Test Aprilia RS 250
Eine Frage des Takts

Schnelle Straßenmotorräder mit Zweitaktmotor? Da gibt es nur noch die kleine Aprilia. Und auch die muss spätenstens im Juli 2004 in den Ruhestand geschickt werden. Ganz schön taktlos.

Die ganze Zeit über juckte es in den Fingern. Doch es war Beherrschung geboten. Schließlich sollte der Test mit einem serienmäßigen Motorrad gefahren werden. Eines Abends aber waren die Meß-, Test-, und Impressionsfahrten abgeschlossen, endlich konnte der Schraubenschlüssel angesetzt werden. Umdrehen des originalen Schaltschemas fürs fröhliche Nachbrennen war angesagt. Bei der Aprilia RS 250 muss lediglich der kleine Hebel am Getriebeausgang nach oben gedreht, die Position des Schalthebels in der richtigen Höhe justiert werden.
Warum das alles? Ganz einfach. Nur wenn von oben nach unten hochgeschaltet wird, kann man die Gänge mit der Schnelligkeit nachdrücken, die zur Sektkorken-Charakteristik der RS 250 paßt. Zwischen 5000 und 7000/min zeigen sich Ansätze von Leistungsbereitschaft. Hier kann die Aprilia im Verkehr mitdümpeln, in den unteren Gängen sogar fühlbar Tempo zulegen. Jeder Gedanke an ernsthaftes Beschleunigen würde jedoch mindestens zweimaliges Zurückschalten nötig machen. Dann ist da noch bei 8000/min einen kleiner Einbruch zu überwinden. Doch bei 9000/min macht es plötzlich mooooaaaahap, wie ein Korken knallen viele PS aus den kleinen Brennräumen. Knapp über 11000/min ist alles schon wieder vorbei, doch wenn rechtzeitig mit einem Zehntelsekunden-Zucken der nächste Gang nachgeladen wird, lässt sich das Korkenknallen ein paar Mal wiederholen. Der kleine Schaltblitz im Cockpit ist da sehr hilfreich. Bis eine nahende Kurve oder im schlechtesten Fall ein Vierradler im Zuckeltrab die ganze Spritzigkeit wieder in die Flasche zurückdrängen. Also die Getriebestufen wieder runtersteigen, einlenken oder hinterherzuckeln, auf den richtigen Moment warten, und noch mal das Ganze. Ein hochgradig aufregender Genuß und keiner, der leicht oder billig zu haben ist. Aber ein Genuß allemal.
Egal nach welchem Schema sie schalten, RS-Neulinge brauchen Zeit, um der ständigen Forderung nach der optimalen Drehzahl gerecht zu werden, die Stufung des Getriebes zu verinnerlichen. Erst dann können sie anhand des Streckenbilds vor ihnen halbwegs einschätzen, welcher Gang gebraucht wird. Dass der Erste eher kurz ausgelegt wurde, der Sprung zu den beiden nächsten groß ausfällt, hilft zwar beim Anfahren, erleichtert die Wahl der richtigen Fahrstufe aber nicht gerade. Zumal die Gesamtübersetzung - wohl wegen der Geräuschmessungen - zu lang ist, wodurch die vorteilhaft eng gestuften Gänge fünf und sechs in einen auf der Landstraße kaum noch nutzbaren Tempobereich verschoben werden. Klingt kompliziert und ist es auch. Doch es muss einfach erwähnt werden, damit deutlich wird, welche Klimmzüge nötig sind, um ein so spitzes Gerät für den öffentlichen Verkehr zuzulassen. Dass die RS 250 im Sinne der Alltagstauglichkeit kein gutes Motorrad sein kann, dürfte damit klar sein. Wer sich auf sie einlässt, sie mit der nötigen Präzision zu fahren versteht, kann gerade deshalb sehr glücklich mit ihr werden. Das muss nicht einmal von Anfang an so sein. Denn die Aprilia ist ein tolles Schulungsmotorrad, das seine Piloten zur Konzentration und zum sauberen Fahren erzieht.
Und sie dafür reich belohnt. Den von der Suzuki RGV 250 stammenden Zweitaktmotor der Aprilia auf seine Leistung, seine spitze Charakteristik und seinen exorbitant hohen Verbrauch an Benzin und Öl zu reduzieren, wäre nämlich grob unfair. Ein Zweitakter ist schließlich immer ein Motor mit eingebauter Anti-Hopping-Kupplung. Sein geringes Bremsmoment im Schiebebetrieb garantiert selbst bei ganz späten Bremsmanövern unbeschwertes Zurückschalten. Einkuppeln ist noch in Schräglage möglich, ohne dass gleich das Hinterrad wegen der Motorbremse wegrutscht oder ins Stempeln gerät. Dieser trockene technische Sachverhalt macht die Aprilia im Kurveneingang pfeilschnell und den Fahrer regelrecht übermütig. Der viel gebrauchte Ausdruck »messerscharfes Handling« passt hier dank des Motors so gut wie sonst nie.
