2017-Supersportler im Landstraßen-Vergleichstest
Superbikes des Jahrgangs 2017

EICMA 1950

Eben noch duellierten sich die Superbikes BMW S 1000 RR, Kawasaki ZX-10R, Yamaha YZF-R1, Honda Fireblade, Aprilia RSV4 RR und Suzuki GSX-R 1000 des Jahrgangs 2017 auf der Rennstrecke, jetzt steht die Landstraße im Fokus, alltags­relevante Eigenschaften gewinnen an Bedeutung. Meistern oder scheitern, lautet die spannende Frage.

Superbikes des Jahrgangs 2017
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In Heft 9/2017 ging es nur um eins: beste Rennstrecken-Performance. Alle Superbikes von Aprilia bis Yamaha stellten sich in den jeweiligen Edelversionen dem Shootout um Rundenzeiten. Die rücken jetzt in den Hintergrund. Die Landstraße ruft. Und wieder ist die wilde Superbike-Meute versammelt. Allerdings scharren nun die Basisvarianten der leistungsstarken Sportler mit ihren breiten Reifen, wollen unter Beweis stellen, dass sie nicht nur flott und schräg, sondern auch alltagstauglich können. Vorhang auf für das schrägliche Sextett aus Aprilia RSV4 RR, BMW S 1000 RR, Honda Fire­blade, Kawasaki ZX-10R, Suzuki GSX-R 1000 und Yamaha YZF-R1. Moment, da fehlt doch eine? Richtig, Ducati ist mit der 1299 Panigale nicht dabei.

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Damit schon zurück ins Hier und Jetzt und direkt zur Aprilia. Wie fast keine andere atmet die RSV4 RR Rennsport. Gut sichtbare Aufkleber vermelden eindrucksvoll die gewonnenen Weltmeisterschaften im Motorrad-Rennsport. Dazu bietet sie als Einzige einen verstellbaren Lenkkopfwinkel und ein in der Höhe variables Schwingenlager. Daneben ist der hintere Bremsflüssigkeits-Ausgleichsbehälter direkt in die Bremspumpe integriert. Leichter und kompakter geht’s nicht mehr. Doch bevor wir zu viel Zeit in der Boxengasse verbringen, rauf auf das italienische Pferd. Wer bis dahin die Rennsport-Wurzeln der RSV4 ­ignoriert hat, erlebt sie nun hautnah. Hoch sind die Rasten angeschlagen, und ebenso weit vom Erdboden entfernt hockt der Fahrer. 845 Millimeter Sitzhöhe sind ein Wort. Wie von selbst flutschen die Knie in die Ausbuchtungen am schmalen Tank. Einen so knackigen Knieschluss offeriert kein anderes Motorrad des Sechser-Vergleichs.

Tief, aber sehr angenehm gekröpft, liegen die Stummellenker in den Händen. Diese sind sehr breit ausgestellt, wovon der Hebelarm profitiert. Nach dem Druck auf den Anlasser ist der einzige V4 des Tests sofort da. Per Blipper – der allerdings im Drehzahlkeller lange Unterbrecherzeiten aufweist – flutschen die Gänge im Stadtverkehr hin und her. Und schon jetzt macht der Motor klar: Bei niedrigen Drehzahlen ist er nicht zu Hause. Alles, was sich unterhalb von 5000/min abspielt, sieht die Aprilia als notwendiges Übel an. Diesen ­Unwillen tut der Antrieb mit einer scheppernden Geräuschkulisse kund. Ziehen wir einen Strich unter dieses Kapitel und geben dem mit 13,6 zu 1 hoch verdichteten Motor, wonach er verlangt: Drehzahlen.

