Fahrbericht Kawasaki ZX-10R

Fahrbericht Kawasaki ZX-10R (2004) Das grüne Leuchten

Normalerweise tritt das grüne Leuchten mit dem Versinken des letzten Sonnenstrahls auf. Hier jedoch ist in Gestalt der Kawasaki ZX-10R ein aufgehender Stern gemeint.

Das grüne Leuchten fact

Wie war es?« Dieses Mal wollen es alle wissen. Besonders dringlich sogar. Der Pressesprecher von Kawasaki Europa, der von Kawasaki Deutschland, der Freund zu Hause, die Kollegen, der Chefredakteur. »Wie war es?« Dann antwortet man »grimmig«, und hinter dem
tiefen Respekt, den dieses einsame Wort ausdrückt, klingt Atemlosigkeit durch. Egal, ob unmittelbar nach dem Fahren mit der ZX-10R oder in der Erinnerung daran. »Aber doch gut dosierbar?« Auch diese Frage ist wohl unvermeidlich, nur der Ton, in dem sie gestellt wird, variiert von zaghaft hoffend über fordernd bis stark suggestiv.
Ja doch, die gewaltigen 170 plus X PS der ZX-10R sind gut dosierbar.
Was freilich nichts anderes bedeutet, als dass letztlich alle PS zusammengekommen sind. Und das unter 200 Kilogramm leichte Motorrad samt Fahrer wirklich grimmig vorwärts reißen. Selbst wenn man alle Register der Wheelievermeidung zieht, löst sich beim Dreh von
drei Viertel auf Vollgas noch im dritten Gang das Vorderrad vom Boden, wankt die Hinterhand wie von einem Fausthieb getroffen, zieht es den Piloten nach hinten zum Sitzbankanschlag. Dagegen gilt es, sich mit allen Kräften zu stemmen. Das strengt an, trotz einer Sitzposition, welche dafür ideal ausgelegt ist. Auch die Psyche hat ihren Teil zu leisten, weil die ZX-10R bis zum angepeilten, vermeintlich sicheren Bremspunkt schon wieder so viel schneller geworden ist, dass der Fahr-Plan für die nächste Kurve im Ansturm der Gewalten zu zerfasern droht. Zum Glück ermöglicht die freundliche Anti-Hopping-Kupplung der ZX-10R volle Konzentration aufs Bremsen. Stempeln oder gar Ausbrechen des Hinterrads in der heiklen Phase des Bremsens, Zurückschaltens und Einlenkens braucht man nicht zu befürchten; mehr als ein leichtes Schlingern trat nicht auf.
Ist erst einmal klargestellt, dass selbst die am besten dosierbaren 170 PS nicht wirklich in Gemütlichkeit freizusetzen sind, kann der Spaß am Sport beginnen. Dazu trägt der für Kawasaki typische, leicht angeraute Lauf und Tonfall des ZX-10R-Motors im unteren Drehzahlbereich ebenso bei wie das machtvolle Gebrüll und die fulminante Spritzigkeit obenhinaus. Bei 13000 Touren beginnt der rote Bereich, bei zirka 13500 laut Drehzahlmesser greift der Begrenzer ein; beide Werte begegnen einem beim Fahren auf der Rennstrecke häufig. Denn dieser
filigran gebaute 1000er-Vierzylinder pfeilt sich mit einer Leichtigkeit im Drehzahlband hinauf und herunter, die man bisher nur von 600er-Motoren oder vom 750er-Suzuki-Triebwerk kannte. Nur eben mit viel, viel mehr Power. Wie viel, das wird, wenn die Testmaschine planmäßig eintrifft, in MOTORRAD 4/2004 in einem Top-Test zu lesen sein.
Zurecht wird der Ausdruck »dosierbare Leistung« mit ihrer linearen Entfaltung gleichgesetzt. Ohne Einbrüche und ohne steile Anstiege zwischendrin. Deshalb kann die ZX-10R auch nicht
die alles dahinreißende Drehmomentwoge bei niedrigen und mittleren Drehzahlen lostreten. Ob sie im zweiten bei 8000 Umdrehungen oder einen Gang
höher aus der Kurve feuert, macht auf
der Rennstrecke und der Stoppuhr schon einen messbaren Unterschied. Denn bis über 6000/min zieht sie in den großen Gängen zwar gelassen-kräftig und mit
tadellosem Rundlauf, aber nicht mit dem gewaltigen Bums, wie ihn etwa die Ur-R1 schon ab 4500/min entfaltete. Ein Tribut an die hohe Leistung und die Drehfreudigkeit des Kawa-Motors.
Die werden durch die mächtigen
43 Millimeter messenden Drosselklappen gefördert, welche im Gegenzug das Durchzugsvermögen eher einschränken. Mit Hilfe einer aufwendigen Mechanik
von Drossel- und Stauklappen in Ansaugtrakt und Auspuff versuchen die Kawasaki-Ingenieure zwar, Hochleistung und satten Durchzug zu vereinen, freilich mit konsequent-deutlichem Akzent auf Hochleistung. Dagegen ist nichts zu sagen, doch bleibt ein Wunsch an das Doppeldrosselklappensystem der Einspritzung offen: Ein sanfterer Lastwechsel bei niedrigen Drehzahlen wäre angenehm. Vor allem, wenn in tiefster Schräglage am Kurvenscheitelpunkt das Gas wieder aufgezupft wird, quasi als Vorbereitung fürs nachfolgende Beschleunigungs-Inferno.
Das vollzieht sich nicht immer
gleichmäßig, und daran ist die Schal-
tung schuld. Die Rastung der Gänge ist nicht genau zu spüren, zudem ist der
Abstand zwischen Fußraste und Hebel selbst für normal große Füße sehr knapp bemessen. Da kann beim zackigen Nachladen der Gänge schon mal einer herausspringen, wie auch bei zahlreichen Journalisten-Kollegen zu hören war. Oder
der Schalthebel geht nicht mehr in die Nulllage zurück, so dass fürs nächste Hochschalten zweimal am Hebel gezogen werden muss. Vielleicht lässt sich bis zum Serienstart der ZX-10R ja noch das Schaltgestänge ändern. Ansonsten empfiehlt es sich, zumindest für Rennstrecken-Einsätze, das Schaltschema umzudrehen. Denn mit einem herzhaften Tritt von oben nach unten eingelegt,
sitzen die Gänge fast immer.
Sonst ist alles paletti beim Antrieb. Fürs Fahrwerk, so viel sei gleich zusammenfassend verraten, gilt das sowieso. Ein erster, über den Daumen gepeilter Vergleich zwischen den Erfahrungen mit der Suzuki GSX-R 1000 und den frischen Fahreindrücken von der Kawasaki ZX-10R weist die Kawa als kürzer, steifer und direkter aus. Sie ist von einer trockenen Handlichkeit, während die Suzuki, die mit
der Länge und Gelassenheit einer Rennyacht aufwartet, insgesamt ruhiger liegt. Steif meint dabei einzig das Empfinden, das Rahmen, Gabel und Schwinge vermitteln und ist nicht mit Fahrstabilität oder gar Sturheit zu verwechseln.
Weil die hauptsächlich für Autorennen genutzte Rennstrecke in Homestead/Florida einen ziemlich glatten Asphalt besitzt, was Kawasaki und der Reifenlieferant Dunlop bei Tests mit Erschrecken feststellten, musste die ZX-10R auf speziellen Supersport-Rennpneus rollen. Deshalb harren die neu entwickelten Serienreifen vom Typ D 218 wie auch Handlichkeit
und Hochgeschwindigkeitsstabilität der ZX-10R noch der genauen Beurteilung. Gut möglich, dass die Kawa mit Standardreifen stabiler geradeaus läuft, dafür aber nicht so leicht einlenkt. Denn Rennpneus wirken wegen ihrer steifen Karkasse weniger stoßabsorbierend als Straßenreifen, fördern zudem mit einer etwas zugespitzten Kontur leichtes Einlenken.
Eines ist jedoch schon sicher. Die
ZX-10R kann solche Rennreifen tragen, ohne Fahrwerksmodifikationen zu verlangen. Gabel und Federbein bieten einen weiten Einstellbereich und an dessen Ende Dämpfungsreserven, die fast bis zur hydraulischen Blockade reichen. Mechanisch hingegen, und da tut sich die kohlenstoffbeschichtete Gabel besonders hervor, sprechen sie sehr fein an. Fazit: ein Motorrad, das nicht nur Kawasaki-, sondern allen Supersportler-Fans das grüne Leuchten in die Augen zaubern kann.

