Ein tolles Motorrad war die RSV4 schon von Anfang an - nur fehlte es ihr zur Konkurrenz an Leistung. Jetzt scheint nicht nur dieses Problem behoben - die neue Aprilia RSV4 RF kann noch viel mehr.
Ein tolles Motorrad war die RSV4 schon von Anfang an - nur fehlte es ihr zur Konkurrenz an Leistung. Jetzt scheint nicht nur dieses Problem behoben - die neue Aprilia RSV4 RF kann noch viel mehr.
Dem Herzstück der RSV4, dem 65-Grad-V4-Motor, haben die Aprilia-Entwickler für die neue Aprilia RSV4 RF die größte Aufmerksamkeit geschenkt. Das hat nicht nur damit zu tun, dass die neuesten Superbike-WM-Regeln noch mehr Seriennähe verlangen und der ehemalige Entwicklungsleiter Romano Albisiano jetzt auch Sportchef von Aprilia ist. Im Kampf um verkäufliche Superbikes ging es seit jeher um Leistung. Und in Zeiten von 200 PS und mehr aus der Kiste stand die RSV4 trotz diesem so emotionalen Vierzylinder mit von uns gemessenen 182 PS an der Kurbelwelle gegenüber den ganz harten Konkurrenten auf verlorenem Posten.
Jetzt dürfte der V4 deutlich mehr drücken – das war beim ersten Test in Misano schon spürbar. Aprilia spricht sogar von 201 PS – bei 13.000/min. Das muss sich selbstverständlich noch auf unserem Prüfstand zeigen, doch möglich ist viel. Dafür hat sich auch viel am Triebwerk der Aprilia RSV4 RF geändert.
Das zeigt bereits der erste prüfende Blick auf den Motor in der Hotellobby. Wo früher das Schauglas für das Öl saß, befindet sich jetzt nur noch eine kreisrunde Naht im Gehäuse. Den Ölstand zeigt ein Peilstab an, denn durch den neu gestalteten Ölkreislauf sitzt das Motoröl nun tiefer unter dem Motor. Dank dieser Änderung soll die Aprilia RSV4 RF unter anderem in jeglicher Schräglage noch besser mit Schmierstoff versorgt werden – und das bei weniger Motoröl im Bike. Noch aufwendiger geändert wurde aber vor allem das obere Motorgehäuse, auch wenn das nicht sofort sichtbar ist. Das dort verwendete neue Materialverfahren sparte allein 1,3 Kilo.
Im Innern änderten die Entwickler das Ventilationssystem, um Leistungsverluste durch ungünstigen Luftdruck innerhalb des Gehäuses zu vermeiden. Die rotierenden Massen wurden durch viele vermeintliche Kleinigkeiten reduziert. Noch mal deutlich Hand legten die Ingenieure am Zylinderkopf an. Die Nocken bekamen neue Profile und wiegen nun 600 Gramm weniger. Ein- und Auslasskanäle wurden feiner bearbeitet, die Ventile sind aus Titan, die Federn neu. Auch der Brennraum ist aufgeräumter, das Verdichtungsverhältnis ging rauf auf 13,6:1. Entsprechend der mächtigeren Power ist die Aprilia RSV4 RF neu übersetzt. Das Abgassystem ist ebenfalls neu.
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Doch auch das Chassis kam an die Reihe. In der Aprilia RSV4 RF stammen die Dämpfer von Öhlins, die auch RR-Käufer mit einem aufpreispflichtigen Race Pack dazu ordern können. Der Radstand wuchs bei beiden RSV-Modellen um 15 Millimeter, vier davon entfallen für mehr Traktion auf die Schwinge im Bereich der Achsaufnahme. Der Motor sitzt etwas tiefer im Rahmen, das bedeutet besser zentralisierte Massen. Der Gabel-Offset legte um zwei Millimeter zu, dadurch ging der Nachlauf zurück, was man dem Motorrad sofort anzumerken scheint, denn die Aprilia brilliert derart mit ihrem agilen Handling, dass es einem erst etwas nervös vorkommt, nach der Eingewöhnungsrunde dann aber mit irren Linien verwöhnt.