Wenn die RSV4 sich im oberen Drehzahlband austoben darf, erwacht der Sportler aus seinem Dornröschenschlaf, bekommt Dracula die lebensspendende Blutration. Und die weckt die Lebensgeister der Aprilia richtig. Willig marschiert der 65-Grad-V4 nach oben, dreht locker-flockig bis zum Leistungszenit bei 13000 Umdrehungen. Bei dieser Drehzahl muss der hintere 200er-Pirelli Diablo Supercorsa SP 201 Pferdestärken auf den Asphalt übertragen. Bevor er in Rauch aufgeht, rettet die einstellbare Traktionskontrolle seine Gummireserven. So lässt es sich mit viel Schwung auf die nächste Biegung zupreschen. Davor schnell zwei Gänge ohne Griff zur Kupplung runtergesteppt und mit zwei Fingern die RSV4 auf den korrekten Kurvenspeed heruntergebremst. Die Stopper – 330er-Scheiben, Brembo-M50-Zangen samt Radialpumpe – erlauben punktgenaue Treffer beim Anvisieren des korrekten Einlenkpunkts, lassen sich haarfein bis zum Scheitelpunkt dosieren.

Und weil zudem das dreifach einstellbare ABS dieser Performance in nichts nachsteht, lässt sich die Aprilia selbst mit Sozius stoppiefrei und sicher verzögern. Wobei ein Mitfahrer den Kniewinkel zwar noch erträglich, auf dem kleinen, rutschigen Polster aber nur wenig Halt findet. Das Extragewicht steckt das Fahrwerk zudem nicht so locker weg. Beladen hängt die im Solobetrieb handliche Aprilia tief in der Feder hinten, macht sich ihre alltagstaugliche, nicht zu straffe Abstimmung negativ bemerkbar. Im Gegensatz zu den Öhlins-Federelementen der RF-Version sind die Sachs-Elemente der "RR" softer ausgelegt. Das nimmt Holperpisten den Schrecken, die Reserven fallen aber knapp aus. Üppig kann die Aprilia aber auch. Das zeigt der Verbrauch. 5,9 Liter zieht sich der V4 auf gemütlich gefahrene 100 Kilometer rein. Mamma mia.

Doch gemach. In der Mia-san-mia-Abteilung schaut’s nicht anders aus. Die BMW knausert ebenfalls nicht mit dem Sprit, 5,6 Liter sind es bei ihr für die 100-Kilometer-Distanz. Zu viel, ohne Frage. Aber: Es bereitet einfach Freude pur, den rauchigen Reihenvierer zur Arbeit aufzufordern. Egal, ob im tiefsten Drehzahlkeller, bei mittleren Touren oder fünfstellig jubelnd, dieser Motor kennt keine Schwäche. Stärker drückt kein Superbike nach vorn. Das lässt sich an den Beschleunigungswerten ablesen. 0–200 km/h in sieben Sekunden. Das schafft sonst nur die Suzuki. Die S 1000 RR könnte sogar noch schneller, bis zur 100er-Markierung wird die viele Kraft aber zum Hemmnis, weil es die Front permanent nach oben und nicht nach vorne drängt. Mit viel Gewicht auf dem Vorderrad gibt sich die Suzuki sprintstärker.

Doch zurück zur BMW. Die begeistert nicht nur mit Power pur, sondern darüber hinaus mit famosem Ansprechverhalten. Im Scheitelpunkt die Drosselklappen weit zu öffnen, gelingt mit makellosen Übergängen. Da hakelt und zickt es nirgends.

Ebenfalls fein: der als Sonderausstattung erhältliche Blipper. Wenngleich er nicht so akkurat wie das Honda-Pendant werkelt, besonders beim Runterschalten präzises Feedback vermissen lässt, ist er als Entlastung der Kupplungshand ein ­Segen. Weil: Einen Kupplungshebel, der noch weiter vom Lenker absteht, ist in keinem BMW-Teilelager der Welt zu finden. Selbst riesige XXL-Pranken erreichen den wie bei allen anderen nicht einstellbaren Hebel nur mit Mühe.

Was zudem auffällt: An der S 1000 RR nagen so langsam die Jahre. 2008 vorgestellt, ist sie sich in den Grundzügen immer treu geblieben. Das trifft besonders auf die Sitzposition zu. Im Gegensatz zur Aprilia positioniert sie den Piloten weiter hinten und tiefer, weshalb er sich mehr über den Tank strecken muss. Ein Arrangement, das nicht die knackige, versammelte Sportlichkeit neuerer Bikes bietet, ohne wesentliche Pluspunkte beim Sitzkomfort zu sammeln – siehe die neue Fireblade. Altbacken wäre zu negativ, konservativ trifft’s ganz gut. Unabhängig vom Sitzkomfort gehört die S 1000 RR immer noch mit zu den flottesten Bikes ihrer Klasse.

