Fahrbericht Kawasaki ZX-10R

Fahrbericht Kawasaki ZX-10R (2008) Alles ist möglich

Alles ist möglich

Nach dem überschaubaren Erfolg der Vorgängerin knüpft die runderneuerte ZX-10R an die radikalen Tugenden der Vergangenheit an. Die wichtigste natürlich: Leistung satt. Die Schwelle fällt beinahe unbemerkt. Karim Moustafi, Pressesprecher der Europa-Zentrale von Kawasaki in Amsterdam, erledigt sie in einem kurzen Satz. »Unter vollem Ram-Air-Einfluss leistet die ZX-10R 200 PS.« Die Botschaft sitzt. Und verursacht bei den andächtigen Zuhörern, Journalisten aus aller Herren Länder, trotzdem keinen Aufruhr. 200 PS! Hey, Leute, das sollte euch mitreißen. Oder euch Angst machen. Aber nichts dergleichen.

Okay, ganz ohne Druckbeatmung sollen »nur« 188 Pferdchen galoppieren. Doch wenn es einen Platz auf dieser Erde gibt, an dem der volle Staudruck zur Verfügung steht, dann hier, am Ende der über einen Kilometer langen Zielgeraden des Losail International Circuit in Katar. Von 200 PS getrieben, wird man dort also angerauscht kommen. Vielleicht ist es genau diese Vorstellung, weshalb sich die Begeisterung bei der versammelten Journalistenschar in Grenzen hält.

Egal, Kawasaki hat die Lufthoheit über den Stammtischen der Republik im Handstreich zurückerobert. Zumindest, wenn es um die traditionelle grüne Paradedisziplin geht. Power satt – davon hat die 10er nach der Leistungskur via angehobener Verdichtung (jetzt 12,9 statt 12,7 zu eins, doppelten Einspritzdüsen, geänderten Nockenprofilen sowie ovalen Ansaugtrichtern und Drosselklappen) wieder mehr zu bieten als jede andere. Und das macht sie auf der Rennstrecke aus jeder Ecke heraus, auf jeder kurzen Geraden nachdrücklich klar. Schiebt an wie der sprichwörtliche Teufel, profitiert dabei sowohl von der gesteigerten Spitzenleistung (die Vorgängerin war nominell 175 beziehungsweise 183 PS stark) wie auch von einer kürzeren Sekundärübersetzung (17/41 statt 17/40) und der ebenfalls kürzeren Übersetzung der Getriebestufen eins, vier und fünf. Damit ist sie ganz vorn dabei, darüber besteht kein Zweifel.

In einer anderen Angelegenheit hingegen muss auch nach dem ersten Kontakt mit der 2008er-ZX-10R einiges nebulös bleiben. »Alles ist möglich«, erklärt Karim Moustafi nämlich nicht nur im Hinblick auf den brachialen Schub, sondern ebenso in Hinsicht auf dessen elektronische Eindämmung.

Kims: Kawasaki Ignition Managment System

Gargolov
Alles im grünen Bereich: Die neue ZX-10R kehrt mit kackigen Formen wieder zu ihren Ursprüngen zurück.

KIMS (Kawasaki Ignition Management System) heißt die neue Errungenschaft, in früheren Verlautbarungen war noch von einer Anti-Schlupf-Kontrolle die Rede gewesen. Keine Frage, die hätte der 10er (und anderen Vertretern dieser Klasse) angesichts der Leistungsdaten zweifellos gut zu Gesicht gestanden. So aber, erklärt Moustafi, sei KIMS keinesfalls zu verstehen. Es sei vielmehr ein System, das unter bestimmten Umständen – zum Beispiel, wenn im Regen auf rutschigem Untergrund die Drehzahl plötzlich ansteige, obwohl die Drosselklappen kaum geöffnet seien – die Leistung zurücknehmen würde. Ebenso sei es jedoch für begnadete Drifter selbstverständlich möglich, auf der Rennstrecke am Kurvenscheitel bei voll geöffneten Drosselklappen die volle Leistung am Hinterrad abzurufen, weil man dem quertreibenden Fahrer keinesfalls die Kontrolle über die Fuhre entreißen wolle.

