Vier Zylinder in Reihe. Und alles in Grün. Kawasaki bietet vier schnelle Frischmacher zwischen 600 und 1200 Kubikzentimetern.
Vier Zylinder in Reihe. Und alles in Grün. Kawasaki bietet vier schnelle Frischmacher zwischen 600 und 1200 Kubikzentimetern.
Quizfrage: Was verbinden Sie mit den Begriff »Ninja«? Richtig, dunkel gewandete, vermummte Krieger, der fernöstlichen Kampfeskunst mächtig. Noch etwas? Die Farbe Grün und Vierzylinder-Reihenmotoren? Bingo: Kawasaki. Wie kein anderer japanischer Hersteller dem Vierzylinder verschrieben. Z 900, die wilden Siebziger; GPZ 900 R, Tom Cruise als Fliegerass in »Top Gun« Mitte der 80er. Stimmt zwar nicht ganz, denn Tom musste sich mit der 750er begnügen, macht aber nix. Das waren Meilensteine, Namen, bei denen Motorradlern die Ohren klingen, bei denen Wehmut aufkommt.
Und heute, im @-Zeitalter? Gottlob, Kawasaki baut noch immer Vierzylinder, und was für welche! Sollen die anderen Japaner mit V-Twins fremdgehen, nein, die Grünen setzen schon beinahe fundamentalistisch auf die Zahl vier, und, natürlich, auf die Farbe Grün.
Grund genug, die vier tapferen Krieger in einen familieninternen Wettstreit zu schicken. Wie viel Ninja braucht der Mensch? Reicht die wuselige ZX-6R oder ist das schnellste Serienmotorrad der Welt, die ZX-12R, das Maß der Dinge. Heißt die goldenen Mitte ZX-9R oder fährt die bewährte ZX-7R den anderen um die Ohren? Sie merken schon, Fragen über Fragen. MOTORRAD hat Antworten gesucht. Nicht auf der Rennstrecke, nein, da haben die vier ihre Qualitäten schon zur Genüge unter Beweis gestellt. Das Quartett wurde auf einen speziellen Leistungsprüfstand geschickt, auf dem die Triebwerke neben Pferdestärken und Drehmoment auch ihr Ansprechverhalten unter Beweis stellen mussten. Hernach ging es dann doch nach Hockenheim. Aber nicht auf den kleinen Kurs, sondern auf einen Handlingparcours, dem ersten Kapitel dieses Vergleichs. Nirgends sonst lassen sich Stärken und Schwächen der Kandidatinnen so schnell und eindeutig herausfahren wie zwischen den vom Kollegen Koch gesetzten Pylonen (siehe auch Seite 47). Eine sich zuziehende Schikane gleich zu Beginn, gefolgt von einer Hundekurve, die hineinführt in einen engen Slalom, drei weiter gesetzte Bögen, hier sollten die Big Bikes ihre überlegene Kraft ausspielen können. Eine Lichtschranke dokumentiert die Höchstgeschwindigkeit an der schnellsten Stelle, selbige Messung folgt in der abschließenden Kreisbahn.
Für drei unterschiedlich routinierte Fahrer stehen jeweils drei Runden auf dem Programm. Eine zum Gewöhnen an den Untersatz, zwei gezeitete Umläufe, alles zügig hintereinanderweg, um möglichst homogene Testbedingungen zu garantieren. Gleich zu Anfang wartet auf jeden der Tester die mächtige ZX-12R, die sich bei ihren ersten Stelldichein in der Redaktion nicht gerade als Handlingwunder entpuppt hatte. Was einerseits mit ihren durchaus wohlproportionierten 249 Kilogramm zu tun hat, andererseits aber auch mit ihrem langen Radstand und ihrem überdimensionalen 200er-Hinterreifen. Der imponiert vielleicht vor der Eisdiele, vermittelt dem ZX-12R-Treiber aber bei der Hatz durch die Pylonen immer wieder ein seltsames Gefühl. Wenn die Front schon lange willig den Schräglagenwechsel vollzogen hat, hinkt das Heck etwas hinterher, auch wenn das Testmotorrad nach Aussage von Kawasaki Deutschland bereits mit einer Modifikation versehen war, die das Handling fördern soll: Das Heck wird mittels einer an der Federbeinaufnahme montierten Unterlegscheibe 4,5 Millimeter höhergelegt. Ansonsten sammelt die »Dicke« viele Pluspunkte mit ihrer guten Fahrwerkabstimmung: Gabel wie Federbein sind ausreichend straff gefedert, sprechen gut an und verfügen über genügend Dämpfungsreserven. Mit ein Grund dafür, dass die 12er nicht über die Maßen Zeit auf die kleineren Schwestern verliert. Zwar braucht es mehr Nachdruck, um sie durch den Kurs zu bugsieren, dafür liegt sie satt.