Das liegt, neben dem starken Motor, der 199 PS bei 13500/min mobilisiert, auch an der Bremse. So vehement packt sonst keine zu. Geringer Hebelweg gepaart mit brachialer Verzögerung – die Bremswirkung stimmt. Allerdings verdunkeln ein paar Wolken den Verzögerungs­himmel, weil zum einen das feiste Zupacken die Dosierbarkeit erschwert und weil zum anderen der Druckpunkt nach flotten Stopps im Kurven-Hin-und-Her Richtung Lenker wandert. Auf das ABS und dessen Wirkung hat das aber keinen Einfluss. Im Zusammenspiel mit dem als Extra verbauten semiaktiven Fahrwerk bleibt die S 1000 RR selbst mit Sozius beim kürzestmöglichen Anhalteweg stabil in der Spur, erstickt jeden Stoppie-Ansatz im Keim. Gut gemacht. Auf ganz so hohem Niveau agiert das Fahrwerk beim Kurventanz allerdings nicht. Höchstes Gewicht mit 214 Kilogramm vollgetankt und der mit 1438 Millimetern lang ausfallende Radstand, so wischt die Doppel-R nicht allzu leicht ums Eck, fehlt in lang gezogenen, schnellen Bögen wegen der schon mal dezent rührenden Hinterhand etwas Stabilität. Wohlgemerkt: Das ist das sprichwörtliche Klagen auf höchstem Niveau, aber andere zeigen eben, dass es besser geht.

Und zu denen gehört die Honda Fireblade. Um es gleich am Anfang zu sagen: Sie ist das leistungsschwächste Motorrad dieses Vergleichs, bleibt auf die versprochenen 192 Pferdestärken der Werksangabe einige Ponys schuldig. Deren 186 vermeldet der Prüfstand. Die Watschen steckt die Honda aber weg wie nichts. Okay, bei den Fahrleistungen liegt sie nicht im Spitzenfeld, aber beim Fahrwerk zeigt sie den anderen, was aktuell geht. Sensibel tasten sich 43er-Upside-down-Gabel und Stoßdämpfer übers Straßenrelief, bügeln mit geschmeidigem Ansprechverhalten Verwerfungen glatt, ohne die nötige Stabilität vermissen zu lassen. Ganz im Gegenteil: Kürzester Radstand zusammen mit der Yamaha, steilster Lenkkopfwinkel zusammen mit der Kawasaki und ein kurzer Nachlauf sind hierfür zwar nicht die besten Voraussetzung, aber scheinbar weiß das Fahrwerk fast schon telepathisch, was als Nächstes kommt. Hohe Belastungen beim Bremsen oder Beschleunigen gleicht es einfach mit idealer Dämpfung aus. Von dieser sehr gelungenen Abstimmung profitiert auch das Handling der Fireblade, genau wie vom niedrigsten Gewicht der sechs Motorräder. 198 Kilogramm vollgetankt sind richtig wenig, gemessene 28 Pfund weniger als beim Vorgänger. So wischt die Feuerklinge mit geringsten Lenkkräften und höchster Präzision ums Eck, liefert selbst in tiefen Schräglagen viel Vertrauen spendendes Feedback. Wahnsinn.

Dank kompakter, vorderradorientierter, aber nicht unbequemer Ergonomie fällt es dem Fahrer leicht, das Fahrwerkspotenzial beim Schwung durch die Kurven zu nutzen, klappt die Gewichtsverlagerung von links nach rechts und zurück wie von selbst. Ähnliches trifft auf die Gangwechsel zu, die wegen des optionalen Blippers (699 Euro extra) sauber gelingen. Bei so viel Lob will die Bremse nicht hinten anstehen. Mit festem Druckpunkt und guter Dosierbarkeit lässt sich die Blade easy bis zum Scheitelpunkt zusammenstauchen. Ab dann ist der Motor wieder dran: Drosselklappen auf!

