Motorradreise Saudi-Arabien: Für das Poesiealbum der Ewigkeit

Motorradreise Saudi-Arabien
Für das Poesiealbum der Ewigkeit

Veröffentlicht am 03.11.2024

Prolog: Ich gebe es zu. Die alljährliche Dakar-Rallye verfolge ich nur sporadisch. Als mich ein Freund fragte, ob ich die fünfte Etappe des Rennens gesehen habe und ich verneinte, drehte er mir den Laptop zu. Was wir beide sahen? Natürlich die Moto-Helden im Superfast-Modus. Aber das war nicht, was er mir zeigen wollte. Und ich wusste es: Diese Landschaft, die beim Rennen zur schmückenden Kulisse verkümmert, war die eigentliche Sensation. Wo hatte man so etwas schon gesehen? Auf Mutter Erde auf keinen Fall. Keine Frage: Da muss man hin!

Leuchtreklamen von Ikea und McDonald‘s

Teil eins: Mal ehrlich! Was fällt dir als Erstes ein, wenn du an Saudi-Arabien denkst? Vielleicht purzeln dir wie mir Öl, Mekka, Sand und vielleicht die Dakar aus dem Hirn. Als ich jetzt mit meinem Buddy Jürgen im Taxi über die achtspurigen Highways der Dreimillionenstadt Dschidda cruise, flirren Leuchtreklamen von Ikea, McDonald‘s und anderen vertrauten Firmen an futuristischen Glasfassaden vorbei. In den Ausgehvierteln am Meer chillen smarte Typen und unverschleierte Frauen. Das soll Saudi-Arabien sein? Wir hatten anderes erwartet.

Aber: Wieso sitzen wir überhaupt im Taxi statt auf unseren Ténérés? Die deutsche Spedition, die unsere Bikes nach Dschidda hätte bringen sollen, verspätet sich unabsehbar. Nach einer Woche zermürbender Warterei könnten Jürgen und ich einen Restaurantführer über Dschidda schreiben. Oder uns mit neuen Motorradkumpels treffen. Einer von ihnen, den seine Freunde wie in James Bond "Q" nennen, hatte mich vorhin angerufen: "Sind eure Motorräder inzwischen da?" Mein "Nein" lässt ihn nicht kalt: "Ihr kommt in einer halben Stunde zu meiner Garage. Ich schick dir die Location per Whatsapp."

500er-KTM und Beta 300 RR zur Einstimmung

Es ist 20 Uhr. Das Taxi chauffiert uns durch die abendlichen Großstadtlichter zu Q. Im Neonlicht seiner Garage warten circa 30 Bikes, von Africa Twin bis hin zu zwei originalen Dakar-Maschinen, auf ihren nächsten Ausritt. "Ihr nehmt jetzt den Geländewagen mit dem Anhänger da vorn und ladet die 500er-KTM hier und die Beta 300 RR auf. Und jetzt fahrt endlich los!" Es ist 22 Uhr, als wir seine Garage verlassen. Wie lange wir weg sein werden? Wohin wir fahren? Q ist es einerlei. Hauptsache, wir sehen was vom Land.

Blassrot wölbt sich die Sonne zwischen den Zweigen dürrer Akazien. Der neue Morgen sieht uns 350 Kilometer weiter die Bikes abladen. Und wir können unser Glück kaum fassen: Ein ungeahntes Fantasieland aus Bergen und schwarzem Sand breitet sich vor unseren Augen aus. Minuten später fieseln dunkle Staubfahnen hinter unseren Leihbikes. Supereasy, denn wir fahren ohne Gepäck. Aber auch mit wenig Benzin. Trotzdem, zur Einstimmung perfekt. Und eine erste Schippe Abenteuer gibt’s obendrein.

Anhalten? Zu spät, zu steil!

Entlang des Wahba-Kraters mit seinen zwei Kilometern Durchmesser führt eine Piste zu einem Aussichtspunkt. Die Piste wird bockig, mit der KTM bin ich gefährlich nah am Abgrund. Anhalten? Zu spät, zu steil! Mit schwitzigen Fingern erreiche ich den Panoramaspot. Jürgen war schlauer und hat schon weiter unten angehalten. Während ich überlege, wie ich von diesem vermaledeit schönen Ort wieder herunterkomme, entlastet sich das Hirn mit Übersprungsgedanken: Was, wenn unsere Ténérés inzwischen angekommen sind?

Traum und Wirklichkeit: Mit elf Tagen Verspätung können wir unsere Motorräder in Empfang nehmen. Endlich! Mit völlig legalen 140 km/h ebnen wir die sechsspurige Autobahn Nummer 15 nach Medina, nach Mekka die zweite heilige Stadt im Land. Unterwegs Autobahnraststätten so groß wie ein ganzes Dorf. Vier Coffeeshops mit überbordender Auswahl, Supermarkt, Restaurants, Friseur, Werkstatt. Ich werde das Gefühl nicht los, dass sich unsere Raststätten eine saudische Scheibe abschneiden können. Medina selber lassen wir rechts liegen. Zu begierig sind wir auf das Vulkanfeld Harrat Khaybar und auf das Wiedersehen mit einem Freund aus Frankreich.