Ihren überlegenen Schub in mehr Höchstgeschwindigkeit umzusetzen gelingt ihr allerdings genauso wenig wie der ZX-9 R (siehe auch Tabelle Seite 47). Keiner der Tester wagt es, die unbändige Kraft dieser Boliden auszuspielen, denn trotz hervorragender Serienbereifung und gutem Asphalt unter den Rädern will niemand an die Haftungsgrenze gehen. Zudem lässt sich die Drosselklappenstellung der ZX-12R wegen ihres sehr schwergängigen Gasgriffs schlecht regulieren. Eine von Kawasaki bewusst eingebaute »mechanische« Traktionskontrolle? Im Ansprechverhalten jedenfalls ist das per Saugrohreinspritzung befeuerte 1200er-Aggregat den vergaserbestücken Triebwerken deutlich überlegen, was jedoch zu einem harten Leistungseinsatz und damit einhergehenden Lastwechselreaktionen führt. Es ist praktisch unmöglich, in engen Kehren eine saubere Linie zu fahren.
Der ruppige Leistungseinsatz lässt sich auf dem Dynojet-Leistungsprüfstand nachweisen. Zu diesem Zweck wird dort die Leistung im sogenannten Fast-Acceleration-Modus gemessen. Dabei wird der Motor, regelmäßig im dritten Gang, auf eine bestimmte Drehzahl, zum Beispiel 9000/min, beschleunigt. Dann wird der Gasgriff kurz vollständig geschlossen, so dass Drehzahl und Rollengeschwindigkeit bis zu einem vorher festgelegten Wert absinken, bevor der Gasgriff erneut schlagartig voll geöffnet und die nächste Drehzahlstufe angefahren wird. Je schneller sich jetzt die Leistung der Beschleunigungskurve wieder der »normalen«, also der Volllastkurve annähert, desto spontaner empfindet der Fahrer die Gasannahme des Motors beim harten Beschleunigen. Die Diagrammkurve eines superspontanen Aggregats würde also senkrecht ansteigen und unmittelbar in die Volllastkurve münden. In der Praxis verzögert sich die Annäherung je nach Abstimmung des Gemischaufbereitungssystems mehr oder weniger. Auf dem Leistungsdiagramm (Seite 46) ist deutlich zu erkennen, dass die Leistungskurve der ZX-12R auf den Vollgasbefehl bei 9000/min mit einem nahezu senkrechten Anstieg reagiert, während die vergaserbestückte ZX-9R länger braucht, um wieder volle Leistung aufzubauen.
Doch zurück auf den Parcours: Hier wirkt das Zwölfer-Aggregat, je nach persönlicher Einschätzung, spontan oder rabiat, während die Neuner sanfter oder aber indirekter erscheint. Während also die potente Zwölfer Ungeübte mit ihrem ruppigen Anreißen erschreckt, wünschen sich Profis vor allem bei der 900er mehr Spontanität, um die Leistung auf dem zum größten Teil im zweiten Gang zu fahrenden Parcours exakter dosieren zu können. Weiterer Maluspunkt für die sehr handliche 900er: Wegen des auch von MOTORRAD immer wieder monierten Gabelflatterns rüstete Kawasaki ihre Sechskolbenbremsanlage auf andere Bremsbeläge um, was das Flattern erfolgreich unterdrückt. Leider jedoch geht die Änderung der Reibpaarung zulasten der Dosierbarkeit der Bremse. Punktgenaues Anbremsen besonders enger Stellen im Parcours fällt mit der 9er deutlich schwerer, was letztlich wertvolle Sekundenbruchteile kostet.