Und genau in diesem Moment hakt es. Wenn die Landstraße zur engen Mickey-Mouse-Piste wird, Brems- und Beschleunigungsvorgänge quasi im sekündlichen Wechsel erfolgen, zickt die Honda beim Gasanlegen. Der Scheitelpunkt ist passiert, es soll wieder vorwärtsgehen – doch unbewusst wartet der eilige Reiter immer auf den kurzen Ruck beim erneuten Gasanlegen. Erst danach geht’s flott weiter. Das Ansprechverhalten in den verschiedenen Fahrmodi verhagelt zwar nicht die Linie, es stört aber richtig. Und so viel sei verraten: In Summe platzt damit der Traum vom Sieg für die Honda.

Was weiter auffällt: Nach dem Kaltstart dreht ihr Motor ungewöhnlich lange hoch, schiebt selbst bei geschlossenem Gas von selbst weiter. Das bekommen die anderen besser hin. Und weil gerade der Kritik-Modus aktiviert ist: Die kleine Scheibe taugt nicht als Windschutz. Wer sich dahinter verstecken will, darf nicht viel größer als ein Zwerg sein. Was Kurzen wie Langen dagegen uneingeschränkt gefällt, ist der Benzinkonsum der Honda. 4,9 Liter stehen als Ergebnis der Verbrauchsrunde in den Büchern. Was beweist: Mit wenig Sprit kann man richtig Spaß haben, denn den bietet die Fireblade beim schrägen Treiben mit ihrer locker-flockigen Art bei ­jedem Meter. Selbst im Stadtverkehr gefällt ihr Motor mit feiner Laufruhe, meistert so lästige Pflichtaufgaben mit viel Gelassenheit.

Die rückt jetzt wieder in den Hintergrund. Die Kawasaki will zeigen, was sie kann. Schließlich untermauern die beiden Racer Jonathan Rea und Tom Sykes bei jedem Rennen der Superbike-WM, welches Potenzial in der Grünen steckt. Dazu wecken die herrlich blau schimmernden Titan-Krümmer weitere Rennsport-Assoziationen. Doch schon bei der Sitzprobe werden daran Zweifel wach. Breit fällt der Knieschluss aus, lang baut der Tank, weit vorne liegen die Fußrasten. Dieses Arrangement ist zwar nicht unbequem, im Vergleich zu den anderen Testbikes vermisst man aber eine Prise aktive Sportlichkeit. Vielleicht würde schon ein höheres Sitzpolster helfen, da die ZX-10R ihren Piloten mit nur 815 Millimeter Sitzhöhe am niedrigsten platziert.

Gut fällt dagegen die Sicht in den Spiegeln aus. Da kommt sonst keine heran. Was beim Wuseln durch den Stadtverkehr allerdings viel mehr hängen bleibt: Der Motor hat reichlich Mühe beim Klimmzug die Drehzahlleiter hoch. Im unteren Drehzahlband werkelt er regelrecht träge vor sich hin. In der City ist das noch zu verschmerzen, über Land wiegt das aber schwer. Im Ergebnis bedeutet das: Will die Kawa an den anderen dranbleiben, muss sie fast immer einen Gang tiefer gefahren werden. Eine kürzere Übersetzung wäre eine Lösung. Aber nicht nur der Motor vereitelt den Kurvenspaß mit der Kawasaki. Auch beim Fahrwerk gäbe es Verbesserungspotenzial. Wie der Blick in die Daten zeigt, weist die ZX-10R den längsten Radstand, den flachsten Lenkkopfwinkel und den längsten Nachlauf auf. Klar, dadurch lassen sich nicht zwingend die Fahreigenschaften bestimmen, es trifft im Fall der Kawasaki aber zu, dass die ZX-10R besser geradeaus rennt, als im Kehrenwirrwarr für Freude zu sorgen. Unhandlich und mit leicht diffusem Lenkverhalten fällt sie in Kurven. Immer genau den gewünschten Einlenkpunkt zu treffen, ist nicht einfach – besonders, weil alle anderen im direkten Vergleich viel harmonischer ins Eck rollen. Daran ändern die auf Augenhöhe zur Konkurrenz agierenden Federelemente nichts. Auch wenn die als Einzige mit separatem Ausgleichsbehälter ausgerüstete Gabel das Vorderrad gut führt, das Federbein hinten allenfalls eine Nuance sensibler ansprechen dürfte – die ZX-10R bleibt ein sturer Geselle. Erschwerend kommt hinzu, dass die beschriebene Sitzposition den Gewichtstransfer des Fahrers zur Kurveninnenseite nicht unterstützt.

