Finale: BMW S 1000 RR
BMW S 1000 RR

Das aktuelle Highlight der Motorradgeschichte müsste eigentlich die BMW GS mit ihrem kernigen Boxer sein. Diese Saison wird sie aber von einer anderen BMW überstrahlt: der starken S 1000 RR. Unglaublich, was die Münchner für einen Boliden gebaut haben.

BMW S 1000 RR
Foto: jkuenstle.de

Man muss es sich jetzt doch noch einmal auf der Zunge zergehen lassen: Der stärkste Supersportler der Welt kommt nicht aus Japan, auch nicht aus Italien. Es ist eine BMW! Ein Motorrad, entwickelt im Großraum München, gebaut in Berlin. Nicht zu fassen.

Wenn uns irgendeiner vor fünf Jahren erzählt hätte, dass eine Suzuki GSX-R 1000, eine Yamaha R1 oder eine Honda Fireblade gnadenlos von einer BMW eingedost werden würden, wir hätten ihn für verrückt erklärt. BMW baut Boxer oder große Sporttourer mit Kardanantrieb. Auch Einzylinder noch. Aber einen Supersportler? Das passt ja auch politisch nicht zu BMW. ABS, Kat, Vollverkleidung, heizbare Lenkergriffe, das ist BMW. Telelever, Soziustauglichkeit, Umweltfreundlichkeit, Sicherheit, das sind Begriffe, die zu BMW passen. Und jetzt 200 PS, 208 Kilogramm vollgetankt, 300 Sachen? Man kann es kaum glauben. Vielleicht waren alle gewonnenen Vergleichstests reine Fiktion, die Leistungswerte Halluzinationen, Ausgeburten kranker Schreiberlinge, die der ganzen Welt einen Bären aufbinden wollen. Haben wir die Saison 2010 nur geträumt?

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Man muss es sich jetzt doch noch einmal auf der Zunge zergehen lassen: Der stärkste Supersportler der Welt kommt nicht aus Japan, auch nicht aus Italien. Es ist eine BMW! Ein Motorrad, entwickelt im Großraum München, gebaut in Berlin. Nicht zu fassen.

Wenn uns irgendeiner vor fünf Jahren erzählt hätte, dass eine Suzuki GSX-R 1000, eine Yamaha R1 oder eine Honda Fireblade gnadenlos von einer BMW eingedost werden würden, wir hätten ihn für verrückt erklärt. BMW baut Boxer oder große Sporttourer mit Kardanantrieb. Auch Einzylinder noch. Aber einen Supersportler? Das passt ja auch politisch nicht zu BMW. ABS, Kat, Vollverkleidung, heizbare Lenkergriffe, das ist BMW. Telelever, Soziustauglichkeit, Umweltfreundlichkeit, Sicherheit, das sind Begriffe, die zu BMW passen. Und jetzt 200 PS, 208 Kilogramm vollgetankt, 300 Sachen? Man kann es kaum glauben. Vielleicht waren alle gewonnenen Vergleichstests reine Fiktion, die Leistungswerte Halluzinationen, Ausgeburten kranker Schreiberlinge, die der ganzen Welt einen Bären aufbinden wollen. Haben wir die Saison 2010 nur geträumt?

Realität ist die Dauertest S 1000 RR in der MOTORRAD-Tiefgarage. Sie hat einen Schlüssel, und den dreht man zum Starten rum. Ein Druck auf den Anlasserknopf weckt den stärksten Motorradmotor der Welt. Klingt kernig, aber nicht unnormal. Ein bisschen Kawa mit einer Nuance GSX-R, 2006er-Modell. Auf jeden Fall wie alle gängigen Supersport-Reihenvierzylinder. Ja, genau. BMW hat ein ganz normales Motorrad gebaut. So, wie es die Japaner mit der der ersten Suzuki GSX-R 750 vor 25 Jahren erfanden, hängt ein quer eingebauter Reihenvierzylinder in einem Aluminiumrahmen. Erstaunlicherweise wiegt die BMW auch kaum mehr als ihre Urahnin von 1985, leistet aber genau doppelt so viel. Wäre auch einmal eine schöne Geschichte.

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Die asymmetrische Gestaltung sorgte am Anfang für Schmunzeln. Dank Hyperpower lacht aber keiner mehr über sie.

Was so normal aufgebaut ist, fühlt sich auch normal an. Die S 1000 RR überrascht erst einmal nicht. Man muss sich nicht krümmen, wie auf einer Aprilia RSV4 R oder Ducati 1198, man wird nicht von einer Soundorgie erschüttert wie auf einer MV. Sogar das Cockpit könnte an einer anderen Maschine hängen, da wirkt nichts verspielt, es findet sich aber auch nichts von dem sonst üblichen bäuerlichen Charme bajuwarischer Boxer. Normal halt. Was den Kenner aufmerken läßt: Im Drehzahlmesser fängt erst bei 14000/min der rote Bereich an. Bei einer 1000er?