Auch im weiteren Verlauf der Kurve glänzt der Zweitakter durch Geschmeidigkeit. Praktisch ohne Lastwechselschlag, ohne störende Einflüsse aufs Fahrwerk gelingt der schnelle Übergang vom Schiebe- in den Lastbetrieb, und wenn die Drehzahl passt, schnalzt die RS 250 aus der Kurve mit eleganter Leichtigkeit. Dabei behält der Pilot den Kopf frei fürs Wesentliche: den Blick für die Linie, das Gefühl für Schräglage und Reifenhaftung. Ein Kollege, der mit der 250er-Aprilia sein Zweitakt-Debüt feierte, war beeindruckt: »Du kannst reinpfeffern ins Eck und dann immer noch jede Linie fahren, die dir einfällt. Du brauchst nur zu gucken, wo du hin willst, und die Kleine ist schon dort. Kein Wunder fegen die Dinger so rotzfrech auf der Rennstrecke rum.« Tja, denken Leute mit Zweitakt-Erfahrung, und wenn dann noch die Übersetzung angepasst würde ...
Damit niemand glaubt, die Kurventüchtigkeit der Aprilia ließe sich mit einer handlingfreundlichen Fahrwerksgeometrie für ein Viertakt-Motorrad einfach nachbauen, ein Blick auf ihre Daten: Lenkkopfwinkel 64,5 Grad – nicht besonders steil. Nachlauf 102 Millimeter – eher lang. Radstand 1360 Millimeter – auch nur drei Zentimeterchen kürzer als bei den kürzesten 1000ern. Eine erzkonservative, stabilitätsfördernde Geometrie. Die Handlichkeit der Aprilia besteht also zu einem guten Teil aus Zweitakt-Magie – daraus, wie gut dieses Antriebskonzept zu den Abläufen beim Motorradfahren passt. Natürlich kombiniert mit einem schmalen Hinterradreifen der Dimension 150/60 ZR 17 und einem 120/60er vorn. Der Vorderreifen hinterließ allerdings wieder einen zwiespältigen Eindruck. Wie erst vor Kurzem bei der Yamaha YZF-R6 beobachtet (MOTORRAD 9/2002), gibt er auch bei der Aprilia Stöße sehr ungehobelt weiter. Das Vorderrad springt stärker als bei Reifen mit höherem Querschnitt, und den Handlingvorteil des 120/60ers braucht die Aprilia genauso wenig wie die Yamaha.
Wenn von der Handlichkeit der RS 250 die Rede ist, darf selbstverständlich ihr Leichtgewicht von 167 Kilogramm vollgetankt nicht unerwähnt bleiben. Dabei wurde der Leichtbau noch nicht einmal ins Extrem getrieben. Denn abgesehen von den ganzen Anbauteilen, die für den Straßenbetrieb nötig sind, abgesehen auch vom 19 Liter fassenden Tank trägt die Aprilia ziemlich solide Teile. Die Gabel, der Alubrückenrahmen oder die Schwinge wirken für eine 250er schon fast übermäßig stabil. Aber was soll´s, man sieht sie gerne, die stämmigen Achsklemmungen und voluminösen Leichtmetallprofile. Zumal auch deren fein polierte Oberflächen und gleichmäßige Schweißraupen dem Auge schmeicheln. Ohnehin präsentiert sich die RS 250 bei all ihrer Agilität und schlanken Gestalt als ausgewachsenes Motorrad. Zu einem ausgewachsenen, angesichts der Ausstattung aber nachvollziehbaren Preis. Nicht einmal große Piloten bekommen das Gefühl, sich auf einem Spielzeugmoped ungebührlich stark zusammenfalten zu müssen. Die Aprilia-Philosophie, ausladende Verkleidungen zu bauen, ist schon bei den 250er GP-Rennern zu beobachten; sie zieht sich durch bis zur RS 250. Mit der stark gewölbten Scheibe obendrauf ist ordentlicher Windschutz garantiert.
Bleibt die Frage nach der Zuverlässigkeit des hochgezüchteten Zweitakt-Geräts. Im Prinzip bestens, aber... Ja, die alte Geschichte. Die Schieber der Auslasssteuerung sind noch immer empfindlich. Wenn die Nut des mittleren Segments in Längsrichtung etwas aufgeweitet wird, rutscht das scharfkantige Teil in den Zylinder hinein und verursacht sofort einen Motorschaden. Wer die Nut regelmäßig kontrolliert, kann mit dem mechanisch robusten Suzuki-Triebwerk in der Aprilia aber etliche 10000 Kilometer zurücklegen. Am meisten machen dem Zweitakter sowieso seine Schadstoffemissionen zu schaffen. Ihretwegen wird die unvernünftig-faszinierende Aprilia nicht mehr zulassungsfähig sein, wenn die Euro-2-Norm ab 1. Juli 2004 für alle Neufahrzeuge, auch solche mit älterer Homologation, verbindlich wird.
An diesen Tag will ich gar nicht denken. Jetzt ist Feierabend, es winkt ein prickelnder Heimweg-Test mit umgedrehtem Schaltschema. Vielleicht kann ich mich ja für die Zweitakt-Rätschen-Ausfahrt meines Kollegen Werner Koch qualifizieren.