Mitten durch Vulkankrater, durch tiefschwarze Lavaasche

Alex ist mit seiner steinalten Transalp über Land nach Saudi-Arabien gereist. Jetzt sind wir zu dritt bereit für den Trip zum weißen Vulkan, der inmitten unzähliger schwarzer Brüder steht. Das Beste: Man kann auf dem weißen Kraterrand entlangfahren. Wenn das keine Einladung ist! Die folgenden Kilometer sind etwas für das Poesiealbum der Ewigkeit. Wir fahren mitten durch Vulkankrater, fräsen durch tiefschwarze Lavaasche und sind gefühlt die einzigen Menschen auf einem bizarren Planeten. In der Ferne schimmert der vollendet symmetrische weiße Vulkan. Hinauf? Ich versuche es dreimal, baggere die Ténéré jedes Mal im losen Geröll fest. Für mich unschaffbar. Jürgen und auch Alex sind erneut schlauer und erklimmen den Kraterrand zu Fuß. Vielleicht werde ich nicht schlauer, aber neugieriger.

Motorradreise in Saudi-Arabien
Dirk Schäfer

So erreichen wir die Oasenstadt Al-’Ula und ein fettes Highlight. Gleich nördlich der Oase ragen Felsinseln aus einem Meer aus Sand. Und jede Insel ist ein Grabmal. Die 2.000 Jahre alte Totenstadt Hegra wurde von den Nabatäern erbaut, die mit dem Weihrauchhandel reich geworden waren. Auf ihren Deckel geht auch die legendäre Felsenstadt Petra in Jordanien.

Apropos Felsen: Von jetzt an wimmelt unsere Route vor felsigen Einmaligkeiten. Zum weit geschwungenen Rainbow-Rock treiben wir die Ténérés noch über eine feste Piste. Aber danach rinnt der Schweiß. Durch tief verspurten Sand taumeln die Bikes öfter, als dass wir Dakar-ähnliche Fahrfähigkeiten an den Tag legen. Aber was soll’s? Uns sieht niemand. So erreichen wir das Bergmassiv Al Naslaa. Zuckerhutberge und ein wie mit dem Laserschwert gespaltener Fels sind die Attraktionen. Der Hammer! Und da käme noch mehr, würden uns jetzt nicht die Tage fehlen, die wir mit Warten zubringen mussten.

Teil zwei: "Jungs, ich habe ein überschüssiges Motorrad in Saudi-Arabien stehen. Will einer von euch das Ding fahren?" Meine drei französischen Freunde sind begeistert. "Ja, wir wollen alle!" – "Aber es ist nur ein Bike da!"– "Egal, dann mieten wir einen Geländewagen dazu." Einen Monat später sind Thierry, Raoul, sein Sohn Philippe und ich in Dschidda. Die unversehrten Bikes holen wir aus der Garage von Q, und Hamza, ein guter Freund von ihm, borgt uns gegen einen Obolus seinen voll ausgestatteten Landcruiser. Was dann folgt, hatte keiner von uns erwartet!

Motorradreise in Saudi-Arabien
Dirk Schäfer

Durch die Täler des Hedschas-Gebirges führt eine alte Eisenbahnstrecke, die mit Deutschland verknüpft ist. Heinrich August Meissner, Ingenieur aus Leipzig, baute ab 1900 die über 1.300 Kilometer lange Bahnstrecke von Syrien durch die hiesigen Wüstentäler bis nach Medina. Bekannter als der Erbauer ist allerdings der, der sie zerstört hat: Lawrence von Arabien. Seither ist von ihr nur noch die Trasse ohne die Gleise vorhanden. Navigation? Ein Kinderspiel. Das Risiko: auf dem Damm zu fahren. Denn der ist stellenweise weggebrochen, Brücken sind eingestürzt, Dünen haben die Trasse überweht. Aber die eigentliche Gefahr ist zunächst unsichtbar.

"Da, die Spur! Die geht genau auf das Loch zu …"

Vorbei an ausgedienten Bahnhöfen und Zugwracks fahren wir wie im Rausch durch Canyons und über makellos orange Dünen. Heute ist mein Tag auf dem Beifahrersitz des Landcruisers und ich filme begeistert, wie Raoul und Philippe die Ténérés über den Wüstenboden pilotieren. "Thierry, stopp mal! Ich sehe Philippe nicht mehr." – "Vielleicht macht er noch ein Foto." Aber auch nach mehreren Minuten taucht er nicht auf. Verfahren? Gestürzt? Der Moment, der bei jeder Gruppenfahrt ein kurzes Unwohlsein auslöst, bis sich die Situation durch Banalitäten wie "Ich musste kurz pinkeln" klärt. Diesmal klärt sich nichts.

Wir fahren langsam zurück, passieren ein Loch, das so tief ist, dass wir nicht bis auf den Grund schauen können. Das Hirn weigert sich weiterzudenken, bis Thierry die Worte im Hals stecken bleiben: "Da, die Spur! Die geht genau auf das Loch zu …" Wir stürzen aus dem Auto, Raoul springt von der Ténéré und wir blicken in die Tiefe. Da unten … liegt Philippes Motorrad. Und er selbst! Unsere Herzen setzen einen Moment aus. "Ich lebe, ich lebe!", ruft es aus dem Loch. "Könnt ihr mich bitte hier rausholen?"

Motorradreise in Saudi-Arabien
Dirk Schäfer

Epilog: Philippe hatte sich Gott sei Dank nur den Fuß gebrochen. Wir transportierten ihn in ein 80 Kilometer entferntes Hospital, wo er bestens versorgt wurde. Die Bikes brachten wir wieder zu Q, wo sie auf ihre Heimreise warten. Wenn die Spedition so gut arbeitet wie auf der Hinreise, werden sie noch bei Q stehen, wenn ich wiederkomme. Und das werde ich.