Aprilia RS 660, Honda CBR 650 R, Yamaha R7: Weniger Power, mehr Spaß

3 Mittelklasse-Sportler im Vergleichstest
Aprilia RS 660, Honda CBR 650 R, Yamaha R7

Veröffentlicht am 15.07.2025

Agil, kompakt und nicht zu stark besitzen Aprilia RS 660 , Honda CBR 650 R und Yamaha R7 (Jahrgänge 2022) etwas, das vielen Sportmotorrädern der Moderne verloren ging. Was damit gemeint ist, wird klar, als Öl und Kühlflüssigkeit der Aprilia RS 660 auf Betriebstemperatur angekommen sind. Dann darf ihr halber V4-Motor erstmals durch voll geöffnete Drosselklappen tief einatmen. Er lässt die Erde beben, die Luft flimmern, das Herz des Fahrers hüpfen. Der tatsächlich aus der vorderen Zylinderbank des RSV4-Motors geschaffene Twin hat sich den sportlichen Charakter des Spenders erhalten.

Aprilia RS 660 mit gemessenen 96 PS

Klar, er zieht nur ungefähr halb so kräftig an der Kette, doch das ist auf der Landstraße Vor- und nicht Nachteil. Mit viel Sportsgeist steigert sich die Aprilia RS 660 bis zum Drehzahlbegrenzer oberhalb von 11.000/min kontinuierlich auf maximal gemessene 96 PS, was bedeutet, dass man den Schieber auch durchaus mehrere Sekunden am Stück festhalten kann, ohne die StVO aus den Augen zu verlieren. Ein wahrhaft sportliches Gefühl!

Ab 5.000/min verwöhnt voluminöses Ansaugröhren die Trommelfelle des im Sattel sitzenden Sportmotorrad-Fans. Wenn er sich beim Beschleunigen hinter der schlanken RS-Verkleidung klein macht, erlebt er eine Soundkulisse mit Gänsehaut-Garantie, wie sie eben nur ein Verbrennungsmotor unter Volllast modellieren kann.

Yamaha R7 serviert Sound und Power

Auf eine vollkommen andere, nicht weniger belebende Weise serviert die Yamaha R7 Sound und Power. Wie auch jener der RS 660 imitiert ihr Reihenzweizylinder mit 270 Grad Hubzapfenversatz klanglich einen V2, abgesehen davon haben die beiden Aggregate aber nur wenig gemeinsam. Die Yamaha fliegt akustisch auch beim Befehl "Volle Kraft voraus!" unter dem Radar, schaufelt außerdem schon im unteren Drehzahldrittel kräftig Drehmoment aus dem Brennraum zum Hinterrad.

Der von Yamaha CP2 genannte Motor beschleunigt die 189 Kilogramm leichte R7 kräftig aus den Ecken, pusht sich bis knapp 9.000/min immerhin auf 75 PS. Darüber tut er sich aber schwer, fünfstellige Drehzahlen meidet man daher intuitiv. Die Yamaha R7 bewegt sich stets mindestens einen Gang höher als die RS 660. Weniger Spitzenpower bedeutet aber im Vergleich zur Aprilia noch mehr Vollgasanteil.

Honda CBR 650 R mit ultrakurzhubigem Reihenvierer

Wo die Yamaha R7 nach Luft ringt, legt die dritte im Bunde, die Honda CBR 650 R, erst richtig los. Ihr ultrakurzhubiger Reihenvierer presst bei rund 11.000/min 89 PS aus 649 Kubikzentimetern Hubraum. Klanglich holt er die glorreichen Zeiten der 600er-Supersportler zurück in die Gegenwart und screamert sich neben den bassigen Twins gefühlt bis zum dreigestrichenen C.

Ohne hohe Drehzahlen geht’s dafür freundlich ausgedrückt nur verhalten vorwärts. Im Vergleich zu den beiden Pseudo-V2-Motoren von Aprilia RS 660 und R7 gelingt es dem regelmäßig zündenden Vierling zwar problemlos, bei 40 km/h ohne Gerappel im sechsten Gang dahinzuschnuffeln. Verpasst man es aber, nach dem Ortsausgang schnell drei Gänge im sehr leichtgängigen Getriebe ohne Quickshifter-Hilfe runterzusteppen, kämpft die Honda CBR 650 R mit ihren 209 Kilogramm und Aprilia RS 660 und Yamaha R7 ziehen auf und davon.