Wer vorm Soziusbetrieb seines Sportlers nicht schreckt, darf die Kawasaki dafür gerne in die engere Wahl einbeziehen. Zwar neigt die ZX-10R bei Verzögerungen im ABS-Regelbereich zu spontanen Stoppies, die Sitzposition in der zweiten Reihe ist in diesem Umfeld aber top. Der Kniewinkel für den Mitfahrer fällt erträglich aus, der Kontakt zum Fahrer stimmt. So darf es gerne weiter als bis zur nächsten Eisdiele gehen.

An den Sozius haben die Suzuki-Entwickler bei der Neuauflage der GSX-R 1000 bestimmt nicht in erster Linie gedacht. Vielmehr stand das Wort Power ganz oben im Anforderungsheft. Und zwar mehr Power. Fürs Vorgängermodell wies das Datenblatt noch 185 PS aus. Doch die Konkurrenz, allen voran die BMW, packten da eine gehörige Schippe drauf. Das musste anders werden. Weshalb die neue GSX-R 1000 203 Pferde bei 13200 Umdrehungen zum zügigen Trab antreten lassen soll. So zumindest in der Theorie. In der Praxis sind es mit 193 PS zwar zehn Pferdestärken weniger, aber was macht das schon? Schließlich drückte auch das alte Modell nur 175 statt angegebener 185 PS. Macht unterm Strich 20 PS Power-Vorteil für die neue GSX-R gegenüber der alten. Den nutzt die Suzuki für stramme Fahrleistungen. Die kommen auch deshalb zustande, weil sie mit viel Gewicht die Front belastet (108 Kilo vorne, 98 Kilo hinten), ihr Vorderrad nicht im Maße wie bei der BMW gen Himmel steigt. Im Ergebnis bedeutet das: Die GSX-R 1000 agiert jetzt auf Augenhöhe zur S 1000 RR.

Wenngleich das nur auf die reinen Beschleunigungs- und Durchzugsmessungen unter Volllast zutrifft. Im richtigen Leben stehen die Drosselklappen selten auf Anschlag, ist der ­forsche Antritt bei geringeren Öffnungswinkeln viel entscheidender. Und da kommt die Suzuki nicht ganz an den bajuwarischer Vierer heran. Was mit daran liegt, dass die GSX-R 1000 beim Gasanlegen leicht verzögert anspricht, so, als ob die Drosselklappen für einen kurzen Moment in ihrer ursprünglichen Stellung verharren wollten, bevor sie ihren 43er-Querschnitt freigeben. Dennoch: Zusammen mit der BMW führt kein Weg in der Motorenwertung an der Japanerin vorbei.

Etwas anders sieht es beim Fahrwerk aus. Ähnlich der BMW und der Kawasaki hockt der Fahrer leicht inaktiv auf dem Motorrad, baut der Tank breit, strecken sich die Arme weit zu den Lenkerstummeln nach vorne. Im Zusammenspiel mit der stark frontlastigen Gewichtsverteilung leidet darunter das Handling, verlangt die GSX-R 1000 nach klaren Impulsen, um in Schräglage abzutauchen. Das, genau wie leichte Defizite bei der Rückmeldung, sorgt in Summe für ein zwar gutes Ergebnis, aber eben nicht für Bestwerte. Die heimst sie dafür bei der Ausstattung ein. Mehr Infos als das Suzuki-Cockpit bietet kein anderes Dashboard des Vergleichs, wenngleich die Ablesbarkeit des LCD-Schirms ob der vielen Anzeigen Luft nach oben lässt. Positiv: Wie die Kawasaki besitzt die Suzuki Gepäckhaken an den Soziusrasten. Die anderen verzichten darauf.

