Gnadenlos brennt die Sonne vom wolkenlosen Himmel, das Thermometer zeigt drückende 40 Grad. 60 Grad Streckentemperatur lassen die Luft vor Hitze flirren. Normalerweise sucht man da Kühlung im Baggersee oder unter Bäumen im Biergarten. Aber nicht heute. Nicht, wenn mit Ducati Panigale R und Yamaha YZF-R1M zwei der schärfsten Superbike-Waffen zum Schlagabtausch bereitstehen und die Strecke von Rijeka wie leergefegt ist. Es sind zwei Maschinen, bei denen ihre Erbauer alle Register zogen, um sie für einen Zweck zu wappnen: Siege auf der Rennstrecke einzufahren.
Die Yamaha tritt mit ihrem erstarkten Crossplane-Vierzylinder mit ungleichmäßigen Zündabständen an. Er drückt 199 echte PS, dazu steht die Yamaha YZF-R1M mit 201 Kilogramm schlank und drahtig da. Sie trägt nicht nur ein semiaktives Öhlins-Fahrwerk, sondern von einem feinen Alu-Tank bis zu geschmiedeten Magnesiumrädern, Carbonverkleidung und Titanauspuff alles, was leicht, gut und teuer ist. Dazu – wie die Ducati Panigale R – ein GPS-gestütztes Data-Recording. Mit dem Sieg bei den prestigeträchtigen acht Stunden von Suzuka hat die R1M bereits eine erste Duftmarke gesetzt. Und nächstes Jahr soll sie die Superbike-WM-Krone holen.
Ducati Panigale R muss sich mit WM-komformen 1199 cm³ begnügen
Das versucht Ducati bereits in dieser Saison mit der aktuellen Panigale R. Ohne Hubraumbezeichnung. Denn in Abgrenzung zu den Panigale 1299-Schwestern muss sie sich mit dem WM-konformen Hubraum von 1199 cm³ begnügen. Und sie tut das mit einem extrem kurzhubigen Motor mit gewaltigen 112 mm Bohrung bei gerade mal 60,8 mm Hub. Ein technischer Leckerbissen, der im Grunde aus dem Edelbrenner Superleggera stammt. Zwar muss er sich mit konventionellen Gehäuseschrauben und Auslassventilen begnügen – bei der Superleggera sind diese Teile aus Titan –, doch Titaneinlassventile und die mit Wolframgewichten ausbalancierte Kurbelwelle zieren auch die Ducati Panigale R. Eine im Vergleich zur Vorgängerin von 12,5 auf 13,2:1 angehobene Verdichtung und schärfere Nockenwellen hieven die Leistung auf brutale 198 PS. Was praktisch Gleichstand mit der Yamaha YZF-R1M bedeutet.
Allerdings verabreicht der Twin Ducati Panigale R diese Power mit einer eher vierzylindrigen Leistungskurve. Bis 7000/min halten Drehmoment und Leistung Siesta. Dann schnappt die Leistungskurve steil nach oben, erreicht bei atemberaubenden 11.900/min ihren Zenit und liefert gleichzeitig noch ab 11.000/min ein schönes Leistungsplateau und damit Überdrehreserve, was Ausdrehen nicht unbedingt nötig macht und den ein oder anderen Schaltvorgang vor Kurven spart. Ganz sicher: Die Abstimmung mit Drehmoment-Flaute in der ersten Drehzahlhälfte ist der Straßenzulassung geschuldet. Im Renntrimm mit offener Auspuffanlage und passendem Mapping dürfte das Drehmoment-Tal mit massig Newtonmetern geflutet werden.
Christian Kellner, unser Mann für die ganz schnellen Runden
Doch hier und jetzt stehen die Serienmaschinen am Start. Und mit ihnen Ex-Supersport-WM-Pilot Christian Kellner, kurz „Kelle“, unser Mann für die ganz schnellen Runden, die am Ende des Tages auf Metzeler Racetech RR in der K2-Rennmischung gefahren werden. Für das Einfahren werden die beiden mit RR in der härteren, straßenzugelassenen K3-Mischung besohlt. Womit zum Einrollen bereits rennmäßiger Grip zur Verfügung steht. Die Yamaha YZF-R1M beugt ihren Piloten in eine sehr rennmäßige Haltung. Knie stärker angewinkelt, der Oberkörper muss sich tief in Richtung Lenkerstummel beugen. Die Ducati Panigale R trägt ihren Fahrer entspannter. Die Lenker breiter ausgestellt, Knie und Oberkörper etwas weniger kräftig abgewinkelt.
Auf dem holprigen, aber unglaublich griffigen und sauschnellen Kurs setzt sich zuallererst der V2 mit Schmackes in Szene. Gierig hängt er ab der 7000er-Marke am Gas, geht wie ein Presslufthammer zur Sache, peitscht durchs Drehzahlband, und erst ab 11.000/min legt sich der Sturm ein wenig. Als etwas unglücklich erweist sich auf dieser Strecke die Spreizung zwischen drittem und viertem Gang in Verbindung mit besagtem Drehmoment-Tal. Im Geschlängel des mittleren Streckenteils dreht die Ducati Panigale R im dritten Gang zu hoch, im vierten aber hängt sie gerade so an der 7000er-Marke und braucht einen Tick, bis sie wie entfesselt loslegt. Ein Leisetreter ist die Duc dabei nicht, auch nicht mechanisch. Hart und aggressiv hämmert der hochverdichtende Twin.
