Thundercat und Thunderace - zwei merkwürdige Namen. Irgendwie schräg. Oder? Na ja, Yamaha muß es wissen, muß damit leben und wird sich doch hoffentlich etwas dabei gedacht haben. Nur was - zum Donnerwetter? Donnerkatze. Donneras.
Wer vor dem Gebrauch undurchsichtiger Kennworte zurückschreckt oder schlechte Beziehungen zum Tiäitsch hat, kann im Fall der beiden neuen Supersportler freilich auch auf so seriöse, unverfängliche Bezeichnungen wie YZF 600 R - das ist die Katze - und YZF 1000 R zurückgreifen.Nun fand das Haus Yamaha für seine Spitzen-Models jedoch nicht nur exorbitante, donnerhallende Beinamen, sondern auch expressive, blitzsaubere Farben und Formen sowie eine extraordinäre Form der Präsentation. Die Expedition startete sinnigerweise an einem Donnerstag und führte in eine andere Welt - südlich des Äquators:Welcome to South Africa! Zwischen Winter und Sommer liegt nur eine Nacht, zwischen Schwarz und Weiß eine grausame Ewigkeit. Und wir machen uns Gedanken über Donnerkatzen.
So wundervoll Südafrika landschaftlich ist, so bedrohlich und abstoßend ragen die Zeugnisse seiner politischen Vergangenheit aus seiner Schönheit hervor. Überall Überreste des Wahnsinns. Und mittendrin wir mit unseren Motorrädern. Das Leben ist ein ganz komisches. Und dann macht das Kurvenräubern auch noch Spaß, weil die Sonne lacht und die meisten Afrikaner ebenfalls. Weiße wie Schwarze. Und wir verstehen so wenig davon.
Auch darum zurück zum Thema, zunächst zur YZF 1000 R. Ein Motorrad für »real world conditions«, wie Yamaha betont, um sicherzugehen, daß niemand auf die Idee kommt, die Thunderace als Race Replica zu behandeln. Denn genau das will sie nicht sein. Ihre Destination ist der öffentliche Straßenverkehr, dort soll sie nach dem Wunsch ihrer Schöpfer der gesamten supersportlichen Konkurrenz eins aufspielen.
Um 16 Kilogramm leichter als die FZR 1000 und vom bewährten Rahmenlayout der YZF 750 gesegnet, das mehr Handlichkeit verspricht, besitzt die YZF 1000 schon mal eine Menge guter Karten. Trümpfe hält sie in Sachen Sitzposition und Komfort parat, denn diese Themen nehmen in der Thunderace-Entwicklungsgeschichte zwei dicke Kapitel ein. Ferner galt dem Thema Durchzug erhöhte Aufmerksamkeit. Im Zuge gründlicher Renovierungsarbeiten gediehen dem Exup-Motor der dritten Generation neue 38er Vergaser mit Drosselklappensensor, eine leichtere Kurbelwelle mit geschmiedeten Kolben und ein eng gestuftes Fünfganggetriebe mit Gangsensor an.
So beruhigend sich das alles anhört - wenn sie dann vor einem steht, die Thunderace, groß und mächtig, einnehmend, wenn sie mit leicht gesenktem Haupt und Überlegenheit demonstrierendem Blick nichts weiter tut als dazustehen, da kann einem doch ein klein wenig mulmig werden.
Ob die Zehenspitzen auf den Boden reichen? Ob der Donnerbolzen auch so etwas wie Freundlichkeit besitzt? Ob sich sein gebirgiger 20-Liter-Tank mit kürzer geratenen Armen überbrücken läßt? Warum gerade ich? Und dann: surprise, der Riese ist ein Freund. Erstaunlich kompakt und gar nicht mal so hoch. Wäre das Tank-Sitzbank-Gefüge nicht ganz so breit geraten - ein Umstand, den auch Langbeiner naserümpfend zur Kenntnis nehmen -, bestünde gar für Leute um die 1,60 Meter die Chance eines zweifüßigen Bodenkontakts. Dank der ordentlichen Balance der Maschine löst sich das Begehren nach Erdverbundenheit jedoch bald in Wohlgefallen auf. Lediglich beim Wenden (vor allem im südafrikanischen Linksverkehr) fühlt sich die YZF etwas unbeholfen an.
Wie versprochen entpuppt sich die Sitzposition als »low fatigue riding position«: relativ aufrechter Oberkörper, relativ leicht abgewinkelte Knie. Und das Schönste daran: Trotz der kommoden Bedingungen stellt sich das Gefühl ein, die Maschine in sportlicher Manier von oben zu dirigieren.
Am Franschhoek-Paß, einem spannenden Kurvenwirrwarr, ist die 1000er für die nächste Überraschung gut: von wegen ungelenkes Big Bike. Absolut souverän dampft der Donnerofen den Paß rauf und runter, so locker, so handlich, so zielgenau, daß genügend Spielraum bleibt, sich von der Berglandschaft ablenken zu lassen. Ohne aufzumucken nimmt die YZF exakt die vorgegebene Linie auf. Auch Bodenwellen bringen sie nicht aus dem Tritt. Es fühlt sich an, als ziehe sie auf einer Magnetbahn dahin.
