Die Eleganz der MV Agusta F4 zog Betrachter schon immer magisch in ihren Bann. Doch Schönheit ist vergänglich. Und weil auch verstärkt innere Werte zählen, verjüngten die Schöpfer ihr Spitzenmodell in vielen Details.
Die Eleganz der MV Agusta F4 zog Betrachter schon immer magisch in ihren Bann. Doch Schönheit ist vergänglich. Und weil auch verstärkt innere Werte zählen, verjüngten die Schöpfer ihr Spitzenmodell in vielen Details.
Bei bestimmten Reizworten erzeugt das Kopfkino immer gleiche Bilder. Unweigerlich denkt der Autor deshalb bei einer MV Agusta F4 an die einzigartige rot-silberne Lackierung, an hochwertige Verarbeitung und edles Design. Läuft der Film weiter, erscheinen aber auch Eindrücke wie ein rauer, biestiger Motor, störrisches Handling und eine lang gestreckte, unbequeme Sitzposition. Bilder der Vergangenheit?
Die Chancen dafür stehen nicht schlecht. Immerhin legten sich die Italiener bei der Modernisierung der F4 gewaltig ins Zeug. So leitet nun zeitgemäßes Ride-by-Wire die Befehle der Gashand ans zentrale Steuergerät. Mit dieser Technik bietet die MV auch die unterschiedlichen Fahrmodi „Rain“, „Normal“ und „Sport“. Je nach Einstellung unterscheiden sich Leistungsentfaltung, Drehmomentverlauf, Gasannahme, Motorbremse und Drehzahllimit. Der vierte Modus „Custom“ erlaubt es, einzelne Parameter der anderen Modi beliebig zusammenzustellen. So kann der Pilot beispielsweise das höhere Motorbremsmoment vom Normalmodus mit der direkteren Gasannahme vom Sportmodus verbinden.
Ebenfalls mit an Bord: achtfach einstellbare Traktionskontrolle, Schräglagen- und Beschleunigungssensor, Anti-Wheelie-Kontrolle und Schaltautomat. Der Clou: Der Quickshifter arbeitet sowohl beim Hoch- als auch beim Herunterschalten - bei Serienbikes bisher einmalig! Schnell gewöhnt sich der MV-Treiber daran, beim Wechsel in tiefere Gänge weder die Kupplung zu ziehen, noch Zwischengas zu geben. Letzteres macht die F4 automatisch: einfach Gas schließen, Gang reindrücken, wrammm, fertig! Dank dieses sagenhaften Features kann sich der Pilot perfekt auf einen späten Bremspunkt und die ideale Linie beim Einlenken konzentrieren.
Doch das setzt zuverlässiges Arbeiten der Technik voraus. Und daran hakt es leider noch etwas. Denn von vier getesteten Maschinen funktionierten nur zwei anstandslos, bei den anderen Bikes glückte das halbautomatische Herunterschalten nur manchmal oder gar nicht. Auch das Ride-by-Wire wirft Fragen auf. Mitunter schiebt der Motor trotz komplett geschlossenem Gasgriff minimal nach. Außerdem gelingt gefühlvolles Gasanlegen am Kurvenausgang nicht immer, da die Fuhre teils ruckartig losprescht, teils leicht verzögert auf Gasbefehle reagiert. Und die Traktionskontrolle könnte zumindest bei den früh eingreifenden Stufen (sechs bis acht) noch etwas feiner regeln. Dazu passt, dass die Italiener die Wheelie-Kontrolle für die Präsentation erst gar nicht aktivierten. Wie zu hören war, arbeitet sie noch etwas zu ruppig. Offenbar hat MV große Mühe, die vielen Parameter der komplexen Elektronik unter einen Hut zu bringen und berechenbar anzubieten.
Erfreulicheres gibt es dagegen vom Motor zu berichten. Denn die Techniker implantierten das kurzhubige Power-Aggregat „Corsacorte“ aus der Edelvariante „RR“ in die herkömmliche „R“ und ins erstmals erhältliche Basismodell F4. Damit führt MV nun drei Varianten des Superbikes im Programm: F4, F4 R, F4 RR. An Power hat es dem Superbike ja noch nie gemangelt, sein Motor zählte schon immer zu den stärksten des Planeten. Das gilt selbstverständlich auch für den Corsacorte-Treibsatz. Muntere 195 Ponys befeuern die F4 und bilden beim fröhlichen Brennen immer wieder diesen herrlichen Mix aus ungläubigem Staunen und breitem Grinsen - Forza, MV!
