Nicht nur mit mehr Hubraum und dem aggressiven Styling der 1000er-Schwester buhlt die neue ZX-6R um die Gunst der Supersport-Fans. Die Ninja bietet das volle Elektronikpaket und ein neues Fahrwerk obendrein. Das kostet. Zu viel?
Nicht nur mit mehr Hubraum und dem aggressiven Styling der 1000er-Schwester buhlt die neue ZX-6R um die Gunst der Supersport-Fans. Die Ninja bietet das volle Elektronikpaket und ein neues Fahrwerk obendrein. Das kostet. Zu viel?
Von einem Fehler will bei Kawasaki natürlich auf die Nachfrage, warum die 636er-Ninja anno 2005 eingestellt wurde, um diese 2013 wie Kai aus der Kiste wieder zu bringen, niemand sprechen. Stattdessen verweisen die Projektbeteiligten sofort darauf, dass außer der gleichen Kubikzahl heuer alles anders, alles neu ist. Und damit haben sie recht. Denn selbst das Bohrung-/Hubverhältnis ist jetzt anders als vor sieben Jahren. Ein längerer Hub soll die 636 wieder zurück auf die alltäglichen Straßen bringen und die Vierzylinderlücke zu den 750ern schließen, indem er mehr Drehmoment generiert, das Orgeln in höchsten Drehzahlen eindämmen und den Supersport-Fahrspaß unterhalb der 1000er-Marke wieder nähren soll. „Der Fokus dieser 636 liegt klar auf öffentlichen Straßen“, leitet dann auch Karim Mostafi, Pressesprecher bei Kawasaki Europe, die Präsentation ein und verspricht Fahrspaß pur in den Bergen rund um das nordkalifornische Oroville.
Doch weil diese Kawa immer noch ein Supersportler ist und knallharte Tests auf abgesperrten Pisten nun mal am effektivsten sind, prügeln die Journalisten aus Europa die neue ZX-6R erst einmal über die Rennstrecke von Thunderhill, ein selektiver und atemberaubend schöner Kurs nördlich von San Francisco. Das Sport-ABS, das bei der Sechser in Deutschland obligatorisch sein wird, gab es zu diesem Zeitpunkt leider noch nicht zu testen, und so bestand das Elektronikpaket aus der dreistufigen Traktionskontrolle, wie sie der Sportfan bereits aus der ZX-10R kennt, und zwei Fahrmodi - einmal „volle Pulle“ und das um etwa 20 Prozent im oberen Bereich reduzierte „Vorsicht“-Gas. Um es gleich vorwegzunehmen: Die abschaltbare Traktionskontrolle dürfte so gut funktionieren wie die der 1000er. Aber ihr so richtig auf den Zahn fühlen, war kaum möglich, denn für die Rennpiste klebte die R10-Supersportpelle von Bridgestone einfach zu gut, und so brutal viel Druck wie die große Schwester hat die 636 trotz Kubikzuschuss nun auch wieder nicht.
Aber das Power-Plus ist deutlich zu spüren. Die 636 braucht Drehzahlen über 10000/min nicht unbedingt, um linear und kraftvoll vorwärts zu schieben. In den schnellen Bögen lässt sie im Vergleich zu anderen 600ern gern mal die Wahl zwischen zwei Gängen im flauschig zu schaltenden Getriebe, denn ab 6500/min zieht sie schon schön durch. Ein Indiz dafür: Die 636 generiert ihre Spitzen-Power schon bei 13500/min gegenüber der weiterhin verfügbaren, 600er-Supersportregelkonformen Ninja-Schwester (14000/min). Und wer mit der Gashand mal seinen eigenen Optimismus korrigieren und dann neu anlegen muss, freut sich über eine exzellente, weil sanfte Gasannahme.
Alles Eigenschaften, die auch Tag zwei auf der Landstraße bestätigt. Aber wer in unbekanntem Kurvengeschlängel dann doch einmal plötzlich das Gas rausnehmen muss, wird des Öfteren nicht darum herum kommen, ein oder zwei Gänge runterzusteppen - 37 Kubikzentimeter mehr hin oder her. Die 636 verwöhnt eben mit Fahrspaß pur ohne Furcht vor brachialer Leistung und dem Stress, diese in jeder Sekunde beherrschen zu müssen. Und ist die Straße mal rutschig, hilft die TC obendrein.