Federelemente der Duc knochenhart abgestimmt
Trotz dieser feurigen Darbietung kommt noch keine Begeisterung auf. Zwar tänzelt die Ducati Panigale R, beflügelt von sensationell niedrigen 188 Kilogramm Gewicht, leichtfüßig durch die Kurvenkombinationen, sticht mit chirurgischer Präzision in die Ecken und animiert mit ihrem stabilen Chassis zu unglaublichem Kurvenspeed. Aber nur solange der Asphalt eben ist. Und das ist er in Rijeka beileibe nicht, sondern mit veritablen Wellen und Flicken durchsetzt. In der langen, schnellen Rechts nach Start/Ziel lauern kräftige Bodenwellen. Unwirsch chattert die Front der Duc darüber hinweg. Volle Segel drüber? Besser nicht. Mit voll aufgerissener Brause die Duc durch den Links-rechts-Wechsel auf die Zielgerade feuern ist nur etwas für Hartgesottene, die kräftiges Lenkerzucken für ein Freudentänzchen der Maschine halten. Die Federelemente der Duc sind knochenhart abgestimmt und bringen bei Rennspeed auf dem Flickenteppich deftig Unruhe ins Fahrwerk. Also ab an die Box, Setup-Tüfteln.
Und die Yamaha? Ihr sonor knurrender Crossplane-Vierzylinder schnurrt behaglich beim Einrollen, während sich die R1M ins Kurvengetümmel stürzt. Sie schlägt zwar nicht so zackig Haken wie die Ducati, klappt aber beflissen und spielerisch dem Asphalt entgegen. Wie willig sie in Schräglage Lenkbefehle umsetzt, ist eine Schau. Auf der Yamaha YZF-R1M herrscht freie Linienwahl. Dazu bietet sie selbst in tiefsten Schräglagen mehr Gefühl fürs Vorderrad als die Ducati Panigale R. Der Hit ist aber das semiaktive Fahrwerk. Neben drei fix einstellbaren Setups stehen drei automatisch agierende Fahrwerkseinstellungen zur Verfügung, die noch individuell verfeinert werden können. Die sportlichste funktionierte auf dem welligen Kurs bereits nach minimalen Anpassungen ausgezeichnet.
Vierzylinder der Yamaha YZF-R1M dreht feurig hoch
Die fiesen Bodenwellen in der langen Rechts nach Start/Ziel? Wie weggebügelt. Volle Brause durch die Wechselkurve am tiefsten Punkt der Strecke und über die anschließende Kuppe auf die Gegengerade feuern? Kein Problem. Das Chassis macht es dem Fahrer leicht, die Kraft des Motors unbefangen einzusetzen. Feurig dreht der Vierzylinder hoch, legt ab 11.000/min, wenn die variablen Ansaugtrichter auf kurze Ansaugwege schalten und der Sound einen zornigen Unterton bekommt, nochmals ein Brikett nach und dreht ratzfatz bis 14.000/min. Die etwas harte Gasannahme ist zwar auch bei der Yamaha YZF-R1M spürbar, fällt aber auf dem schnellen, flüssigen Kurs nicht so gravierend ins Gewicht wie auf Strecken mit engeren Ecken, wie etwa dem Lausitzring.
Arbeitet die Traktionskontrolle der Ducati bereits wirklich gut, wenngleich sie doch den ein oder anderen Rutscher am Hinterrad zulässt, gehen die elektronischen Helfer der Yamaha inklusive der Wheelie-Kontrolle noch feiner und geschliffener zu Werke. Und weil das semiaktive Fahrwerk seine Sache gut macht, die Yamaha YZF-R1M die Reifen deutlich weniger malträtiert als die Ducati, ist die Setup-Suche rasch beendet. Somit bleibt genug Zeit, um sich intensiv der Ducati Panigale R zu widmen. Dämpferschrauben werden auf- und zugedreht, das Heck angehoben und wieder abgesenkt, Federn ent- und wieder vorgespannt. Völlige Ruhe ins Fahrwerk zu bringen gelingt zwar nicht, doch mit recht weich eingestellten Federelementen ist sie dann bereit für die Rennpellen und die Zeitenjagd.