Knackiger dürften die Bremsen ansprechen. Die Wirkung stimmt, allerdings steht der Bremshebel der Radialpumpe selbst in der weitesten Einstellung dicht am Lenker. Und weil wie bei der BMW der Druckpunkt nach mehreren Verzögerungen zum Lenker wandert, fehlt die Möglichkeit zur Nachjustage. So greift man gefühlt immer ein klein wenig eher zu den Stoppern, verschenkt auf der Bremse ein paar Meter. Klar ist das beim zügigen Landstraßenfahren nicht relevant, aber es fällt eben im Vergleich mit den anderen und deren unter diesem Gesichtspunkt besseren Leistungen auf.

Die direkte Auseinandersetzung mit der Konkurrenz offenbart auch, wie gut der Windschutz der Suzuki bei der Autobahnhatz ausfällt. Wirkungsvoll schirmt die Scheibe den Fahrer vorm anstürmenden Orkan ab. Da zudem der Fahrerplatz nach hinten richtig üppig ausfällt, kann der eilige Suzuki-Dompteur weit nach hinten rutschen, um sich hinter der Scheibe zu verstecken.

Fürs Fahrwerk ist das Geradeausbolzen ein Klacks. Wie an der Schnur gezogen zieht die Suzuki ihre schnelle Bahn. An dieser soliden Vorstellung ändert sich nichts, sobald per Abfahrt von der Autobahn das Ticket ins Kurvenrevier gelöst wird. Auch hier entpuppt sich die GSX-R 1000 als verlässlicher Partner, macht alles mit. Das einzige Problem der Suzuki bleibt: Manche machen es noch einen Tick besser, sprechen sensibler an, geben mehr Rückmeldung. Die Luft in der Upper Class ist auf dem erreichten Stand aller Superbikes eine dünne. So sind es oft Nuancen, die einen Unterschied machen, den Ausschlag zum Besseren oder Schlechteren geben.

Davon ist die Preisgestaltung der Suzuki als Einführungsangebot weit entfernt, weil sie hier deutlich klarmacht: Ich bin gut und richtig günstig. 15990 Euro stehen bei ihr in der Liste. In den getesteten Versionen liegt die Gixxe damit mindestens 1500 Euro unter den Mitbewerbern. Verzichten muss sie zwar als Einzige auf einen Schaltautomaten, die Differenz bleibt trotzdem eine deutliche. Und weil die Suzuki ebenso wie die Honda nur alle 12000 Kilometer zum Service muss, halten sich die Folgekosten im Rahmen.

Solch eine nüchterne Herangehensweise ans Thema Superbike? Da rümpft die Yamaha YZF-R1 nur ihre spitze Nase. Wie die Aprilia liegt ihre Bestimmung im Schnellsein. Dafür ist sie maßgeschneidert. Allein ihr Heck. So filigran treibt es nur die R1. Die Durchbrüche betonen optisch das Leichtsein. Daneben verstecken sich die notwendigen Scheinwerfer für die Zulassung fast schüchtern neben dem riesigen Lufteinlass an der Front. Die darf gerne mit der eigenen Startnummer beklebt werden – das Feld dafür ist schon vorgesehen. Dazu kommt noch eine durchbrochene obere Gabelbrücke. Wessen Herz nur ein wenig für Rennsport schlägt, wähnt sich bei diesen Zutaten schnell als Rossi oder Viñales auf der eigenen Hausstrecke.

Aber wie schon gesagt: Wie bei der RSV4 fordert diese sehr Rennbike-nahe Auslegung auch, macht Abstriche im Alltag nötig. Das fängt schon beim Sitzen an. Tiefer als auf der Yamaha sind die Lenkerstummel nirgends angeschlagen. Serpentinen bergab zu fahren, womöglich noch unter Ausnutzung der hervorragenden Verzögerung der vorderen Bremse, ist nur eines: richtig anstrengend. Erst wenn die R1 rennen darf, die Kurven weiter werden, erschließt sich ihr Konzept. Dann fegt die Yamaha stabil, präzise und selbst bei flottem Tempo überaus handlich durch Bögen, rapportiert das Vorderrad fast ungefiltert, was gerade unterm Reifen passiert. Dieses positive Feedback bleibt auch erhalten, wenn die Dämpfung an Gabel und Federbein für mehr Komfort weiter geöffnet wird. Im Auslieferungszustand des Testmotorrads fielen Druckstufe und vor allem die Zugstufe vorne wie hinten sehr straff aus. Mit ein paar Klicks weniger bügelte die R1 entspannter über Flickstellen, ohne an Präzision zu verlieren. Heikel wird’s nur, wenn doch ein Sozius aufsteigt. Beim flotten ABS-Stopp gibt’s eine Stoppie-Garantie gratis dazu.

