Fahrbericht Buell Firebolt XB9R
It’s a Buell!

Großer Harley-V2 in kompaktem Sportfahrwerk – und ein Auspuff, den die Welt noch nicht gesehen hat.

Da! Es bewegt sich. Aber was ist es? Der Rahmen – welch eine mörder Brücke. Die Schwinge, der Auspuff, die Bremse, das Licht. Alles hyper. Extraordinär. Ultra cool. Dramatisches Design, Anarchie auf zwei Rädern, Genie und Wahnsinn patriotisch vereint. Hinstarren. Herzklopfen. Feuchte Hände. Und die bange Frage: Gibt’s so was in Echt, in Serie, für normales Geld? Oder ist das nur Mache?
Garantiert nicht! Auf dem Tank steht Buell. Synonym für völlig abgespacete Bikes. Und die brandneue Firebolt XB9R geht am äußersten Pionierposten des amerikanischen Unternehmens in Stellung. Ein Motorrad, das man anderswo bereits im Denkansatz verwerfen würde: riesiger Stoßstangen-V2 in supersportlichem 250er-Fahrwerk. »Pop meets classic« oder umgekehrt. Jedenfalls eine radikale Komposition.
Stampfender Motor, tiefer Bass. Unverkennbarer, astreiner Milwaukee-Beat. In guter Buell-Tradition gibt ein aufgemotzter Harley-Twin den Ton in der Firebolt an. 92 PS stark, 7500 Umdrehungen hoch und 984 Kubikzentimeter tief. Mit Einspritzung, kerzengeradem Fallstromeinlass und Staudruckaufladung. Von wegen »living history«...
Wie der geölte Blitz dreht die Firestorm an den Begrenzer. Donnert über die Geraden, als sei der Leibhaftige hinter ihr her. »Born on the racetrack« - was sich las wie die vollmundige Übertreibung eines schwerst engagierten Buell-Werbetexters, gewinnt bei der Europapremiere auf dem Circuito Ricardo Tormo im spanischen Valencia zunehmend an Bedeutung. Knapp 200 km/h und 7000/min stehen am Ende der 876 Meter langen Zielgeraden an. Beachtlich – für einen luftgekühlten V2-Motor, dessen Ventiltrieb quasi aus dem Paläolithikum stammt.
Mit dem bislang von Buell favorisierten Thunderstorm-Motor hat der relativ kurzhubig ausgelegte XB9R-Antrieb fast nichts mehr gemein. Und das ist gut so. Das zähe Ringen um Vortrieb, der Kampf gegen die ellenlange Gesamtübersetzung – bei der Firebolt kein Thema. Sie klatscht ihr Drehmoment mit einer Selbstverständlichkeit an die Kupplung, die man in orthodoxen Harley-Kreisen nur vom Hörensagen kennt. Schon bei 2500 Touren sind so viele Newtonmeter zu Hause, dass der Hahn auf Durchzug gestellt werden kann. Schalten ist von da an reine Geschmackssache. Und Lastwechselreaktionen sind der zahnriemengetriebenen 1000er völlig fremd. Ohne einen Millimeter Luft hängt sie am Gas.
Durch und durch radikal die Fahrwerksgeometrie: 1320 Millimeter Radstand, 83 Millimeter Nachlauf, 69 Grad Lenkkopfwinkel. Willkommen im Reich des kompromisslosen Handlings, der bedingungslosen Stabilität und der Zentralisierung der Massen. Erik F. Buells Lieblingsrevier. Ein weites Feld, auf dem der Chairman und Technical Chief der Company, mehr ackert als jeder andere Serienhersteller: Bauteile sparen, Gewicht – und dabei die ungefederten Massen auf ein Miniumum reduzieren. Alles probieren, wieder und wieder. Jedes einzelne Detail in Frage stellen.
In der Firebolt findet Buells Forscherdrang seinen vorläufigen Zenit: Kompakter kann ein 1000er-Vauzwo kaum daher kommen. Das Trockengewicht liegt bei 175 Kilogramm, die technischen Innovationen erreichen Höchstniveau. Der Sprit lagert im mächtigen Alurahmen, das Öl wird in die Hinterradschwinge gefüllt, und der vermeintliche Tank ist eine Luftfilterbox mit sage und schreibe elf Litern Volumen. Drei Liter mehr fasst der »echte« Tank. Krönung des Hightech-Layouts ist die so genannte Zero-Torsional-Load-Bremse. Eine innenumfassende Sechskolbenanlage, bei der die Bremskräfte ohne den Umweg über die Speichen direkt in den Felgenkranz geleitet werden.