Das zunächst etwas pumpende Fahrwerk am Kurvenausgang und das sehr leichte Heck im Anbremsbereich bedurfte einer strafferen Abstimmung. Das Öhlins-Material bietet einen großen Einstellbereich und reagiert fein auf Setup-Änderungen. Danach war das extrem kompakte Motorrad zwar immer noch in Bewegung, erledigte aber seine Aufgabe in echter Rennmotorrad-Manier. Überhaupt fühlt sich die Aprilia RSV4 RF mit der sehr Vorderrad-orientierten Sitzposition hoch über dem Lenker wie ein astreiner, kompromissloser Racer an.
Das Feedback ist ähnlich phänomenal, wie man das von Race-Bikes kennt. Selbst mit viel Bewegung im Motorrad am Kurvenausgang kann man so gnadenlos am Gas bleiben und die noch einmal verfeinerte Elektronik bügelt brenzlige Situationen mit feinem Regelverhalten aus. Wirklich verbessert hat sich die Gasannahme des V4. Selbst im scharfen R-Modus ging die Aprilia RSV4 RF sehr weich ans Gas und das Ride-by-Wire ließ sich ganz fein dosieren. Im Gegensatz zur Konkurrenz rockt die Aprilia übrigens in jedem der drei wählbaren Modi mit voller Leistung. Lediglich der Krafteinsatz unterscheidet sich. Den Rest, so die Techniker, regelt die Elektronik – auch im Regen.
Große Klasse ist das reduzierte Bremsmoment des Motors, das sich über die Elektronik-Bedienung im Cockpit fein einstellen lässt. Gepaart mit der Anti-Hopping-Kupplung lässt sich damit hervorragend nach schnellen Passagen vor engen Kehren furchtlos herunterschalten – die Aprilia RSV4 RF bleibt absolut ruhig ohne plötzliche Verzögerung beim Einkuppeln auf Kurs. In Misano ließ sich so das letzte Eck in der sehr schnellen Dreifach-Links mit einem kurzen Schaltvorgang nach unten wunderschön im dritten Gang ansteuern. Der gute Schaltautomat hat übrigens keine Blipper-Funktion.
Nach wie vor ist die Traktionskontrolle des APRC-Systems eine Wucht – und wurde weiter verbessert und dem neuen Motor und Chassis angepasst. Die feinen Regeleingriffe und die per Daumenschalter jederzeit einstellbare Sensibilität machen das Aprilia-System zu einem echten Knaller. Doch die Elektroniker haben sich für die neue Aprilia RSV4 RF noch etwas Besonderes ausgedacht. Per Smartphone kann nach vorgegebenen Werks-Settings auf 15 europäischen Strecken ein Corner-to-Corner-Setup der TC, des ABS und der Wheeliekontrolle aktiviert werden, das für uns in Misano wirklich hervorragend funktionierte und augenblicklich die Rundenzeiten drückte.
Und zuletzt ein Wort zum abschaltbaren Race-ABS von Bosch. Die Brembo-Bremse ist an sich schon eine Wucht, aber das dreifach einstellbare ABS ist tatsächlich sehr „racing“. Im schärfsten Modus waren Ende Start-Ziel wilde Stoppies möglich, und das ABS regelte nur bei brutalem ersten Bremsimpuls. Für sensiblere Seelen kann es das aber auch milder. Richtig auf den Zahn werden wir der Aprilia RSV4 RF in der kommenden PS fühlen – dann schon im ausführlichen Vergleichstest gegen die Konkurrenz.
Ein deutlich überarbeiteter Motor mit formidablen Manieren, ein sehr rennorientiertes Chassis und eine Elektronik, die auf allerhöchstem Niveau funktioniert. Sollte der V4 tatsächlich halbwegs die angegebene Leistung haben, ist die Aprilia ein ganz heißer Anwärter auf die schnellsten Rundenzeiten. Ein Vertun gibt es freilich nicht: Alltag ist bestimmt nicht das ganz große Ding der neuen Aprilia RSV4 RF.