Verstehe einer die Italiener. Bereits bei der Vorstellung des Gilera GP 800 vor drei Jahren fragte sich die Fachwelt, warum der (im Übrigen bis heute) größte, stärkste und schnellste Scooter auf die segensreichen Erfindungen der Neuzeit wie ABS und verschiedene Schaltmodi der Variomatik verzichten muss. Dies war und ist umso unverständlicher, als die fast zeitgleich präsentierte Aprilia Mana, die denselben Motor wie der GP 800 hat, über eben diese Goodies verfügt. Der GP hat nach wie vor weder das eine noch das andere. Die einzige Änderung, die ihm seit Produktionsbeginn zuteil wurde, ist das weiße Kleid, welches ihn brav und unschuldig erscheinen lässt.
Zu behaupten, der Gilera habe es faustdick hinter den Ohren bzw. den etwas zu kleinen Rückspiegeln, wäre aber übertrieben. Doch er ist näher am Motorrad dran, als es die Scooter-Optik vermuten lässt. Die Bremse ist nicht nur ABS-los, sondern auch nicht integriert und geht stahlflexgeleitet mit sauberem Druckpunkt, geringen Handkräften und kräftiger Wirkung ans Werk. Das Fahrwerk sorgt dank straffer Federung und satter Dämpfung für gute Rückmeldung und Fahrstabilität auch auf schlechteren Straßen. Die Zielgenauigkeit geht für Rollerverhältnisse absolut in Ordnung, die Schräglagenfreiheit grundsätzlich auch, allerdings kommt links herum hart und unnachgiebig der Hauptständer. Also aufgepasst.
Beim Handling lassen sich die gemessenen 272 Kilogramm Gewicht aber nicht verleugnen. Sowohl beim Aufbocken auf den Hauptständer als auch beim Schieben sind neben Entschlossenheit auch starke Muckis gefordert. Die Fahrleistungen hingegen können sich sehen lassen. Durch die stufenlose Automatik dreht der mit 4,7 Litern/100 Kilometer recht sparsame V2 beim Beschleunigen immer im Bereich des maximalen Drehmoments. Das sorgt trotz des hohen Gewichts für gute Durchzugswerte. Mit 193 km/h markiert der GP 800 die Spitze im Rollerbereich, allerdings neigt er ab 160 km/h zum Pendeln. Also Gas raus, und schon wird es ruhiger hinter der elektrisch verstellbaren Scheibe. Der Windschutz ändert sich durch die Verstellung weniger als der Geräuschpegel.
Wer vom Motorrad kommt, wird sich über das Helmfach und die relaxte Sitzposition - auch für den Sozius - freuen, für Roller-Verhältnisse ist aber der Stauraum eher dürftig. Auch die Ausstattung ist überschaubar: einstellbare Handhebel, die erwähnte Scheibe, zwei Tripmaster, Thermometer, Steckdose, Feststellbremse und Regenabdeckung für die Sitzbank. Das war‘s. Aber für die Fans zählt ohnehin eher die überlegene Motorleistung.
Technische Daten

Motor:
Wassergekühlter Zweizylinder-Viertakt-90-Grad-V-Motor, je eine obenliegende, kettengetriebene Nockenwelle, vier Ventile pro Zylinder, Kipphebel, Trockensumpfschmierung, Einspritzung, Ø 38 mm, geregelter Katalysator, Lichtmaschine 450 W, Batterie 12 V/14 Ah, Fliehkraftkupplung, Stufenlose Riemen-Automatik, O-Ring-Kette.
Bohrung x Hub 88,0 x 69,0 mm
Hubraum 839 cm³
Verdichtungsverhältnis 10,5:1
Nennleistung 50,5 kW (69 PS) bei 7750/min
Max. Drehmoment 71 Nm bei 4500/min
Fahrwerk:
Gitterrohrrahmen aus Stahl, Motor mittragend, Telegabel, Ø 41 mm, Zweiarmschwinge aus Aluminium, Zentralfederbein, direkt angelenkt, Doppelscheibenbremse vorn, Ø 300 mm, Doppelkolben-Schwimmsättel, Scheibenbremse hinten, Ø 280 mm, Doppelkolben-Schwimmsattel.
Alu-Gussräder 3.50 x 16; 4.50 x 15
Reifen 120/70R 16; 160/60R 15
Bereifung im Test Michelin Pilot Sport SC
Maße und Gewichte:
Radstand 1593 mm, Lenkkopfwinkel 64,5 Grad, Federweg v/h 126/135 mm, Sitzhöhe* 810 mm, Gewicht vollgetankt* 272 kg, Zuladung* 178 kg, Tankinhalt/Reserve 14,0/3,0 Liter.
Garantie zwei Jahre
Farben Rot, Schwarz, Weiß
Preis 9478 Euro
Nebenkosten 221 Euro
Messwerte:
Fahrleistungen
Höchstgeschwindigkeit 193 km/h
Beschleunigung
0-100 km/h 5,9 sek
0-140 km/h 10,9 sek
Durchzug
60-100 km/h 2,8 sek
100-140 km/h 4,8 sek
140-180 km/h 11,4 sek
Tachometerabweichung
Effektiv (Anzeige 50/100) 45/90 km/h
Verbrauch
Landstraße 298 km/h
Kraftstoffart Super