Fahrbericht BMW S 1000 RR (2009)
Alle Zutaten für maximale Leistung

Schluss mit Salami-Taktik. Lange genug trafen die Neuigkeiten zur BMW S 1000 RR nur scheibchenweise ein. Nachdem sich der Bayern-Express ein Jahr lang in der Superbike-WM und anderen Rennserien beweisen durfte, stand nun das Serienbike in den Startlöchern und gab eindrucksvoll seine Visitenkarte ab.

Alle Zutaten für maximale Leistung
Foto: Foto: BMW

Man sieht sie zunächst kaum. Aber sie ist da. Diese kleine Kuppe zu Beginn der Zielgeraden von Portimão. Die BMW fliegt herein, heiser brüllend. 14000/min, hektisch zuckender Schaltblitz. Dritter Gang, vierter. Und dann nimmt auch der Pilot sie wahr. Die BMW hebt mir nichts, dir nichts das Vorderrad. Im Vierten. Bei knapp 200 km/h. Oberkörper und Gewicht nach vorn, die Kontrollleuchte der Traktionskontrolle flackert auf, das Vorderrad kehrt zur Erde zurück und die K 46, so ihre interne Modellbezeichnung, stürmt wie angestochen weiter. Leistungsmäßig, so viel steht nach dem ersten Kontakt fest, braucht sie sich vor der arrivierten Konkurrenz Nippons nicht zu verstecken.

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Fahrbericht
BMW S 1000 RR
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Dafür haben die Münchener aber auch alle Register gezogen. Kein anderes Superbike-Triebwerk, nicht einmal das des Drehzahlkönigs R1, ist so kurzhubig ausgelegt wie der Bayern-Vierer. Seine gewaltigen 80 Millimeter Bohrung kombiniert er mit nur 49,7 Millimetern Hub und nutzt dies für die größten Ventildurchmesser (Einlass 33,5, Auslass 27,2 Millimeter) der Klasse. Und auch die 48er-Drosselklappen sind konkurrenzlos. Alles Zutaten für maximale Leistung bei höchsten Drehzahlen. Winzige Schlepphebel, Ventile aus Titan, Pleuel mit gecrackten Füßen und zylinderselektive Klopfregelung sind die flankierenden konstruktiven Maßnahmen, um die Drehzahlfestigkeit zu sichern.

Eine Ausgleichswelle fiel der Waage zum Opfer. Damit die S 1000 RR dabei nicht zur schwachbrüstigen Drehorgel verkommt, bekam sie zur Stärkung des Drehmoments variable Saugrohrlängen und, ein Novum, Auspuffklappen nicht nur im Schalldämpfer, sondern auch in den Interferenzrohren der Krümmer. Es wäre allerdings ein Fehler, die BMW allein auf ihre Spitzenleistung zu reduzieren. Sie präsentiert sich nämlich als ausgesprochen gut geschnürtes Gesamtpaket. Mit einem ausgezeichnet gestalteten Arbeitsplatz zum Beispiel.

Foto: BMW
Under-engine-Auspuff, klassenüblich steiler Lenkkopf, kurzer Nachlauf.

Das zeigt schon die erste Kontaktaufnahme am frühen Morgen in der Boxengasse von Portimão. Das Sitzpolster in angenehmer Höhe, klinkt sich selbst ein Pilot mit Gardemaß sportlich, aber nicht verkrampft in die Kommandozentrale ein. Man sitzt perfekt integriert, schön dicht am Lenker, das Sitzpolster bietet genug Spielraum zum Gewichtstransfer. Fühlt sich auf Anhieb gut an, für eine 1000er ausgesprochen kompakt. Auf Knopfdruck knurrt die BMW los. Klingt kernig, gar nicht brav. Die seilzugbetätigte Anti-Hopping-Kupplung verlangt nur wenig Kraft, erster Gang und ab. Der ist ellenlang, bis gut 140 km/h übersetzt.

Mit rotznäsigem Ton knurrt die BMW, bestückt mit Schaltautomat, ABS und Traktionskontrolle (DTC), hinaus auf die Strecke. Mechanisch nicht ganz schmuseweich, aber auch nicht nervig. Konventionell geschaltet, wirkt das Getriebe ein wenig knorpelig, mit Schaltautomat flutscht der nächst höhere Gang dafür umso weicher hinein. Aber richtig vorwärts geht es nicht. Kurzer Blick aufs Display, alles klar. Noch ist das zahmste der vier hinterlegten Mappings, der Regenmodus, aktiviert.

Bei sanftem Ansprechen des Motors beschneidet es die Leistung auf gut 150 PS. Für den Regen sollte das ja reichen.

