Ein Blick zurück: Mitte November präsentierte Kawasaki im italienischen Misano die überarbeitete ZX-9R. Alles ein bisschen besser, ein bisschen stärker, ein bisschen schneller, ein bisschen haltbarer, so hatte man sich die Modellpflege vorgestellt. Pustekuchen. Lange Gesichter bei den Testfahrern der Fachpresse, düstere Mienen bei den deutschen Kawasaki-Technikern. Die neue Ninja litt an einem je nach Fahrweise mehr oder weniger starken Gabelflattern beim Bremsen, bei dem die Gabelholme mit hoher Frequenz in horizontaler Richtung vor- und zurückschwingen.
Henning Schrader, Kawasaki-Produkt-Manager und ganz privat Freizeit-Rennfahrer, natürlich auf ZX-9R, macht sich bereits wenige Tage später mit seinen Technikern auf zur Ursachenforschung. Anfang Dezember dann die unerwartete Entwarnung aus Japan: Alles okay, keine Probleme erkennbar, die Auslieferung der ZX-9R an Händler und Fachpresse rollt an.
Während Mitteleuropa im Schnee versinkt, bugsiert die MOTORRAD-Testmannschaft im warmen Spanien die neue Ninja aus dem Transporter. Der Fotograf strahlt mit dem Planet um die Wette: »Die Sonne lacht, nimm Blende acht.« Minuten später rattern die Filme nur so durch: Kawa von oben, von unten, Kawa schräg, Kawa im Gebirge, am Meer, Kawa nackt und in Plastik. Alles im Kasten, der Fotograf im Sonnenstuhl und die Kawasaki ab sofort im Härtetest.
Landstraßen in Spanien - ein Gedicht. Weg von der Küste, in weiten Schwüngen hinauf ins Gebirge. Der griffige Asphalt zeigt den Michelin Pilot Sport die Zähne, krallt die Ninja schier unverrückbar auf die Erde. Doch das funktioniert nur, wenn die französischen Pneus warm gefahren sind, kalt kippeln sie etwas planlos durch die Landschaft und laufen verliebt der einen oder anderen Spurrille nach. Aber warm sind die Gummis im Handumdrehen. Und das ist wortwörtlich gemeint. Weil die Bärenkraft aus vier Zylindern schon kurz nach Standgasdrehzahl zur Stelle ist und sich ab 8000/min anschickt, dir die Schultern auszukugeln. Alles, was darüber hinaus geht, lassen wir auf der Landstraße der Gesundheit zuliebe einfach mal stecken. Die Zeit dafür wird schon noch kommen.
Das leichte Rucken beim Lastwechsel stellt sich in erster Linie als Problem von zu großem Spiel im Gaszug heraus. Auf fast null Spiel nachreguliert, reduziert sich der abrupte Leistungseinsatz mit gefühlvollem Händchen auf ein Minimum. Schaltung und Antrieb werkeln wie gehabt anstandslos vor sich hin. Nicht der Rede wert also.
Wie bereits vom 1999er-Modell bekannt, biegt auch die Neue federleicht um die Ecken, legt sich, mir nichts, dir nichts, von einer Schräglage in die andere. Erstklassiges Handling macht nicht nur Spaß, sondern hilft auch, ungeschoren davonzukommen. Zum Beispiel dann, wenn die hundsgemeine Straßenbiegung noch weiter zumacht, als man dachte, und sich der Mittelstreifen unter die Räder schieben will. Ein kräftiger Schenkeldruck am Tank, leichter Zug am Lenker, und schwups, fädelt sich ZX-9R auf der korrekten Fahrspur wieder ein. Danke schön. Nur die Sache mit dem Aufstellmoment beim Bremsen, die ist nicht fair. Weil auch Testprofis manchmal in Gedanken schwelgen und nervös zusammenzucken, wenn sich die Kawasaki beim Bremsmanöver in Schräglage über den Acker machen will. Das ist ebenfalls wörtlich zu nehmen.
Wellen, Löcher, Flickenteppiche, macht alles nix, die Ninja kann das, bügelt butterweich über noch nicht EU-subventionierte Nebenstraßen, sprich: asphaltierte Feldwege. Oder war da noch was? Genau, schier ungebremst schnellt das Heck aus den tiefen Bodenwellen, schafft Unruhe, nickt nach. Schraubenzieher aus dem Stiefelschaft gezogen. Klick, klick klick, Zugstufe am Federbein zudreht. Doch man staunt, zuerst ändert sich gar nix, zwei Klicks später hängt die Hinterhand zäh in der Dämpfung fest. Schon etwas fragwürdig, wenn von 25 Klicks nur drei nutzbar sind. Stimmt die Einstellung, gibts auf der Landstraße nur noch ein Problem. Man traut sich´s fast nicht mehr auszusprechen. GABELFLATTERN. »Kennen wir nicht, dieses Problem«, sagt der Japaner. Na ja, vielleicht sind die europäischen Großnasen einfach nur zu blöd. Und tatsächlich, wenn der Reiter die im Übrigen exzellenten Bremsen mit Sechskolbenzangen sanft anlegt und erst dann kräftig zupackt, wenn die Gabel nahezu komplett eingetaucht ist, dringt nur noch ein sanftes Zittern in die Lenkerstummeln. Bremsen nach Handbuch also? Scherz beiseite und nachgedacht. Vermutung Nummer eins: Die scharfkantigen Bohrungen in den Bremsscheiben könnten Auslöser für ein aggressives, unregelmäßiges Verbeißen der Beläge sein. In Fleißarbeit entgratete 140 Bremsscheibenlöcher bringen jedoch keine Besserung. Genauso wenig wie Fahrversuche mit allen erdenklichen Dämpfungseinstellungen und durchgesteckten Gabelholmen zur Verringerung des Biegemoments der Gabelstandrohre. Reifenluftdruck rauf und runter: keine Reaktion. Mist, und für morgen war knackiges Rennstreckenheizen angesagt.
