Von der Wasserkuppe, mit 950 Metern höchster Berg der Rhön, kurven wir via Abtsroda und Tränkhof hinunter nach Poppenhausen, wo wir einen Exklusiv-Termin bei Alexander Schleicher, dem weltbekannten Segelflugzeug-Hersteller, bekommen haben (siehe Seite 94). Anschließend heißt es: Start frei zur ersten Runde durchs Ex-Zonenrandgebiet im Dreiländereck Hessen, Thüringen und Bayern, immer noch etwas abseits gelegen und dünn besiedelt. Alle Tourdaten und Faltkarte zum Download gibt's hier.
In weiten Bögen nach Friesenhausen
Fester Bestandteil der hiesigen Population sind die Rhönschafe mit ihren charakteristisch schwarzen Köpfen. Immerhin zwei Artverwandten begegnen wir in Dietershausen, in trauter Runde vereint mit Ziege, Kuh und Kälbchen, nicht zu vergessen ein durstiger Bauer – alle kunstvoll aus Sandstein geformt am Dorfbrunnen. Schön flüssig weiter in weiten Bögen nach Friesenhausen, in leichtem "Steigflug" dann mit den Motorrädern bis Finkenhain und auf schmalem Sträßchen nach Wolferts, zur Stippviste bei Ikarus, der dort an einer Hofeinfahrt seine Flügel gen Himmel reckt – durch Ketten beschwert, damit die Statue brav am Boden bleibt.
Fantasie und Imagination auch an der nächsten Station: dem Malerdorf Kleinsassen mit einem Skulpturengarten und der Kunststation nebst Café. Mmh, hausgemachte Kuchen und Torten! Leider geschlossen. Zum Trost die leckere L 3379 hoch nach Danzwiesen, zwischen 1963 und 1983 Austragungsort des Rhön-Bergrennens, und nun willkommene Gelegenheit, in den Dynamic-Modus zu wechseln.
Zum Boxenstopp in die nahe Milseburgstube. Aber ach, Ruhetage. Tja, so schön die Gegend, so schwierig das gastronomische Geschäft. Aber dann: Von der markanten Milseburg, übrigens kein altes Gemäuer, sondern ein verwitterter Phonolithkörper, locker-flockig via Steens nach Dipperz zu Linda: Sahne-Kirsch, Bitterschokolade, Grüner Apfel etc. pp., im Becher oder Hörnchen – eisgeliebtes Herz, was willst du mehr! Und wer sich ob der großen Auswahl nicht entscheiden kann, bestellt zehn Kugeln auf einmal, zum Sparpreis.
Von der hessischen in die thüringische Rhön
Von Lindas Eiscafé kugeln, Pardon, kurven wir via Hofbieber nach Morles und Hünfeld, Wahlheimat von Konrad Zuse, der anno 1941 mit dem Z3 den ersten funktionstüchtigen Computer der Welt gebaut hat, einen vollautomatischen, programmgesteuerten und frei programmierbaren, in binärer Gleitkommarechnung arbeitenden Rechner. Mannomann. Wozu das menschliche Hirn sonst noch so fähig ist, dafür steht 15 Kilometer weiter Point Alpha. "Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten." Dieses und andere Zitate einstiger DDR-Prominenz "zieren" die Gedenkstätte auf dem Platz der Deutschen Einheit in Geisa, erinnern an den Kalten Krieg und die Konfrontation von NATO und Warschauer Pakt. Eine Ehrenrunde mit der F 800 GS um die Schranke nebst rot-weißem Verbotsschild, darin "стой", russisch für "Stopp" (bitte nicht nachmachen und den Schafen ihr Futter platt fahren, allenfalls auf dem Plattenweg entlang der ehemaligen Grenze ein paar Meter rollen), und dann von der hessischen in die thüringische Rhön.
"Über sieben Brücken musst du geh’n" – sicher spielen Karat ihren legendären Hit auch und gerade beim bevorstehenden Konzert in Vacha. Aushängeschild des Städtchens ist die mittelalterliche Steinbogenbrücke über die Werra, Grenze einst zum westdeutschen Philippsthal, heute frisch gepflasterte "Brücke der Einheit". Ob es wohl durch den hiesigen Kalibergbau grenzunterschreitende Stollen gab? Während diese und andere Fragen das Erlebnisbergwerk Merkers klären dürfte, genügt uns unweit des Förderturms das Erlebnis Schlemmerecke. "’Ne Wurst geht immer", findet Manfred; dazu Thüringer Brause, grüne mit Waldmeister-, rote mit Himbeergeschmack. Gesellschaft leistet uns an der hölzernen Imbisshütte René, der außer einem MZ-Gespann auch eine Hayabusa besitzt, Ikonen aus dem östlichen wie westlichen Bikerkosmos in seiner Garage versammelt hat.
Achterbahn aus Biegungen und Serpentinen
Kostbares Gut gänzlich anderen Kalibers lagerte Ende des Zweiten Weltkrieges in den Schächten des Werra-Fulda-Kalireviers: der von den Nazis deponierte Reichsbank-Goldschatz von Merkers. Nach dem einst "reichsten Ort Deutschlands" jetzt einfach mal eine ordentliche Portion Landstraßenspaß, auf der großzügig mit Biegungen und Serpentinen bedachten Achterbahn über Stadtlengsfeld und Oechsen nach Dermbach. Das dortige Museum der thüringischen Rhön lassen wir sausen, sorry, starten durch nach Tann. Vor der Wende 1989 lag der Luftkurort mit dem mächtigen Stadttor in einem exponierten Zipfel Hessens, der wie ein gewisses gallisches Dorf umschlossen war von Feindesland. Heute findet auf der Terrasse vom Eiscafé Lucia zusammen, was zusammengehört. Inzwischen ist es spät geworden, sodass der Abstecher zum Biker-Treff Dietgeshof ausfällt. Da zudem beim Schlenker via Neuswarts und Apfelbach der Himmel mit Niederschlag droht, trudeln wir lieber zur Punktlandung wieder in unserem Quartier "Peterchens Mondfahrt" auf der Wasserkuppe ein.
