
Das Gefühl kennt jeder vom eigenen Motorrad. Vom ersten warmen Frühlingstag, wenn alles kribbelt, während der Anlasser ein paar Sekunden länger orgelt, bevor sich der Motor nach langem Winterschlaf zur Stelle meldet. Schon die ersten Meter aus der Hofeinfahrt sind Abenteuer und Vergnügen. Da ist er wieder, der altbekannte Sound, so vertraut und doch in jedem Frühling neu. Und ja, so sitzt man auf dem Eisen, so fühlt es sich an, wenn der Motor das erste Mal auf Drehzahl kommt. „Willkommen zu Hause“, brüllt es dir ein paar Kilometer weiter aus der Airbox entgegen, während Ventile, Kolben und Kurbelwelle sich wieder an fünfstellige Drehzahlen gewöhnen. Viel schöner kann Motorradfahren nicht sein.
Ganz ähnlich geht es mir, wenn ich auf die GSX-R 750 steige. Ich weiß, was mich erwartet. Ich weiß, dass sie zu mir passt. Und trotzdem ist sie da, diese unterschwellige Spannung. Wie wird es wohl dieses Mal? Fühlt es sich wieder so gut an?
Die GSX-R hat mich in dieser Hinsicht eigentlich nie enttäuscht. Allein der Ton. So wie man sich in eine Stimme am Telefon verlieben kann, ohne den Menschen zu kennen, geht es mir mit diesem speziellen 750er-Timbre. Nicht so hektisch und nervös wie das 600er-Gekreische, nicht so brutal, ja furchteinflößend wie ein 1000er-Bass. Aber mit einem rauchigen Unterton, der nicht eine Sekunde daran zweifeln lässt, dass diese Dame hält, was sie verspricht. Das Beste ist: Beim aktuellen Jahrgang klingt dieses Versprechen wieder mindestens so verlockend wie in besten Zeiten. Kehlig, gierig, verrucht - weil es der Urmutter aller Supersportler immer wieder gelingt, sich aus Phasen unterschwelliger Dekadenz und Völlerei zu befreien und zurückzukehren zu ihrer supersportlichen Bestimmung.

Aktuell bedeutet das nicht nur zu einem Sound, der an die besten Zeiten erinnert. Sondern auch zu Leistungs- und Gewichtseckdaten, bei denen sich zwingend die Sinnfrage stellt. Versprochene 190 Kilogramm vollgetankt, nominell 150 PS - ist das nicht eine Traumformel zum Glücklichsein? Oder andersherum: Wer braucht eigentlich mehr? Ich garantiere: Jeder, aber wirklich jeder, der nach einem ausgedehnten Landstraßenritt von der GSX-R steigt, muss zugeben, dass der Dreiviertelliter mit seiner kräftigen Mitte und dem mächtigen Pfund, das er im fünfstelligen Drehzahlbereich abliefert, alle Ansprüche erfüllt. Selbst wenn es letztlich nur knapp 140 PS sind, die an der Kurbelwelle wirken, und sie fünf Kilogramm mehr auf die Waage bringt. Die 750er katapultiert mich in den Sportfahrer-Himmel, und zwar im Expresstempo.
In 8,6 Sekunden von 0 auf 200 km/h - und wenn es sein muss auf 280 km/h Topspeed. Mehr braucht kein Mensch. Gerade das macht es nicht unbedingt leichter, über sie zu schreiben. Weil man über so viel Lob in Erklärungsnotstand gerät. Weil man über Dinge schreiben muss, die man nicht so einfach erklären kann. Den Untergang einer Fahrzeugklasse. Das plötzliche Verschwinden einer Hubraumkategorie, die über Jahrzehnte der Inbegriff war für pure Sportlichkeit, für Weltmeisterschaften, für technologische Führerschaft. Innerhalb kürzester Zeit weg, einfach weg. Warum ist die GSX-R angesichts der unbestreitbaren Qualitäten dieser Hubraumklasse die Letzte ihrer Art? Vermutlich ist es wie bei den Dinosauriern.
Man kann es nicht exakt belegen. Aber es gibt Indizien. Wer jetzt das Auftauchen der 1000er-Supersportler der Neuzeit (also mit Erscheinen der ersten Yamaha YZF-R1 im Jahr 1999) anführt, liegt nicht so falsch. Denn bis dahin konnte die Big-Bike-Klasse (GSX-R 1100, Yamaha FZR 1000, Kawasaki ZX-10) der 750er-Führerschaft ebenso wenig etwas anhaben wie das Auftauchen der revolutionären (weil konkurrenzlos leichten) Honda Fireblade. Im Gegenteil: Gerade die Jahre von 1992 (Erscheinen der ersten wassergekühlten, aber auch etwas pummeligen GSX-R 750) bis 1999 (Auslaufen der viel gescholtenen SRAD-GSX-R 750) waren in Deutschland die erfolgreichsten der 750er-Superbike-Geschichte, in der nicht nur die GSX-R 750, sondern auch die Kawasaki ZXR 750 und die Yamaha YZF 750 R den Boliden in sportlicher Hinsicht den Rang abliefen.
So gesehen mutet es beinahe als eine Ironie des Schicksals an, dass gerade auf dem technologischen Höhepunkt der 750er-Bewegung (die GSX-R 750 des Jahrgangs 2000 hatte mit nominell 140 PS und 194 Kilogramm vollgetankt fast die Eckdaten der aktuellen 750er) auch der Anfang vom Ende dieser Klasse eingeläutet wurde. Der Klasse wohlgemerkt, nicht der GSX-R 750. Sie trotzt seither den Einliter-Attacken ebenso wie den Angriffen aus dem Dreizylinder-Lager, verweigert sich - wie auch ihre große Schwester - bisher standhaft jeglichem Assistenzsystem. Allerdings: An der Dreiviertelliter-Suzi vermisst man die elektronischen Helfer weitaus weniger als an der 1000er-Wuchtbrumme.
Zum einen, weil bei der aktuellen GSX-R die Bremsen wieder bremsen. Zum anderen - und das ist viel entscheidender -, weil dieser 750er dich eben nicht mit brachialer Gewalt auf die nächste Ecke zuschiebt, sondern auch dem normalbegabten Sportfahrer noch Zeit zum Nachdenken gibt. Zum Beispiel darüber, ob 750 Kubikzentimeter heutzutage nicht doch ausreichen. Auf diese Frage hat die GSX-R 750 eine Antwort. Und zwar eine sehr überzeugende.

