann ohne Kupplung den zweiten Gang reinzuknallen, war das Einzige, was noch als "Startvorgang" funktionierte.
Irgendwie hatte ich die fünf Kilometer bis zu einer Werkstatt geschafft (war zum Glück hügelig dort, auf der Ebene hätte ich nie starten können) und dort eine Hilfsbereitschaft erfahren, wie man sie kaum erträumen kann: Der Chef nahm sich trotz anderer Aufträge Zeit und schweißte mit mir das Teil wieder zurecht. Er wollte danach kein Geld annehmen, da es sich um "Nothilfe" gehandelt hätte. Das geschweißte Teil funktionierte dann tadellos bis nach Hause.
Bald ging die Reise sogar weiter. Nach Polen, ins Baltikum, dann Richtung Nordkap (einfach, weil man das als Motorradfahrer ja anscheinend einmal gemacht haben muss). Noch mal 12 000 Kilometer. Mal schauen, wie lange meine Schrotti durchhalten wird. Ich bin jedenfalls guter Dinge, dass wir uns so schnell nicht trennen werden.