GasGas SM 700 und GasGas ES 700 im Fahrbericht
Vollgetankte 160 kg treffen auf 74 PS

Fans des großen 690er-KTM-Singles sehen auf den ersten Blick: Die beiden neuen GasGas-Modelle SM 700 und ES 700 sind auf derselben technischen Basis genau so bei KTM und Husqvarna erhätlich. Dem Fahrspaß tut dieser Umstand allerdings keinerlei Abbruch.

GasGas SM 700 Fahrbericht
Foto: GasGas

Sete Gibernau. Die Älteren unter uns werden sich an den Spanier als zweifachen MotoGP-Vizeweltmeister erinnern, der in den Jahren 2003 bis 2005 ärgster Widersacher eines gewissen Valentino Rossi gewesen ist. Er betreibt zwischen Girona und Barcelona gelegen eine kleine Rennstrecke als Trainingszentrum. Und wenn man jetzt noch weiß, dass die Firma GasGas 1980 in Girona gegründet worden ist, schließt sich der Kreis. Die Fahrpräsentation der beiden neuen GasGas-Modelle SM 700 und ES 700 beginnt also morgens auf Setes Privatrennstrecke, wo die Maschinen fein aufgereiht und zum Andriften bereitstehen.

Motorrad-Neuheiten

Die technische Basis zwischen der "neuen" Gasgas-Supermoto SM 700 bzw. der Enduro ES 700 und der KTM 690 SMC R/Enduro R und Husqvarna 701 Supermoto/701 Enduro ist identisch. Dennoch gibt es ein paar feine Unterschiede, die sich im Laufe der Präsentation hervortun. Doch erstmal locker einrollen und die Conti Attack SM Evo-Bereifung auf Temperatur bringen. Mit vollgetankt unter 160 Kilogramm bringt es die Supermoto auf ein regelrecht mageres Gesamtgewicht, wird obendrein aber vom stärksten straßenzugelassenen Serien-Single beschleunigt. Nach wie vor: Der 692-Kubik-LC4 mit nominell 74 PS ist ein lupenreiner Spaßbringer und verhilft der Supermoto zu scharfer Dynamik – es macht süchtig, die GasGas SM 700 um die relativ engen Kurven zu drücken und mit sauber erhobenem Vorderrad rauszubeschleunigen.

GasGas SM 700 phänomenal handlich

Auf dem Track und später auf der Landstraße beweist die GasGas SM 700 eine phänomenale Handlichkeit, die zumindest ein klein wenig auf die neuen Alu-Gussräder zurückgeht. Die Masse verteilt sich günstiger als bei einem klassischen Drahtspeichenrad rund um die Achse statt am Felgenrand, die Vorderradfelge spart zudem etwa 400 Gramm Gewicht ein. Ebenfalls auffällig ist die neue, straff aufgepolsterte Sitzbank, die im vorderen Bereich ganz schmal verläuft und so einen kontaktintensiven Bezug zur Maschine herstellt, der sich beinahe so innig wie bei einer Wettbewerbs-Supermoto anfühlt. Man kann weit nach vorn rutschen und die GasGas am Kurveneingang herrlich präzise ausrichten!

Ein leises Vergnügen

Bumms steht im unteren Drehzahlbereich übrigens eher mäßig zur Verfügung, der Single braucht tatsächlich etwa 8.000 Touren, um kräftig zu punchen. Aber: das ist unserem Empfinden nach in diesem leichten Fahrzeugkonzept unkritisch. Einen sauberen Wheelie rauszuhauen gelingt trotzdem jederzeit – auch dank des leichtgängigen und fein dosierbaren hydraulischen Magura-Kupplungshebels. Ganz allgemein läuft der große Einzylinder, zweier Ausgleichswellen sei Dank, erstaunlich kultiviert und vibrationsarm. Weder in den Griffgummis noch in den Rasten spürt man auch nur das kleinste Kribbeln. Weiterhin tönt die 700er-GasGas mit eingetragenen 90 dB Standgeräusch zurückhaltend leise. Kerniges Böllern würde vielleicht besser zum spaßigen Supermotokonzept passen. Aber lärmbereinigt gibt’s erstens keinen Ärger im Umfeld, und zweitens wäre sogar mal sportives Pässefahren in Tirol drin.