CBR 650 R ist komfortabler Tourensportler

Folgt das geliebte Hausstrecken-Kurvenwirrwarr, wird’s schwer, den Rückstand wieder zu verkleinern. Nicht, weil es der Honda CBR 650 R an Grip mangeln würde. Die Dunlop Sportmax D 214 (vorn mit der Sonderkennung "Z", hinten "Q") bauen schnell Temperatur auf, geben selbst auf herbstlich-kühlem Asphalt ein gutes Gefühl.

Unter der Verkleidung im Fireblade-Style (SC77) versteckt die CBR 650 R aber einen relativ komfortablen Tourensportler und nicht, wie vermutet, ein kompromissloses Heizeisen. Die Lenkerstummel sind hoch, der Oberkörper also aufrecht und die Rasten niedrig, der Kniewinkel also entspannt. Mit für einen Sportler verhältnismäßig wenig Druck auf Handgelenken und Vorderrad entert die Honda Kurven. Nicht allzu flink, aber sehr harmonisch lenkt sie ein, schmiegt sich samtig an enge wie weite Radien.

Lastwechselschläge und leichte Schwingungen

Wer in Schräglage den Speed nachträglich reduzieren möchte, muss allerdings beim Griff in die etwas zahnlosen, aber unkompliziert dosierbaren Stopper am inneren Lenkerstummel konsequent gegen den Aufstelldrang der Mini-Blade arbeiten. Gut, dass auf der Hausstrecke keine Kurve mehr überrascht und solche Korrekturen die Ausnahme sind. Ohne sie folgt die Honda CBR 650 R der Ideallinie routiniert (nervt aber im Scheitel immer wieder mit Lastwechselschlägen), bis leichte Schwingungen vom Heck anzeigen, dass sie nicht mehr schneller mag.

Weil am Federbein nur die Federbasis einstellbar ist (und an der Gabel nichts), muss man dieses Limit akzeptieren. Keine Sorge, man bewegt sich bereits ausgesprochen zügig und selbst ambitionierte Sportfahrer genießen den Kurvenswing mit der Honda CBR 650 R, ohne etwas zu vermissen – wenn nicht Aprilia RS 660 und R7 dabei sind, die sich langsam entfernen und beweisen, dass es flotter geht.

Yamaha R7 mit straffem Federbein

Anders als die Honda CBR 650 R spannt die Yamaha R7 ihren Fahrer dazu in sportlicher, nach vorn gestreckter Liegestütz-Position ein. Die schmalen, unterhalb der oberen Gabelbrücke angebrachten und zusätzlich nach unten gekröpften Lenkerstummel umfassend, kommt man auf ihr dem Asphalt in jeder Kurve ganz automatisch sehr nah, arbeitet auch aktiver mit dem Körper als auf der Honda. Beim Bremsen auf dem langen Sitz nach hinten rutschen, das Gesäß auf eine Seite bringen und das Knie herausstrecken – fühlt sich auf der Yamaha R7 ganz normal an. Wie selbstverständlich taucht sie in Richtung Scheitelpunkt ab, gibt sich auf ihren ebenfalls schnell angewärmten Bridgestone S22 ("E") über den gesamten Schräglagenbereich vorbildlich stabil.

Allzu hart sollte man aber die voll einstellbare Gabel am Kurveneingang nicht spät bremsend (die Yamaha- Anker sind schön bissig) belasten, denn trotz maximal geschlossenen Dämpfungsventilen federt sie tief ein und beim Lösen der Bremse zackig wieder aus, was leichte Unruhe in den Lenker und ins Chassis leitet. In schnellen Wechselkurven liegt die Front der Yamaha aus demselben Grund nicht so satt wie die der Honda. Das Heck der R7 bleibt im Gegensatz zu dem der Honda CBR 650 R vollkommen ruhig, wird vom straffen, in Zugstufendämpfung und Federvorspannung einstellbaren Federbein fest am Boden gehalten. Es spendet wenig Komfort, aus Sportfahrer-Sicht aber in vertretbarem Rahmen.

Aprilia RS 660: Mittelweg aus Sportlichkeit und Komfort

Zwischen den japanischen Extremen sortiert sich ergonomisch die italienische Interpretation eines Landstraßensportlers ein. Um ihre fest mit der oberen Gabelbrücke verbundenen Lenkerstummel zu erreichen, muss man sich auf der Aprilia RS 660 weniger strecken, die Rasten liegen im Vergleich außerdem weiter hinten. Mit dieser Kombination geht Aprilia den stimmigen Mittelweg zwischen Sportlichkeit und Komfort, der gut gepolsterte Sitz bietet aber leider nur wenig Bewegungsspielraum. Sei’s drum, motiviert stürzen sich Ross und Reiter ins Geschlängel.