Das erste Mal sah man 14000/min bei der Kawasaki ZXR 400. Deren unnachahmlicher Sound begeisterte die Vierzylinderfans. Man fühlte sich wie ein Superbike-Pilot bei verhältnismäßig leicht beherrschbarer Leistungsentfaltung.

Die BMW ist anders. Was 14000/min in einem 1000er-Motor anrichten, wenn nicht nur Öl umgerührt, sondern Benzin-Luft-Gemisch durch offene Drosselklappen gesaugt wird, ist das reine Inferno. Die S 1000 RR schreit sich die Kraft aus den Zylindern. Reißt wie eine Herde Mustangs an der Kette. Geht ab wie ein Gepard vor dem Schlagen einer Gazelle. Das hat man noch nicht erlebt. Himmel und Hölle zugleich. Die geilste Beschleunigung eines Supersportlers, gleichzeitig auch die brutalste. Man ist so schnell wirklich schnell, dass man auf öffentlichen Straßen nicht einmal ansatzweise das Potenzial ausschöpfen kann.

Nur nochmal zum Einordnen: Das erste 300-km/h-Motorrad, die Suzuki Hayabusa, hatte echte 30 PS weniger. Mick Doohans Honda NSR 500 reichten 185 PS für gnadenlose Überlegenheit beim Grand Prix. Carl Fogartys Weltmeister-Ducati leistete 170 PS. Kein Auto der Welt beschleunigt in weniger als neun Sekunden auf 200 km/h. Die BMW schafft es in 6,9 Sekunden. Und: Um die derzeit zweitstärkste 1000er, die 182 PS starke Kawasaki ZX-10 R, zu übertrumpfen, reichen der BMW ziemlich genau 11000/min. Danach hat sie noch ein Leistungsband von fast 3000/min.

Ist das nicht zu viel? Hat BMW überzogen? Waren die Münchner früher zu brav, sind sie heute zu böse? Eines ist klar: Wer zwanzig Jahre Hohn und Spott ertragen muss, der hat irgendwann die Schnauze voll. Und man muss ja zugeben: Als BMW die K1 als Sportmotorrad titulierte, konnten GSX-R 750-Fahrer nur lächeln. Und als sich das Dickschiff K 1200 RS endlich einmal 130 PS aus dem liegenden Vierzylinder quälte, hämmerte eine Kawasaki ZZ-R 1100 grandios mit 275 km/h über die Autobahn.

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Am schönsten wirkt die S 1000 RR in der Motorsport-Lackierung. Trotz Reihenmotor und Alurahmen gelang sie eigenständig.

Heute lächelt keiner mehr über BMW. Spätestens mit der S 1000 RR haben es die Münchner allen gezeigt. Ja man könnte meinen, die ganze Entwicklungsabteilung hat sich den Frust von zwanzig Jahren political correctness von der Seele konstruiert.

Gottseidank besitzt auch die S 1000 RR einen stufenlos regulierbaren Gasgriff. Wenn man den nicht so weit aufreißt, kann man ganz normal spazieren fahren. Dank bequemer Sitzposition, ABS und Schlupfregelung sogar durch Wind und Wetter.

So. Von der Hildebrand & Wolffmüller bis zur BMW S 1000 RR war es ein weiter Weg. Jetzt endet unser INTERMOT-Countdown. Wir freuen uns auf die Diskussionen an unserem Stand. Bis dann in Köln.

Technische Daten

Jahn
Die BMW S 1000 RR.

Motor:
Wassergekühlter Vierzylinder-Viertakt-Reihenmotor, vier Titan-Ventile pro Brennraum, über zwei obenliegende Nockenwellen und Schlepphebel gesteuert, Bohrung x Hub 80 x 49,7 Millimeter, 999 cm3, 142 kW (193 PS) bei 13 000/min, Zünd-Einspritzelektronik mit vier Kennfeldern, Schlupfregelung, Ölbadkupplung, Sechsganggetriebe.

Fahrwerk:
Brückenrahmen aus Aluminium, vorn Upside-down-Telegabel, hinten Aluminiumschwinge, Federbein mit Hebelsystem, Federelemente voll einstellbar, Lenkungsdämpfer. Doppelscheibenbremse vorn, hinten Einscheibenbremse, Ø 320/220 mm, ABS, 3.50 x 17/6.00 x 17-Zoll-Gussrad vorn/hinten.

Maße und Gewicht:
Gewicht vollgetankt 208 kg, Tankinhalt 18 Liter, Vmax 299 km/h.

Preis: 17050 Euro

Die aktuelle Ausgabe
MOTORRAD 20 / 2023

Erscheinungsdatum 15.09.2023