Wassergekühlter Vierzylinder-Viertakt-Reihenmotor, zwei obenliegende Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder, Sechsganggetriebe, Bohrung x Hub, 70,0 x 48,7 mm, Hubraum 750 cm³, Nennleistung 110,3 kW (150 PS) bei 13 200/min, max. Drehmoment 86 Nm bei 11200/min, Brückenrahmen aus Aluminium, Upside-down-Gabel, Ø 41 mm, Zweiarmschwinge mit Oberzügen aus Alu, Doppelscheibenbremse vorn, Ø 310 mm, Scheibenbremse hinten, Ø 220 mm, Reifen 120/70 ZR 17, 180/55 ZR 17, Sitzhöhe* 805 mm, Gewicht vollgetankt* 195 kg, Tankinhalt 17,0 Liter, Farben: Schwarz, Blau/Weiß, Preis inkl. Nebenkosten 13330 Euro.
27 Jahre GSX-R 750

Mit Rennsiegen hat sie gegeizt, gar keine Frage. Jedenfalls dann, wenn man die Vorzeige-Meisterschaft dieser Hubraumklasse, die Superbike-WM, betrachtet. Nicht ein einziges Mal reichte es für die GSX-R 750, um in der Meisterschaft ganz vorn zu landen, während Honda (RC 30, RC 45, VTR 1000 SP-2) sowie Yamaha (YZF-R7) bisweilen technisch ganz eigenständige Homologationsmodelle anboten und mal mehr (Honda) oder mal weniger (Yamaha) erfolgreich waren.
Dass die GSX-R 750 trotzdem weltweit einen ausgezeichneten Superbike-Ruf genoss, lag an ihrer Volks-nähe. Egal ob Langstrecken-WM, nationale Meisterschaften oder Breitensport: Immer wenn es galt, mit etwas weniger finanziellem und technischem Einsatz ein ernstes Wörtchen mitzureden, war die GSX-R 750 ganz vorne dabei. Egal ob unter Ernst Gschwender in der Deutschen Meisterschaft oder in der Langstrecken-WM im Team von Suzuki Frankreich.





Das ist, wenn man ihre Wurzeln betrachtet, allerdings auch kein Wunder. Schließlich war sie es, die 1985 den Rennsport ein Stück weit auf die Straße brachte, der damaligen Langstreckenmaschine wie aus dem Gesicht geschnitten war. Das war ebenso sensationell wie ihr geringes Gewicht (201 Kilogramm) oder ihr Aluminium-Doppelschleifenrahmen, der allen Modellen bis 1996 in jeweils abgewandelter Form erhalten blieb.Was das Gewicht angeht, galt das leider nicht. Schon 1988 verstärkte Suzuki den Rahmen massiv, ließ Räder und Reifen deutlich in die Breite wachsen, vergrößerte das Schalldämpfervolumen durch eine Vier-in-zwei-Anlage - und erntete mehr Fahrstabilität, aber auch ein Gewicht von 228 Kilogramm. Nach kleineren Modifikationen 1990 folgte 1992 der nächste große Schritt mit der Umstellung auf Wasserkühlung. Mit dieser Maßnahme erreichte die GSX-R 750 aber auch ein Rekordgewicht von 239 Kilogramm, bevor 1996 mit der SRAD-Reihe die -erste radikale Diätkur wirkte: Alu-Brückenrahmen, komplett neuer Motor - und sagenhafte 35 Kilogramm weniger Gewicht brachten die GSX-R zusammen mit den nominell 128 PS wieder in Schlagdistanz zu Hondas Fireblade.
Und dann kam die Jahrtausendwende, und mit ihr eine 750er, wie sie die Welt noch nicht gesehen hatte. Die GSX-R 750 mit dem internen Code WVDB stellte alles Dagewesene und auch die hochrangige Konkurrenz in den Schatten. Derart gierig, derart radikal ging dieser 750er mit sagenhaften 140 PS zur Sache, dass die -versammelte hubraumstärkere Konkurrenz beim alljährlichen Master-Bike-Rennstreckenvergleich keine Chance hatte. Die GSX-R 750 war das Superbike des Jahres 2000.
Seitdem ging es etwas verhaltener voran. Leichte nominelle Leistungssteigerungen (welche die GSX-R auf dem Prüfstand häufig schuldig blieb) gingen einher mit leichter Gewichtszunahme. Bis zum vergangenen Jahr. Seither glänzt die GSX-R wieder mit niedrigem Gewicht (195 Kilo vollgetankt). Und mit perfekter Fahrbarkeit.