Fahrbericht Suzuki GSX-R 600 (2004)
Hart am Limit

Wie schwer es ist, Gutes noch besser zu machen, zeigt die neue Suzuki GSX-R 600. Gerade einmal vier PS mehr und zwei Kilogramm weniger kann die Neue auf dem Papier verbuchen.

Hart am Limit
Foto: Foto: Künstle

Die Liste der technischen Änderungen am 2004er-Modell der GSX-R 600 wird zu einem abendfüllenden Schmö-
ker und liest sich ungefähr so kompliziert wie die Bedienungsanleitung für eine hochwertige Dolby-Surround-Anlage. Motor, Fahrwerk, Styling oder Elektrik, nichts blieb, wie es einmal war. Alles wurde entweder leichter, stärker, steifer oder leistungsfähiger, um wieder ein heißes Eisen in der 600er-Supersportklasse zu haben.
Und wie fährt sie, die ganz Neue? Um das zu demonstrieren, gibt es kaum ein besseres Terrain als die Rennstrecke mit dem klangvollen Namen Circuito Inter-
nationale di Santa Monica in Misano, wo sich in ein paar Monaten die Profis der Supersport-WM treffen werden. Wenn
da nur nicht die niedrigen Temperaturen von knapp über null Grad wären. So ist
vorsichtiges Warmfahren angesagt, um
Motor, Reifen und nicht zuletzt den Fahrer erst mal auf Betriebstemperatur zu bringen. Immerhin, nach ein paar Runden geht es besser als erwartet.
Die Bridgestone BT 014 erfreuen selbst bei dieser Kälte mit genügend
Grip, um die 600er zügig um den Kurs
zu scheuchen. Und das beim jüngsten Modell in den Abmessungen kleiner
geratene Triebwerk brennt ein wahrlich herzerwärmendes Feuerwerk ab. Mit sei-
nem erleichterten Ventiltrieb, Titanventilen, neuen Zylindern, die nun in einem Stück mit der oberen Gehäusehälfte gegossen werden, dem modifizierten Zylinderkopf und den neu gestalteten Kolben überzeugt das Aggregat mit sauberem und spontanem Ansprechverhalten so-
wie einer linearen Leistungsentfaltung. Ab 3000 Umdrehungen zieht der Motor sauber und kraftvoll hoch, um bei 9000 Touren den Nachbrenner zu zünden. Bis zum Begrenzer, der laut Drehzahlmesser erst bei 16000/min dem wilden Treiben ein Ende setzt, lässt das 600er Triebwerk nicht mehr nach. Für diese Rakete wurde selbst die Elektronik leichter und schneller. Sie verfügt jetzt über eine Steuereinheit mit einem 32- statt 16-Bit-Rechner und kann somit mehr Daten fixer verarbeiten, um die richtige Kraftstoffmenge zu berechnen, die zudem für eine homogenere Gemischaufbereitung durch mehrstrahlige Einspritzdüsen feiner zerstäubt wird.
Hilfreich beim Beschleunigen ist das sehr präzise zu schaltende Getriebe, bei dem die Gänge zwei bis sechs kürzer ausgelegt sind und folglich enger zusam-
menrücken. In Misano reicht sogar der fünfte Gang, in dem die 600er am Ende der langen Gegengeraden immerhin 250 Sachen erreicht. Spätestens beim Auftauchen des 200-Meter-Schildes vor der folgenden 180-Grad-Kurve sollte allerdings Hand an den Hebel der neuen Radialbremspumpe gelegt werden, um auf etwa 100 km/h herunterzubremsen. Kein Problem, denn obwohl die GSX-R vorne
anstatt 320er- nur noch 300er-Scheiben besitzt, beißen die Bremsbeläge in den radial verschraubten Bremszangen mäch-
tig, aber fein dosierbar zu.
Selbst beim Bremsen auf der letzten Rille bleibt die 600er trotz des sehr steil stehenden Hecks relativ ruhig. Zumindest so lange, wie man die Gänge wohl sortiert und mit kräftigem Zwischengas herun-
tersteppt. Gefühlloses Einkuppeln nach mehrmaligem Runterschalten wird da-
gegen mit einem schwänzelden Heck bestraft. Eine Anti-Hopping-Kupplung wäre wenigstens für die Rennstrecke wünschenswert. Hat sich das Fahrwerk erst einmal beruhigt, macht sich beim Ab-
winkeln das im Vergleich zur Vorgängerin bessere Handling bemerkbar. Großen Anteil daran hat die verbesserte Sitz-
position. Weil Zylinderkopf und Airbox kompakter ausfallen, konnte der Tank
1,5 Zentimeter kürzer und drei Zentimeter schmaler gebaut werden. Das ergibt eine deutlich vorderradorientiertere Sitzposition sowie besseren Knieschluss, dafür muss man allerdings auf einen Liter Fassungsvermögen beim Tank verzichten.
Nicht ganz so überzeugend ist die neue Upside-down-Gabel. Sie spricht zwar sehr feinfühlig an, dürfte aber etwas straffer abgestimmt sein, da selbst bei diesen frostigen Temperaturen die Druckstufe sehr weit zugedreht werden musste, um ein Durchschlagen bei harten Bremsmanövern zu vermeiden. Hinten sorgt ein um sieben Millimeter längeres und straff ausgelegtes Federbein für genügend Dämpfung und in Verbindung mit der steiferen, jedoch auch schwereren Schwinge, die jetzt über Oberzüge verfügt,
für viel Grip. Beim Herausbeschleunigen über Bodenwellen hilft der serienmäßige Lenkungsdämpfer, die deutlich spürbare Kickbackneigung auf ein erträgliches Maß zu begrenzen.
Auch wenn sich die Angaben in PS und Kilogramm in Relation zu den umfang-
reichen Modifikationen in bescheidenem Rahmen halten, zeigen sich beim Fahren doch eindrucksvolle Unterschiede. Suzuki ist es gelungen, das Fahrwerk gleichzeitig handlicher und steifer zu machen. Den wichtigen Rest erledigen das kraftvolle Triebwerk sowie die superben Bremsen. Damit ist die GSX-R gut gerüstet für den Schlagabtausch mit der Konkurrenz.

