Positano, 15. April 1998. Ducati präsentiert die rundum erneuerte 900 Supersport. Auf italienischem Boden. Wo sonst. An der unzweifelhaft großartigen Amalfi-Küste. Vorm Hotel Poseidon, zweifelsfrei griechisch angehaucht, werfen sich zwei Modelle in Positur: rot und gelb. Andere Farben sind für die 900 SS nicht vorgesehen.
Mit ihrer Vorgängerin bricht die Neue - rein äußerlich jedenfalls. Hier ein bißchen Supermono, da ein wenig 916 und dort etwas ganz anderes. Vom ehemals eher klassischen Styling blieb nichts übrig. Die 900 SS verführt durch üppige, organische Formen. »Sehen Sie das Spiel von Licht und Schatten auf der Verkleidung?« Designer Pierre Terblanche mag seine neue Kreation.
Andrea Forni, verantwortlicher Techniker, ebenfalls. Und er macht keinen Hehl aus den Unzulänglichkeiten der alten Supersport-Generation. »Wir wissen, daß Handling, Bremsen, Federung, Dämpfung sowie das Ansprechverhalten des Motors verbesserungsbedürftig waren. Eben drum haben wir die 900 SS ja weiterentwickelt.« Welch entwaffnende Geradlinigkeit.
»Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt...« Dann heißt das noch lange nicht, daß sie anderntags in neuem Glanz erstrahlt.
16. April 1998: Positano hat sich in eine Waschküche verwandelt. Grau in grau. Dampf. Wasser. Von allen Seiten. Nicht schon wieder. So einen Regen hatten wir doch erst bei der Präsentation der Kawasaki ZX-6R in Barcelona. Europas Süden ist auch nicht mehr, was er mal war. Und jetzt diese schmierseifige, enge Küstenstraße. Mit einer Ducati. Auf der man übrigens mehr liegend als sitzend Stellung bezieht. Zumindest kleine Leute haben gewisse Probleme mit dem langen Tank, der die vergleichsweise tief montierten Lenkerstummel in weite Ferne rückt.
Auch bei der Sitzhöhe hat man Maß an ausgewachsenen Mitteleuropäern genommen. Allerdings ist der Tank schön schmal gehalten, so daß man locker hin und her rutschen kann, um Bodenkontakt zu gewinnen. Zudem gehört die 900 SS zu den Motorrädern, die - dank ihres niedrigen Gewichts - jeglichen Streß vorm Kippen rausnehmen.
Okay, wird schon alles gut gehen: Visier runter und hinaus in die nasse Welt. Überraschung Nummer eins: Die Ducati kann schwimmen. Überraschung Nummer zwei: Der luft-ölgekühlte Motor hängt bereits unter 2000 Umdrehungen sauber am Gas. Kein Geruckel, kein Geschuckel, kein Verschlucken, kein Garnichts. Der Einsatz der elektronischen Einspritzung scheint sich gelohnt zu haben. Ganz abgesehen von den fünf PS mehr Spitzenleistung, die - laut Ducati - dadurch erzielt wurden. Ob sie da sind oder nicht: Jedenfalls dreht der überarbeitete Zweizylinder wesentlich freier hoch.
Überraschung Nummer drei: Die 900 SS federt und dämpft und macht und tut, als hätte sie nie etwas anderes getan. Nichts von der früheren Halsstarrigkeit, vor allem seitens der Hinterhand, die schon mal kräftig auskeilen konnte. Die neuen Federelemente erledigen ihren Job tadellos. Sensibel, komfortabel und - wie auf einem kurzen, trockenen Streckenabschnitt erfahren - mit sportlicher Stabilität.
Das Fahrverhalten der Supersport erinnert stark an jenes der Ducati 916: dieses »angesaugt werden« - oder wie immer man es nennen möchte - das einem das Gefühl vermittelt, Reifen und Asphalt würden eine magnetische Verbindung eingehen. Doch ganz anders als das Flaggschiff auf dem Hause Ducati verdutzt die 900 SS durch Überraschung Nummer vier: ihr ausgeprägtes Bewegungstalent. Engste Serpentinen, an der Amalfi-Küste keine Seltenheit, nimmt sie mit einer Leichtigkeit, die unter hubraumträchtigen Sportlern nicht unbedingt häufig anzutreffen ist.
Gewiß helfen hier die relativ schmalen Reifen, Marke Michelin, nähere Bezeichnung TX 15, TX 25, die überhaupt ziemlich gut mit der 900er harmonieren. Komfortabel, handlich und linientreu lassen sie keinerlei Ungereimtheiten aufkommen. Auch Bremsen in Schräglage stecken ohne Aufstand weg. Womit wir bei der größten Überraschung angelangt wären: sie bremst. Die 900 SS bremst. Und zwar richtig. Die jüngste Brembo-Genaration, mit neuen Vierkolbensätteln, anderem Hauptbremszylinder und modifizierter Betätigung, zeigt Wirkung. Zwar schnappt die Doppelscheibenanlage nicht ganz so schneidend zu wie manche dieser japanischen Giftbeißer, aber sehr viel besser als früher. Und dosierbar. Nur auf dem letzten Drittel stimmt das Feedback noch nicht ganz.
Wenn die 900 SS jetzt nicht mindestens eineinhalb Zylinder von sich wirft oder säuft wie ein Loch oder auf durchgehend trockenen Straßen Haken schlägt wie ein Hase, dürfte ihr Erfolg nicht aufzuhalten sein.
Änderungen im Detail - Vom Königswellen-Motor zum Einspritzer
Seit 1976 taucht der Name 900 SS im Ducati-Programm auf. Doch das Modell von damals (mit Königswellen-Motor) hat mit den jüngeren Supersport-Jahrgängen nichts mehr gemein. Ihre letzte Modellpfelge erfuhr die neuzeitliche 900er im Jahr 1991. Allerdings beschränkten sich die Modifikationen, abgesehen von neuen Vergasern, aufs Fahrwerk. Diesmal wurde die Supersport rundum verjüngt. Hier die wichtigsten Änderungen. Motor: elektronische Saugrohreinspritzung (vorher: 38er Mikuni- Gleichdruckvergaser), elektronisches Motormanagement, andere Ventilsteuerzeiten (Einlaß und Auslaß länger geöffnet), stärkere Lichtmaschine (520 statt 350 Watt), Kühlluft-Zuführung zum hinteren Zylinder, soll bei Tempo 130 km/h bis zu 20 Grad Abkühlung bringen. Fahrwerk: kürzerer Radstand (1395 statt 1410 mm), kürzerer Nachlauf (100 statt 103 mm), steilerer Lenkkopfwinkel (66 statt 65 Grad), neue 43er Telegabel von Showa (früher 41 mm Tauchrohrdurchmesser), anderes Zentralfederbein für längeren Federweg (136 statt 125 mm), modifizierte Bremsanlage vorn, größerer Vorderachsdurchmesser (25 statt 20 mm).