Nach vier Jahren war es an der Zeit. Yamaha überarbeitete die R6 komplett, um den neuen, radikalen 600ern der Konkurrenz Paroli bieten zu können. Viel sportlicher musste die ohnehin extreme YZF dafür nicht werden.
Nach vier Jahren war es an der Zeit. Yamaha überarbeitete die R6 komplett, um den neuen, radikalen 600ern der Konkurrenz Paroli bieten zu können. Viel sportlicher musste die ohnehin extreme YZF dafür nicht werden.
Den Marketing-Leuten geht es mitunter wie Filmregisseuren: Ihre vornehmste Aufgabe ist es, den Spannungsbogen zu halten. Im heiß umkämpften Markt der 600er-Supersportler folgten sie bislang der Maxime des schneller, stärker, leichter. Da war Yamaha etwas in der Bredouille. Im Gegensatz zu Honda und Kawasaki, deren Bemühungen nach bisher eher am Alltag orientierten Supersportlern ganz klar auf einen weiteren sportlichen Höhepunkt zusteuern. Radikaler als die erste R6-Generation konnte und sollte die Nachfolgerin angesichts der ohnehin messerscharfen Auslegung kaum sein. Also lautete die Zielrichtung, vorhandene Tugenden zu perfektionieren.
Unter diesem Aspekt ist der knifflige Kurs im südspanischen Almeria genau die richtige Kulisse für spannende Darbietungen. Auch wenn Yamaha die Spitzenleistung nochmals steigerte – unter vollem Staudruckeinfluss sollen gewaltige 123 PS bereitstehen, ohne immer noch 117 -, ist pure Power hier nicht das Thema. Es geht um die Umsetzung.
In dieser Hinsicht kommt der Gemischaufbereitung eine entscheidende Rolle zu. Als Letzte der großen vier verabschiedet sich Yamaha im 600er-Segment vom antiqiuerten Vergaser, setzt wie bei der großen Schwester R1 auf ein Einspritzsystem mit unterdruckgesteuerten Gasschiebern, die den 38er-Drosselklappen vorgeschaltet sind. Eine Maßnahme, die schon auf den ersten, verhaltenen Runden Wirkung zeigt, weil die trickreiche Strecke keine Zweideutigkeiten duldet. Verzögerte, gar abrupte Gasannahme und die Linie ist beim Teufel. Nicht so auf der neuen R6. Lediglich unter 4000/min und somit in einem bei 600er-Supersportlern kaum genutzten Bereich ist ein Lastwechselschlag zu spüren, danach geht es weich, ruckfrei und vor allem mit Nachdruck vorwärts.
Ganz klar, die R6 hat nach der Motorkur, bei der 90 Prozent aller Teile überarbeitet wurden, den im mittleren Drehzahlbereich schon immer vorhandenen Punch nochmals kultiviert. Bis knapp unter 10000/min hält dieser gleichmäßige und in den ewiglangen Kurven von Almeria wunderbar einsetzbare Schub an und sorgt in Kombination mit der bereits von der Vorgängerin bekannten superben Handlichkeit dafür, dass die richtige Linienwahl nur von der Routine des Fahrers abhängt.
Die wird bei der jüngsten R6-Generation auch in tiefsten Schräglagen oder bei der Attacke auf die nächste Gerade nicht über Gebühr strapaziert. Die bekannte Kippeligkeit auf der letzten Rille ist sicherlich nicht zuletzt aufgrund des größeren Nachlaufs und des Michelin Pilot Sport vorn nun in N-Spezifaktion nahezu verschwunden und einer wohltuenden Neutralität gewichen.
Gleiches gilt für die Hinterhand. Schwingendrehpunkt um zehn Millimeter nach vorn und somit näher am Ritzel, die Schwinge selbst um eben diesen Betrag länger und dank neuer Druckgusstechnik trotzdem leichter, dazu ein neu abgestimmtes Federbein: Die Zeiten, in denen das Heck beim harten Beschleunigen über Gebühr einsackte und die R6 gerne weite Bögen fuhr, sind vorbei.
Die, in denen der Motor oberhalb von 10000/min zumindest subjektiv ein wahres Feuerwerk abbrannte, aber auch. Wird eingangs der knapp einen Kilometer langen Geraden von Almeria richtig der Hahn gespannt, geht es zwar mit der zweiten Luft fulminant Richtung Horizont, die gierige Drehfreude des alten Aggregats erreicht das aktuelle Triebwerk aber nicht. Das mag der Grund sein, weshalb die Yamaha-Techniker den programmierbaren Schaltblitz schon bei 14000/min flackern lassen, obwohl die Drehzahlreserve locker bis 15500/min reicht. Doch selbst wenn bereits bei 12500/min geschaltet wird, stehen am Ende der Geraden lockere 240 km/h auf der Uhr.
Ein Wert, der mangelnde Potenz keinesfalls vermuten lässt. Und ein Wert, bei dem das Motorrad erst einmal wieder eingefangen werden will. Wie gehabt nehmen die einteiligen Vierkolbenzangen die 298-Millimeter-Scheiben am nun leichteren Fünfspeichenrad in die Zange. Vehement, aber nicht so transparent wie bei den besten Anlagen der Zunft verbeißen sich neue Sintermetallbeläge ins Metall. Mit der vollgetankt nur 189 Kilogramm schweren R6 (Vorgängerin 195 Kilo haben sie trotzdem niemals Mühe. Auf den Punkt lenkt die Yamaha in die Rechts-Links-Kombination vor der Zielgerade.
Jetzt noch einmal richtig am Kabel gezogen, der Lenker zuckt auf den leichten Bodenwellen unbedenklich, und – Schnitt! Die schwarz-weiße Flagge bremst den gerade erwachten Tatendrang merklich ein. Wie, schon zu Ende, der Turn? Das waren 20 Minuten? Das ist es wohl, was Yamaha mit »dancing with the power« meint. Stramme Leistung, von leichter Hand geführt. Die R6 ist einfacher zu fahren, neutraler, doch gewiss nicht langsamer geworden. Bietet, um im Filmjargon zu bleiben, gute Unterhaltung mit Tiefgang. Die hat allerdings leider mit 9990 Euro auch einen beträchtlich hohen Preis.