Obwohl erst seit Ende 2011 im Einsatz, modifizierten die MVler den Antrieb für dieses Jahr umfassend: speziell beschichtete Kolben für höhere Festigkeit, weniger Reibung der Kolbenringe, um einen Millimeter auf 50 mm gewachsene Drosselklappen, modifizierte Ansaugkanäle, überarbeitete variable Ansaugtrichter, geänderter Ölkreislauf, höhere Kühlereffizienz. An der Laufkultur änderte sich dadurch aber leider nichts. Wie gewohnt läuft der Antrieb sehr rau und vibriert ausgeprägt. Auch das unverändert hakige Getriebe verlangt nach wie vor einen beherzten Schaltfuß.
Der größte Fortschritt gelang MV ganz klar beim Fahrwerk. Trotz unveränderter Geometrie sticht die F4 nun überraschend easy in die Ecken ohne auch nur ein Quäntchen ihrer legendären Kurvenstabilität zu opfern. Der neue, flexiblere Hauptrahmen, die leichteren Räder mit geringerem Massenträgheitsmoment und die neu abgestimmten Federelemente machen aus der ehemals störrischen Diva eine fast schon leichtfüßige Kurven-Ballerina. Auch die deutlich kompaktere Sitzposition passt hervorragend fürs Kurvenwetzen. Weniger gefällt uns dagegen die leichte Unruhe im Vorderbau, der beim ultraharten Bremsen wie beispielsweise nach der Start/Ziel-Geraden in Valencia in geringe horizontale Schwingungen gerät. Ein erstes Zeichen für Gabelrattern? Hoffentlich nicht! Bei künftigen Tests beobachten wir diese Eigenart sehr genau.
Überwältigend sind Präzision und Rückmeldung, mit denen die Italienerin um die Radien pfeilt. In diesen Disziplinen sucht sie tatsächlich Ihresgleichen. Allerdings entpuppt sich die MV als wahre Reifenfresserin. Nach spätestens drei Turns à 20 Minuten ist der hintere Reifen derart aufgearbeitet, dass ein Wechsel ansteht. Ob es an dem Bike selbst, den neuen Pirelli Diablo Supercorsa SP in SC2-Mischung und 200er-Format, den kühlen Temperaturen (Luft: zirka zehn Grad) oder dem nagelneuen Asphalt der südspanischen Piste liegt, können wir nicht mit letzter Gewissheit sagen. Klar ist aber: Auch diese Eigenheit werden wir genau beobachten.
Eitel Sonnenschein herrscht dagegen bei den Bremsen. Sie beißen wie Hölle, sind hervorragend dosierbar, sehr transparent und äußerst standfest. Ein ABS bietet die F4 leider nicht, das System ist aber für die nahe Zukunft fest eingeplant. Und was macht das Kopfkino? Die Faszination MV bleibt. Und allmählich verschwimmen die Bilder einiger früherer Unzulänglichkeiten wie das störrische Handling oder die veraltete Sitzposition. Dafür schleichen sich neue ein. Hoffentlich nur für kurze Zeit!
PS-Urteil
Die F4 wirkt noch unausgereift. Vor allem um die komplexe neue Elektronik muss sich MV dringend kümmern. Abgesehen davon ist das überarbeitete Superbike nach einer gewissen Eingewöhnungszeit ein pfeilschnelles Renneisen. Erfreulicherweise nun auch ein recht handliches. Wenn die Italiener die erwähnten Schwächen beseitigen und dazu noch ein ABS entwickeln, sind sie ganz vorn dabei.
Bevor wir auf die Edelvariante F4 RR eingehen, hier zunächst die Unterschiede zwischen der Basismaschine F4 und der etwas gehobenen Version F4 R: In der „R“ arbeitet statt des Sachs-Federbeins das TTX 36 von Öhlins. Außerdem rollt sie statt auf gegossenen Rädern auf filigranen, sehr attraktiven Schmiederädern. Dazu trägt die noblere Variante stolz das Kürzel „R“ auf der Seitenverkleidung. Preislich liegen zwischen ihr und der Basis-F4 2300 Euro (19290 zu 16990 Euro, jeweils zuzüglich Nebenkosten).