Bremsen der Duc schlicht eine Wucht
Den Anfang macht Kelle auf der Yamaha YZF-R1M. Schon nach der ersten Runde kann man förmlich sehen, dass er sich auf der Yamaha wohlfühlt, so zünftig wirft er sie in die Ecken. Respektable 1.37,0 min vermeldet die Stoppuhr, als Kelle an die Box rollt. Er schwärmt vom teilaktiven Fahrwerk, der einfachen Linienwahl und der genialen Elektronik. „Nur die Bremse könnte beim ersten Anlegen herzhafter zupacken und noch etwas Biss und Knackigkeit vertragen“, lautet neben dem beim Anbremsen etwas unruhigen Heck seine einzige Kritik. Dann steigt die Ducati Panigale R in den Ring: Was kann die rote Diva dagegenhalten? Mit brachialem Röhren stürmt er auf die Zielgerade, schießt mit mächtig Speed in die Bremszone, die einen leichten Rechtsknick und einige Bodenwellen bereithält, und taucht dann in den folgenden Linksknick. Noch fällt die Zeit der Yamaha nicht.
Doch mit der letzten Runde knackt er die Yamaha YZF-R1M, vermeldet die Stoppuhr 1.36,7 min. Zur Verblüffung aller. „Mit der Ducati kann ich viel später und härter bremsen“, erklärt Kelle in der Box. Die Bremsen der Ducati Panigale R sind schlicht eine Wucht, das Heck dazu ruhiger. Außerdem ermöglicht der Schaltautomat der Panigale im Gegensatz zu jenem der R1M auch das Herunterschalten ohne Kupplung. „Doch wirklich ruhig ist die Duc beim Beschleunigen nach wie vor nicht“, schnauft Kelle. Das Data-Recording untermauert seine Aussagen. Ende der Gegengeraden und Start/Ziel liegen seine Bremspunkte später, ist das Tempo am Kurveneingang höher. „In langen ebenen Kurven kann ich mit ihr einen höheren Kurvenspeed fahren“, erklärt er. Diesen Vorteil kann die Panigale R hier nur nicht richtig ausspielen.
Rundenzeiten beinahe identisch
Mit der Yamaha dagegen beschleunigt Kelle schon am oder gar vor dem Scheitel heftig, reißt die Yamaha YZF-R1M mit vollen Segeln durch die Schikanen, wodurch sie zu Beginn der Gegen- und der Zielgeraden bis zu zehn km/h schneller ist, was die Ducati Panigale R mit ihrem wuchtig anreißenden Twin erst am Bremspunkt wieder aufholt. Was unterm Strich fast identische Rundenzeiten ergibt.
"Aber", gibt Kelle am Schluss zu Protokoll, "auf der Ducati Panigale R ist das trotz des tollen Handlings anstrengender, auf der Yamaha YZF-R1M dagegen kann ich rundenlang dieses Tempo fahren." Nach wie vor erfordert das unruhige Fahrwerk kräftiges Zupacken. Auf Dauer eine kräftezehrende Angelegenheit. Während dieses Tempo auf der Yamaha vergleichsweise entspannt und leichter zu gehen ist. So ergibt sich auf der Stoppuhr fast ein Patt. Ihre Charaktere sind aber ebenso verschieden wie ihre Motorenkonzepte.
Technische Daten

Messwerte

Unten wenig, oben volle Pulle. So präsentieren sich V2 und Reihenvierer als Motoren mit Rennabstimmung, die die erste Hälfte des Drehzahlbandes als vernachlässigbar betrachten. Erst ab 7000/min – dem rennstreckenrelevanten Bereich – geht die Post ab. Ihr volles Leistungspotenzial – auch im mittleren Drehzahlbereich – dürften beide wohl erst mit freien Atemwegen und offener Auspuffanlage entfalten. Wobei der großvolumige V2 der Ducati Panigale R mit seinem deutlich überquadratischen Bohrung-Hub-Verhältnis unter der zugestopften Straßenabstimmung kräftiger leidet als der Vierer der Yamaha YZF-R1M.
Fahrer und Strecke


Der ehemalige WM-Pilot Christian Kellner ist unser Mann für schnelle Runden. In Rijeka hatten es ihm besonders die Qualitäten der Ducati Panigale R auf der Bremse und die Einfachheit des Schnellfahrens auf der Yamaha YZF-R1M angetan. Rijeka ist ebenso schnell wie anspruchsvoll. Für Fahrer wie Fahrwerk. Der Grip des Automotodrom Grobnik, www.grobnik.hr, ist enorm. Die Bodenwellen zum Teil aber auch. Auf der 4,2 Kilometer langen Piste mit ihren 22 Metern Höhenunterschied wurden bis 1990 noch Grand Prix ausgetragen.
Fazit

Ducati Panigale R
Ihr Motor ist ein Tier, mit einem breiten Plateau an Spitzenleistung. Handling und Bremsen sind brillant. Es steckt enormes Potenzial für schnelle Rundenzeiten in ihr. Es freizulegen, bedarf aber einer kundigen Hand. Die Ducati Panigale R ist ein kompromissloses Renngerät für versierte Racer.
Yamaha YZF-R1M
Die Stärken der Yamaha YZF-R1M sind ihr Chassis samt semiaktivem Fahrwerk und ihre elektronischen Helfer. Ein schlagkräftiges, kultiviertes Paket, mit dem auch Hobby-Racer schnell schnell werden. Und dazu ist sie rund 10.000 Euro billiger als die Ducati Panigale R.