Die Bremsanlage ihrer kleinen Schwester, der ZX-6R, lässt sich um einiges besser dosieren, allerdings trat bei allen Testern das leidige Phänomen »Gabelflattern« auf, wenn auch nicht in schwerwiegender Form. Beeindruckend: die Agilität der 6er, ihr butterweiches Handling. So leicht kann Motorradfahren sein. Auf ihr markieren alle Tester die schnellsten Runden. Noch zügiger ginge es allerdings, wenn das Fahrwerk straffer abgestimmt wäre. In den schnellen Passagen neigt die 600er nämlich zu einem spürbaren Eigenleben, was sich vor allem an der unterdämpften Heckpartie bemerkbar macht. Ein Tadel, der uneingeschränkt auch für die ZX-9R gelten muss. Ambitionierte Sportfahrer wünschen sich bei solchen Motorrädern mehr Reserven.
Maß aller Dinge, was das Kriterium Fahrwerksstabiltät betrifft: die bewährte ZX-7R. In puncto Handling kann sie zwar etliche überschüssige Pfunde nicht kaschieren, verlorene Zeit macht die alte Dame mit ihrem steifen Fahrwerk wieder wett. Da wippt nichts nach, da wackelt nichts. Prima. Genau wie ihre Bremsen. Würde ihr Kawasaki endlich eine zeitgemäße Erstbereifung spendieren, ihr Handling wäre mit einem Schlag deutlich besser.
So, die Pylonen werden wieder eingepacktt und die noch frischen Fahreindrücke des Handlingparcours überprüft. Auf Schleichwegen zurück in die Redaktion und alle 30 Kilometer schnell die Motorräder durchtauschen. Kapitel zwei, die Landstraße.
Na gut, kurzer Einschub, die Frage drängt sich natürlich auf. Wie laufen sie denn? Also, Autobahn. Für alle, denen eine Reisegeschwindigkeit zwischen 180 und 220 km/h nicht genügt. Oder, weil es manchmal einfach Spaß macht, den Hahn bis zum Anschlag zu spannen. Autostrada, unlimitiert, vierspurig: Gaaaaas! Hemmungslos brüllen die vier Kawasaki über die Bahn. Bei satt über 250 km/h erst stoppt der Vorwärtsdrang der 600er. Am Rande bemerkt: Wer braucht eigentlich mehr Motorrad? Der 7er ist die ZX-6R ebenbürtig, ledert sie in Sachen Durchzug sogar ab. Und schwupps drückt sich der ZX-9R-Treiber vorbei, denkt klammheimlich, er sei Chef des Highway. Falsch gedacht. 278 Sachen, unglaublich schnell, fürwahr, aber gleichzeitig ein Wert, bei dem die 12er noch munter beschleunigt. Was für ein unglaublicher Vorwärtsdrang. Und der Windschutz auf dieser ZX-12R, wahrhaft vorbildlich. Genuss ohne Reue? Nein. Dass der Spritkonsum bei derartigen Vollgasorgien ins Astronomische steigt, versteht sich von selbst. Weitaus kostenträchtiger: der Reifenverschleiß. Wer sich auf der 12er hemmungslos dem Geschwindigkeitsrausch hingibt, verschleißt den Hinterradpneu auf gerade einmal 2000 Kilometern. Kein Ammenmärchen, sondern ein Erfahrungswert aus dem MOTORRAD-Langstreckentest. Was abgesehen von den hohen Kosten andere Sorgen nach sich zieht, denn bei den 200er-Pellen gibts derzeit Lieferengpässe (siehe auch Kasten Seite 48). Also runter von der Bahn, genug Stresshormone ausgeschüttet, lieber den wahren Fahrspaß auf der Landstraße suchen.
Ein Vergnügen, das auf der ZX-7R deutlich getrübt wird. Ergonomie - ein Thema, bei dem sich in den letzten Jahren gerade bei Supersportlern sehr viel getan hat. Nur eben bei der 7er nicht. Wer zum Teufel hat denn da die Lenkstummel im Keller versteckt? Weit über den Tank gespannt über enge Landstraßen zu fahren ist nicht jedermanns Sache. Die 750er verlangt Leidensfähigkeit. Dafür freut sich ihr Fahrer über ihre hohe Laufkultur und das seidenweich und exakt arbeitende Getriebe, ihre stoische Ruhe in welligen Passagen. Da macht sie ihren beiden Supersportkolleginnen etwas vor. Diese Fahrstabilität lässt sich am ehesten mit der einer Ducati 996 vergleichen.