Der Sport-Modus gibt die volle Leistung frei, bei direkterem Ansprechen auf Gasbefehle. Race macht das Ansprechen noch knackiger und der Slick-Modus letztlich, der nur in Verbindung mit einem separaten mitgelieferten Stecker unter der Sitzbank aktiviert werden kann, reagiert dann sehr direkt auf Befehle des Ride-by-wire-Gasgriffs.

Die Mappings

Foto: BMW
Die BMW S 1000 RR bringt pure Spitzenleistung auf die Rennstrecke.

Der Clou, ABS und DTC, sofern an Bord, sind von ihrer Wirkungsweise her individuell auf diese verschiedenen Mappings abgestimmt. So lässt die Elektronik, gespeist von einem Schräglagensensor, im Rain-Modus beispielsweise nur bis etwa 38 Grad Schräglage das volle Öffnen der Drosselklappen zu. Sport steigert dies auf rund 45 Grad, Race auf etwa 48 und Slick auf gut 53 Grad.

Also weiter im Race-Modus. Ist der Vorwärtsdrang damit unter 4000/min eher verhalten, steht im mittleren Drehzahlbereich zumindest ausreichend Leistung zur Verfügung. Ob es im Alltag reicht, um gegenüber der Konkurrenz zu punkten, wird sich zeigen. Die BMW will Drehzahlen und bekommt sie. Hier auf der Rennstrecke spielt sich das Geschehen ohnehin in der zweiten Hälfte des Drehzahlbandes ab, so ab etwa 7500/min. Und da brennt ganz gehörig die Luft. Präzise, aber nicht ätzend hart geht sie am Kurvenscheitel ans Gas.

Aus langgezogenen Ecken feuert die BMW ganz gewaltig heraus, was die DTC mit sanften, aber spürbaren Eingriffen auf den Plan ruft. Der Slick-Modus würde leistungsmäßig zwar bis in tiefste Schräglagen alle Schleusen öffnen, was noch mehr Vortrieb bringt, aber nur mit Rennbereifung zu empfehlen ist. Die brachiale Power führt sonst trotz der haftfreudigen Metzeler Racetech zu manch ansehnlichen Slides.

Doch auch so geht es am Kurvenausgang mit leicht pumpendem Heck und sacht erhobenem Vorderrad auf die Gegengerade. Die DTC registriert den Drehzahlunterschied der Räder, nimmt Leistung und damit das Vorderrad auf den Boden zurück. Da bleibt es aber nicht lange, strebt wieder in die Höhe, wird erneut eingefangen. Was zwar nicht besonders geschmeidig geschieht, den Salto rückwärts aber zuverlässig unterbindet.

Foto: BMW
Die Dämpfung kann hinten und vorn mit dem Zündschlüssel eingestellt werden.

Der Vierzylinder geht oben heraus wie angestochen, dreht, dass einem schwindlig wird. Ab 11200/min treten die Klappen an den Interferenzrohren in Aktion und heben sich die Ansaugtrichter für leistungsfördernd kurze Ansaugwege. Erst ab 13000/min ebbt sein Toben ein wenig ab. Er zerrt so ungestüm über die Anstiege und Kuppen, dass man froh um den nicht einstellbaren Lenkungsdämpfer ist. Der hält die zuckenden Lenkerstummel im Zaum, ohne das Handling zu beeinträchtigen.

Und das ist gut so, denn die Bayern haben ihrem Paradesportler ein ausgesprochen wendiges Fahrwerk auf den Leib geschneidert. Wie selbstverständlich klappt die BMW in Schräglage, folgt gierig, präzise den Lenkimpulsen und schneidet blitzsauber durch die Kurven. Wie zackig sich die S 1000 RR in der engen Rechts-Links-Kombination vor der Gegengerade von einer Schräglage in die nächste werfen lässt, ist eine Wucht. Dazu verhält sie sich in Schräglage ausgesprochen neutral. Kein Hineinfallen oder Kippeln. Wird die Bremse am Kurvenscheitel gelöst, bleibt die BMW stur und äußerst exakt auf Kurs, um anschließend auf schön enger Linie hinaus zu preschen. In dieser Hinsicht dürfte sie in ihrer Liga ganz vorn mitspielen.

Bei der Abstimmung der Federelemente hatten die Techniker ein feines Händchen. Anfangs noch etwas soft, brachten bereits wenige Zusatz-Klicks an der Dämpfung deutlich mehr Stabilität und Ruhe. Ohne Einbußen beim Komfort. Trotz gewaltiger, 46 Millimeter dicker Tauchrohre bügelte die Gabel schön feinfühlig über die Wellen in der ultraschnellen Bergab-Rechts, die in die Zielgerade mündet.

