Wo anders als in der Modestadt Mailand hätte die Motorrad-Industrie ihre schönsten Neuheiten präsentieren können? Der Mailänder Salon, ein Feuerwerk der Eitelkeiten.
Wo anders als in der Modestadt Mailand hätte die Motorrad-Industrie ihre schönsten Neuheiten präsentieren können? Der Mailänder Salon, ein Feuerwerk der Eitelkeiten.
Wenn es um den Höhepunkt der Mailänder Messe geht, gibt es nur eine Antwort: MV Agusta. Claudio Castiglioni, Chef von Cagiva sowie Husqvarna und jetzt auch von MV Agusta, darf zu Recht stolz sein. Hat doch sein begnadeter Mitarbeiter Massimo Tamburini, Vater der Ducati 916, noch einen drauf gesetzt und mit der MV ein wahres Kunstwerk geschaffen.
Ästhetisch schon jetzt die Nummer eins, will MV Agusta auch technisch ganz nach vorn. Das Herzstück, ein ultra kurzhubiger, 750 cm³ großer Vierzylinder (Bohrung/Hub 73,8/43,8 Millimeter) soll 126 PS leisten. Die vier Ventile pro Zylinder sind radial angeordnet, und die Gemischaufbereitung übernimmt eine Einspritzanlage. Die Schaltbox ist, wie bei GP-Maschinen üblich, als Kassettengetriebe ausgelegt. Auf 275 km/h soll der auffallend klein bauende Reihenvierzylinder die knapp unter 200 Kilogramm schwere MV beschleunigen.
Der Rahmen ist eine Mixtur aus stählerner Gitterrohrkonstruktion und stabilen Gußteilen aus Aluminium. Beeindruckend auch die mächtige Einarmschwinge, die ein Höchstmaß an Steifigkeit bei geringstem Gewicht gewährleisten soll. Sowohl die 49er Upside-down-Gabel mit Schnellverschlüssen zur Radaufnahme als auch das Federbein stammen von Showa. Gekrönt wird das Ganze von unzähligen genialen Detaillösungen wie die Auspufführung oder die einstellbaren Fußrasten. Kurz: ein Traum. Der hat allerdings seinen Preis. Rund 50 000 Mark, so Claudio Castiglioni, wird eine der 250 für 1998 avisierten Maschinen kosten.
Weit weniger spektakulär dagegen der Auftritt von Ducati. Neben einer 916 in Gelb beschränkte man sich in Mailand auf die Präsentation der überarbeiteten 900 SS. Äußerlich gehörig auf Trab gebracht, wurde auch der altbekannte luft-/ölgekühlte Zweiventiler mittels Einspritzanlage um rund fünf PS gestärkt.
Ebenfalls nichts Sensationelles bei der italienischen Edelschmiede Bimota. Nachdem die erste Euphorie in Sachen Vdue von der Realität eingeholt wurde, steht jetzt die SB 8 im Mittelpunkt. Ihr manko: das leicht angekratzte Image des TL 1000-Motors, der als treibende Kraft bei der SB 8 dient. Das gewohnt geradlinig konstruierte Fahrwerk verspricht ein Höchstmaß an Stabilität, am italienischen Schick mangelt es dagegen etwas. Die Verkleidung baut ungewöhnlich breit, die SB 8 wirkt durch ihr wenig einfallsreiches Design insgesamt recht wuchtig.
Neben MV setzt Aprilia ein weiteres Glanzlicht dieser Messe. Für Aprilia-Präsident Ivano Beggio ist die RSV mille das wichtigste Motorrad, das seine Firma je präsentiert hat. 128 PS werden für den von einer Einspritzanlage gefütterten Zweizylinder angegeben. Unter 210 Kilogramm soll die Aprilia wiegen und über eine gute Aerodynamik verfügen. Obwohl Aprilia mit der RSV 1999 in der Superbike-WM mitmischen will, hat man laut Ivano Beggio nicht vergessen, daß das Motorrad hauptsächlich auf öffentlichen Straßen bewegt wird und auch großgewachsenen Fahrern ausreichend Platz bieten soll. Entsprechend konventionell daher das Erscheinungsbild: Einzige Besonderheit ist die eigenwillige Anordnung der drei Scheinwerfer. Der Preis, zwischen 22 000 und 23 000 Mark, zeugt ebenfalls von gesundem Realismus seitens Aprilia. Geplanter Liefertermin für die ersten der rund 400 für Deutschland vorgesehenen Maschinen ist April/Mai.
Ab Februar will Suzuki mit der TL 1000 R das angekratzte Zweizylinder-Image wieder aufpolieren. Der modifizierte Motor arbeitet in einem neuen Fahrwerk. Ein massiver Brückenrahmen und eine stabil ausgelegte Dreieckschwinge sollen Fahrwerksschwächen eliminieren. Am Prinzip des Drehflügeldämpfers wurde festgehalten, allerdings ist er jetzt weit genug weg vom Krümmer positioniert. Von japanischem Optimismus zeugt die Ankündigung, im kommenden Jahr mit dem Zweizylinder in der Superbike-WM anzutreten. In Mailand war schon eine mit sündhaft teuren Teilen blitzsauber aufgebaute Rennmaschine zu sehen.
Daß die Japaner in Mailand nicht gänzlich unter der italienischen Neuheitenflut erblassen, ist hauptsächlich Yamaha zu verdanken. Mit der YZF R1 setzen sie neue Maßstäbe unter den supersportlichen 1000ern. Mit weniger als 200 Kilogramm Gewicht und den abmessungen einer 600er haben die avisierten 150 PS unvergleichlich leichtes Spiel. Dazu ein aggressives, eigenständiges Äußeres und ein Preis, der unterhalb von XX XXX Mark liegen soll. Geht das Konzept der YZF R1nicht nur auf dem Papier, sondern auch bei der ersten Fahrpräsentation (bereits Ende Oktober) auf, wird Hondas CBR 900 in Sachen Supersport wohl in die zweite Reihe rücken.
Denn aus den Honda-Ankündigungen einer deutlich verbesserten CBR 900 RR ist nicht allzuviel geworden. Lediglich einer leichten Modellpflege wurde der Sportler unterzogen, wodurch zwar noch etwas Gewicht gespart wurde, aber kaum sensationelle Veränderungen zu erwarten sind.
Anders bei Kawasaki. Rank und schlank zeigt sich die neue ZX-9R. Sowohl Motor als auch Fahrwerk sind komplett neu konstruiert. Knapp 30 Kilogramm abgespeckt, steht die ZX-9R in echter Konkurrenz zur Yamaha. Dabei setzt Kawasaki nicht nur auf sportliche Spitzenleistung, sondern geht als erster japanischer Hersteller ernsthaft das Thema Umweltbelastung an. ZX-9R und ebenso die stark modifizierte ZX-6R werden auch als Kat-Version angeboten. Leistungseinbußen durch den Kat müssen laut Kawasaki nicht befürchtet werden.
Was bei den Sportlern an Gewicht gespart, wird bei den Cruisern draufgepackt. Kawasakis VN 1500 Classic in Vollausstattung ist nur ein Beispiel von vielen. Größer, schwerer, chromblitzender scheint die Devise. Doch trotz aller metallischen Protzerei in der Schwermetall-Fraktion stand die Messe, wie sollte es auch in Mailand anders sein, eindeutig unter dem Motto der Eleganz und Sportlichkeit.