Ausflug ins Deutsche Segelflugmuseum
Einer Nacht, fast so still wie im All, folgt dichter Nebel. Bleibt in der Nebelsuppe wohl nur der Instrumentenflug. Alternativ das Ausweichen ins Deutsche Segelflugmuseum mit Modellflug. Wie es dort ist? Mega! Von der Rekonstruktion eines aus Bambusstangen erbauten Doppeldeckers, mit dem es 1912 dem Darmstädter Gymnasiasten Hans Gutermuth (nomen est omen) gelang, in 110 Sekunden 840 Meter weit auf der Wasserkuppe zu gleiten, bis zu – am besten guckst du dir all die anderen Exponate selber an, staunst über Blaue Maus, Grunau Baby II, LO Zwergreiher, Olympia Meise, RRG Ente und Glasflügel BS 1, wie sie da auf grüner Auslegeware stehen oder hoch oben unter den hölzernen Hallendecken hängen.
Und die uns irgendwie erden beim Gedanken an gut 100 Jahre technische Entwicklung, von den Pioniertagen, in denen dein Leben davon abhing, dass eine Schraube hielt, weil du sonst vom Himmel gefallen wärst, bis heute, wo wir uns ärgern, wenn Trip 1 ums Verrecken kaum zu resetten ist. Ein Problemchen, das so gesehen doch wieder nichtig und klein erscheint. Als es endlich aufklart, starten wir die Zweizylinder mit dem blau-weißen Propeller auf dem Tank, pilotieren sie nach der Runde durch den nördlichen nun durch den südlichen Teil der Rhön.
Verkappte Bergrennstrecke zum Kloster Kreuzberg
Zum Warmfahren ein paar lockere Schwünge entlang der grünen Hänge bei Maiersbach-Wachtküppel, Rodenbach und Mosbach, bevor es auf einer verkappten Bergrennstrecke hoch zum Kloster Kreuzberg geht. Wo kurz vorm Himmel die Hölle los ist. Unterhalb der sakralen Mauern ein kostenpflichtiger Großparkplatz, oben Knöllchengefahr am Biergarten – es sei denn, du bist potenzieller Übernachtungsgast im Kloster. Also flott wieder bergab und in die Altstadt von Bischofsheim mit gleich zwei einladenden Locations nebeneinander. Die Qual der Wahl: links die Eisdiele Adriana, rechts das traditionelle Café Voll, wo Bäckermeister Fritz eigene Eisrezepte in petto hat.
Schokoladenmanufaktur mit Werksverkauf
Der süßen Versuchung wohl nicht mehr widerstehen kannst du danach in Sandberg: Die Schokoladenmanufaktur mit Werksverkauf scheint dauerhaft geschlossen. "Weggeschmolzen" wie Eisbecher in der Sonne sind hier in der bayerischen Rhön nun plötzlich die typischen Küppel und Kuppen, die kleinen und größeren Berge. Stattdessen mehr tiefer Wald, zum Beispiel von Gefäll nach Oberbach. "Achtung, Wolfsgebiet", bittet ein Schild, Hunde an die Leine zu nehmen und Kinder zu beaufsichtigen. Befolgen solltest du auch die nächsten beiden Schilder: In Bad Brückenau weisen sie den Weg zum tollen Deutschen Fahrradmuseum mit angegliedertem Jugendstilcafé, in Bad Bocklet verwehren sie Motorrädern zeitweise die Durchfahrt. Immerhin gibt es kein Flugverbot über Schloss Aschach an der Fränkischen Saale, ein Motiv fürs Kalenderblatt. Wie für Krafträder gemacht die leer gefegten Landsträßchen.
Zwischen Steinach und Schmalwasser schlängelt sich das graue Band, mal zernarbt, mal glatt gebügelt, durchs von lichtem Wald gesäumte Tal, hämmern Twins und Spechte um die Wette. Windshausen und Wegfurt, Oberelsbach und Rother Kuppe sind die nächsten Stationen im Flow; aber zwischendurch auch die Möglichkeit zum Cool-down am Café Valentina und dem Burgwallbacher Badeseechen bei Schönau an der Brand. Besonders heiß her geht es alljährlich beim spektakulären Hauenstein-Bergrennen, auf der Strecke von Hausen hoch zum Schwarzen Moor. Statt qualmenden Gummis jetzt nur dichter Nebel.
Aber statt grauer Suppe etliche Höhenmeter tiefer im hübschen Fachwerkstädtchen Fladungen ein nostalgisch buntes Schaufenster – mit rot-weißer Seifenkiste und Peggy March, Werbung fürs im Zweijahresturnus steigende Fladungen Classics; nächster Termin ist 5.–6. Juli 2025, der ganze Ort wird dann aussehen wie in den 60er-/70er-Jahren, als sei die Zeit wie im Rückwärtsflug vergangen. Auf der Hochrhönstraße noch mal, vorbei am Jagdschloss Holzberg, in dessen heimeliger Gaststube leider kein Tisch mehr frei ist, nach Bischofsheim und via Gersfeld zurück auf die Wasserkuppe. Irgendwo unterwegs zieht hoch über uns ein Rotmilan seine Kreise, erinnert an die Vorbildfunktion der gefiederten Kollegen vor vielen, vielen Jahren. Denn wie heißt es beim Segelfliegen so treffend: Am Anfang war der Vogel.