In Aktion fühlt sich das Ganze aber immer noch nach Motorrad an. Also keine Sorge: Die Bremse bremst, das Fahrwerk werkt. Wie ungerührt die Buell allerdings die verwegensten Kurvenkombinationen durchpfeilt, ist der Hammer. Stabil bis ins Letzte, sehr, sehr präsent und dabei von einem Handling beseelt, das schnelle Schräglagenwechsel zum Hochgenuss gedeihen lässt. Klares Feedback, in allen Lagen, trotz einer leichten Tendenz nach außen zu schieben. Auf der Bremse jedoch klappt’s mit dem Einbiegen gar nicht. Widerwillig lehnt sich die Firebolt auf und verlässt die angepeilte Linie.
Überhaupt die Bremse: So ein arg großer Wurf ist sie nicht gerade. Okay - man erwartet vielleicht zu viel von einem derart wichtig aussehenden Teil. Gutes Ansprechverhalten und adäquate Wirkung werden automatisch hingenommen und abgehakt. Das zeitweilige Rubbeln aber lassen wir nicht durchgehen. Vermutlich eine Frage der Beläge.
Und noch eine Frage im Bereich der Frontpartie: Warum hat die Buell Shimmy? Ob der Dunlop D 207 F Y nicht so recht zu ihr passt? Fakt ist jedenfalls, dass der Lenker mit halb abgefahrenem Reifen zu flattern begann. Auf der Landstraße. Wo die Firebolt eigentlich hingehört. »It’s a real world motorcycle« - sagen nämlich die Verantwortlichen. »Born on the track« hin oder her. »Wir wollten ein Motorrad fürs echte Leben bauen. Für den täglichen Gebrauch.«
Und damit liegen die Amis goldrichtig. Die Welt braucht solche Motorräder. Aufregende Kurvenscanner. Unverwechselbar. Ausbruch aus dem joghurtbebecherten Einerlei. Allein die Firebolt zum Leben zu erwecken ist ein Erlebnis der besonderen Art. Dieses »Kaschumpf«, wenn sich der Anlasser ins Räderwerk wirft, um den Maschinenraum auf Trab zu bringen. Das Zappeln des Vorderrads im Stand, das besorgte Blicke an der Ampel erregt. Beim Fahren allerdings eliminiert die so genannte Uniplanar-Motoraufhängung die Vibrationen fast vollständig. Ein ziemlich raffiniertes Patent aus Gummilagern und Streben.
Fürs richtige Leben taugt auch die Sitzposition. Nicht superbequem, doch einigermaßen langtreckentauglich. »Versammelt«, hätte man früher gesagt. Und über die Federelemente hätte man damals »gejauchzt«. Voll einstellbar, und zwar das gesamte Programm: von Supersport bis Butterfahrt. Gut, dass sich Buell bei der XB9R von der Nummer mit dem liegenden Federbein verabschiedet hat. Die Beanspruchung auf Zug hat ja nie so recht funktioniert. Trotz unzähliger Versuche mit White Power und Showa. An der Firebolt sitzt das Federbein dort, wo es bei einem Sportler hingehört: hinterm Motor, nicht drunter. Also gehört der Platz im Souterrain jetzt ausschließlich dem skurrilen Schalldämpfer. Ein pechschwarzes Ofenrohr von gigantischem Ausmaß, nicht zuletzt so groß geraten, um maxiamle Leistung zu ermöglichen.
Und jetzt – zur Kardinalfrage: Was soll’s den kosten, das edle Schätzchen? Hat ja mächtig vorwärts gemacht im Vergleich zur Lightning X1. Und besitzt durchaus das Zeug, die Marke Buell aus dem Biotop der Orchideen-Bikes in den Stand der wahrhaft sportlichen Zweizylinder zu heben. Ohne Einbußen in Sachen Eigenständigkeit und so. Nun: 11733 europäische Steine wollen die US-Amerikaner dafür sehen. All inclusive. Ein angemessener Preis, finden wir, wenn man bedenkt, was zum Beispiel ein Maserati kostet. Oder ein Kustwerk des Herren Joseph Beuys. Und genau in dieser Liga spielt die Firebolt. Eine teure Umständlichkeit. Eine Abkehr vom Notwendigen, verbunden mit der Hinwendung zur abstrakten Welt. Das Leben ist schließlich karriert genug.

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Erscheinungsdatum 26.05.2023