"What is this?", fragt der Uniformierte hinter der Glasscheibe und schaut streng. Als albanischer Grenzer sollte er das eigentlich wissen, denke ich, und antworte:"My ID-Card!" "And what is this?", fragt er, strenger schauend und mit dem Finger auf eine bestimmte Stelle der Plastikkarte tippend? "Shit!", denke ich, antworte aber:"Oh!" Erkenntnis: Mit einem vor Monaten abgelaufenen Personalausweis ist grenzüberschreitend nur schlecht zu reisen.
Von Kroatien über Montenegro und Albanien
Das war die Situation vor elf Jahren, und der geplante Albanien-Trip war vorbei, bevor er überhaupt losging. Was blieb, war der Wunsch, Albanien zu bereisen. Etwa zeitgleich mit dem erneuten Ablaufen der ID-Card erschien im Portfolio des hauseigenen MOTORRAD action teams DIE Lösung: Eine geführte Tour, die, beginnend in Kroatien, über Bosnien-Herzegowina und Montenegro nach Albanien und wieder zurück führt.
Komfortabler Gepäcktransport im Führungsfahrzeug
Nun gibt es etliche organisierte Endurotouren auf, über und durch den Balkan, doch diese hier hat eine Besonderheit: Neben den von Alper Sirin geführten Motorrädern fahren – betreut von Bruder Tamer – 4x4-Geländewagen zeitversetzt dieselben Strecken. Was mehrere Vorteile bietet: Zum einen übernimmt das Führungsfahrzeug der 4x4 den Gepäcktransport der Motorräder und zum anderen kann die beste Sozia von allen Tag für Tag je nach anstehendem Offroad-Schwierigkeitsgrad und/oder dem Wetter den (fix gebuchten) Beifahrersitz des Pkw entern. Oder eben nicht. Also flugs, ganz wichtig, den Perso verlängert und dann die Sache eingetütet, sprich gebucht.
Und dies etliche Monate vor Reisebeginn. Eine für das Team Glück/Lindner gänzlich neue Erfahrung, denn üblicherweise steht bei Reiseantritt nur grob die Richtung fest, in die es gehen soll; alles Weitere ergibt sich dann unterwegs. Auch der Umstand, dass man sich bei einer organisierten Reise zwar einerseits um nichts kümmern muss, andererseits der eigene Handlungsspielraum dadurch sehr überschaubar wird, sorgt im Vorfeld für gelegentliches Bauchgrimmen. Zumal die persönlichen Ansichten, wie die Dinge laufen sollten, damit man sie als gut betrachtet, oft stark vom Mainstream abweichen. Wobei das der Balkan, von der kroatischen Adriaküste einmal abgesehen, ja auch tut.
Möglichkeit zum Powercruisen und bummeln
Um die Sache an dieser Stelle abzukürzen getreu dem Motto "Einfach mal machen, vielleicht wird es ja gut": Der Trip erwies sich als Volltreffer! Vor allem die Motorrad-Truppe stellte sich trotz großer Bandbreite im Fuhrpark als ein durchaus homogener Haufen heraus. So waren je drei BMW 1250er-GS und Yamaha T 7 sowie je eine BMW 650er-GS, Ducati DesertX, Honda Transalp und KTM 790 Adventure mit von der Partie. Und Tourguide Alper hatte mit seiner gerade einmal 29 PS starken, dafür auch nur 160 Kilogramm schweren Voge 300 Rally vor allem abseits des Asphalts jede Menge Spaß.
Je nach Lust und Tagesform sortierte sich die Truppe hinter ihm ein, wer powercruisen wollte, fuhr vorne, wer bummeln wollte, eben hinten. Dank der konsequent umgesetzten Regel, dass der Vordermann dafür verantwortlich ist, den Hintermann nicht zu verlieren, und nicht etwa umgekehrt, konnte jeder sein Wohlfühltempo fahren, ohne befürchten zu müssen, verloren zu gehen. Ebenso erwies sich die Sorge, dass einem die 4x4 ständig vor der Nase herumfahren würden, als unbegründet. Sie fuhren morgens nach den Motorrädern los und teilweise andere Strecken, sodass man sich tagsüber meist nur bei Pausen, an Sehenswürdigkeiten, aber oft auch erst abends am Hotel wiedersah.
Vielseitige und wunderschöne Landschaft
Eine weitere Überraschung auf der Tour war die unglaubliche Vielseitigkeit und Schönheit der Landschaften wie auch der Länder an sich. Tolle Gegenden gibt es in Westeuropa natürlich auch zuhauf, doch ob man sich gerade in A, D, E, F, I, NL oder P – um nur einige klassische Urlaubsländer exemplarisch zu benennen – befindet, erkennt man, neben der Sprache natürlich, primär an den Autokennzeichen. Urbane Gefilde, Warenangebote (wo auch immer du hinkommst: Aldi, Decathlon, Ikea et cetera sind schon da) und Straßenbilder ähneln sich dort mittlerweile doch sehr. Nicht so auf dem Balkan. Wohl hat Slowenien quasi "Weststandard", in Kroatien sieht es abseits der Küste schon anders aus, die Straßen sind schlechter, die Autos älter, insgesamt ist alles nicht so herausgeputzt.
Bosnien-Herzegowina: Gegenwärtige Spuren des Kriegs
In Bosnien-Herzegowina sind die Spuren des Krieges (1992 bis 1995) bis heute allgegenwärtig. Besonders im ländlichen Raum sieht man überall Ruinen und zerschossene Häuser. Oftmals wurden diese nach dem Krieg nicht wieder aufgebaut, sondern als Mahnmal stehen gelassen. Ein Neubau steht oft direkt daneben. Insgesamt merkt man, dass nicht viel Geld vorhanden ist. Was der Schönheit der Landschaft, abgesehen vom überall herumliegenden Müll, keinen Abbruch tut.
Montenegro wirkt dagegen wieder spürbar wohlhabender, was sich in der Infrastruktur und Aufgeräumtheit widerspiegelt. Albanien ist wiederum eine ganz andere Nummer. Die 39 Jahre totale Isolation (1946–1985) ließen sich in den 39 Jahren danach längst nicht vollständig kompensieren, auch wenn es an der Küste aussieht wie überall. Ein geländegängiges Fahrzeug ist heute kein Muss mehr, um Albanien zu bereisen, doch dann bleiben einem viele absolut beeindruckende Landschaften und Ausblicke verborgen.