Ohne Kraftaufwand lässt sich die Aprilia in Schräglage bugsieren, zeigt als Einzige keine Lastwechsel-Reaktionen und saugt sich mit den Pirelli Rosso Corsa 2 auf immer engere Linien. Beeindruckend, wie harmonisch im Hausstrecken-Tempo das Fahrwerk arbeitet. Vorne und hinten lässt es sich in Vorspannung und Zugstufendämpfung einstellen. Weil ab Werk sogar ausreichend Reserven für einen möglichen Trackday vorhanden sind, empfiehlt es sich, die Zugstufe auf der Landstraße nicht allzu weit zu schließen. Flott geschwungen liegt die RS 660 dann satt, wenn auch nicht ganz so unbeirrbar wie die Yamaha R7. Schräglagenwechsel meistert sie dafür sicherer, folgt dem Blick insgesamt williger.

RS 660 mit achtstufiger Traktionskontrolle

Den noch geschlossenen Bikertreff lassen die Leichtathletinnen links liegen und steuern auf eine Applauskurve zu, wie man sie auf fast jeder Hausstrecke findet: mit weitem Radius und einer großen asphaltierten "Auslaufzone". Von hier beäugen tagsüber rastende Biker alle Vorbeifahrenden kritisch, die sich auf ausgewaschenem Asphalt in Schräglage werfen. Kurz vor neun herrscht gähnende Leere auf dem Parkplatz und die drei Bikes fliegen unbemerkt so flüssig-sportiv vorbei, dass Zuschauer mit Sicherheit wirklich applaudiert hätten. Den in den Ausgängen solcher Kurven stets zu erwartenden Traktionsverlust muss man auf der Aprilia RS 660 nicht fürchten. Zu ihrer Armada an Fahrassistenten gehört neben fünf Fahrmodi (drei Straßen-, zwei Racemodi) und dreistufig einstellbarem ABS auch eine achtstufige Traktionskontrolle.

Von einer Sechs-Achsen-IMU mit Informationen versorgt, wacht sie schräglagensensibel über den Schlupf am Hinterrad. Obwohl der Punch der Aprilia unter normalen Bedingungen den Grip nicht zu gefährden vermag, gibt die TC selbst auf Position eins (ganz niedrig) in mittlerer Schräglage nicht das volle Drehmoment frei und zeigt Präsenz. Unerschrockenen Sportfahrern bleibt für härteres Beschleunigen noch die Möglichkeit, sie ganz abzuschalten.

R7 hat kaum Assistenzsysteme an Bord

Ein Zustand, der auf der Yamaha R7 alltäglich ist, sie hat neben dem obligatorischen ABS keine weiteren Assistenten an Bord (und wie die Honda auch keine verschiedenen Fahrmodi). Bei berechenbaren Straßenverhältnissen unproblematisch, 68 Newtonmeter vermögen die Hypersport-Pneus ebenso wenig in Bedrängnis zu bringen wie jene 64 der Honda CBR 650 R. Deren nicht weiter einstellbare Traktionskontrolle hält sich bedeckt, schreitet während der gesamten Testrunde nicht ein. Für Kunststücke muss sie aber stillgelegt werden.

Der Stopp an der Haustanke freut vor allem die permanent belasteten Handgelenke des Yamaha-Fahrers. Hier gibt’s die Gelegenheit, alle drei Bikes genauer zu inspizieren. Direkt neben den im Detail solide verarbeiteten Japanerinnen stehend, fällt das hier und da etwas lieblose Finish der Italienerin auf. Cockpit und Lenkerschalter stammen zwar offensichtlich nur bei der Aprilia RS 660 aus diesem Jahrzehnt (Yamaha und Honda verwenden statt TFT- noch mäßig ablesbare LC-Displays), Verkleidung und Plastikteile wirken im Vergleich aber weniger wertig.

Blick aus der Sozius-Perspektive

Der Vollständigkeit halber noch ein kurzer Blick aus der Sozius-Perspektive: Überraschend moderat fällt in zweiter Reihe der Kniewinkel auf Aprilia und Yamaha R7 aus, auf der Honda dagegen sehr spitz. Das Aprilia-Polster bettet die vier Buchstaben des furchtlosen Beifahrers am komfortabelsten und kommt unterm Strich einem vollwertigen Sitzplatz am nächsten. Dass nach der Pause jeder wieder auf sein eigenes Bike steigen kann, erleichtert aber alle.