Neuseeland ist schön grün, das weiß jeder. Für das Grün gibt es allerdings gute Gründe - es regnet nämlich sehr oft. So wie jetzt gerade, 100 Kilometer vor meinem Ziel Invercargill. Dazu kommt ein so starker, böiger Wind aus allen Richtungen, dass ich mich in mancher Kurve schon irgendwo im Gebüsch hängen sehe. Meine Kumpels haben Gas gegeben und sind wahrscheinlich schon in Invercargill. Kunststück, auf VFR 750 mit brandneuen Radarwarnern im Cockpit - die sind in Neuseeland legal. Da bleibt mir mit meinen 60 Zweiventil-Boxer-PS nur, die Regenfront gemütlich zu durchfahren und mich zu freuen, dass die Handschuhe dicht halten.
Wieso habe ich eigentlich in Dunedin nicht getankt? Deutliches Ruckeln vom Motor zeigt an, dass der zweite Benzinhahn auf Reserve muss. Und ich bin mitten in der Pampa, kein Haus in der grau-grünen Suppe um mich herum. Zweiter Reservehahn, das heißt noch knapp vier Liter Sprit. Und Invercargill ist auf dem Navi noch nicht mal im 40-Kilometer-Radius. Das Problem, wenn man ein Motorrad mit großem Tank hat: Man wird einfach sorglos. Tank ich nicht heute, tank ich eben nächste Woche. Jaja. Irgendwie reicht‘s dann doch. Und bei zehn Grad am Freitag Nachmittag tuckere ich ins Zentrum von Invercargill. Ein eisiger Wind peitscht die Hauptstraße entlang, an jeder Ecke Motorräder, gelbe und rote Regenkombis bilden einen netten Kontrast zum grauen Himmel. Erstmal tanken, dann ab zum Backpacker, wie sie die landestypische Mischung aus Jugendherberge und Pension hier nennen. Die Kollegen habens gebucht, die jetzt noch nicht mal auf meinen Anruf antworten.

Invercargill, die südlichste Stadt Neuseelands, ist mit ihren knapp 60000 Einwohnern mehr ein Nest als eine Stadt und die Orientierung aufgrund der gitterförmigen Aufteilung sehr einfach. Chris und Neil sitzen auf dem überdachten Bürgersteig vor dem Café, das zum Backpacker gehört, und wärmen sich gerade auf, als ich vorfahre. Sie sind noch in Motorradklamotten, so spät kann ich also gar nicht dran sein. Kurze Besprechung, wie es weitergeht. Das Strandrennen soll in einer Stunde starten. Also nur kurz Gepäck aufs Zimmer und dann gleich wieder los, runter ans Meer. Doch die Karawane der Motorradfahrer, die uns entgegen kommt, verheißt nichts Gutes. Und so ist es dann auch. Nein, sorry, aufgrund des starken Winds und Regens haben die Veranstalter entschieden, es sei zu gefährlich, das Rennen zu starten.
Burt Munros legendäre Indian steht draußen vor dem Registrierungszelt im Regen auf dem Hänger und wird wieder nach Hause gezogen. Schade, ich hatte mich drauf gefreut. Das Beach Race war immerhin eine der besten Szenen in dem herrlichen Film "The Worlds Fastest Indian - Mit Herz und Hand" von 2005, worin der große Anthony Hopkins so trefflich Burt Munro spielt.
Am nächsten Tag ist die Renn-Absage die Schlagzeile der "Southland Times". Darin wird auch berichtet, dass eine Gruppe von fünf Motorradfahrern auf einem glatten Straßenstück vom Sturm einfach umgeweht worden ist. Ob das so stimmt, oder ob da nicht das eine oder andere Fahr-Bier eine Rolle gespielt hat, wer weiß? Macht den Sturm aber dramatischer.
Am nächsten Tag ist alles anders. Der Wind hat die Regenwolken vertrieben, nach Norden, wo wir sie auf dem Rückweg wieder einholen werden. Es ist strahlend schön, blauer Himmel, Sonne. Eiskalt ist es auch, so kalt, dass viele an der Rennstrecke ihre Helme aufsetzen, während sie den Rennen zuschauen. Das ist eine sehr gute Idee, die ich natürlich ignoriere. Wofür ich am Abend mit mörderischem Sonnenbrand im Gesicht bestraft werde (die Sonnenmilch war natürlich daheim geblieben, im Bad, wo sie hingehört). Ich glühe noch einige Tage vor mich hin wie die Stoffelche mit den roten Nasen, die zu Weihnachten hier jeder im Auto sitzen hat.
Burt-Munro-Challenge Teil 2