Gargolov
Gewohnte Perspektive: Die rote Karte wird ab 13000 Umdrehungen gezeigt.

Was das für die vereinigte Gegnerschaft des instabilen Fahrzustands auf dieser abwechslungsreichen, gleichwohl aber schwierigen Strecke bedeutet, mochte sich diese angesichts des massiven Leistungsangebots nicht einmal vorstellen. So muss es zunächst dabei bleiben, dass KIMS vorrangig das Material (insbesondere den Katalysator) schont. Es berücksichtigt Parameter wie Drosselklappenstellung, Geschwindigkeit, Drehzahl, Nockenwellenstellung, Lufttemperatur und Motortemperatur und reagiert bei Bedarf in 20 Millisekunden. Unter widrigen Umständen kann es auch dem Fahrer etwas unter die Arme greifen – vielleicht!

Zum Glück ist man in der arabischen Wüste rund um den Losail Circuit von diesen Umständen weit entfernt. Stattdessen tut die neue ZX-10R viel, um dem Fahrer das Leben ungeachtet aller radikalen Profilierung möglichst angenehm zu gestalten

Was geht noch bei 1000er-Supersportlern

Gargolov
Wohl proportioniert: endlich wieder ein durchtrainiertes Hinterteil.

Die Ergonomie mit angenehmer als bei der Vorgängerin gekröpften Lenkerenden gehört dazu, die tadellose Gasannahme, die wirksame Anti-Hopping-Kupplung. In Kombination mit den klebrigen Pirelli Supercorsa in SC 2-Mischung, die statt der serienmäßigen Dragon Corsa III aufgezogen waren, und einem ebenso neutralen wie leichten Handling ergibt sich so trotz – und mit jeder zusätzlichen Runde auch im Zusammenspiel mit – der brachialen Leistung ein Wohlfühlpaket erster Güte.

Was wohl auch daran liegen mag, dass Kawasaki zwar die Erscheinung der 10er deutlich schärfte, speziell in Sachen Fahrwerk dagegen verschwiegen in die andere Richtung marschierte. Ein um ein Grad flacherer Lenkkopf (64,5 statt 65,5 Grad) und ein längerer Nachlauf (110 zu 102 Millimeter) gehören ebenso dazu wie das um vier Kilogramm gestiegene Gewicht (179 zu 175 Kilogramm trocken). Letzteres sieht man der 10er zum Glück nicht an – und registriert es ebenso wenig beim Fahren. Im Gegenteil: Die Gelassenheit, mit der das ZX-10R-Fahrwerk die brachiale Kraft wegsteckt, die beachtliche Stabilität auf der Bremse, die wirkungsvoll, aber keinesfalls extrascharf zu Werke geht und beim jüngsten Modell erstaunlicherweise wieder mit zwei statt vier Belägen pro Zange auskommt, das sind angenehme Begleiterscheinungen einer motormäßig außergewöhnlichen Vorstellung.

Die allerdings auch ihre Tücken haben kann. Etwa, wenn das Hinterrad trotz aller technischen und menschlichen Maßnahmen beim Gasgeben in Schräglage haltlos durchdreht und die Fuhre quer statt vorwärts schiebt. Oder, obwohl es wie gewünscht einspurig vorangeht, die nächste Kurve unter dem geballten Einsatz von 188 und ein paar zerquetschten PS sogar auf einem so weitläufigen Kurs wie dem Losail Circuit häufig schneller kommt, als einem lieb ist.

Gasanlegen, Bremspunkt, Einlenkpunkt, die leicht werdende Front, der trotz Öhlins-Dämpfer zappelnde Lenker, das unter der Last bisweilen pumpende Heck – all das verdichtet sich zu einem atemberaubenden Teppich der Gefühle, in dem tatsächlich alles möglich erscheint. Bloß keine Langeweile.

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