Technische Daten – Kawasaki ZX-10R

Kawasaki ZX-10RDatenMotor: wassergekühlter Vierzylinder-Viertakt-Reihenmotor, Kurbelwelle quer liegend, je zwei oben liegende, kettengetriebene Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder, Nasssumpfschmierung, elektronische Saugrohreinspritzung, E-Starter, Drehstromlichtmaschine 424 Watt, Batterie 12 V/12 Ah.Bohrung x Hub 76,0 x 55,0 mmHubraum 998 cm3Verdichtungsverhältnis 12,7:1 Nennleistung 128,4 kW (175 PS) bei 11700/minMax. Drehmoment 115 Nm (11,7 kpm) bei 9500/minKraftübertragung: Primärantrieb über Zahnräder, Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Sechsganggetriebe, O-Ring-Kette. Fahrwerk: Brückenrahmen aus Aluminium, Upside-down-Gabel, Gleitrohrdurchmesser 43 mm, verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, Zweiarmschwinge aus Aluminium, Zentralfederbein mit Hebelsystem, verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, Doppelscheibenbremse vorn, Ø 300 mm, Vierkolben-Festsättel, Scheibenbremse hinten, Ø 220 mm, Einkolben-Schwimmsattel. Alugussräder 3.50 x 17; 6.00 x 17Reifen 120/70 ZR 17; 190/50 ZR 17Bereifung im Fahrbericht Dunlop D 208 GPFahrwerksdaten: Radstand 1385 mm, Lenkkopfwinkel 66,0 Grad, Nachlauf 102 mm, Federweg v/h 120/125 mm.Maße und Gewichte: L/B/H 2045/705/1115 mm, Sitzhöhe 825 mm, Gewicht vollgetankt 196 kg, zulässiges Gesamtgewicht 380 kg, Zuladung 184 kg, Tankinhalt 17 Liter. Garantie zwei Jahre ohne KilometerbegrenzungFarben Grün, Schwarz, BlauPreis 12995 Euro zzgl. Nebenkosten

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