Noch feiner ausgestattet rollt die „RR“ an den Start. Auch sie trägt die edlen Schmiederäder und auch ihr Kürzel prangt auf der Seitenverkleidung. In die Bremsscheiben der Doppel-R beißen Brembo M50-Sättel, die jüngste Monoblock-Generation des Herstellers. Aus gleichem Haus stammt die radiale Bremspumpe. Die beiden anderen Modelle ankern mit den etwas älteren M4-Sätteln und einer Nissin-Bremspumpe. Fahrwerkseitig sticht bei der RR aber besonders das elektronische Öhlins-Fahrwerk hervor. Statt mit Werkzeug lässt sich die Dämpfung über eine Schaltereinheit am Lenker einstellen. Als Basis-Setup greift das System bei den unterschiedlichen Fahrmodi „Rain“, „Normal“ und „Sport“ auf voreingestellte Werte zurück. Ein semi-aktives Fahrwerk hat die F4 RR aber nicht. Dafür bietet sie jeweils zwei Positionen des Lenkkopfwinkels und des Schwingendrehpunkts. Serienmäßig liegt dieser drei Millimeter höher als bei der F4 und der F4 R.
Auch motorseitig hebt sich die Edelvariante hervor. So arbeiten vorerst nur in dem RR-Antrieb einzelne statt zwei Ventilfedern. Außerdem führen nur bei ihr leichte Titanpleuel die Kolben auf und ab. Dadurch konnte MV das Gewicht der Kurbelwelle um zwei Prozent und deren Massenträgheitsmoment gar um fünf Prozent senken. Dieses Paket erlaubt um 300/min auf 14000/min gestiegene Drehzahlen, was der RR 201 PS und damit sechs zusätzliche Ponys beschert. Zwar wirkt die Basis-F4 bei höheren Drehzahlen alles andere als müde, doch den Extra-Punch der RR spürt der Pilot überdeutlich. Allerdings rührt sie bei voll geöffneter Brause teils nervös mit dem Lenker, was das Vertrauen in die Fahrstabilität etwas schmälert. Sehr wahrscheinlich lässt sich diese Eigenart aber mit einem straffer eingestellten Lenkungsdämpfer beheben.
Erstaunlicherweise fühlt der RR-Treiber beim Fahrverhalten sonst keine signifikanten Unterschiede zur bereits sehr guten Basisvariante. Zumindest nicht auf der topfebenen Piste von Valencia. Ob sich der Mehrpreis der Doppel-R von 7300 Euro (24290 Euro) in besserer Performance und niedrigeren Rundenzeiten auswirkt, muss ein gesonderter Vergleichstest zeigen.
PS-Daten MV Agusta F4 (F4 RR)
Antrieb
Vierzylinder-Reihenmotor, 4 Ventile/Zylinder, 143,5 kW (195 PS) bei 13400/min*, [148 kW - 201 PS bei 13 600/min]*, 111 Nm bei 9600/min*, 998 cm3, Bohrung/Hub: 79,0/50,9 mm, Verdichtung: 13,4:1, Zünd-/Einspritzanlage, 50-mm-Drosselklappen, hydraulisch betätigte Mehrscheiben-Ölbad-Anti-Hopping-Kupplung, Sechsganggetriebe, Kette
Fahrwerk
Stahl-Gitterrohrrahmen, Lenkkopfwinkel: 66,5 Grad, Nachlauf: 100 mm, Radstand: 1430 mm, Ø Gabelinnenrohr: 50 mm [43 mm], Federweg v./h.: 120/120 mm
Räder und Bremsen
Leichtmetall-Gussräder [Leichtmetall-Schmiederäder], 3.50 x 17/6.00 x 17, Reifen vorn: 120/70 ZR 17, hinten: 200/55 ZR 17, 320-mm-Doppelscheibenbremse mit Vierkolben-Festsätteln vorn, 210-mm-Einzelscheibe mit Vierkolben-Festsattel hinten
Gewicht (trocken)
191 kg* [190 kg*] Tankinhalt: 17 Liter Super
Grundpreis
16990 Euro [24 290 Euro] (zzgl. NK)*
*Herstellerangaben