Unsere Highlights

Technische Daten – Suzuki GSX-R 600

Suzuki GSX-R 600
Daten
Motor: wassergekühlter Vierzylinder-Vier-
takt-Reihenmotor, zwei oben liegende, ket-
tengetriebene Nockenwellen, vier Ventile pro Zylinder, Tassenstößel, Nasssumpfschmierung, elektronische Saugrohreinspritzung, Ø 38 mm, Motormanagement, ungeregelter Katalysator mit Sekundärluftsystem, E-Starter, Drehstromlichtmaschine 375 Watt, Batterie 12 V/8 Ah.
Bohrung x Hub 67,0 x 42,5 mm
Hubraum 599 cm3
Verdichtungsverhältnis 12,5:1
Nennleistung
88 kW (120 PS) bei 13000/min
Max. Drehmoment
70 Nm (7,1 kpm) bei 10800/min

Kraftübertragung: Primärantrieb über Zahnräder, mechanisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Sechsganggetriebe, O-Ring-Kette, Sekundärübersetzung 45:16.

Fahrwerk: Alubrückenrahmen, Motor mittragend, geschraubtes Rahmenheck aus Aluminium, Upside-down-Gabel, Gleitrohrdurchmesser 43 mm, verstellbare Feder-
basis, Zug- und Druckstufendämpfung, Zweiarmschwinge mit Oberzügen aus Aluminium, Zentralfederbein mit Hebelsystem, verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, Doppelscheibenbremse vorn, Ø 300 mm, Vierkolben-Festsättel, Scheibenbremse hinten, Ø 220 mm, Zweikolben-Festsattel.
Alugussräder 3.50 x 17; 5.50 x 17
Reifen 120/70 ZR 17; 180/55 ZR 17
Bereifung im Fahrbericht
Bridgestone BT 014 SF/F
Fahrwerksdaten: Radstand 1400 mm, Lenkkopfwinkel 66,8 Grad, Nachlauf 93 mm, Federweg v/h 120/130 mm.

Maße und Gewichte: L/B/H 2055/715/1150 mm, Sitzhöhe 825 mm, Gewicht vollgetankt 190 kg, zulässiges Gesamtgewicht 380 kg, Zuladung 190 kg, Tankinhalt 17
Liter.
Garantie zwei Jahre
ohne Kilometerbegrenzung
Farben Schwarz, Blau/Weiß, Gelb
Preis 9690 Euro
Nebenkosten 130 Euro

Die aktuelle Ausgabe
MOTORRAD 20 / 2023

Erscheinungsdatum 15.09.2023