Sie ist eines der schönsten Motorräder der vergangenen Jahrzehnte. Und ergänzt äußere Schönheit mit großartigen inneren Werten.
Sie ist eines der schönsten Motorräder der vergangenen Jahrzehnte. Und ergänzt äußere Schönheit mit großartigen inneren Werten.
Bei uns war es keine Liebe auf den ersten Blick. Das hatte zwei Gründe. Zum einen halte ich instinktiv Abstand, wenn irgendwo irgend-etwas hochgejubelt wird. Zum anderen war ich im Frühjahr 1994 mit den Folgen eines anders gearteten Höhenflugs, nämlich eines zünftigen Highsiders beschäftigt, als der 916-Hype begann. Erst Anfang Juni kam ich zum ersten Mal mit ihr in Berührung - dienstlich natürlich. Damals beim Sportmotorradmagazin PS beschäftigt, hatte ich einen Vergleichstest zwischen ihr und einer Yamaha YZF 750 R zu machen und folgte dabei allen Regeln der Vernunft. Zum Beispiel derjenigen, Arbeiten mit erhöhtem Schrottrisiko möglichst nach hinten zu schieben, also zuerst die Stand-, die Stuntfotos hingegen später schießen zu lassen.
Zu den Standfotos gehörten Aufnahmen der gestrippten Maschine, und das Entkleiden war bei den meisten japanischen Motorrädern, erst recht aber bei den Vorgängermodellen der 916, den Ducati 851 und 888, eine Tortur. Zwischen 30 und 50 Schrauben, Muttern und Scheiben aller Arten lagen danach im Puzzle, dazu die klassischen Halter der Marke Biegedraht-an-Blechblättchen-gebruzzelt plus Halter vom Halter und was es an großserientechnischen Scheußlichkeiten sonst noch gab. Und immer noch gibt.
Nicht bei der 916. Nach dem Entfernen von zehn Schnellverschlüssen, fünf Schrauben und zwei Plastikstiften, sowie dem Abziehen eines Steckers und zweier Benzinleitungen (auch mit Schnellverschlüssen) stand sie ohne Verkleidung, Tank und Sitzbank vor dem Fotografen. Tief beeindruckt stand ich dahinter. Da hatten sich schlaue Köpfe eine Menge Gedanken gemacht.
Danach ging es in Hockenheim an die Fahrfotos. Und wie stets im ersten Halbjahr 1994 ging kein 916-Fahrbild auf den Diafilm, auf dem nicht PS-Testchef Michael Pfeiffer höchstselbst das edle Stück bewegte. Es war schon später am Nachmittag, als ich ihn, der heute MOTORRAD-Chefredakteur ist, vor folgende Alternative stellte: Wenn er weiterhin die Ducati besetze, solle er den Vergleichstest gefälligst selber schreiben oder ich käme jetzt auch einmal auf der hübschen, kräftig ballernden Roten zum Zuge. Er hat das auch gleich eingesehen. Wahrscheinlich deshalb, weil ohnehin der Tank leer war.
Den frisch gefüllten Tank habe ich in einem Zug leer gefahren. In trauter Zweisamkeit mit der 916 beim Montagstraining. Sicherlich wurden wir einige Male von den ganz schnellen Leuten überholt, weitaus öfter haben wir wohl andere überholt. Denn die 916 war schnell, besser gesagt, sie machte mich schnell. Vor allem in den Kurven. Später haben wir das messtechnisch belegt, aber es war auch zu spüren. Wenn wir mit der schneidigen Vehemenz eines voll durchgezogenen Säbelhiebs durch die Kurven zischten, kam ich mir vor wie die Spitze der Klinge. Allerdings erst, nachdem sich die Matschigkeit der Vorderradbremse stabilisiert hatte und die Bremspunkte feststanden. Als ich ins Fahrerlager zurückkehrte, kam ich von ganz weit her.
Erst jetzt, nachdem sie mir gezeigt hatte, dass sie kein Designerschnittchen war, dass sie Funktionalität und gutes Aussehen verband, dass sie sich als Mitglied des italienischen Motorradadels den Belangen ihrer bürgerlichen Mechaniker verpflichtet fühlte, konnte ich ihre elegante Erscheinung richtig würdigen. Einige Jahre später habe ich noch einmal erlebt, wie eine Duc - eine Nachfolgerin der 916, die 996 R mit dem ersten Testastretta-Motor - einen Skeptiker bekehrte. Es lief genau gleich ab, wie bei mir. Ungezählte Runden in Hockenheim, Abstellen mit leerem Tank und verschlissenen Reifen, einige Schritte zurücktreten und langes, sehr langes Schauen, ohne ein Wort zu sagen.
Es ist klar, dass sich mit der Zeit einiges relativierte und wir neben der unzureichenden Bremsanlage andere Schwächen der 916 herausfuhren: Die schweren originalen Dreispeichenräder entwickelten mächtige Kreiselkräfte und zogen das Motorrad beim Beschleunigen in Schräglage wie von Geisterhand Richtung Kurvenausgang. Außerdem wog der Stahlrohr-Heckrahmen der späteren Biposto-Modelle soviel mehr als das Alugerüst der ersten Monoposti, dass die Handlichkeit doch spürbar gemindert war. Doch mehr als das leichte Rahmenheck und leichtere Räder sowie eine ordentliche Bremsanlage hat keine 916 in den Händen eines Hobbyrennfahrers je gebraucht. Noch heute ist man mit einer solchermaßen zurechtgemachten Maschine auf der Rennstrecke schnell unterwegs. 16 Jahre, 16 Rennsport-Ewigkeiten nach ihrem Debüt.
Das schafft nur ein Motorrad, welches außen und innen von gleich hoher Qualität, ja von hohen Ansprüchen in allen Bereichen geradezu durchdrungen ist. Wenn Sie es auf der Intermot am Stand von MOTORRAD besuchen, dann gönnen Sie ihr bitte ganz tiefe Blicke.
Motor:
Wassergekühlter Zweizylinder-Viertakt-90-Grad-V-Motor, vier Ventile pro Brennraum, von je zwei Nockenwellen über Kipphebel desmodromisch betätigt, Bohrung x Hub 94 x 66 Millimeter, 916 cm³, 83 kW (113 PS) bei 9000/min, Zünd-/Einspritzsystem, Durchlass 50 mm, E-Starter, Trockenkupplung, Primärtrieb über Zahnräder, Sechsganggetriebe, Kettenantrieb.
Fahrwerk:
Gitterrohrrahmen aus Stahl, vorn Upside-down-Gabel, hinten Einarmschwinge mit Federbein und Hebelsystem, Doppelscheibenbremse mit Vierkolben-Festsätteln vorn, Einscheibenbremse mit Zweikolben-Festsattel hinten, 17-Zoll-Gußräder vorn/hinten, Einzelsitzbank.
Maße und Gewicht:
Gewicht vollgetankt 210 kg, Tankinhalt 17 Liter, Höchstgeschwindigkeit 254 km/h.
Preis: 27900 Mark (1994)