Tracktest: Renn-Triumph
Triumph als Rennversion

Ob in der Supersport-Weltmeisterschaft oder in Cup-Rennen - die britischen Dreizylinder setzen sich stets klangstark in Szene. Doch das ist nur einer ihrer Vorzüge, wie Redakteur Ralf Schneider bei einer exklusiven Probefahrt in Valencia erfahren hat.

Triumph als Rennversion
Foto: Triumph

Chaz Davies, ein junger Waliser, ist der Stammpilot dieser Daytona 675 in der Supersport-WM, und er hat die Ruhe weg. Schaut ab und zu vorbei, beantwortet kurz ein paar Fragen, lächelt unbestimmt, geht wieder. Man merkt, wie er sich jetzt schon konzentriert auf seine eigene Testfahrt am Nachmittag, der ersten mit diesem Motorrad hier in Valencia.

In der Box des BE1-Teams herrscht ständige Bewegung. Reichlich vorhandene Nervosität wird großzügig weitergegeben. Ob ich eine Rennlizenz hätte oder wenigstens eine Unfallversicherung? Den Motor solle ich schonen, nicht zu hoch drehen, sagt der eine. Der andere warnt vor untertouriger Fahrweise. Die Zündkerzen, sie könnten "zugehen". Ob ich auch wirklich mit dem umgedrehten Schaltschema zurechtkomme? Beim Anfahren solle ich nur ganz kurz die Kupplung schleifen lassen. Und die Reifen seien zwar vorgeheizt, aber die erste Rechtskurve nach fünf Links ... Halt, noch schnell den Kühler abkleben. Und das mit dem Schaltschema ...

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Ich bin dann mal weg. Jetzt spricht nur noch die Daytona mit mir. Für den, der sie fährt, klingt sie leiser als für Außenstehende, besitzt zwar immer noch ein kräftige Stimme, aber ein angenehmes Timbre. Das Alles-was-geht-Tuning, das für die Supersport-WM sein muss, hat dem Dreizylinder einen markanten Anstieg von Leistung und Drehmoment beschert, der irgendwo bei 7000 bis 8000/min liegen muss, vielleicht auch noch höher. Wo genau, kann ich nicht sagen, vom Drehzahlmesser habe ich nur die Schaltblitze wahrgenommen.

Unterhalb des Knicks ist der Bereich für die Boxengasse, oberhalb für die Strecke, doch in der ersten Runde halte ich diese Trennung nicht ein. Und prompt schnappt mir in dem kurzen Bergaufstück eingangs der langen Linkskurve, der vorletzten der Runde, beim Schräglagenwechsel das Vorderrad nach oben. In meinem rechten Augenwinkel lässt ein Fotograf vor Schreck die Kamera sinken. Schade, wieder kein Wheeliefoto. Gas zu, das Vorderrad tupft auf und es geht weiter. Die Erklärung für den Vorderradschnapper gibt hinterher Chaz’ Mechaniker. "Wenn Du die Schwelle von unten her überfährst, baut unser Motor sehr rasch sehr viel Drehmoment auf. Die Jungs drehen höher und übersetzen das Motorrad so, dass sie in heiklen Passagen immer auf dem abfallenden Teil der Drehmomentkurve unterwegs sind."

Triumph
Die WM-Daytona fährt mit der Präzision eines Zirkelschlags.

Zum Glück ist Chaz 1,82 Meter hoch aufgeschossen. Das ist ziemlich genau auch meine Größe, und dieser Umstand beschert mir eine angenehme Sitzposition auf seinem Motorrad. Nach rennsportlichen Maßstäben. Eine Standard-Daytona trägt die Lenkerhälften ziemlich tief; die WM-Maschine scheint ihrem Fahrer sogar ein wenig weiter entgegenzukommen. Vielleicht liegt das auch an der Abstimmung, die das Bike vom Auftaktrennen im australischen Philip Island behalten hat. "Wir haben alles ausprobiert", beschreibt er den schweren Weg zu Platz zwölf und verdreht die Augen. "Federn, Dämpfung, Balance, Hebel - das ganze Programm. Ich hab’s nicht so hingekriegt, wie ich wollte. Am Ende haben wir sie ziemlich hart gemacht, vor allem vorn. So konnte ich wenigstens in den schnellen "turn number one" richtig reinhalten. Da kann man viel Zeit gutmachen."