Hahn auf, die BMW setzt zum Sprung auf die Zielgerade an, hechtet über die eingangs erwähnte Kuppe hin zur Bremszone, wo sie die ABS-bewehrten Brembos sicher wieder einfangen. Auch wenn der Druckpunkt nach einigen zackigen Runden leicht wanderte und sich Zweifinger-Bremser vielleicht ein etwas knackigeres Bremsgefühl und etwas mehr Anfangsbiss wünschen. Dafür bleibt die S 1000 RR selbst hier, wo aus dem sechsten bis in den zweiten Gang hinunter das Tempo zusammengestaucht wird, ausgesprochen stabil auf Kurs.

Teilintegral-ABS und Rutschkupplung leisten ganze Arbeit. Was letztlich den starken Einstand abrundet und die Spannung vor dem ersten Test noch einmal richtig anheizt.

Race-ABS – leicht und raffiniert

Foto: BMW
EinBlick unter den Sitz der BMW S 1000 RR.

Das Teilintegral-ABS (die Handbremse verzögert leicht das Hinterrad mit) ist eine komplette Neukonstruktion. Mit allen Bauteilen vom Lochkranz bis zu den Leitungen soll es lediglich 2,5 Kilogramm wiegen. 1,6 davon entfallen auf den mit vier Drucksensoren bestückten Druckmodulator. Er regelt sehr feinfühlig, misst und berücksichtigt dabei den Druckaufbau an den Bremshebeln.

Die Abhebeerkennung für das Hinterrad ist nur im Rain- und Sport-Modus aktiv. Nicht bei Race und Slick, die dagegen höhere Verzögerungswerte ermöglichen. Der Clou: Im Slick-Modus arbeitet das ABS beim Griff zur Handbremse an beiden Rädern. Wird die Fußbremse betätigt, schaltet es sich hinten für gepflegte Anbremsdrifts ab.

Technische Daten

Foto: BMW
Laptimer, Schaltblitz, Restreichweitenanzeige, alles an Bord. Das Drehzahllimit bei rekordverdächtigen 14000/min.

BMW S 1000 RR

Motor
Wassergekühlter Vierzylinder-Viertakt-Reihenmotor, zwei obenliegende, kettengetriebene Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder, Schlepphebel, Nasssumpfschmierung, Einspritzung, ø 48 mm, geregelter Katalysator, Lichtmaschine 434 W, Batterie 12 V/12 Ah, mechanisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung (Anti-Hopping), Sechsganggetriebe, Kette, Sekundärübersetzung 44:17.
Bohrung x Hub 80,0 x 49,7 mm
Hubraum 999 cm³
Verdichtungsverhältnis 13:1
Nennleistung 142,0 kW (193 PS) bei 13000/min
Max. Drehmoment 112 Nm bei 9750/min

Fahrwerk
Brückenrahmen aus Aluminium, Upside-down-Gabel, ø 46 mm, verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, Lenkungsdämpfer, Zweiarmschwinge aus Aluminium, Zentralfederbein mit Hebelsystem, verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, Doppelscheibenbremse vorn, ø 320 mm, Vierkolben-Festsättel, Scheibenbremse hinten, ø 220 mm, Einkolben-Schwimmsattel (optional mit ABS und elektronischer Schlupfkontrolle).
Alu-Gussräder 3.50 x 17; 6.00 x 17
Reifen 120/70 ZR 17; 190/55 ZR 17

Maße + Gewichte
Radstand 1432 mm, Lenkkopfwinkel 66,1 Grad, Nachlauf 96 mm, Federweg v/h 120/130 mm, Sitzhöhe 820 mm, Leergewicht 205 kg (mit ABS: 206,5 kg), Tankinhalt 17,5 Liter.
Gewährleistung zwei Jahre
Farben
Silber, Grau, Grün, Weiß/Rot/Blau (475 Euro)
Preis 15150 Euro
Sonderausstattung
ABS (915 Euro), ABS und DTC (1220 Euro), Schaltautomat (360 Euro)
Nebenkosten zirka 206 Euro

Fazit

Foto: BMW
Die BMW S 1000 RR bringt enorme Leistung auf der Rennstrecke.

PLUS

  • Fahrwerk sehr handlich, neutral, präzise
  • Ergonomie entspannt
  • Leistung für Rennstreckeneinsatz enorm
  • Detaillösungen durchdacht

MINUS

  • Windschutz nur, wenn man sich arg zusammenfaltet
  • Bremse Druckpunkt könnte knackiger sein
  • Leistungscharakteristik drehzahlorientiert
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MOTORRAD 20 / 2023

Erscheinungsdatum 15.09.2023