Fehlt noch der Crossplane-Vierer. Der werkelt getreu dem Motto "Love it or ­leave it". Unter 7000/min passiert bei ihm wenig, darüber brennt die Hütte, fegen die Kolben nur noch so durch die Zylinderbohrungen, bis 200 PS bei 13500 Umdrehungen erreicht sind. Im Alltag ein Fluch, im Messer-zwischen-den-Zähnen-Modus für viele ein Segen.

Wobei Letztgenanntes insgesamt auf alle Superbikes zutrifft. Trotz Verlierern und Gewinnern: Die sechs eiligen Rösser machen nichts wirklich schlecht – außer vielleicht den Sozius-Transport –, heimsen in jedem Fall viele Punkte ein. Wer es sportlich mag, findet keine aufregendere, keine schnellere, keine begeisterndere Möglichkeit, seiner schräglichen Lust nachzugeben – egal, welche der heimliche Favorit ist. Und das ist doch an sich schon ziemlich gut, oder?

MOTORRAD-Testergebnis

1. BMW S 1000 RR

An diesen Motor kommt auf der Landstraße immer noch kein anderes Superbike heran, weshalb die BMW vorne landet. Die Luft da oben wird aber langsam dünn, weil die S 1000 RR beim Fahrwerk und beim Verbrauch nicht mehr State of the Art ist.

2. Honda Fireblade

Was für ein Einstand. Das leistungsschwächste Motorrad landet hauchdünn geschlagen auf Rang zwei. Was beweist: Power ist nur eine Seite der Medaille, mit ihrem Fahrwerk überflügelt die Honda die Konkurrenz regelrecht.

3. Suzuki GSX-R 1000

Davor darf man gerne den Hut ziehen: Die Suzuki ist viel besser geworden, hat punktemäßig klar zur Spitze aufgeschlossen. Ihr Motor ist eine Macht, beim Fahrwerk bleibt noch Luft nach oben. Zum Einführungspreis ein Top-Angebot.

4. Yamaha YZF-R1

Ihr Motor mag Drehzahlen, pusht dann richtig. Die Ergonomie fällt sportlich-knackig aus. Auf der Rennstrecke sind das Pluspunkte, im Alltag wirken sie sich aber negativ aus. Genau wie der zu hohe Verbrauch des Crossplane-Vierers.

5. Kawasaki ZX-10 R

Im Alltag ist die Kawasaki vorne mit dabei, sogar ein Sozius fährt gerne mit. Aber sonst? Der Motor kommt wegen der langen Übersetzung nicht aus den Puschen, das Fahrwerk gibt sich wenig agil. Da wäre mehr drin.

6. Aprilia RSV4 RR

Die Ungnade der Punktetabelle: Verbrauch, Sitzkomfort für Fahrer und Sozius, Lastwechsel oder Laufruhe – überall lässt die Italie­nerin Punkte liegen. Dabei kann sie vor allem eins richtig gut: schnell fahren. Sie braucht Curbs und keine Randsteine.

Preisvergleich gebrauchter 1000er Supersportler

Foto: 1000PS Marktplatz-App
Am Gebrauchtmarkt findet man eine Vielzahl gebrauchter 1000er Supersportler.

Dank ihrer großen Beliebtheit sind 1000ccm Supersportler am Gebrauchtmarkt stark vertreten. Die meisten Exemplare sind noch serienmäßig, beziehungsweise nur leicht modifiziert, während es auch den ein oder anderen Rennstreckenumbau zu finden gibt. Hier findet ihr alle 1000er Supersportler aus diesem Vergleichstest: gebrauchte 1000er Supersportler in Deutschland.

Die aktuelle Ausgabe
MOTORRAD 20 / 2023

Erscheinungsdatum 15.09.2023