Einmal nur, als ein besonders mieses, waschbrettartiges Stück Asphalt unvermittelt mitten auf der Straße herumlag, verlor die YZF ihre Contenance und schüttelte mit den Lenkerenden. Doch wozu gibt«s all die feinen Knöpfchen an der mächtigen 48er Gabel: Zugstufe, Druckstufe, Federbasis - alles einstellbar. Auch am Bilstein-Federbein hinten. So hält die Thunderace selbst für ein Fliegengewicht noch so etwas wie Komfort parat.
Was das Fünfventiltriebwerk mit seinen 145 Pferdestärken veranstaltet, ist nur schwerlich zu beschreiben: Es hat mit sanfter Gewalt zu tun. Gewiß zählt der Exup-Motor nicht zu den röchelnden, stampfenden Vulkanen. Er geht kultiviert, aber bestimmt zu Werke. Leistung gibt«s überall en masse, doch nirgends in erschreckender Konzentration. Fein fühlt sich das an. Fein, würdig und wertig.
Nicht ganz so harmonisch agiert die Schalteinheit, denn die Kupplung arbeitet nur auf den letzten paar Millimetern, folglich hakt das Getriebe, und der Leerlauf ist nahezu unauffindbar. Bleibt zu hoffen, daß dieser Mangel allein den vielen Wheelies der englischen Journalisten zuzuschreiben ist, die den Thunderbikes Tags zuvor alles abverlangt haben.
Nach den Straßen-Testfahrten darf die YZF dann noch auf einer kleinen Rennstrecke im Kreis herum gejagt werden. Auch hier brilliert sie mit ausgezeichneter Stabilität, allerdings fällt jetzt ihre Leibesfülle doch ins Gewicht. Schnelle Schräglagenwechsel erfordern einiges an Kraft.
Um so deutlicher wird dies in Anbetracht der Anwesenheit der YZF 600 R, die sich so spielerisch wie eh und je um die Ecken werfen läßt. Daß der Thundercat im Rahmen dieses Fahrberichts nur eine Telegramm-Beschreibung zukommt, hat den einfachen Grund: In MOTORRAD 6/1996 gibt«s bereits den ersten Cat-Test. Drum hier nur kurz das Wichtigste: Auffälligste Änderung ist freilich das neue Outfit mit ultra-aerodynamischer Verkleidung und entschärftem Tank - die Kanten sind weg.
Über die Öffnungen in der modernen Plastikschale werden sich vor allem Sportfahrer riesig freuen: Ja, die Yamaha hat jetzt endlich ein Ram-Air-System. Vervollständigt wird dieses durch größere 36er Vergaser mit Drosselklappensensor. An Zylinderblock, Kolben und Auslaßsystem wurde ebenfalls Hand angelegt. Ergebnis: 105 PS.
Ob tatsächlich so viel Power in der Donnerkatze steckt, wer will das schon beurteilen, ohne Netz und Rollenprüfstand. Auf jeden Fall aber fühlt sich der Vierventiler ab 2500 Umdrehungen ungemein kernig an, und zwar bis rauf in die roten Zahlen. Kräftiger als die FZR seelig. Wie«s im Vergleich zu CBR und ZX-6R aussieht ... wir werden«s schon erfahren.
Glücklicherweise humpelt die YZF nicht mit den schlappen Gabelfedern ihrer Vorgängerin daher. Sie bekam eine modifizierte Telegabel, die mehr Reserven aufbietet als ihre Vorgängerin. Mit der neuen Vorderradaufhängung fühlt sich die 600er um einiges stabiler an, obschon echte Höllendriver weiterhin an der schmächtigen 17er Achse und den 41er Standrohren rummeckern: »Wie sich das Teil verwindet, ich kann«s einfach nicht haben«, moniert ein enttäuschter Kollege.
Nur Lob erntet indessen die neue Bremse. Die Doppelscheibenanlage vorn war stets ein Schwachpunkt der Yamaha. Nicht nur wegen der schlechten Dosierbarkeit, auch wegen der sich verzögert lösenden Zangen. Damit ist jetzt Schluß: Die YZF 600 hat Bremsen, nach denen sich die Konkurrenz die Finger lecken wird, Vierkolbenstopper, gegen die so manche Sechskolben-Anlage alt aussieht. As-Bremsen sozusagen, denn die Thunderace arbeitet mit der gleiche Verzögerungstaktik. Die Besonderheit des Arrangements liegt im einteiligen Bremssattel. Exakt zu dosieren, kräftig im Biß und auch nach harter Beanspruchung noch auf der Höhe, verbreitet diese Bremsanlage eine neue Lust: Bremsen mit Donner und Gloria.