Sie waren echte Speedfreaks, die Rennfahrer und Ingenieure der 50er-Jahre. Als 1950 auf Initiative von Enzo Ferrari das Autodromo Enzo e Dino Ferrari in Imola gebaut wurde, wollte man ihren Rennern möglichst freien Auslauf geben. Lange Geraden, weite Kurven, irrwitzige Geschwindigkeiten, so das Credo. Dann wurden die Autos und Motorräder zu schnell für die alten Kurse, und es begann die Zeit der „varianti“, wie in Italien die Schikanen heißen. Das Autodromo in Imola hat vier davon.
Kürzerer Radstand und steilerer Lenkkopf
Alle vier sind wie geschaffen dafür, die fulminante Handlichkeit der „kleinen“ 899 Panigale zu demonstrieren. Selbst mit noch gebremstem Vorderrad und bei hohem Tempo trifft sie präzise den Weg in die Tamburello, klappt in der schnellen Villeneuve-Schikane wie eine kurze Handbewegung von links nach rechts und durcheilt selbst die schikanösen Haken der beiden Varianten Alta und Bassa in einem harmonischen Bewegungsablauf. Und in der Tosa-Kehre wendet sie auf engstem Radius, rasch bereit fürs Aufrichten und volle Durchbeschleunigen bergauf.
Im Unterschied zur 1199 Panigale bekam die 899 einen kürzeren Radstand und einen um ein halbes Grad steiler stehenden Lenkkopf. Den größten Anteil an ihrer Leichtfüßigkeit dürfte aber die Kontur des Hinterreifens – ein 180/60 ZR 17 auf einem 5,5 Zoll breiten Hinterrad – tragen. Für die Rennstrecke hatten die Ducati-Mechaniker zunächst einen Regenrennreifen und, als es abtrocknete, einen renntauglichen Diablo Supercorsa SP SC2 montiert. Auch diese Wahl hat die Handlichkeit der Sportlerin wahrscheinlich positiv beeinflusst. Vorderreifen für den Straßenbetrieb sind aus Gründen der Geradeauslaufstabilität und des Komforts meist weicher im Aufbau und bilden eine breitere Aufstandsfläche, die das Motorrad etwas träger einlenken lässt. Ein ausführlicher Test mit der Serienbereifung könnte hier also noch Unterschiede zutage bringen.
Ducati 899 Panigale leiser wie 1199er
Ein Test könnte auch die Eindrücke vom Motor durch Messwerte ergänzen, wird aber an einer Aussage sicher nichts ändern: Der Motor der 899, der 898 cm³ besitzt, hat eine völlig andere Charakteristik als das 1199er-Großkolbentriebwerk.

Es gab Kollegen, welche die nominell 47 Mehr-PS der 1199 und das Spektakel vermissten, das sie bei deren Entfaltung vollführt. Doch der Autor kann sich dieser Meinung nicht anschließen. Der kleinere Motor läuft kultivierter als der große, vibriert weniger und entfaltet seine Leistung homogener. Zugleich bietet er ein sehr breites nutzbares Drehzahlband, das mit einigem Wohlwollen am unteren Ende von 3000 bis 12.000/min reicht.
Die Drehfreude des 898ers ist die Voraussetzung für die in allen Gängen kürzeren Übersetzungen, mit deren Hilfe die Zugkräfte am Hinterrad in allen Gängen rund 20 Prozent höher ausfallen als bei der in den Ruhestand versetzten 848. Wie genau sich das auf die Fahrleistungen der Ducati 899 Panigale auswirkt, kann wiederum nur ein Test klären. Wegen der linear ansteigenden Leistung könnte man das Temperament des Motors unterschätzen. Doch die Schnelligkeit, mit der er hochdreht und den Fahrer zum Hochschalten auffordert, spricht für sehr gute Beschleunigungswerte. Der kleinere „Superquadro“, so der Name für die mit der Panigale eingeführte Motorbaureihe, ist also ein äußerst effizientes Triebwerk.