Wechseln wir auf die Elektronikseite: Zu berichten gibt es vom sauber funktionierenden Schaltautomat mit Blipperfunktion. Er macht seinen Job ordentlich, arbeitet beim Einlegen der nächsthöheren Gangstufe aber deutlich geschmeidiger, je höher die Drehzahlen sind. Wenn man wie ich aus dem "klassischen" Supermoto-Racing kommt, fühlt es sich beinahe unnatürlich an, Schaltautomat und Blipper zu nutzen. Man ist dadurch zwar effizient schnell, muss die GasGas SM 700 aber eher wie ein sportliches Naked Bike oder gar eine Rennmaschine bewegen als eine echte Supermoto. Der Versuch eines Anbremsdrifts (beispielsweise im zweiten Gang) erzeugt automatisch ein Hochschnalzen der Drehzahl, damit der Gang sauber reinflutschen kann. Man muss daher extrem zornig fahren, ohne Kupplung runterschalten und den Drift durch brutales Bremsen (der Monoblock-Stopper packt bestens zu und lässt sich fein dosieren) einleiten – mein Wunsch wäre deshalb die Möglichkeit, den Schaltautomat bedarfsweise deaktivieren zu können*. Leider geht das nicht so einfach, da die Sensoren (einer auf der Antriebswelle und einer auf der Schaltwelle) innen verbaut sind und auch der GasGas-Dealer keine Software-Lösung bereithält – schade!

Die schräglagenabhängige Traktionskontrolle arbeitet dagegen in zwei Stufen und lässt sich bedarfsweise abstellen, wobei das schärfere Mapping zwei im krassen Gegensatz zum konservativ ausgelegten Mapping eins absolut sportiv regelt. Ähnlich verhält es sich beim ABS; der scharfe Modus zwei nennt sich "Supermoto" und deaktiviert die Funktion am Hinterrad komplett. Seid unbesorgt, liebe Vorderrad-Artisten: Obwohl der Supermoto-Modus nur das ABS am Hinterrad abschaltet, kann man problemlos Stoppies aufs Parkett legen.

Enduro GasGas 700

Über die Enduro-Version ES 700 können wir sagen, dass sie genau so gut funktioniert wie die Supermoto und fürs Fahren im Gelände heftig viel Power bereithält. Aufgrund ihrer Sitzhöhe von über 900 mm darf man bei ihr dank einer gesetzlichen Regelung sogar das Vorderrad-ABS deaktivieren – was bei der Präsentationsfahrt über sämtliche Schotterpisten, durch Wasserdurchfahrten und selbst härteste Singeltrails aber nie notwendig wurde.

*Zwei Dinge: 1. Jo Bauer ist Stuntfahrer. 2. Mit den GasGas-Modellen war er für PS – das Sportmotorrad-Magazin für Ausgabe 6/2022 unterwegs. Die Jungs von unserem Schwesterblatt sind sowohl auf der Rennstrecke als auch im Gelände anders unterwegs als wir "Normalos". Also, nehmt beim Lesen am besten die Perspektive eines Stunfahrers ein, aber erinnert euch auf dem Motorrad daran, dass ihr nicht Jo Bauer seid ;). Den ganzen Fahrbericht und die neue PS-Ausgabe gibt es ab 11. Mai 2022 hier.

Fazit

Ob es die insgesamt dritte Auflage der 690er-Supermoto und Enduro wirklich gebraucht hätte – das sei mal dahingestellt. Fakt ist aber, dass beide Maschinen einfach voll ins Herz eines jeden Sportmotorradliebhabers treffen, weil sie straßenzugelassenen und noch dazu alltagstauglichen Fahrspaß in Reinkultur servieren. Vor allem die Supermoto-Variante bringt es dank ihrer Alugussräder und der scharf geschnittenen Sitzbank eben doch zu einem Hauch persönlicher GasGas-Note.

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MOTORRAD 12 / 2023

Erscheinungsdatum 26.05.2023