Aber egal, es lohnt sich, der Tag ist spannend. Da sind die Rennen auf dem Teretonga Race Track. Es gibt zig Klassen: neben der offenen noch die vor 1963, vor 1972 und vor 1989. Der Kurs ist gerade mal 2,62 Kilometer lang, aber die Fahrer lassen es gut krachen, und an der langen Geraden, wo ich sitze, lernt man schnell, die Profis von den Anfängern zu unter-scheiden. Eine Ortschaft weiter gibts eine "Oldtimer-Show" in der Turnhalle. Schöne Klassiker stehen da, alle mit Pappe unterm Motor, um den gelegentlichen Tropfen Öl aufzufangen. Da passt es, dass die alte, mitgenommene Triumph Bonneville, die draußen neben meiner BMW parkt, einen Drei-Liter-Ölkanister auf dem Soziussitz verzurrt hat.
Sonntag, und die Motorradkarawane verlässt Invercargill gen Norden, ins 30 Kilometer entfernte Wyndham. Der Ort besteht aus etwa 25 Häusern, hat eine Kneipe und eine Tankstelle. Das Amt des Bürgermeisters übernimmt der Pfarrer, der auch abends am Tresen steht und tagsüber die Tankstelle bedient. So ungefähr jedenfalls. Einmal im Jahr steht Wyndham allerdings Kopf und fühlt sich an wie eine Kleinausgabe der Isle of Man. Der gesamte Ort ist ein Rennkurs mit Schikanen, Heuballen und Werbebannern. Den ganzen Tag wird Gas gegeben, auf Supermotos, fetten Vierzylindern oder - endlich - mal ganz klassisch auf alten Indians. Die anwesenden Gast-Motorräder und -Fahrer übersteigen die Einwohnerzahl im Verhältnis 200 zu eins. Und tatsächlich findet sich im Fahrerlager auch eine Replica von Burts originaler Indian von 1932. Nur schade, dass sie hier nicht mitfahren darf.

Es ist früher Nachmittag, wir müssen los, heim, denn morgen Mittag geht schon unsere Fähre, die uns zurück auf die Nordinsel, nach Wellington, bringen soll. Und zwischen dort und hier liegen noch 1000 Kilometer. Die sich anfangs auch gut anfühlen, mit viel Sonne und trockenen Straßen. Aber dann wird es immer dunkler und kühler, und in Ashburton, 50 Kilometer vor Christchurch, hat es nur noch neun Grad. Als dann rechts ein Motel auftaucht, das einen heißen Whirlpool verspricht, fällt die Entscheidung leicht, und der Tag endet im Blubberwasser.
Regen am letzten Tag, der uns fast den ganzen Weg bis nach Picton, dem Fähr-hafen an der Spitze der Südinsel, begleitet. Wir schaffen es so gerade und rollen eine halbe Stunde vor Abfahrt an Deck. Wie immer werden die Maschinen doppelt und dreifach verzurrt, aber die Mühe ist unnötig, die See spiegelglatt. Und während ich in einem Liegesessel vor mich hin döse, nehme ich mir vor, mir daheim nochmal "The Worlds Fastest Indian" auf DVD anzusehen. Vielleicht klappts ja nächstes Jahr, und ich kann das Beach Race mal live sehen.
Internet: www.burtmunrochallenge.com
Burt Munro

Der Mann, der Film, die Party
Burt Munro ist in Neuseeland eine Legende. Gespielt von Anthony Hopkins, wurde er 2005 durch "The Worlds Fastest Indian" weltbekannt. In Deutschland hatte der Film (vermutlich aufgrund des dämlichen Titels) "Mit Herz und Hand" wenig Erfolg. Burt Munro (1899-1978) arbeitete 20 Jahre lang an seiner 1920er-Indian, um damit 1967 auf den Salzseen bei Bonneville in Utah, USA, einen Geschwindigkeits-weltrekord für Motorräder unter 1000 Kubik aufzustellen. Zehn Mal nahm Munro an den Rennen in Bonneville teil, fuhr drei Weltrekorde. Seinen letzten Rekord schaffte er 68-jährig auf einer 47 Jahre alten Maschine, mit der er 295 km/h erreichte.
Die Burt Munro-Challenge wurde 2006 vom Southland Motorcycle Club ins Leben gerufen, um "Burt, seinen Einfallsreichtum, seine Hingabe, Entschlossenheit und Liebe zu Geschwindigkeit und Motorrädern" zu ehren. Die Challenge findet seitdem jedes Jahr Ende November in Munros einstiger Geburts- und Heimatstadt Invercargill statt und besteht aus diversen Straßenrennen, einem Hill-Climb und dem Strand-Rennen, das aber 2009 wegen schlechten Wetters abgesagt werden musste.