Kleine Panigale 4200 Euro günstiger
Zu den Sparmaßnahmen, welche die 899 satte 4200 Euro günstiger machen als die 1199, gehören der Wechsel auf die Zweiarmschwinge, die die aufwendige Einarmkonstruktion nicht vermissen lässt, und der Verzicht auf eine mechanische Anti-Hopping-Kupplung. Erstaunlicherweise fiel ihr Fehlen beim Fahren gar nicht auf; die EBC (Engine Brake Control), die über wohldosiertes Öffnen der Drosselklappen das Bremsmoment des Motors im Schiebebetrieb regelt, arbeitete so gut, dass selbst beim Einkuppeln nach raschem Zurückschalten über vier Gänge kein Stempeln des Hinterrads auftrat.
Damit ist ein Kapitel aufgeschlagen, das in Zukunft wohl immer größeren Raum in Fahrberichten und Tests einnehmen wird: die elektronischen Assistenzsysteme. Neben der bereits erwähnten EBC besitzt die 899 einen Schaltassistenten, den man vielleicht auf eine etwas kürzere Unterbrechungszeit hätte einstellen können, ein ABS und eine Traktionskontrolle. Für beide sind verschiedene Modi wählbar. In Sachen Elektronik ist die 899 also genauso ausgestattet wie die große Panigale. Und wie sich in allen Phasen des Testtags in Imola gezeigt hat, nicht nur morgens bei nasser Strecke, ist die Frage nicht mehr, ob vielleicht hie und da das ABS, die EBC oder die Traktionskontrolle geregelt hat. Die Elektronik ist längst viel mehr als die letzte Sicherung im Katastrophenfall, die Rückfallebene, die man als Fahrer besser meidet.
Video zum Fahrbericht
Sie funktioniert nicht nur bei der 899 Panigale mittlerweile so gut, dass sich ihre Arbeit nahtlos in die Abläufe beim Fahren einfügt. Selbst wenn bei nasser Fahrbahn das ABS regelt, was auf trockener Bahn mit Rennreifen eher selten geschieht, läuft das ab wie selbstverständlich. Traditionalisten werden es allmählich einsehen müssen: Der virtuose Umgang mit den elektronischen Helferlein gehört heute ebenso zu den Anforderungen an einen guten Fahrer wie ein feines Gespür für die Haftgrenze. Zumindest beim Fahren auf der Rennstrecke. Also in der Paradedisziplin der 899 Panigale.
Und obwohl es zu ihrem stolzen Preis von 15.490 Euro auch eine japanische 1000er der 180-PS-Klasse gäbe, machen ihre reichhaltige Ausstattung und ihre Ausgewogenheit sie zu einem sehr vernünftigen Motorrad. Genau das sorgt nebenbei für riesigen Fahrspaß.
Technische Daten

Motor
Wassergekühlter Zweizylinder-Viertakt-90-Grad-V-Motor, je zwei obenliegende, kettengetriebene Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder, desmodromisch betätigt, Nasssumpfschmierung, Einspritzung, Ø 62 mm, geregelter Katalysator, Lichtmaschine 440 W, Batterie 12 V/6 Ah, hydraulisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Sechsganggetriebe, O-Ring-Kette, Sekundärübersetzung 44:15.
Bohrung x Hub: 100,0 x 57,2 mm
Hubraum: 898 cm³
Verdichtungsverhältnis: 12,5:1
Nennleistung: 109,0 kW (148 PS) bei 10750/min
Max. Drehmoment: 99 Nm bei 9000/min
Fahrwerk
Monocoque aus Aluminium, Upside-down-Gabel, Ø 43 mm, verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, hydraulisch, Zweiarmschwinge aus Aluminium, Zentralfederbein, liegend, mit Hebelsystem, verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, Doppelscheibenbremse vorn, Ø 320 mm, Vierkolben-Festsättel, Scheibenbremse hinten, Ø 245 mm, Zweikolben-Festsattel, ABS, Traktionskontrolle.
Alu-Gussräder: 3.50 x 17; 5.50 x 17
Reifen: 120/70 ZR 17; 180/60 ZR 17
Maße und Gewichte
Radstand 1426 mm, Lenkkopfwinkel 66,0 Grad, Nachlauf 96 mm, Federweg v/h 120/130 mm, Sitzhöhe 830 mm, Trockengewicht 169 kg, Tankinhalt 17,0 Liter.
Garantie: zwei Jahre
Farben: Rot, Weiß
Preis: 15 490 Euro
Nebenkosten: 305 Euro