Stefan Bradl pulverisiert den Rundenrekord in Jerez - das war die Schlagzeile, die zwei Wochen vor dem Grand-Prix-Saisonauftakt in Katar und über ein halbes Jahrhundert nach den Großtaten von Werner Haas und H.-P. Müller auf NSU neue Hoffnungen auf einen deutschen Weltmeister mit einem deutschen Motorrad aufkeimen ließ.
Angetrieben wird die Moto2-Maschine zwar wie vorgeschrieben von einem 600-cm³-Honda-Einheitsmotor. Doch das Kalex-Fahrwerk stammt aus dem schwäbischen Bobingen unweit von Bradls bayrischem Heimatdorf. Konstrukteur Alex Baumgärtel und sein Partner Klaus Hirsekorn hatten sich 2009 an die Entwicklung einer Moto2-Maschine gewagt, die schon bei ihrer ersten öffentlichen Präsentation mit überragender Verarbeitungsqualität und sauberen technischen Lösungen beeindruckte. Vor allem die Rahmenkonstruktion: Sie wirkt bullig und muskulös, ein optischer Effekt, der vor allem mit den voll ausgeformten vorderen Motoraufhängungen zusammenhängt.
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Deutsche Moto2-Racer: Kalex und MZ
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Baumgärtel fräst sie nach bester Handwerkskunst Stück für Stück aus dem Vollen. Der Kalex-Rahmen, ein Verbund aus sieben Frästeilen und fünf Alublech-Verbindungsstücken, sah nicht nur edel und kostbar aus, sondern überzeugte auch auf der Strecke sämtliche testenden Piloten mit Bremsstabilität, Lenkpräzision und Spurtreue.
Die Fahrwerksstabilität muss von der Fahrzeugmitte ausgehen, so lautet die Prämisse der Kalex-Konstrukteure. Fahrwerksverwindungen ("controlled flex"), die in manchen Situationen durchaus erwünscht sind, sollen ihren Drehpunkt, also den Bereich, in dem sich eben nichts verwindet, im Fahrzeugzentrum haben, nicht in der Schwinge oder im Lenkkopf. "Die entscheidenden Teile aus dem Vollen zu fräsen, gab mir bei der Entwicklung mehr technische Freiheit. Ich konnte die Materialsteifigkeit beliebig steuern", erklärt Baumgärtel. Was er auch getan hat, obgleich die beiden Evolutionsstufen der Kalex während der GP-Saison 2010 von außen nicht erkennbar waren. Und nur die elegant wirkenden, reliefartig abgesetzten Flächen an den Rahmenseitenteilen unterscheiden die Version 2011 von ihren Vorgängern.
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Sächsisches Traditionsbewusstsein bei MZ.
Ganz anders, aber mit einem ebenso unverwechselbaren Charakter, präsentiert sich die MZ RE. Stahlrahmen haben in dem sächsischen Motorradwerk Tradition, und weil der MZ-Geschäftsführer Martin Wimmer sowohl im Rennsport als auch in der geplanten Serienfertigung an die ruhmreiche Vergangenheit anknüpfen will, erhielt der von dem Australier Anthony West eingesetzte Moto2-Prototyp ein Stahlgitterrohr-Chassis. Allerdings mussten die Rahmenrohre um den breiten Reihenvierzylinder herumgebogen werden.
Basierend auf der serienmäßigen Geometrie der Honda CBR 600 RR, gab es an den fahrdynamischen Qualitäten des MZ-Rahmens wenig auszusetzen. Das Team kämpfte mit anderen Fehlerteufeln wie etwa einem zunächst unerklärlichen Verlust an Motorleistung bei voller Betriebstemperatur. Erst spät stellte sich heraus, dass die im Vergleich zu Aluminium geringere Wärmedehnung der Chrom-Molybdän-Stahlrohre schuld war. Der heiße Motor wurde von seinem Stahlkorsett zu stark eingeschnürt und verspannt.
Dies, aber auch das Fahrverhalten wurde für 2011 verbessert. Zusätzliche seitliche Verstrebungen sollen Spurtreue und Stabilität in der Kurve verbessern. Weniger steif sind dagegen die neuen Gabelbrücken, um Bodenunebenheiten auch in voller Schräglage besser aufnehmen und das auf manchen Strecken auftretende Fahrwerksrattern unterdrücken zu können.
Die Hinterradschwinge dreht sich jetzt in einer höhenverstellbaren Aufnahme, die Wahl eines tieferen Drehpunkts bescherte mehr Traktion. Vor allem gönnte sich MZ Racing neue Öhlins-Federelemente statt der bisherigen K-Tech-Teile.
West war vom Fahrverhalten seines Motorrads bei den Jerez-Tests angetan - abgesehen davon, dass er noch mit der alten Hebelumlenkung am Hinterrad fahren musste, die nicht den vollen Dämpferhub des Öhlins-Federbeins nutzen kann. Um vor den Tests noch die passende Umlenkung anzufertigen, fehlte offenbar die Zeit.
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Mir san mir: bayrisch-schwäbischer Optimismus bei Stefan Bradl und Kalex.
Zeit ist auch sonst das größte Problem bei MZ Racing. Nach der spektakulären Verpflichtung von Sachsenpfeil Max Neukirchner als Teamkollege von Anthony West begann eine umfassende Neustrukturierung des Teams, mit Entwicklungsabteilung im Werk, Operationsbasis in Italien und der Idee eines völlig neuen Rahmens mit Steuerkopf und Schwingenaufnahme jeweils aus vollem Stahl gefräst: Prototypen für künftige Stahlgussteile, die eine einfache und kostengünstige Produktion von Production Racern und straßentauglichen Replicas erlaubten. Passend dazu waren Stahlrohre mit dünnerer Wandstärke vorgesehen, mit denen die Maschine einen großen Teil der zuletzt acht Kilogramm Übergewicht abspecken sollte.
Doch dann gerieten Design, Programmierung und das Fräsen selbst komplizierter als gedacht. Die für die Jerez-Tests Anfang März geplante Premiere des neuen Prototyps musste zunächst auf den Jerez-GP Anfang April verschoben werden. Und so kam es, dass Max Neukirchner auf ein käufliches FTR-Alu-Chassis umsteigen durfte und mit der nun MZ-FTR genannten Maschine die ersten Rennen bestreitet.
Dass ein Werk mit dem gekauften Motorrad eines Gegners antritt, ist eine einmalige, delikate Situation. Auch teamintern steigt die Spannung: Neukirchner war beim ersten Test mit der FTR schon recht zügig unterwegs, West mit der noch schweren MZ eine halbe Sekunde langsamer.