Unsere Highlights

Modellhistorie - Aprilia RS 250

Am Anfang war die Suzuki RGV 250. Sie kam 1990 mit sensationell starkem Motor, fast GP-tauglicher Sportlichkeit und passendem Aussehen. Ein Jahr später bekam die schnelle Kleine ein noch rasanteres Outfit, der wassergekühlte V-Zwei-Zweitakter wurde mit Oberflächen-Katalysatoren an strengere Abgas-Grenzwerte angepasst. Dank größerer Vergaser (34 statt 32 Millimeter) und überarbeiteter Überströmkanäle gelang gar ein Leistungszuwachs auf 61 PS. Diesen Motor lieferte Suzuki an Aprilia; abgesehen von neuen Kats und geringen Änderungen der Vergaserbestückung blieb er gleich und treibt die RS 250 bis heute an. Viel edler als bei der RGV sind Fahr- und Beiwerk der kleinen Aprilia. Erst recht seit 1998, als die RS viele Teile von der RSV mille bekommen hat. Man beachte nur die Bremsen, das Cockpit oder Gabel und Federbein.

Technische Daten - Aprilia RS 250

APRILIA RS 250MotorWassergekühlter Zweizylinder-Zweitakt-90-Grad-V-Motor, Kurbelwelle querliegend, Membraneneinlaß ins Kurbelgehäuse, Auslaßsteuerung über elektronisch betätigten Schieber, Getrenntschmierung, Mikuni-Flachschiebervergaser, Ø 34 mm, kontaktlose Kondensatorzündung (CDI), ungeregelter Katalysator, Kickstarter.Bohrung x Hub 56 x 50,6 mmHubraum 249 cm³Nennleistung 40 kW (55 PS) bei 11 000/minMax. Drehmoment 35 Nm (3,6 kpm) bei 10 750/minSchadstoffwerte (Homologation) CO 17,42 g/km, HC 2,80 g/km, NOx 0,01 g/kmKraftübertragungMechanisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Sechsganggetriebe, O-Ring-Kette.FahrwerkBrückenrahmen aus Aluprofilen, geschraubte Unterzüge, Upside-down-Gabel, Gleitrohrdurchmesser 41 mm, verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, Zweiarmschwinge aus Aluprofilen, Monofederbein, verstellbare Federbasis, Zug- und Druckstufendämpfung, Doppelscheibenbremse vorn, Vierkolbensättel, schwimmend gelagerte Bremsscheiben, Ø 298 mm, Scheibenbremse hinten, Ø 220 mm Zweikolbensattel.Reifen 110/70 VR 17 oder 120/60 VR 17; 150/60 VR 17Bereifung im Test Dunlop Sportmax D 207/F/207; 120/60 ZR 17, 150/70 ZR 17FahrwerksdatenLenkkopfwinkel 64,5 Grad, Nachlauf 102 mm, Radstand 1360 mm, Federweg v/h 120/130 mm.Garantie zwei Jahre ohne KilometerbegrenzungFarben Schwarz/Silber, Rot/BlauPreis inkl. MwSt. und Nebenkosten 7 199 EuroMOTORRAD-MessungenFahrleistungen1Höchstgeschwindigkeit Solo* 190 km/hBeschleunigung Solo0 – 100 km/h 4,7 sek0 – 140 km/h 9,0 sek0 – 180 km/h 18,0 sekDurchzug Solo60 - 100 km/h 15,5 sek100 – 140 km/h 13,9 sekKraftstoffart SuperVerbrauch im TestLandstraße 7,5 Liter/100 kmTheor. Reichweite 253 kmÖlverbrauch 1,9 Liter auf 1000 kmMaße und GewichteL/B/H 1990/830/1170 mmSitzhöhe 800 mmGewicht vollgetankt 167 kgZulässiges Gesamtgewicht* 357 kgTankinhalt/Reserve* 19/3,5 Liter* Herstellerangaben1Messbedingungen: Temperatur 15 Grad, leichter Seitenwind, Messort Jagsttal; 2Leistung an der Kupplung, Messung auf Dynojet-Rollenprüfstand 150, korrigiert nach ECE, maximal mögliche Abweichung +/- 5%

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MOTORRAD 20 / 2023

Erscheinungsdatum 15.09.2023