Umsatteln auf die ZX-6R. Bei ihr passt alles. Kommt einem fast vor, wie ein Allround-Bike, nicht wie ein kompromissloser Supersportler. Schmaler Tank, nicht zu tief positionierte Lenkstummel und Fußrasten. Prima. Und dann dieses agile Fahrverhalten kombiniert mit dem ab 5000/min äußerst druckvoll arbeitenden Triebwerk. Phantastisch. Kaum unhandlicher fährt sich die ZX-9R, lediglich die Sitzposition geriet wegen des breiteren Tanks etwas unbequemer. Wem das häufige Schalten auf einer 600er auf die Nerven geht, bitte schön, die 900er verfügt über bergeweise Schub aus dem Drehzahlkeller, Garant für entspanntes Fahren und dank ihres maßvollen Spritkonsums langanhaltenden Landstraßenspaß. Über stumpfe Bremsen ist alles gesagt, nur eins noch: Die mit dem ansonsten absolut überzeugenden Michelin Pilot Sport bereifte ZX-9R stellt sich beim Hineinbremsen in Schräglage über Gebühr auf.
Eine Eigenart, die der ZX-12R fast gänzlich fremd ist. Was an der teuren, aber gut ausgestatteten 1200er nervt: ihre ausgeprägten Vibrationen, vor allem im Teillastbereich spürbar in Lenkerhälften, Tank und Sitzbank. Laufkultur? Nicht gerade ihre Paradedisziplin. Schade, dieses mächtige Motorrad empfiehlt sich für alle, die es noch bequemer, noch souveräner lieben. Vor allem großgewachsene Zeitgenossen fühlen sich auf ihr wohl. Und in 99 Prozent der Fälle reicht wirklich der letzte Gang, um zügig durch die Lande zu rauschen. Wie bereits gesagt, die Nummer 12 bedeutet Arbeit, verlangt nach einer starken Hand, sobald die Kurven enger werden. Dann nämlich gibt die ZX-6R den Ton an, die ausgewogenste unter den vier Ninjas. Weshalb sie zu Recht diesen Vergleich für sich entscheidet.
Bei flotter Fahrt radiert die Zwölfer alle 2000 Kilometer einen Hinterreifen aus. Schade eigentlich, vor allem wenn der Pneu-Nachschub stagniert: Händler-O-Ton bei der Bestellung des BT 010-Hinterreifens für die ZX-12R: »Das kann jahrelang dauern. Bridgestone kannste vergessen, die liefern gar nicht aus.«
Nach mehreren frustrierenden Telefonaten findet sich immerhin ein Dealer, der das schwarze Gold innerhalb von zwei Tagen liefern kann und bleibt damit die Ausnahme. Ähnlich trüb siehts mit der Alternative Dunlop D207 aus. Auch hier sind nach Aussage der Reifenhändler lange Lieferzeiten die Regel.
Die Preise dagen unterscheiden sich von Anbieter zu Anbieter: So reicht die Spanne beim D 207-Hinterreifen von 328 Mark bis 423 Mark, beim Bridgestone BT 010 liegen die Verkaufspreise zwischen 340 und 377 Mark.
Das ausgewogenste Motorrad entscheidet diesen Konzeptvergleich für sich: die ZX-6R. Es fehlt an nichts, die Mär von den ach so durchzugsschwachen 600er widerlegt sie eindrucksvoll. Bei der angegrauten ZX-7R zeigt sich, wie rasant die Entwicklung bei den Supersportlern vorangetrieben wird: deutlich übergewichtig, sehr träge, leistungsmäßig der 600er unterlegen. Dennoch ein Motorrad für Fans stabiler Fahrwerke und guter Bremsen. Sie verdient Weiterentwicklung. Wenn Kawasaki die Fahrwerksprobleme der ZX-9R in den Griff bekommt, wird die 900er eine der besten unter den Big Bikes sein, jede Wette. Superbes Handling, druckvoller Motor, hohe Alltagstauglichkeit sprechen heute schon dafür. Wer sich für die gewaltige ZX-12R entscheidet, tut dies im Bewusstsein zwar nicht das handlichste, aber das schnellste Serien-Bike der Welt zu fahren. Von den Vibrationen mal abgesehen, bietet sie guten Langstreckenkomfort, der allerdings auch seinen Preis hat.