Sonne, kein Wind und die Rennstrecke von Calafat von morgens neun bis abends fünf. Einrollen, keine Eile, schöne Bögen, weiche Linien. Geht klasse mit der Ninja. Schräg und schnell geht mindestens genauso gut, weil die Ninja exakt dorthin fährt, wo man sie haben will. Eigentlich ein spitzen Motorrad.
So, und jetzt alle vier Gasschieber auf Anschlag! Kurzes Röcheln. Schieber hoch, verdammt noch mal! Mit verzögertem Ansprechen leider, aber dann ohne Gnade. 148 Pferde sorgen für akute Atemnot beim Reiter mit anschließendem Tunnelblick. Sehr, sehr schnell das Ganze, eigentlich kein richtiger Spaß mehr, fast schon ein bisschen stressig. Auch wenn die Ninja bolzstabil bis Topspeed die Spur hält und selbst auf Wellblechpisten nur ansatzweise mit dem Lenker zuckt, braucht der Vollgasritt ganze Kerle mit mindesten sieben Sinnen.
Gehts in den Umkehrschub, ist Schluss mit lustig, denn kaum auf der Bremse, und die ist nach dem Vollgas-Sprint relativ wichtig, schüttelt sich die gesamte Frontpartie. Je nach Streckenabschnitt und Bremskraft unterschiedlich stark, vom dezenten, kaum spürbaren Zittern bis zum brutalen Bremsstempeln reicht das Repertoire, bei dem vom Vorderrad über die Scheinwerfer bis zu den Rückspiegeln alles schüttelt und bebt. Bei Bremsmanövern auf der letzten Rille kämpft der eilige Reiter zudem mit der Reifenhaftung des stempelnde Vorderrads und stellt sich die Frage: Einbiegen oder lieber gleich ins Kiesbett ablegen? Doch selbst in solchen verworrenen Lebenslagen weist uns der Japaner mit einer klugen, westlich-bürokratischen Weisheit den richtigen Weg. »Der Fahrzeugführer darf nur so schnell fahren, dass er sein Fahrzeug ständig beherrscht« (StZVo § 3.1 und aktuelle Kawasaki-Werbung für die ZX-9R). Und wo er Recht hat, hat er Recht, der Japaner. Doch was bleibt den Kawasaki-Fans fürs Jahr 2000? Die Hoffnung, dass die eifrigen Testarbeiten des deutschen Importeurs bald Früchte tragen und die Kawasaki-Techniker eine solide Modifikation nachschieben.
Vergleich ZX-9R Modell 1999 gegen 2000
Nichts interessiert den ZX-9R-Piloten mehr als die Frage: Ist die Neue spürbar besser? Also packte MOTORRAD eine 1999er-Ninja in den Transporter und klärt die Frage im direkten Vergleich.Die Sitzposition auf der »Alten« fühlt sich eine Spur kompakter und bequemer an. Ursachen: die um rund 20 Millimeter schmaleren, etwas höher montierten Lenkerstummel und das flächige, sehr angenehme Sitzpolster. Das Sitzkissen der Neuen ist leicht gewölbt und vermittelt durch seine weichere Polsterung weniger Kontakt zum Motorrad.Die Neue vibriert aufgrund der teilweise elastischen Motorlagerung spürbar weniger in allen Drehzahlbereichen, wirkt dadurch subjektiv kultivierter und leiser. In Sachen Handling und Kurvenstabilität ließen sich trotz des 190er-Reifens der neuen ZX-9R kaum Unterschiede herausfahren. Beide Testmaschinen standen auf den überaus handlichen Michelin Pilot Sport, die, erst einmal warmgefahren, brillant ums Eck brechen, sich aber beim Bremsen in Schräglage kräftig aufstellen. Die »Alte« neigt im Ansatz auf der Rennstrecke zwar gelegentlich zu leichtem Gabelflattern, das aber sehr schnell abklingt und kaum störend auftritt. Der Federungskomfort der Neuen ist zwar auf Holperpisten besser, die Rückmeldung an den Fahrer durch die strafferer Dämpfung von Gabel und Federbein beim 1999er-Modell jedoch klarer.6. Auf dem Leistungsprüfstand rennt die Neue der Alten im direkten Vergleich gnadenlos davon. Nicht nur die Spitzenleistung, auch in Sachen Drehmoment ist der modifizierte Motor des 2000er-Modells überlegen (siehe Leistungsdiagramm Seite 27).Beim Lichttest strahlen die großflächigen Doppelscheinwerfer der 2000er-Ninja speziell bei Fernlicht deutlich heller und mit besserer Seitenrandausleuchtung.