Auch das neue Fahrwerk hilft. Für die Straßenphilosophie passend ist die Federrate am voll einstellbaren Federbein um 7,5 Prozent weicher als am Renngerät. Vorn ist die nächste Generation der Big Piston-Gabel von Showa verbaut. Sie beherbergt nun Federn in beiden Holmen, die Vorspannung auf der einen, Druck- und Zugstufe auf der anderen Seite - alles bequem an der Gabelbrücke zu justieren. Und sehr funktional. Harte Bremsmanöver - mit der bissigen, doch gut dosierbaren Bremse ein Kinderspiel - erledigt die Gabel wunderbar, und das Federbein sorgt für die nötige Stabilität am Heck. Der Einstellbereich ist groß, und auf Setup-Veränderungen reagierte das Motorrad sensibel und sofort spürbar. Beispiel: Schon eine Umdrehung mehr an der Vorspannung ließ das bereits handlich abgestimmte Motorrad nochmals leichter in die Kurven fallen. Ein Klick mehr Druckstufe vorn, und der Bremspunkt wanderte ein paar Meter weiter.
Auf der Straße dasselbe Spiel. Allerdings waren die Belagverhältnisse um Lake Oroville so paradiesisch, dass eine finale Aussage über das Ansprechverhalten und Dämpferreserven auf hiesigen, meist ja unverschämt schlechten Landstraßen schlicht unmöglich ist. Das müssen eingehendere Tests Ende Januar klären, wenn die ZX-6R in die Läden kommt. Was aber sicher ist: Der Bridgestone S20 in Sonderspezifikation ist eine klasse Wahl, weil er hält, prima rückmeldet und niemals aufstellt.
Alles in allem ist die 636 ein tolles Motorrad geworden und eine deutliche Bereicherung für die Supersportler unter 1000 Kubik. Warum sie allerdings fast so viel wie die Superbikes kosten soll, ist nicht wirklich nachvollziehbar, vor allem weil Kawasaki dem Kunden keine Wahl lässt. Warum muss er 13200 Euro für das Komplettpaket berappen und kann die elektronischen Helferlein nicht einzeln nach Gusto zu einem tollen Basismotorrad für knapp über 10000 Euro dazukaufen? Das wäre die perfekte Taktik, um Einsteiger wieder für Supersportler zu begeistern. Den Versuch wäre es künftig doch wert.
Motor
Wassergekühlter Vierzylinder-Viertakt-Reihenmotor, zwei obenliegende, kettengetriebene Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder, Tassenstößel, Nasssumpfschmierung, Einspritzung, Ø 38 mm, geregelter Katalysator, Lichtmaschine 315 W, Batterie 12 V/8 Ah, mechanisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung (Anti-Hopping), Sechsganggetriebe, Kette, Sekundärübersetzung 43:16.
Bohrung x Hub 67,0 x 45,1 mm
Hubraum 636 cm³
Verdichtungsverhältnis 12,9:1
Nennleistung 96,4 kW (131 PS) bei 13500/min
Max. Drehmoment 71 Nm bei 11500/min
Fahrwerk
Brückenrahmen aus Aluminium, Upside-down-Gabel, Ø 41 mm, verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, Zweiarmschwinge aus Aluminium, Zentralfederbein mit Hebelsystem, verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, Doppelscheibenbremse vorn, Ø 310 mm, Vierkolben-Festsättel, Scheibenbremse hinten, Ø 220 mm, Einkolben-Schwimmsattel, ABS, Traktionskontrolle.
Alu-Gussräder 3.50 x 17; 5.50 x 17
Reifen 120/70 ZR 17; 180/55 ZR 17
Maße+Gewichte
Radstand 1395 mm, Lenkkopfwinkel 66,5 Grad, Nachlauf 101 mm, Federweg v/h 120/134 mm, Sitzhöhe 830 mm, Gewicht vollgetankt 194 kg, Tankinhalt 17,0 Liter.
Garantie zwei Jahre
Farben Grün/Schwarz, Weiß/Schwarz
Preis ohne Nebenkosten 13195 Euro