Das kann ich nachvollziehen, aber kaum nutzen. Nachvollziehen deshalb, weil ich deutlich schwerer bin als der schlaksige Mr. Davies und mir die Gabel trotzdem jede Bodenwelle einzeln in die Handgelenke diktiert. Kaum nutzen, weil ich sowieso kein Held auf der Bremse bin und der gute Chaz beim Hineinbremsen in die berüchtigte Bergab-Rechts von Phillip Island offenbar die Bremsscheiben ausgeglüht hat. Denn beim Anbremsen von Kurve Nummer eins in Valencia rubbelt und pulst es da vorn ziemlich kernig. Berechenbar ist anders, also bremse ich lieber leicht und früh. Das rundet die Linie und erklärt, warum der Spion an der Gabel auf dem Aufmacherfoto noch reichlich Restfederweg anzeigt.

Und es lockert die Spannung. Nebenbei geht mir auf, wie wunderbar ich es gerade habe. Es fühlt sich einfach herrlich an, mit einem solchen Hochkaräter herumzucruisen, zu spüren, wie fulminant er mit seinen knapp 150 PS und rund 170 kg beschleunigt, eine Ahnung davon zu kriegen, welch enormen Grip ein WM-tauglicher Reifen aufbaut. Ohne den Druck, in dieser zwar nur spärlich besetzten, aber extrem zugespitzten Rennserie Erfolg haben zu müssen. Zwar gehört es zur Dramaturgie einer solchen "Testfahrt", dass sie beendet wird, bevor der Fahrer sich an das Motorrad gewöhnt hat, ihm womöglich zu viel abverlangt. So auch dieses Mal. Aber dennoch war jeder Meter ein Genuss.

Triumph
Kopf tief, Tempo hoch. Die alte Regel gilt besonders bei unverkleideten Motorrädern.

Wie ein schmackhafter Nachtisch wird nach dem WM-Gerät eine aufgemotzte Street Triple serviert. Sie ist das Einsatzgerät für die Triumph ParkinGO European Series, eine in sieben Rennen auf identischen Motorrädern ausgetragene Meisterschaft im Rahmen der europäischen Läufe zur Superbike-WM. Auch sie ist dank offenem Arrow-Auspuff kräftig bei Stimme, reißt aber mit 110 PS längst nicht so an wie die hochgerüstete Daytona. Mehr PS braucht sie auch nicht. Fahren auf der Rennstrecke ist auf diesem Motorrad schon mit leicht erhöhter Serienleistung eine gymnastische Herausforderung. Wegen des breiten und hohen Lenkers muss der Fahrer sich fast immer tief ducken und möglichst viel Gewicht nach vorn bringen, um die Frontpartie zu sattem Straßenkontakt anzuhalten. Zu Beginn einer jeden Bremsung, kurveneingangs und beim Beschleunigen sowieso. Wo die WM-Daytona unerschütterlich und mit der Präzision eines Zirkelschlages einlenkt, tändelt die Frontpartie der leichtfüßigen Triple immer ein bisschen herum. Und während die Daytona selbst dann die nächste Kurve im Visier behält, wenn sie die vorherige auf den Curbs ratternd verlässt, stupst einen die Street Triple dabei jedes Mal mit einigen Lenkausschlägen. Alles nicht schlimm und im Freundschaftsspiel mit einem engagierten Kollegen sogar sehr spaßig, doch auffallend.

Übrigens: Was immer Chaz in Sachen Setup herausgefunden hat, verhalf ihm zu Platz drei beim Rennen in Valencia. Auf einem Motorrad, das für wenige Runden auch meines war.

Technische Daten Triumph Daytona 675 (Supersport-WM)

Triumph
Die Triumph-Daytona 675 pilotiert vom Supersport-WM-Vierten Chaz Davies.

Motor:
Dreizylinder-Reihenmotor, 74 x 52,3 mm, 675 cm³, ca. 150 PS bei 15000/min, 74 Nm bei 11500/min

Fahrwerk:
Alu-Brückenrahmen, Zweiarmschwinge aus Aluguss, vorn Upside-down-Gabel, hinten Federbein mit Hebelumlenkung Gewicht: 162 kg ohne Benzin

Technische Daten Triumph Street Triple R (European Series)

Triumph
Die Truimph Street Triple R für die Street Triple-Series.

Motor:
Dreizylinder-Reihenmotor, 74 x 52,3 mm, 675 cm³, ca. 110 PS bei 11700/min, ca. 68 Nm bei 9100/min

Fahrwerk:

Alu-Brückenrahmen, Zweiarmschwinge aus Aluguss, vorn Upside-down-Gabel, hinten Federbein mit Hebelumlenkung Gewicht: ca. 175 kg vollgetankt

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Erscheinungsdatum 15.09.2023